Buchtipp – Guillermo Arriaga, Das Feuer retten

Eine unmögliche Liebe in Mexiko


Guillermo Arriaga gehört zu den bekanntesten und erfolgreichsten Drehbuchautoren („Amores Perros“, „21 Gramm“ oder „Babel“) und Schriftsteller Mexikos. Der nun in deutscher Übersetzung erschienene 800-Seiten-Roman „Das Feuer retten“ erhielt 2020 den prestigeträchtigen „Premio Alfaguara de Novela“ und rangierte ein Jahr lang auf dem ersten Platz der mexikanischen Buch-Charts. Es ist die Geschichte einer Liebe zwischen verschiedenen Klassen, die es eigentlich nicht geben kann – so aussichtslos ist sie.


Die aus besten Kreisen stammende, wohlhabende Tänzerin Marina Longines – verheiratet mit einem braven, erfolgreichen, aber faden Mann und Mutter dreier Kinder – lernt bei einem Auftritt mit ihrer Tanzgruppe im Gefängnis den wegen mehrfachen Mordes verurteilten Indio José Cuauhtémoc kennen. Der ist aufgrund einer traumatisierten Kindheit mit einem Kämpfer für Indio-Rechte als Vater allerdings hochgebildet und kennt sich bestens in der Welt der Kultur und Bildung aus. Lange Zeit kann Marina ihrer Liebe frönen, inklusive Sex im Gefängnis – wenn man die richtigen Menschen schmiert, geht in Mexiko fast alles. Nur die engsten Freunde wissen Bescheid, nicht aber ihr Mann. Wobei die Geschichte von Tag zu Tag komplizierter wird, denn JC – wie José Cuauhtémoc genannt wird – hat eben eine kriminelle Vergangenheit, die ihn einholt. Er ist nämlich schon zum zweiten Mal wegen Mordes verurteilt. Das erste Mal hat er seinen dementen Vater, der ihn bis zum letzten Atemzug zu quälen versuchte, angezündet. Und wieder in Freiheit geriet er trotz redlichen Bemühens über einen Freund mitten in einen Narcos-Bandenkrieg. Leider vergnügt er sich auch mit der Freundin des Freundes als dieser in die Berge flüchten muss. Als dieser dahinterkommt, verfolgt er JC mit blankem Hass. „Das Feuer retten“ ist auch ein veritabler Rache-Thriller wie man den Roman überhaupt auch als eine etwas kolportagehafte Narcos-Räuberpistole lesen könnte. Arriaga erzählt im Original in einem mexikanischen Unterschichts-Slang an dem sich die deutsche Übersetzung von Matthias Strobel mittels deftigem Vokabular und vielen englischen lautmalerischen Phrasen herantastet. Politisch korrekt kann das natürlich niemals sein, bei einigen Beschreibungen von Frauen zuckt man richtig zusammen und auch die Sexszenen sind in ihrer Ausführlichkeit deutlicher als man das als Leser wünscht.

Das große Plus des Romans sind aber die Schilderungen der sozialen Wirklichkeit des Landes. Die große Mehrheit der Mexikaner schuftet sich ab, ohne jemals auch nur in die Nähe eines sorgenfreien Lebens kommen zu können. Schlimmer noch – im Krieg zwischen den Drogenbanden und der Regierung stehen sie immer in der Schusslinie. Die Korruption zerfrisst jede staatliche Sicherheit – wer zahlt, schafft an, Gesetze sind Auslegungssache. Mexiko ist ein gespaltenes Land: „12 der 100 reichsten Menschen der Welt sind Mexikaner. Gleichzeitig sind 55 Prozent der mexikanischen Bevölkerung sehr arm. Diese Widersprüche haben nun ihren Siedepunkt erreicht“, erklärte Guillermo Arriaga kürzlich in einem Interview.

Warum man sich die 800 Seiten dann doch gerne antut? Arriaga kann spannend erzählen und bietet auch textlich viel Abwechslung. So lässt er den Bruder der Hauptperson die gemeinsame grausame Jugend erzählen und zwischendurch sind immer Texte von Gefangenen eingestreut, die beim Schreibseminar mitgemacht haben. So erfährt man wie die zu Verbrecher Gewordenen ticken (auch wenn die vermeintlichen Dokumente natürlich viel zu literarisch sind). Marina erzählt in der ersten Person und JC wird auktorial dargestellt.

Und natürlich will man wissen, wie die Geschichte ausgeht – und das verrät der Autor als geschickter Drehbuchschreiber natürlich erst am Schluss. Vielleicht wird der Wälzer ja auch noch ein Film…


Der nun übersetzte Roman „Das Feuer retten“ von Guillermo Arriaga ist die Geschichte einer Liebe zwischen verschiedenen Klassen.

Guillermo Arriaga: Das Feuer retten
Aus dem Spanischen von Matthias Strobel
Klett-Cotta Verlag
ISBN: 978-3-608-98440-8
800 Seiten
€ 28,80

Theaterkritik – „Die Troerinnen“ im Burgtheater

Im Krieg leiden die Frauen


Im Krieg leiden die Frauen – „Die Troerinnen“ im Burgtheater. Eine Theaterkritik von Helmut Schneider.
Foto: ©Susanne Hassler-Smith


Nicht die Sieger waren für die griechischen Dichter interessant, sondern die Verlierer. Aischylos‘ „Die Perser“ gilt als erstes Theaterstück überhaupt und dort wird die Vernichtung der riesigen persischen Armee durch das wesentlich kleinere Heer der Griechen abgehandelt. Unglück und die Hybris der Mächtigen sind interessanter als das Glück der Sieger. In Euripides‘ 415 v. Chr. uraufgeführtes Stück „Die Troerinnen“ stehen die Frauen der Geschlagenen im Zentrum. Frauen leiden ja in Vernichtungskriegen meist noch mehr als Männer, ein gnädiger schneller Tod bleibt ihnen oft versagt.

Die australische Regisseurin Adena Jacobs zeigt nun im Burgtheater ihre Fassung der „Troerinnen“ – stark gekürzt, aber mit Texten von Ovid, Seneca und der australischen Autorin Jane Montgomery Griffiths angereichert.

Hekabe (Sylvie Rohrer), deren Tochter Kassandra (Lilith Häßle), Andromache (Sabine Haupt) und Helena (Patrycia Ziółkowska) treten nacheinander auf, um von ihrem soeben erfahrenen Leid zu berichten. Das hat etwas von einer Nummernshow. Wobei die Bilder, die zwischendurch gezeigt werden (Bühne: Eugyeene Teh) fast mehr Eindruck machen als die Texte. Meistens bleibt es dunkel und nur wenige Spots erleuchten die Szenen, die Choreografie des Chores wird präzise eingesetzt um Stimmung zu erzeugen. Gespielt wird in hautfarbigen Ganzkörperanzügen – ein Nacktlook also. Jacobs Bild der Antike ist ein ästhetisches, allzu oft aber auch ein pathetisches. Mit der Wucht der Geschichte scheint sie dann aber doch ihr Publikum zu gewinnen.


„Die Troerinnen“ im Burgtheater
burgtheater.at

Buchtipp – Iris Blauensteiner, Atemhaut

Entfremdung zwischen Mensch und Maschine


Iris Blauensteiner ist sowohl Filmerin als auch Autorin. Mit „Atemhaut“ ist ihr ein Roman über die Entfremdung zwischen Mensch & Maschine gelungen. Am 20. Mai liest sie bei Rund um die Burg.
Foto: sandraphotoart.at


Iris Blauensteiner studierte ‚Kunst und digitale Medien‘ an der Akademie der bildenden Künste Wien sowie Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien. Ihre Filme, die sie seit 2004 vor allem in den Bereichen Drehbuch und Regie umsetzt, zuletzt „Die Welt ist an ihren Rändern blau“, „die_anderen_bilder“, „Rast“ und „Schwitzen“ waren auch auf internationalen Festivals zu sehen. Ihr Debütroman „Kopfzecke“ erschien 2016.

Interview mit Iris Blauensteiner

Was war bei Ihnen zuerst da, das Bedürfnis zu schreiben oder zu filmen?

Iris Blauensteiner: Das Filmen, ich habe eigentlich mit 15 schon damit begonnen, nämlich im Medienzen-trum in der Zieglergasse, wo ich Animationsfilme gemacht habe. Mit dem Schreiben habe ich erst später, mit 24, angefangen – auch weil man als Filmerin ja immer auch schreiben muss, etwa Drehbücher oder Begleittexte für Filme. Filmen und Texten sind meine zwei ästhetischen Sprachen, mit denen ich arbeite. In beiden Genres kann ich Atmosphären, Zwischentöne und Zwischenmomente beschreiben und erzählen. Auch komplexere Dynamiken in mehreren Schichten und Ebenen lassen sich in beiden Medien darstellen.

Wie ist die Idee zu diesem Roman entstanden?

Mein Ausgangspunkt war eine WG und Edin war nur eine von mehreren Figuren. Letztlich hat mich dann seine Geschichte am meisten interessiert, weil sich in ihm die Problemfelder Leistungsgesellschaft oder Männlichkeit sowie die Ebene Computerspiele zeigen lassen. Er steht dann im Roman vor dem Dilemma, dass er von Maschinen ersetzt wird und er gleichzeitig Maschinen zur Bewältigung dieser Konflikte einsetzen will.

Ich habe den Roman vor allem als die Geschichte eines Arbeitslosen gelesen, ist das so angelegt?

Ja, Edin definiert sich ja über viele Werte wie Gender, seine Biografie und eben über seine Arbeit. Und wenn das auf einmal plötzlich weg ist, was bleibt dann noch? Als Künstlerin kenne ich solche prekären Verhältnisse natürlich auch persönlich, die künstlerische Arbeit ist ja hochprekär. Man muss permanent Rahmen schaffen und schauen, dass die auch eingehalten werden, dazu muss ich die Finanzierungen aufstellen. Ich mache das natürlich gerne und habe es mir auch ausgesucht, ich verfolge auch aufmerksam die Fair-Pay-Bewegung im Kulturbereich.

Romane in der 2. Person Singular sind extrem selten. Warum haben Sie die Du-Perspektive gewählt?

Für mich ist es eigentlich eine Ich-Perspektive, denn Edin spricht sein Ich sozusagen als Du an. Es ist ein bisschen so wie „Stell dir vor“ und so weiter. Dadurch bekommt das so eine entrückte Position und ist Ausdruck dafür, dass er sich selbst entfremdet ist und neben sich steht. Eigentlich ist es seine Aufgabe im Roman, zu einem Ich zu finden.

Welche Funktion hat das exzessive Computerspielen im Roman?

Die Fremd- und Selbstbestimmung ist ein großes Thema im Buch. Auch die verschiedenen Rollen, die er spielt. Am Computer steuert er einen Avatar, der er selbst ist und dann auch wieder nicht. Durch das Internet ist einfach eine neue Welt entstanden, die Menschen viel mehr Rollen ermöglicht und zu viel mehr Rollen drängt, als sie schon vorher hatten.

Edin baut am Schluss eine Maschine, ist das so etwas wie ein Android?

Eigentlich ist es eine ganz banale Maschine – mit Luftpumpen, aufblasbaren Kissen, ummantelt mit Latex. Ich habe ja eine Art Bedienungsanleitung dazu geliefert. Man kann sich das als etwas großes Warmes vorstellen, das atmet. Und das gibt Edin ein Gefühl von Sicherheit.

Iris Blauensteiner wird am 20. Mai um 17 Uhr bei „Rund um die Burg“ aus ihrem Roman lesen.    


Iris Blauensteiner, Atemhaut
Kremayr & Scheriau
ISBN: 978-3-218-01279-9
160 Seiten
€ 20,–

Buchtipp: Andrea Roedig, Man kann den Müttern nicht trauen

Zerplatzter Aufstiegstraum


Andrea Roedigs Mutterbuch „Man kann den Müttern nicht trauen“ handelt von einem zerplatzten Aufstiegstraum. Ein Buchtipp von Helmut Schneider
Foto: Markus Rössl


Die Geschichte von Andrea Roedigs Mutter Lilo aus Düsseldorf beginnt wie das Versprechen vom sozialen Aufstieg in der Wiederaufbauzeit. Die von der eigenen, kriegstraumatisierten  Mutter nicht geliebte und oft geschlagene Lilo heiratet in eine alte Dynastie aus Metzgern und wird Frau Chefin. Man kann sich vieles viel früher leisten als andere, macht teure Urlaube und der Vater fährt Porsche. Doch der Traum vom Wohlstand platzt jäh, beide Eltern sind längst Alkoholiker, Lilo nimmt zudem „Mother’s little helper“ und wird medikamentenabhängig. Die kleine Andrea und ihr kleinerer Bruder Christoph müssen nach dem Konkurs der Metzgerei, der auch durch das Aufkommen der Supermärkte verursacht wird, sogar bei Schulkameraden um Essen betteln. Am Ende wird die Familie getrennt, Andrea wächst bei der Großmutter und im Internat auf, sieht Lilo jahrelang nicht – ihr Verhältnis zueinander ist vergiftet.

Andrea Roedigs „Man kann den Müttern nicht trauen“ schont keine Beteiligten, auch die Erzählerin selbst nicht. Auch von Schuldzuweisungen ist das sehr flüssig und intelligent erzählte Buch frei. Im Grunde geht es in dieser Geschichte weniger um den sozialen Abstieg als vielmehr um soziale Kälte. Lilo liebt schöne Dinge und ist auch bereit, dafür viel zu arbeiten, ihre Tochter bleibt ihr aber ein Leben lang fremd. 2015 ist Lilo verstorben. Andrea Roedig wurde schließlich als Publizistin und Autorin erfolgreich, seit 2007 lebt sie in Wien, wo sie auch die Literaturzeitschrift „Wespennest“ herausgibt. Am 20. Mai wird sie um 20 Uhr beim Festival RUND UM DIE BURG im Landtmann Bel Etage aus „Man kann den Müttern nicht trauen“ lesen.

www.rundumdieburg.at


Andrea Roedig, Man kann den Müttern nicht trauen
dtv
ISBN: 978-3-423-29013-5
240 Seiten
€ 20,95

Theaterkritik: „Eurotrash“ im Akademietheater

Die Reise der alten Dame


„Eurotrash“ von Christian Kracht im Akademietheater. Eine Theateransicht von Helmut Schneider.
Foto: ©Susanne Hassler-Smith


Der Regisseur und Schauspieler Itay Tiran hat für das Akademietheater Christian Krachts („Faserland“, „1979“, „Imperium“ u.a.) autofiktionalen Roman „Eurotrash“ gemeinsam mit Jeroen Versteele dramatisiert. Barbara Petritsch und Johannes Zirner spielen Mutter und Sohn. Sie ist eine 80jährige reiche Schweizer Erbin und leider schon dement, was sie mit reichlichem Alkohol- und Tablettenkonsum zu kaschieren versucht. Er ist Autor und fühlt sich verpflichtet, alle paar Monate bei seiner Mutter vorbeizuschauen. Jetzt aber wird er zu ihr gebeten, Mutter ist anscheinend aus der Anstalt geflüchtet und will ihr aus unsauberen Quellen erworbenes Geld (Waffen) verschenken. Und so brechen sie zu einer Reise nach Afrika zu den Zebras auf, kommen allerdings mit dem Taxi nur ein bisschen in der Schweiz herum. Aber die wahren Abenteuer sind ja sowieso im Kopf.

Das Bühnenbild (Nina Wetzel) besteht nur aus einem allerdings multifunktionalen grünen Sitzrondeau, das aus einem Hotel stammen könnte, und aus einem Glitzervorhang als Hintergrund. Die Poltermöbel gehen auch als Taxi oder Seilbahngondel durch. Mutter sitzt ja sowieso oft im Rollstuhl. Der Witz entsteht durch die skurrilen „Wuchteln“ der Frau Mama (betont auf der zweiten Silbe). Die Intellektualität des Sohnes läuft gegen die anarchistische Energie der alten Dame ins Leere. Eine Paraderolle für Barbara Petritsch, die sich darin auch sichtlich wohl fühlt. Wir erleben wunderbar unterhaltsame 100 Minuten in einer zur Kenntlichkeit parodierten Schweiz.


Informationen & Karten: burgtheater.at

Theaterkritik: „It’s the End of the World as We Know It“ im Schauspielhaus

Bunkerstück im Schauspielhaus


Ein Bunkerstück im Schauspielhaus. Theaterkritik von Helmut Schneider.
Foto: Susanne Einzenberger


Das Schauspielhaus hat mit der britischen Theatergruppe Kandinsky ein aktuelles Stück entwickelt, in dem es um das Überleben bei zu erwartenden Klimakatastrophen geht. Wer reich ist, sorgt vor – nämlich indem er sich einen luxuriösen Bunker anschafft. Bunker-Verkaufsgespräche bilden das Grundgerüst von „SHTF“.

Die Darsteller wechseln permanent zwischen Englisch und Deutsch, Bildschirme werden originell eingesetzt und bisweilen als Verlängerung des Theaterraums verwendet. Da schneidet man etwa Gemüse (am Schirm als Film sichtbar) und die Schauspielerin hält nur die Hände in der richtigen Position. Wie überleben, wenn alles hin ist? Angeblich werden im Silicon Valley längst Projekte forciert, um Lebensmittel künstlich herzustellen. 90 Minuten Nachdenken über den Weltuntergang – klingt ziemlich deprimierend. Durch witzige Einfälle und eine flüssige Handlung gelingt aber dennoch ein sehr ansprechender Theaterabend.


Buchtipp: Damon Galgut, Das Versprechen

Politischer Familienroman aus Südafrika


Damon Galguts Roman „Das Versprechen“. Ein Buchtipp von Helmut Schneider.


Am Beginn des Romans herrscht noch Apartheit in Südafrika, am Ende tritt gerade der wegen massiver Korruptionsvorwürfe beschädigte Präsident Jacob Zuma, wir sind also im Jahr 2018, zurück. Erzählt wird der Abstieg der weißen Familie Swart. Aber wie ein roter Faden zieht sich das titelgebende Versprechen, das die im Sterben liegende krebskranke Mutter ihrer schwarzen Dienerin Salome gegeben hat, nämlich das windschiefe Haus am Rand der Farm nahe Pretoria, in der  Salomes Familie lebt, ihr zu schenken. Im Apartheitsregime ist das gesetzlich noch nicht einmal möglich, aber nacheinander brechen der Vater und die Kinder dieses Versprechen. Erst am Schluss des Romans, als die greise Salome bereits in ihr Heimatdorf zurückziehen will, wird es von der jüngsten Tochter Amor eingelöst. Da steht das Gut allerdings bereits vor der Zwangsversteigerung und niemand weiß, ob nicht Gebietsansprüche von den Besitzern vor der Familie Swart zu erwarten sind.

Damon Galgut konnte mit „Das Versprechen“ den Booker-Preis gewinnen und wie zumeist bei dieser höchsten Auszeichnung für ein englischsprachiges Werk, kann man sich auf diese Jury verlassen. Galgut verwebt meisterhaft die südafrikanische Historie mit der Familiengeschichte der Swarts. Ohne jemals geschwätzig zu werden, schafft er es, Stimmungen und Personen treffend zu beschreiben. Der Roman ist auch klug gegliedert, denn in jedem der vier Kapiteln gibt es ein Begräbnis. Erst stirbt Ma an Krebs, dann kommt Pa bei einem strohdummen Versuch, zugunsten seiner geliebten Kirchengemeinde einen Weltrekord zu brechen, ums Leben. Als Miteigentümer einer Reptilienfarm wird er von einer Kobra, in deren Gehege er Tage ausharren wollte, gebissen. Tochter Astrid, gut verheiratet aber gelangweilt, wird bei einem Raubüberfall ermordet und der älteste der Geschwister, Anton, der einst gegen den Vater und den Staat, der ihm als Soldat zumutete, auf schwarze Demonstranten zu schießen, rebellierte, jagt sich – zum Alkoholiker geworden – eine Kugel in den Kopf. Einzig Amor führt ein selbstbestimmtes, wenngleich sehr karges Leben als Krankenschwester in einer Aids-Station. Sie, die auf alle Einkünfte aus ihrem Erbe verzichtet, erinnert jedes Familienmitglied immer wieder an das Salome gegebene Versprechen. Neben den Familienmitgliedern lässt Galgut aber auch geldgierige Geistliche ebenso auftreten wie Obdachlose oder einen spirituell erleuchteten Yogalehrer. Der Autor weiß zweifelsohne auch seine Leser zu unterhalten. Eines der besten Romane der Saison!


Damon Galgut: „Das Versprechen“
Aus dem südafrikanischen Englisch von Thomas Mohr
Luchterhand
ISBN: 978-3-630-87707-5
368 Seiten
€ 24,70

Theaterkritik: „Cyrano de Bergerac“ im Burgtheater

Cyrano de Bergerac Martin Crimp nach Edmond Rostand Premiere am 05 April 2022 im Burgtheater

Augen zu und durch


Ein neuer Cyrano im Burgtheater. Zu sehen etwa am 9. und am 27. Mai 2022.
Foto: Nikolaus Ostermann


Einfach spielen kann man das vor Kitsch nicht zurückschreckende Versdrama „Cyrano de Bergerac“ von Edmond Rostand wohl nur in einem Augen-zu-und-durch-Modus in den diversen Sommertheatern. Nimmt man das französische Drama ernst, müssen die Figuren mehr vermitteln können als ihnen der Text vorgibt. Das bedarf einer subtilen Regie und sensibler Schauspieler. Im Burgtheater wird jetzt eine Version des britischen Dramatikers Martin Crimp (in der Übertragung von Ulrich Blumenbach und Nils Tabert) gespielt, die den Cyrano einen etwas moderneren Anstrich gibt und ihn in der Regie von Lily Sykes auch zeitlich nicht völlig in die Mantel- und Degen-Ära abgleiten lässt. Bisweilen rapt man sogar und der Schluss wurde von Crimp völlig verändert wenn auch nicht ins Happy-End verklärt. Franz Pätzold spielt solide den langnasigen Reimeschmieder, Lilith Häßle die angebetete Roxane, etwas blass wirkt Tim Werths als Schönling Christian.

Man kann sich also durchaus gut unterhalten im Burgtheater und das Entsetzen vor dem Krieg und vor totalitären Gesellschaften hat sowieso leider gerade eine tragische Aktualität.


„Cyrano de Bergerac“ im Burgtheater
burgtheater.at

Buchtipp: Otto Brusatti, Der Gaukler mit Beethoven & Co

Anti-Künstler-Roman


Otto Brusattis schildert in „Der Gaukler mit Beethoven & Co.“ Das Leben eines Komponisten heute. Ein Buchtipp von Helmut Schneider.


Der „kleine Komponist und Kunstbezweifler“ Edgar Arnold David Niehaus (EADN) wird 1968 in Halle/Saale in der DDR geboren und hätte als Partei-Günstling überall Karriere machen können. Alleine – er entschied sich für die Musik. Und bei erstbester Gelegenheit nutzte er die offenen Grenzen und setzte nach Westberlin über, wo er in der alternativen Hausbesetzer-Szene bald schon die linken Freunde mit neuer und somit unverständlicher Musik nervte. Früh wird er auch krank. Wie es dazu kam, dass EADN in den fest eingezirkelten Kreisen der Avantgarde reüssieren und recht gut von Stipendien leben konnte, letztlich aber nicht unzufrieden als besserer Unterhaltungsmusiker auf Kreuzfahrtschiffen endete, davon erzählt Otto Brusatti in seinem Musik-Roman Roman „Der Gaukler mit Beethoven & Co.“ Das Buch ist zugleich Parodie, Satire, Schelmenroman und Anti-Künstlerroman. Thomas Manns berühmter Komponistenroman „Doktor Faustus. Das Leben des deutschen Tonsetzers Adrian Leverkühn, erzählt von einem Freunde“ wird dabei ebenso lustvoll geplündert und parodiert wie Nietzsches Biografie oder Wittgensteins „Tractatus“. Sein Edgar Niehaus ist ebenso arrogant wie anscheinend untalentiert, er zieht dabei aber ungeniert über Musikerkollegen her und hat damit auch lange Zeiten beträchtliche Erfolge in Talkshows und bei akademischen Symposien.

Geht er auch einen Pakt mit dem Teufel ein? Just an zwei Weihnachtsabenden kommt es zu seltsamen Begegnungen mit zwei mysteriösen Zeitgenossen, krank ist er ja schon und in der Liebe hat er auch wenig Glück. Einmal bringt er in Wien – neben Berlin und Leipzig seine Schicksalsstadt – eine angehende feministische Literatin dazu, ihm Textfetzen für ein Oratorium zu liefern und einmal findet er tatsächlich ausgerechnet in Ungarn eine von Primzahlen besessene Frau, mit der er einige unbeschwerte Tage verbringen kann. Nach einem vielversprechenden Abschied, begeht die anscheinend schwerkranke Frau allerdings Suizid. Niehaus macht weiter mit der Zerstörung von Traditionen, er will Wittgenstein vernichten, was ihm wiederum ein Stipendium einbringt. Er macht auch das zu Musik. Das letzte große Werk, dessen Aufführung mindestens sieben Stunden dauern würde, ist schließlich ein Balladenprojekt. Stefan George und immer wieder Franz Schubert sind seine geistigen Führer, an denen er sich abarbeitet. Letztlich holt ihn seine Krankheit, die nie genau diagnostiziert wird, aber ein und er stirbt mit nur 51 Jahren – immerhin keine Primzahl und immerhin bleibt ihm ein langes Darben in geistiger Umnachtung wie Nietzsche und Manns Adrian Leverkühn erspart.

Der Roman ist natürlich in erster Linie für musikalische und literarische Feinspitze ein Vergnügen, da allerlei Verweise und Anspielungen zu entschlüsseln wären. Brusatti beschreibt mit den Augen seines Protagonisten die eitlen musikalischen Eliten und den trägen, selbstgefälligen Kulturbetrieb. Beim Festival „Rund um die Burg“ am 20./21. Mai wird er seinen Roman dem Publikum vorstellen.

Otto Brusatti wird am 20. Mai, 18.30 Uhr, bei „Rund um die Burg“ im Landtmann Bel Etage bei freiem Eintritt aus seinem Roman lesen.


Otto Brusatti: „Der Gaukler mit Beethoven & Co. Ein Musik-Roman“
Morio Verlag
ISBN: 978-3-945424-98-8
364 Seiten
€ 16,50

Theaterkritik: „Reich des Todes“ im Akademietheater

Reich des Todes


Eine Geschichtsstunde –  Rainald Goetz‘ „Reich des Todes“ im Akademietheater. Theaterkritik von Helmut Schneider.
Foto: Ruiz-Cruz


Am Beginn herrscht Party – am Ende Ratlosigkeit. In der Inszenierung von „Reich des Todes“ von Rainald Goetz durch Robert Borgmann im Akademietheater tanzen sich weiß bekleidete Menschen zur Rave-Musik in Trance, während im Hintergrund bereits Leuchtstoffröhren die Fassade des World Trade Centers andeuten. Doch schnell ist Schluss mit lustig, die jungen Menschen liegen leblos am Boden und werden mit Erde bedeckt. Die Anschläge von 9/11 sind für Rainald Goetz aber nur der Ausgangspunkt einer Entwicklung, die sich in den Einschränkungen liberaler Freiheiten und schließlich in den Folterzellen in Abu Ghuraib fortsetzt. Der amerikanische Präsident, Geheimdienstchefs und Folterknechte und -mägde treten auf, Berichte von Menschenrechtsverletzungen werden verlesen. Dass dieses Stück über eine Zeitenwende jetzt just zu einem Zeitpunkt erscheint, als angesichts der Gräuel des Ukraine-Kriegs wieder viele von einer Zeitenwende sprechen, kann man auch als notwendiges Korrektiv eines umsichgreifenden Schwarz-Weiß-Denkens empfinden.

Goetz zieht aber auch Parallelen zu den Verbrechen der Nazis, er holt da ziemlich heftig aus.

Auf einem zweiten Bühnenvorhang ist der Grundriss eines Konzentrationslagers aufgezeichnet, Braunhemden in Wehrmachtsstiefeln treten auf. Aber macht das schon ein gutes Theaterstück aus? Die Folter-Vorwürfe im Irak und Guantanamo sind bekannt, auch wenn man nach wie vor nicht weiß, was Obama letztendlich bewogen hat, sein Wahlkampfversprechen, Guantanamo aufzulösen, zu brechen. Robert Borgmann versucht in einzelnen Szenen durchaus mit Erfolg, ansprechende Theaterbilder zu schaffen und die Texte ins Tragisch-Komische zu verfremden. Die Schauspielerinnen und Schauspieler – Marcel Heuperman, Felix Kammerer, Christoph Luser, Elisa Plüss, Safira Robens, Martin Schwab und Andrea Wenzl – erzeugen eine große Bühnenpräsenz. Mehmet Ateşçi gelingt etwa in einem Käfig ein beeindruckender Folteropfermonolog. Der erkenntnismatte 20-minütigen Schlussmonolog, den Martin Schwab vom Blatt ablesen muss, ist dann aber – nach dreieinhalb Stunden – eine Geduldprobe fürs Publikum.


Informationen & Karten: burgtheater.at