Liebe, Gier und Krieg auf Spitzenschuhen – Ratmanskys „Kallirhoe“ an der Wiener Staatsoper
Mit Alexei Ratmanskys Kallirhoe gelingt dem Wiener Staatsballett unter Alessandra Ferri ein machtvoller Neubeginn. Die europäische Erstaufführung des monumentalen Handlungsballetts beeindruckt mit großem Drama, brillanter Choreografie – und aufwühlender Musik aus der Sowjetzeit.
Die neue Direktorin des Wiener Staatsballetts, Alessandra Ferri, setzt gleich zum Auftakt ein deutliches Zeichen: Mit der europäischen Erstaufführung von Alexei Ratmanskys Kallirhoe bringt sie ein selten gespieltes, hochaktuelles Handlungsballett auf die Bühne der Staatsoper – bildgewaltig, vielschichtig und erschütternd schön.Basierend auf dem ältesten vollständig überlieferten Liebesroman der Antike, geschrieben von Chariton von Aphrodisias, erzählt Kallirhoe von einer großen Liebe, die durch Eifersucht, Intrigen und Gewalt fast zerstört wird – und am Ende gestärkt wiederkehrt. Im Zentrum: die Titelheldin, begehrt, verschleppt, verkauft – und dennoch nie gebrochen.Der Choreograf Alexei Ratmansky, einer der bedeutendsten Vertreter des neoklassischen Balletts, verknüpft diese antike Geschichte mit Musik, die es in sich hat: Aram Chatschaturjans Ballettmusik aus Gayaneh (1942), entstanden als sowjetisches Propagandawerk, entfaltet in diesem neuen Kontext eine verstörende Dringlichkeit. Der berühmte „Säbeltanz“ etwa wirkt in Ratmanskys Deutung nicht triumphal, sondern entlarvend – ein Kommentar auf Macht, Gewalt und Nationalismus.
„Es geht um eine große Liebe – und um Abenteuer. Die erste Liebe, die dann als reife Emotion zurückkehrt, gefestigt durch die Erfahrung schrecklicher Unglücke.“
– Alexei Ratmansky
Unter der Leitung des erfahrenen Dirigenten Paul Connelly entfalten die Wiener Philharmoniker technische Brillanz. Connellys langjährige Erfahrung im Bereich des Balletts ermöglicht es ihm bei Kallirhoe zur Umsetzung der Vision von Alexei Ratmansky beizutragen, indem er die Musik von Chatschaturjan lebendig werden lässt und die tänzerische Darbietung unterstützt. Die Arrangements von Philip Feeney ergänzen die Originalkomposition und bieten eine moderne Klanginterpretation. Madison Young überzeugt als facettenreiche Kallirhoe, Victor Caixeta feiert ein ausdrucksstarkes Debüt als Chaireas. Das Ensemble beeindruckt mit technischer Brillanz, emotioneller Tiefe und einer starken Präsenz – besonders die Frauengruppen, die Ratmansky als antiken Chor choreografiert, setzen eindrucksvolle Akzente. Kallirhoe ist großes Balletttheater für die Gegenwart – zwischen klassischer Form, moderner Lesart und musikalischer Wucht. Ein Auftakt, der Lust auf mehr macht.Diese Inszenierung ist Teil des Ballettzyklus »Titelheldinnen« und wird in der Saison 2025/26 mehrmals aufgeführt.
Von Ursula Scheidl – Foto: Ashley Taylor
Infos & Karten: staatsoper.at

