Im Gartenpalais Liechtenstein ist bei freiem Eintritt die Schau HERKULES DER KÜNSTE zu sehen, in dessen Mittelpunkt ein Fürst steht, dem Wien viel zu verdanken hat. Ein Interview mit dem neuen Direktor der Sammlung, Stephan Koja.

Herkules der Künste – Interview mit Stephan Koja

Das Porträt der Clara Serena Rubens gehört zu den berührendsten Kinderporträts der europäischen Kunstgeschichte. – Peter Paul Rubens (1577–1640), Porträt der Clara Serena Rubens, der Tochter des Künstlers (1611–1623), um 1616
© LIECHTENSTEIN. The Princely Collections, Vaduz-Vienna

Im Gartenpalais Liechtenstein ist bei freiem Eintritt die Schau HERKULES DER KÜNSTE zu sehen, in dessen Mittelpunkt ein Fürst steht, dem Wien viel zu verdanken hat. Ein Interview mit dem neuen Direktor der Sammlung, Stephan Koja.

Mit 1. April 2023 löste der Wiener Kunsthistoriker Stephan Koja Johann Kräftner an der Spitze der Fürstlichen Sammlungen Liechtenstein ab. Kräftner hatte zwei Jahrzehnte das Bild der berühmten Sammlung geprägt.

Der 1962 geborene Stephan Koja konnte bislang schon viele internationale Erfahrungen sammeln und wurde für seine Verantwortung bei der Renovierung der Dresdner Sempergalerie am Zwinger viel gelobt. Begonnen hat er seine Karriere an der Spitze der Sammlungen des 19. Jahrhunderts und der klassischen Moderne im Belvedere. Und natürlich hat er auch für das Gartenpalais und das Stadtpalais Liechtenstein neue Ideen. Er möchte etwa die Rolle der Liechtenstein’schen Fürsten bei der Entwicklung Wiens stärker betonen. Denn durch den Bau des Gartenpalais in der damaligen Vorstadt wurde das Viertel Lichtental nachhaltig auch wirtschaftlich entwickelt. Johann Adam Andreas I. von Liechtenstein baute nicht nur die Schulden seines Vaters ab, sondern machte aus seinen Besitzungen funktionierende und florierende Musterbetriebe.

Sonderausstellung

Das Palais Liechtenstein ist seit einigen Jahren nur gegen Voranmeldung und mit Führung zu besichtigen. Allerdings gibt es jährliche Sonderausstellungen bei freiem Eintritt.

Ab sofort lockt die Schau „HERKULES DER KÜNSTE – Johann Adam Andreas I. von Liechtenstein und das Wien um 1700“.

Was war die Idee zur Ausstellung?

Stephan Koja: In „Herkules der Künste“ geht es um die zentrale Fürstengestalt, der man zum einen – auf politischer Ebene – verdankt, dass die Liechtensteins Reichsfürsten werden, zum anderen, dass die Kunstsammlung eine ganz neue Bedeutung gewinnt und der Hauptsitz der Fürsten nach Wien verlegt wird. Die großen Besitzungen der Fürsten liegen ja in Böhmen und Mähren, wo sie wunderbare Schlösser besessen haben.

Johann Adam Andreas schafft in Wien repräsentative Bauten und kauft die besten Kunstwerke, die er in Europa bekommen kann. Und da er der Meinung ist, dass italienische Architekten die besten sind, lässt er sich in Lichtental ein Palais im italienischen Stil bauen.

Damals waren rundherum ja noch Felder, oder?

Stephan Koja: Genau, Johann Adam Andreas I. macht aus dem Gebiet eine Mustersiedlung – mit einer Brauerei, Mühlen und einer von ihm gestifteten Kirche. Er gewährt Steuererleichterungen, damit sich Menschen – vor allem Handwerker – hier ansiedeln. Um 1700 boomt Wien gerade, die Türkenbelagerung ist überstanden, und es geht wirtschaftlich steil bergauf.

Der Fürst denkt viel darüber nach, wie seine Betriebe noch effizienter arbeiten könnten und ist sehr erfolgreich. Seine Besitzungen sind weitgehend autark – mit Landwirtschaft und deren Weiterverarbeitung, Handwerk und Brauhäusern. Der damit erwirtschaftete Wohlstand erlaubt die Sammeltätigkeit und eine imposante Bautätigkeit. Denn die Großzügigkeit des neuen Gartenpalais ist wirklich sensationell. So etwas wie die Sala Terrena oder den Herkulessaal – das hat es in diesen Dimensionen zu dieser Zeit in Wien nicht gegeben. Das wird dann bis in den süddeutschen Raum zum Vorbild – auch für das Belvedere – Prinz Eugen beschäftigt zum Teil sogar die gleichen Handwerker.

Was sind nun die Highlights der Ausstellung?

Stephan Koja: Das überwältigende Deckenfresko im Festsaal von Andrea Pozzo zeigt die Taten und die Apotheose des antiken Helden Herkules in einer beeindruckenden Scheinarchitektur und ist deshalb Namensgeber der Schau. Dann die riesigen Ausstattungsbilder von Marcantonio Franceschini. Und schließlich sind natürlich die Gemälde von Peter Paul Rubens und Anthonis van Dyck in der Sammlung von überragender Qualität. Das Porträt der Clara Serena Rubens gehört zu den berührendsten Kinderporträts der europäischen Kunstgeschichte.

Das gesamte Interview können Sie in der kommenden Ausgabe von Wienlive lesen.

HERKULES DER KÜNSTE
Johann Adam Andreas I. von Liechtenstein und das Wien um 1700

16. Februar – 1. April GARTENPALAIS Liechtenstein
Fürstengasse 1, 1090 Wien
Montag bis Sonntag 10–18 Uhr | Freier Eintritt | Keine Anmeldung erforderlich.
palaisliechtenstein.com

Wien verdankt dem Regisseur und Autor Markus Kupferblum viele ungewöhnliche Opern- und Theaterproduktionen. Nun lebt er mit seiner Familie in Boston und gerade ist sein Bühnenkünstler-Credo als Buch erschienen.

Für den Zauber der Bühne

„Theater muss die Wahrheit des Augenblicks feiern. Denn auch wenn morgen dasselbe Stück gespielt wird, ist es immer wieder neu und anders.” – Markus Kupferblum. | ©Stefan Diesner

Text: Helmut Schneider

Wien verdankt dem Regisseur und Autor Markus Kupferblum viele ungewöhnliche Opern- und Theaterproduktionen. Nun lebt er mit seiner Familie in Boston und gerade ist sein Bühnenkünstler-Credo als Buch erschienen.

Hier in Wien macht der Regisseur, der schon an sehr vielen Orten der Welt inszeniert, gefilmt, gespielt und unterrichtet hat, nur noch eine Gesprächsreihe im Porgy & Bess mit bekannten Kulturschaffenden wie zuletzt mit Robert Schindel. Nicht nur weil seine Frau in Harvard ihren PhD macht, seine Kinder dort zur Schule gehen und er selbst in Harvard unterrichtet. In Wien wurde es für ihn, der schon 1992 beim hoch angesehenen Festival von Avignon ausgezeichnet wurde und der 2007 einen Nestroypreis erhielt, immer schwieriger, seine Inszenierungen zu finanzieren. Der in Wien Geborene ist ausgebildeter Clown, hat auch als Schauspieler viel gespielt und unterrichtete etwa in Wien, Tel Aviv, Teheran, Frankfurt, Michigan, Louisiana, Boston, New York und Bolivien.

wienlive: Wie verlief Ihr künstlerischer Werdegang?

Markus Kupferblum: Ich habe meine künstlerische Sozialisation in Paris erfahren und war bei Peter Brooks englischer Version der „Mahabharata“ dabei – der war schon damals mein Idol und ich war erst 20. Seine Konzentration auf die Menschen – die Schauspieler – hat mich sehr geprägt – denn sie sind es schließlich, die uns die Geschichten erzählen. Das hatte ich nicht gekannt, denn ich bin ja in Wien mit der Theatertradition des Burgtheaters aufgewachsen. Brook wurde später von Peymann gefragt, ob er fürs Burgtheater arbeiten möchte, und hat glatt abgelehnt. Ich hab ihn nach dem Grund gefragt und er hat geantwortet: Ich brauche Zeit! Das hat mich sehr fasziniert. 

Mit 22 habe ich bereits meine erste freie Operngruppe gegründet, weil ich den Betrieb an der Staatsoper ungeheuer aufgeblasen gefunden habe. 

Worum geht es im neuen Buch? 

Meine Helena in „Die Schönheit der Helena“ ist jene aus dem Sommernachtstraum. Ihr Monolog ist für mich schon lange die beste Gelegenheit, jungen Schauspielerinnen und Schauspielern zu zeigen, wie man an eine Rolle herangeht. Mein Buch ist sozusagen ein Manifest für ein sinnliches Theater. Ich finde das noch immer vorherrschende postdramatische, zerstörerische Theater inzwischen sehr altbacken. Es hatte etwa in Berlin nach dem Fall der Mauer eine wichtige Funktion, aber es ist für mich nicht mehr befriedigend, so an Literatur heranzugehen. Als „Brookianer“ fehlt mir die einmalige Chance, Theater als Labor zu erleben, in dem die großen Konflikte der Menschheit abgehandelt werden. Deswegen hat Brook ja so viel Zeit für seine Inszenierungen gebraucht – er probte eineinhalb Jahre! Das hat mich als Junger fast wahnsinnig gemacht: Ich habe bei ihm Proben erlebt, die perfekt waren – und dann hat er gemeint: so, jetzt können wir das streichen. Er war der Meinung, dass man sich nie an etwas klammern dürfe und dass man durch die Streichung Gelegenheit für etwas Neues bekomme. 

Markus Kupferblum wurde 1964 in Wien geboren und studierte u. a. in Paris bei Philippe Gaulier und Monika Pagneux und an der New York University. – ©Stefan Diesner
Markus Kupferblum wurde 1964 in Wien geboren und studierte u. a. in Paris bei Philippe Gaulier und Monika Pagneux und an der New York University. – ©Stefan Diesner

Das Theater heute will ja inzwischen überkorrekt sein, wie sehen Sie das?

Political Correctness hat sicher seine Berechtigung, aber wenn man das ganz genau nimmt, heißt es doch, dass man kein Stück von Shakespeare mehr spielen dürfte. Bei „Romeo und Julia“ gibt es Sex mit Minderjährigen, beim „Kaufmann von Venedig“ den Antisemitismus, bei „Othello“ begeht ein Afrikaner einen Mord. Wenn Menschen etwa in einer Komödie über Menschen lachen, ist es ja das Ziel, dass sie erkennen, dass sie über sich selbst lachen. Diese Großzügigkeit, über sich selbst lachen zu können, ist doch eine der wunderbarsten menschlichen Qualitäten! Das wissen wir seit Aristoteles. Mit Political Correctness wird es sehr, sehr ernst auf unserer Welt.

Ist das vielleicht auch ein Grund, warum immer weniger Menschen ins Theater gehen?

Ich kann mir vorstellen, dass es da einen Zusammenhang gibt. Wenn sich das Theater nicht mehr darauf konzentriert, was es kann und was es besser kann als ein Netflix-Abo mit Millionen Filmen, dann wir niemand mehr ins Theater gehen. Denn es kostet viel Geld, man kann nicht in Hausschuhen Popcorn essen, nicht auf Stopp oder Fast Forward drücken, kann sich nicht zwischendurch ein Bier holen. Es geht um das Erlebnis, dass ein echter Mensch im selben Raum vor dir steht und du diesen Raum mit vielen anderen Menschen teilst, die dieselbe Empathie zu entwickeln imstande sind. Theater muss die Wahrheit des Augenblicks feiern. Denn auch wenn morgen dasselbe Stück gespielt wird, ist es immer wieder neu und anders.

Am schwierigsten ist es, die Jugend zum Theater zu verführen, oder sehen Sie das anders?

Ich bin da nicht so sicher. Wir Theatermacher müssen auf jeden Fall lernen zuzuhören und herauszufinden, was für Bedürfnisse die Jugendlichen haben. Eigentlich habe ich nur gute Erfahrungen mit ihnen gemacht – und dies auch immer gerne. In Litauen kurz nach der Wende habe ich mit arbeitslosen russischen Jugendlichen, die sich zu Recht völlig ausgeschlossen gefühlt haben – es durfte ja nicht einmal mehr Russisch gesprochen werden –, Straßentheater geprobt. Wir haben dann am Hauptplatz von Vilnius eine Show aufgeführt. Und diese Kinder waren so glücklich, weil ihnen zum ersten Mal von Menschen applaudiert wurde. 


Xenia Hausner malt fast ausschließlich Frauen. Sie hält einen scheinbar flüchtigen Augenblick malerisch fest. – ©Xenia Hausner

Frauenpower in der Kunstszene

Xenia Hausner malt fast ausschließlich Frauen. Sie hält einen scheinbar flüchtigen Augenblick malerisch fest. – ©Galerie Albertina – Zetter/Xenia Hausner

Text: Ursula Scheidl

Die von einem Mutter-Tochter-Gespann geführte Galerie · bei der Albertina · Zetter feiert ihr 50-jähriges Bestehen mit drei besonderen Ausstellungen und hat sich in den vergangenen Jahrzehnten als eine der weltweit ersten Adressen für Wiener Jugendstil und Kunst der Wiener Werkstätte profiliert.

Sie haben den Wiener Kunsthandel wesentlich geprägt: Christa Zetter und Katharina Zetter-Karner. 1973 von der jungen Kunststudentin Christa Zetter gegründet, zählt die Galerie · bei der Albertina · Zetter heute, nach inhaltlicher und räumlicher Erweiterung auf 400 m2 auf drei Etagen, zu den wichtigsten Galerien im Wiener Kunstviertel. Das Galerieprogramm umfasst viele international bedeutende Künstler*innen wie Josef Hoffmann, Kolo Moser, Gustav Klimt, Egon Schiele, Friedensreich Hundertwasser, Kiki Kogelnik, Oskar Kokoschka, Maria Lassnig, Alfons Walde, Fritz Wotruba, Joannis Avramidis, Christian Ludwig Attersee u. v. m. Seit 2003 führt Tochter Katharina Zetter-Karner die Galerie gleichermaßen traditionsbewusst wie zukunftsorientiert fort.

wienlive:War es nicht ein großes Wagnis, damals eine Galerie zu gründen?

Christa Zetter: Nein, es war kein großes Wagnis für mich. Es war immer schon angedacht, dass ich das Geschäft meiner Eltern übernehmen sollte. Ich war bereits mit allem Geschäftlichen vertraut. Im Familienleben spielte das Geschäft eine große Rolle, jedoch die Inhalte sollten sich ändern, daher wurde der Name Galerie bei der Albertina gewählt.

Mit welchen Herausforderungen waren Sie konfrontiert?

Die inhaltliche Neuausrichtung hin zum Jugendstil war am Anfang durchaus schwierig. Der Jugendstil war damals am Kunstmarkt noch lange nicht so etabliert wie heute. Man musste erst eine Bühne für ihn schaffen.

Warum wollten Sie das kleine Antiquitätengeschäft Ihrer Mutter nicht weiterführen?

Ich interessierte mich sehr für das österreichische Kunstgeschehen des 20. Jahrhunderts und wollte diese Zeit erfassen. Um ein Konzept für die Galerie zu finden und meinem Interesse für die österreichische Moderne folgend, habe ich mich dazu entschieden, das Geschäft nicht in der bisherigen Art weiterzuführen. Das Warenlager wurde abverkauft (es bestand aus Trachtenstoffen, Stilkopien, Lustern, Appliken, Spiegeln, Rahmen; handgeschnitzt und vergoldet). 1983 folgte der erste Umbau unter der Leitung des Architekten Boris Podrecca. Die Magazinräume im ersten Stock wurden von der Galerie aus zugänglich gemacht. 1984 kam es zur ersten Ausstellung mit Katalog: „Traum der Kinder – Kinder der Träume“, die das Thema des Gesamtkunstwerks zum Inhalt hatte.


Kunst im Blut. Mutter Christa und Tochter Katharina haben ein feines Gespür für künstlerische Talente. – ©Galerie Albertina – Zetter

Haben Sie es jemals bereut, nicht selbst Künstlerin geworden zu sein?

Ich habe es nicht bereut. Nachdem ich mein Studium an der Universität für angewandte Kunst abgeschlossen hatte, war für mich klar, dass ich mich mit Kunst beschäftigen wollte. Durch die Gründung der Galerie konnte ich mir diesen Wunsch erfüllen.

1991 als Teenager haben Sie zusammen mit Kiki Kogelnik Kekse in Kopfform für die Gäste der Vernissage von Kiki Kogelniks erster Personale in der Galerie gebacken. Erinnern Sie sich daran?

Katharina Zetter-Karner: Ich erinnere mich sehr gut daran, Kiki Kogelnik hat mich als Künstlerin und Persönlichkeit sehr beeindruckt. Ihre Keramikmasken haben mich fasziniert und so kam ich auf die Idee, kleine Kunstwerke aus Teig für die Vernis-sage zu machen.

Ihnen wurde die Kunst gleichsam in die Wiege gelegt. War es immer klar, dass Sie die Galerie weiterführen?

Ich bin mit Kunst groß geworden und die Galerie war von Beginn an eine Möglichkeit, die für mich sehr interessant war. Je älter ich wurde und je mehr Einblick ich in das Galerieleben bekommen habe, desto klarer wurde mir, dass ich auch diesen Weg einschlagen will. 

Welche Pläne haben Sie für die Zukunft? Was möchten Sie unbedingt noch verwirklichen?

Ich würde gerne eine Ausstellung mit Amoako Boafo in der Galerie machen und ich will auf einer der ganz großen internationalen Kunstmessen ausstellen.

Ist Wien ein guter Boden für Kunst?

Ja, weil Wien kulturell sehr viel zu bieten hat und daher kunstinteressierte Menschen aus der ganzen Welt zu Besuch kommen.

Hat es Sie niemals beruflich nach New York gezogen?

New York ist eine faszinierende Stadt. Mit 18 habe ich für drei Monate dort gelebt, aber mich in New York dauerhaft niederzulassen, konnte ich mir nie vorstellen.

Sie beide zeichnet ein feines Gespür aus, das Ungewöhnliche und Besondere zu entdecken. Woher kommt das?

Christa Zetter: Durch die intensive Beschäftigung mit der Kunst des 20. Jahrhunderts entwickelte sich über die Jahre ein tiefes Verständnis für diese Kunstwerke und schuf die Brücke zur Kunst des 21. Jahrhunderts. Dieses Verständnis ist enorm wichtig, denn man darf Kunst nicht nur kommerziell bewerten, sondern man sollte verstehen, was ein Kunstwerk einem sagen will. Es gibt Inhalte und es gibt technische Lösungen dafür, und es ist sehr interessant, sich hier eine eigene Meinung zu bilden.

Katharina Zetter-Karner: Ich glaube, dass die Art, wie man aufwächst, großen Einfluss auf die eigene Entwicklung hat, und ich war immer von Kunst umgeben, da entwickelt man ein Gespür dafür.

Kiki Kogelnik. Hier zu sehen: „Sleep“, 1991, aus ihrer berühmten „Expansions“-Serie, bei der Keramiken den Bildraum erweitern. – ©Galerie Albertina – Zetter

Warum legen Sie den Schwerpunkt auf Jugendstil und die Wiener Werkstätte? 

Christa Zetter: Zur Gründungszeit erlebten der Wiener Jugendstil und das Kunsthandwerk der Wiener Werkstätte großes internationales Interesse. Die ganze Epoche des Jugendstils wurde nach Jahrzehnten des Schlummerns kunsthistorisch neu erforscht und aus dem Dornrös-chenschlaf geweckt. Daher bot es sich für die damals junge Galerie an, diese Strömung aufzugreifen und das Konzept des Gesamtkunstwerks, welches für den Jugendstil maßgeblich ist, umzusetzen.

Katharina Zetter-Karner: Den Schwerpunkt auf den Wiener Jugendstil wollte ich immer beibehalten, weil Wien um 1900 Zentrum der Moderne war und prägend für viele Künstlergenerationen danach. Ich war auch immer von der Idee des Gesamtkunstwerks begeistert.

Sind Sie sich immer einig, wenn es um den Ankauf von Kunstwerken oder um Ausstellungen geht?

Christa Zetter: Da ich mich bereits aus dem operativen Geschäft zurückgezogen habe, und meine Tochter mittlerweile auch über jahrelange Erfahrung verfügt, gibt es da keine Probleme.

Katharina Zetter-Karner: Auch wenn meine Mutter sich schon länger aus dem Geschäft zurückgezogen hat, frage ich sie dennoch manchmal nach ihrer Meinung. Wir sind uns meistens einig, und wenn es einmal nicht der Fall ist, diskutieren wir darüber. Das ist ein wichtiger und interessanter Austausch.

Was haben Sie von Ihrer Mutter gelernt?

Christa Zetter: Lebensweisheiten, wie zum Beispiel ,,Reden ist Silber, Schweigen ist Gold‘‘, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und Entscheidungen zu treffen.

Katharina Zetter-Karner: Dass die Qualität an erster Stelle stehen muss, vor kommerziellen Überlegungen.

Seit Generationen ist Ihre Familie sehr kunstaffin. Worüber wird beim Familientreffen gesprochen?

Christa Zetter: In erster Linie wird natürlich über Familiäres gesprochen, das aktuelle Kunstgeschehen lässt sich jedoch auch nicht ganz unterdrücken.

Katharina Zetter-Karner: Ein Großteil der Familie ist in der Kunstbranche tätig. Ich finde es sehr schön, sich innerhalb der Familie über die Geschehnisse im Galerieleben austauschen zu können, und das geschieht bei Familientreffen auch immer wieder, aber meist steht das Private im Vordergrund. 

galerie-albertina.at

Voodoo Jürgens im Café Weidlinger. – ©Stefan Diesner

Rickerls Wien – Voodoo Jürgens über seine erste Rolle und seine Karriere

Voodoo Jürgens im Café Weidlinger. – ©Stefan Diesner

Liedermacher Voodoo Jürgensentwickelte mit Regisseur Adrian Goiginger den Musikfilm RICKERL, in dem er einen traumtänzerischen Wiener Sänger und Vater spielt. Beim Interview im Café Weidinger erzählt der Austropopstar über den Film und seine Karriere.

Heite grob ma Tote aus“: Mit dieser – auf FM4 viel gespielten – Single im breiten Wiener Dialekt wurde Voodoo Jürgens 2016 schlagartig berühmt. Es folgten die Alben „Ansa Woar“, „’S klane Glücksspiel“ und zuletzt 2022 „Wie die Nocht noch jung wor“, sowie zahlreiche Auftritte in Österreich und Deutschland. In der Theaterproduktion mit Stephanie Sargnagel spielte er im Rabenhof und sogar im „Tatort“ hatte er einen Gastauftritt. In „RICKERL – Musik is höchstens a Hobby“ spielt er aber seine erste Hauptrolle in einem Film. Wobei der Streifen von Adrian Goiginger (Regisseur u.a. von „Die beste aller Welten“ und „Der Fuchs“) doch ein bisschen autobiografisch geworden ist. Der Plot wurde bei vielen Gesprächen entwickelt, das Drehbuch schrieb aber Goiginger selbst.

„Ich wollte auf keinen Fall vermitteln, dass harte Arbeit immer zum Erfolg führt.“

Voodoo Jürgens

„RICKERL“ erzählt die Geschichte eines Wiener Musikers, der seinen Job auf einem Friedhof verliert – Voodoo Jürgens hat auch einmal in diesem Gewerbe gearbeitet – und jetzt als Musiker über die Runden kommen muss. Er besitzt zwar schon viele auf Schmierzettel geschriebene Songs, aber Selbstvermarktung gehört zweifelsohne nicht zu seinen Talenten. Als Musikmanager mit Herz hat der Schriftsteller Georg Biron einen Gastauftritt.

Zum eigentlichen Movens des Films wird allerdings Rickerls Beziehung zu seinem Sohn, der nach der Trennung bei seiner Mutter und dessen neuen Partner lebt. Der etwas chaotische Rickerl verliert seinen ihn innigst liebenden – von Ben Winkler sehr authentisch dargestellten – Sohn zwischendurch. Ausgespart wird auch nicht das zwiespältige Verhältnis des Protagonisten zu seinem sich immer auf der Suche nach Geld befindenden Spieler-Vater. 

Und während üblicherweise bei einem Musikfilm der Durchbruch des Stars das Grande Finale bildet, verweigert RICKERL das A-Star-Is-Born-Happy-End. 

Helmut Schneider: Waren Sie Autodidakt beim Schreiben und in der Musik?

Voodoo Jürgens: Ja, mein Großvater war ein Sportler und ich bin dann auch in eine Sportschule gegangen. Kunst und Kultur waren lang gar kein Thema in unserer Familie. Ich bin damals ziemlich viel Skateboard gefahren. Das Gitarrespielen habe ich mir beigebracht, damit ich Lieder singen kann. 

Im Film ist Autobiografisches dabei. Sie waren auch Friedhofsgärtner …

Ich habe dem Adrian – meistens hier im Weidinger – viele Geschichten erzählt. Aber wir wollten beide nicht meine Biografie machen, wenngleich einige Anekdoten dann doch in den Film gekommen sind. 

Der Sohn ist sehr präsent. Haben Sie selbst Kinder?

Ich habe eine Tochter, aber die Idee, ein Kind in die Handlung einzubauen, ist von Adrian gekommen. 

Im klassischen Künstlerfilm hat ja der Künstler zwar am Anfang keinen Erfolg, aber dann wird er entdeckt. Das wird bei RICKERL verweigert, warum? 

Genau das war mir wichtig. Ich wollte eine Geschichte erzählen, wo das zumindest offen bleibt. Eben keine 0815-Erfolgsstory. Ich kenne ja viele, die es probieren und hart daran arbeiten und bei denen es niemals aufgeht. Ich wollte auf keinen Fall vermitteln, dass harte Arbeit immer zum Erfolg führt.



Rickerl – Musik is höchstens a Hobby. Der Spielfilm von Adrian Goiginger kommt am 19. Jänner in die österreichischen Kinos.

Rickerl – Musik is höchstens a Hobby. Der Spielfilm von Adrian Goiginger kommt am 19. Jänner in die österreichischen Kinos.

Was war Ihnen noch wichtig? 

Es ist ja ein sehr schmaler Grat, wo etwas kitschig, das Wienerische platt wird und in Klischees abdriftet. Auch die Schauplätze im Film sind keine Ansichtskartensujets von Wien. 

Wo in Wien fühlen Sie sich persönlich am wohlsten? Ihr Klischee wären ja die Beisln …

Ich bin jetzt eher weniger in Beisln als früher. Es gibt ja auch immer weniger Beisln. Aber dieses Gefühl, dass an einem Ort die Zeit stehen geblieben ist, mag ich schon sehr. 

Sie sind sehr viel auf Tournee, auch in Deutschland – werden Sie da überhaupt verstanden?

Ich bin sogar mehr in Deutschland unterwegs als in Österreich, weil es dort mehr Auftrittsmöglichkeiten gibt. Im bayerischen Raum werde ich gut verstanden. Im Norden wird die Textebene natürlich weniger wichtig, aber die Band gleicht das dann gut aus. Da geht es dann mehr um das Feeling, das ich vermitteln kann. 

Der klassische Spruch, den ich dann oft in Deutschland höre, lautet dann: „Kein Wort verstanden, aber richtig geil!“ 

Ich habe aber schon das Gefühl, dass bei meinen Konzerten mehr rüberkommt, als es den Leuten wirklich bewusst ist. Meine Texte lassen sich über die Musik schon gut vermitteln. Mir geht das ja genauso manchmal bei amerikanischen Songs, wo ich auch nicht immer so auf den Text achte. 

Voodoo Jürgens ist natürlich eine Kunstfigur, Sie stehen ja für ein gewisses Lebensgefühl?

Ja, deswegen habe ich ja auch ein Pseudonym gewählt. Das hat sich natürlich erst entwickelt. Der Voodoo ist quasi eine Version von mir, bei der ich mehr draufdrücke.


Voodoo Jürgens mit Ben Winkler als Sohn und Agnes Hausmann als Ex. – ©FILMLADEN Filmverleih


Sie sind in Tulln aufgewachsen, aber schon lange in Wien. Fühlen Sie sich inzwischen als Wiener?

Ja, klar. Ich habe mit 15 in Wien eine Lehre angefangen, lebe also schon lange hier. Für mich war aber schon lange vorher klar, dass ich Tulln verlassen würde.

Der Schriftsteller Georg Biron spielt auch im Film mit, wie ist das entstanden?

Lustigerweise hat Adrian das Drehbuch in seinem Salzburger Heimatdialekt geschrieben und so brauchten wir jemanden, der das ins Wienerische übersetzt. Für mich war das neben der Musik nicht machbar und so ist der Georg eingesprungen und hat dann auch gleich eine kleine Rolle übernommen. 

 Der Film scheint aus der Zeit gefallen, es tauchen zwar Handys auf, aber auch Schreibmaschinen und Kassettenrekorder. War das gewollt?

Na ja, es gibt durchaus auch heute Menschen – zu denen auch ich gehöre –, die auf das Analoge, das Haptische abfahren. Und der Rickerl ist eben so einer. 

Der Hauptkonflikt ist aber die Geschichte mit dem Sohn …

Der Rickerl muss eben schauen, wo er seinen Platz findet – er hat ja eine Trennung hinter sich, ist arbeitslos. Und in seiner Rolle als Vater ist er sich genauso unsicher wie beim Musizieren.

In einer Szene gibt es eine Schlägerei auf einer Hochzeit, wo der Rickerl spielt. Haben Sie so etwas schon erlebt?

Ja, tatsächlich – aber in meiner Kindheit, wo ich mit den Eltern bei einer Hochzeit war und irgendwer die Braut angebraten hat. Da gab es dann eine Schlägerei. 


Informationen & Details zum Film: filminstitut.at

Constanze Scheib schreibt erfolgreich Krimis um eine unternehmungslustige „Gnä’ Frau“ samt Dienstmädchen in den 70er-Jahren in Wien. Zur Kriminacht am 10. Oktober erscheint ihr neuester Fall.

Constanze Scheib liest bei der Kriminacht 2023

Bild: ©Arman Rastegar

Constanze Scheib schreibt erfolgreich Krimis um eine unternehmungslustige „Gnä’ Frau“ samt Dienstmädchen in den 70er-Jahren in Wien. Zur Kriminacht am 10. Oktober erscheint ihr neuester Fall.

Constanze Scheib wollte schon immer schreiben – schließlich war auch ihre Mutter Schriftstellerin, doch nach der Matura zog es sie erstmals auf die Bühne. Nach einer Ausbildung als Schauspielerin spielte sie unter anderem im Gloria Theater und bei der Komödie am Kai. Doch spätestens nach der zweiten Geburt mit Zwillingen konnte sie ihre Zeit nicht mehr so einteilen, wie sie wollte. Und so kam sie wieder auf ihre erste Leidenschaft – das Schreiben – zurück. Sie schrieb zum Teil unter Pseudonym Grusel- und Horrorgeschichten und immer lieber auch phantastische Krimis. So ließ sie etwa ein von einem Dämon besessenes Meerschweinchen im Chicago der 1930er-Jahre Wienerisch reden.

Vor fünf Jahren erfand sie dann ein ganz besonderes Ermittlerduo, nämlich eine reiche Dame aus Hietzing – die „Gnä’ Frau“ Ehrenstein und ihr Dienstmädchen Marie und siedelte das im – noch etwas trüben – Wien der 1970er-Jahre an.

wienlive: Sie haben immer schon geschrieben?

Constanze Scheib: Ja, meine Mutter hat ja ihren Lebensunterhalt als Autorin verdient. Das Schreiben war also etwas Natürliches, fast Alltägliches für mich. Ich hab immer Kurzgeschichten geschrieben und als Schauspielerin sogar kurze Theaterstücke oder Monologe für mich selbst. Als die Zwillinge da waren, bin ich es dann ernsthafter angegangen, habe Texte bei Verlagen eingereicht und für Anthologien geschrieben.

Zuerst aber Horror und Science Fiction, oder?

Ja, ich mag diese Genres immer noch gerne, die haben etwas sehr Spezielles für mich. Horror, Fantasy, Science Fiction – das ist so eine Ecke, die ich auch jetzt so nebenbei gerne bediene. Aber der Krimi war immer schon meine Leidenschaft. Die erste Erinnerung an Bücher waren die rotschwarzen Agatha-Christie-Bände meiner Mutter – alle schön aufgereiht neben ihrem Bett. Sobald ich lesen konnte, hab ich die dann verschlungen. Mein erster Kontakt zur Buchwelt waren also Krimis.

Was reizt Sie an diesem Genre?

Ein ganzes Paket – das Erste ist natürlich das Rätsellösen, ein Puzzle zusammenzusetzen. Das macht mir ungemein Spaß. Als Autorin besteht die Herausforderung, dieses Puzzle als Ganzes zu haben und dann in kleine Teile zu zerteilen und immer genug zu verraten, dass der Leser sich nicht langweilt – aber eben auch nicht zu viel zu verraten, denn man soll ja rätseln.

Sie haben die gesamte Geschichte schon im Kopf, wenn Sie mit dem Schreiben beginnen?

Ja, meistens ist es bei mir so, dass ich mich schon länger darauf vorbereitet habe. Ich überlege mir: wo soll es spielen, worum soll es gehen, welche Figuren hätte ich gerne dabei, die auch mir beim Schreiben Spaß machen – und schließlich, welche Art von Verbrechen es sein soll.

Mit der „Gnä’ Frau“ ist Ihnen eine besondere Figur gelungen. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, eine reiche Hietzingerin samt Dienstmädchen ermitteln zu lassen?

Da ist vieles zusammengekommen. Ich wollte etwas schreiben, das mir besonders Spaß macht. Und das sind einmal die Wiener als sehr spezielle Art Mensch mit ihrem Schmäh, Grant und ihren Ausdrücken – und die Art, wie sie sich verhalten. Dann wollte ich noch Musik, Filme und Whiskey reinverpacken. Und schließlich finde ich die 70er-Jahre als spannendes Jahrzehnt – weil sie auf der einen Seite sehr modern waren mit den Hippies und der Musik, und auf der anderen Seite gab es noch sehr viele traditionsbewusste, ältere Menschen, die von ihren Einstellungen her noch am Anfang des 20. Jahrhunderts verblieben sind. Dieses Aufeinanderprallen in den 70er-Jahren fand ich total spannend.

Sie sind 1979 geboren, haben die 70er-Jahre ja gar nicht erlebt, wie haben Sie sich da herangetastet?

Am liebsten recherchiere ich, indem ich mit Menschen rede, die das damals erlebt haben. Da bekomme ich immer auch viele Geschichten. Aber natürlich habe ich auch Bücher darüber gelesen und Videos angeschaut. Es gibt ein paar Dokus über einzelne Stadtteile. Was ich auch liebe: Ich kaufe Originalmagazine aus dieser Zeit, für die „Gnä’ Frau“ nehme ich da etwa alle Frauenzeitschriften – da erfahre ich, welche Stars und Musiker damals gefragt waren. Gerade weil ich es nicht erlebt habe, kann ich das alles neu entdecken.

Ich nehme auch nicht an, dass Sie mit Dienstmädchen aufgewachsen sind, oder?

Nein, das war vielleicht ein bisschen eine Wunschvorstellung – es wäre ja schön in einer riesigen Villa in Hietzing zu leben mit Personal, das sich um mich kümmert. Andererseits ist das auch meiner Liebe zu den britischen Krimis geschuldet. Dort war ganz selbstverständlich immer ein Butler oder ein Hausmädchen dabei.

Wie wichtig war Ihnen, dass Frauen ermitteln?

Das war definitiv etwas, über das ich gerne schreiben wollte. Außerdem wollte ich eine Frauenfreundschaft zeigen, die ganz speziell ist. Eine Freundschaft, die man nicht erwarten würde – denn es ist ja die Dienstherrin und das Dienstmädchen –, aber sie sind nicht so weit vom Alter her entfernt, die „Gnä’ Frau“ ist 32 und das Mädchen 22. Sie begegnen einander mit Respekt und unterstützen sich gegenseitig. Das war mir sehr wichtig, eine weibliche Ermittlerin, die dazulernt, und eine Freundin, die sie dabei unterstützt.

Humor kommt auch nicht zu kurz in dieser Reihe …

Ja, dieser Wiener Schmäh und die ungewöhnlichen Satzstellungen des Wienerischen. Ich habe ja einen Schweizer Verlag und eine deutsche Lektorin. Die Lektorin hat da öfters nachgefragt, ob denn das wirklich so sein soll … Und ich habe erklärt: Ja, das ist die Art, wie die Wiener reden. Beim ersten Buch hatten wir noch kein Glossar und da kam die Reaktion einiger Leser, dass sie es zwar verstanden haben, aber manche Wörter gerne erklärt hätten. Und so erscheinen die „Gnä’ Frau“-Krimis immer mit Glossar.

Sie waren schon mehrmals bei der Kriminacht. Was ist das Besondere für Sie?

Das ist so toll, ich war ja schon vorher sehr oft als Besucherin bei der Kriminacht. Als ich dann mit meiner ersten „Gnä’ Frau“ lesen durfte, ist da wirklich ein Traum für mich in Erfüllung gegangen. Meine zwei Lesungen bisher waren ein Erlebnis, denn im Kaffeehaus die „Gnä’ Frau“ zu lesen, mit den vielen Wienerischen Ausdrücken, war etwas ganz Besonderes. Die Zuschauer leben da richtig mit, denn die Stimmung ist einfach gelöster als anderswo – die Gäste trinken ihre Melange oder ihren Prosecco, das ergibt eine ganz spezielle Atmosphäre.

Constanze Scheib wird ihren neuen Krimi (siehe oben) bei der Kriminacht am 10. Oktober erstmals präsentieren. Und zwar in der Hauptbücherei Wien am Gürtel. „Mord im Dreivierteltakt“ beginnt mit dem Besuch der Gnä’ Frau und ihres Mannes am noblen Philharmonikerball 1973 und spielt in der Theaterwelt, wo eine Diva erpresst wird.

Alle Infos zur Kriminacht in den Kaffeehäusern: kriminacht.at

Der Dirigent des Kultur-Tourismus

Bild: ©Sound of Vienna Konzertveranstaltungs GmbH/Mario Berger

Josip Susnjaras SHI-Group feiert demnächst 25-jähriges Jubiläum. Der Wirtschaftsexperte baute ein Imperium auf und ist heute federführend im Kulturtourismus. Susnjaras Leistung für Wien ist enorm: Klassik-Konzerte und Events locken Touristen von Deutschland bis Japan in die Stadt und sorgen dafür, dass Wien in der ganzen Welt als Zentrum der klassischen Musik wahrgenommen wird. Der Spitzenunternehmer, der u.a. den Kursalon Hübner am Stadtpark betreibt, im Interview.

Er spricht schnell und mit großer Begeisterung, in seinen Ansagen ist er extrem exakt und zielgerichtet. Der leichte Akzent von Josip Susnjara geht im Stakkato seiner Ausführungen unter. Der gebürtige Kroate aus Pula kam zum Wirtschaftsstudium nach Wien, blieb und blickt auf eine einzigartige Erfolgsgeschichte zurück. In den vergangenen Jahrzehnten baute er eine vielseitige Firmengruppe auf. Heute, kurz vor dem 25-Jahr-Jubiläum, dirigiert Susnjara die SHI-Group, die mittlerweile zehn Firmen, diverse Beteiligungen und elf Internetportale umfasst und deren alleiniger Eigentümer der Geschäftsmann ist.

Mehr als 200 MitarbeiterInnen sind in den Unternehmen tätig, die dafür sorgen, dass Wien in der Welt als Hauptstadt der klassischen Musik wahrgenommen wird: über 500 Kulturevents und Konzerte veranstaltet Susnjara jährlich in Wien, u. a. in dem von ihm betriebenen Kursalon und dem aus dem Dornröschenschlaf erweckten Gastronomiebetrieb in der Gloriette, aber etwa auch im regelmäßig angemieteten Konzerthaus und anderen namhaften Kulturhäusern. Getrieben von Innovationsgeist und Kreativität holte Susnjara u. a. auch die internationale Wiener Kunstmesse vienna contemporary in den Kursalon am Stadtpark, die heuer vom 7.bis 10. September dort residiert.

©Dominik Gajda

Im Interview spricht der Spitzenunternehmer über seinen Aufstieg und seinen Antrieb und er sagt, ob er den Kursalon am Stadtpark weiter betreiben will.

wienlive: Heute dirigieren Sie eine Firmengruppe und blicken auf fast 25 erfolgreiche Jahre zurück. Wie hat alles begonnen?

JOSIP SUSNJARA: Ich komme aus Pula in Kroatien, eine touristische Stadt, mir wurde Tourismus quasi in die Wiege gelegt. Mit 14 Jahren habe ich am Bahnhof auf Rucksacktouristen gewartet und mein Zimmer vermietet, die Einnahmen habe ich mit meiner Mutter geteilt. Ich habe Airbnb also quasi erfunden. (Lacht) Ich bin dann nach Wien gekommen, um Wirtschaft zu studieren, habe mich mit Jobs durchgeschlagen, u. a. habe ich Souvlaki in einem griechischen Restaurant gegrillt. Obwohl ich mich studienmäßig ursprünglich auf Exportwirtschaft und Handel konzentriert habe, hat mich der Tourismus nie losgelassen. Mir war klar, dass Wien eine Kulturstadt ist und dass sie Touristen aus der ganzen Welt anzieht. Viele kommen vor allem wegen der klassischen Musik, Mozart und Strauss sind eng mit Wien verbunden. Ich habe damals rasch erkannt, dass in Wien etwas fehlt: im Sommer, wenn die meisten Touristen da sind, haben Kulturinstitutionen wie Staatsoper und Volksoper Sommerpause. Es gab also viel Nachfrage ohne qualitativ hochwertiges Angebot. Um diese Lücke zu schließen, habe ich die Konzertagentur „Sound of Vienna“ gegründet. Für die künstlerische Leitung habe ich den langjährigen Konzertmeister der Wiener Volksoper, Professor Udo Zwölfer, engagiert, ein qualitativ hochwertiges Orchester aufgestellt, und in der Nationalbibliothek einen Saal gemietet – so hat es begonnen. Mit dem neuen Kulturangebot im Gepäck habe ich mich dann sofort international auf die großen Tourismusmessen begeben. Anfangs wurde ich belächelt, denn dort waren damals in erster Linie große Hotelketten, Transport- und Reiseunternehmen vertreten. Und ich war eine Ein-Mann-Agentur … (Lacht) Heute haben wir touristische Spitzenkompetenz, die sich über viele Jahre entwickelt hat. Wir bieten Konzerte mit klassischer Musik auf höchstem Niveau.

Die Konzerte und Kulturevents finden in großartigen Locations statt, wie etwa im Kursalon Hübner am Stadtpark, den Sie betreiben. Sind Sie stetig auf der Suche nach neuen Spielstätten?

Natürlich finden die Veranstaltungen auch im Kursalon statt, den wir ja seit mehr als 20 Jahren erfolgreich betreiben, eine großartige Location, die sehr gut zu unserem Kulturangebot passt. Aber die SHI-Group ist mittlerweile wesentlich mehr als „Sound of Vienna“, und auch wesentlich mehr als der Kursalon. Wir haben auch andere Unternehmen und Betriebe, wie etwa die Gloriette oder das Schloss-Restaurant Joseph II. in Schönbrunn. Die SHI hält auch mehrere Beteiligungen, etwa an den Eventlocations Palais Berg und Palais Wertheim am Schwarzenbergplatz. Wir sind jedenfalls auf Expansionskurs und halten die Augen nach spannenden Objekten, Projekten und Partnerschaften immer offen.

Konzertagentur, Eventlocations, Immobilien – was sind die Schwerpunkte der SHI-Group?

Wir engagieren uns grundsätzlich in drei Bereichen, die eng miteinander verbunden sind. Neben unseren umfangreichen Freizeit-, Kultur- und Tourismusaktivitäten investieren wir sehr stark in den Bereich Culture Tech. Unser Ziel ist es, die europäische Kulturlandschaft durch neue Technologien zu bereichern. Dazu untersuchen wir, inwieweit wir neue Technologien wie Künstliche Intelligenz, Augmented- und Virtual Reality, oder die Blockchain für Kultur und Tourismus nutzbar machen können. Über unser Startup „Vienna Digital Lab“ haben wir da auch schon einige spannende und zukunftsträchtige Pionierprojekte für internationale Kulturinstitutionen und Künstler umgesetzt. Außerdem sind wir sowohl in Österreich als auch im Ausland im Bereich der Immobilienentwicklung tätig. Hier haben wir unseren Hauptfokus auf „Sonderimmobilien“, die entweder als Eventlocation nutzbar oder eng mit einer touristischen oder kulturellen Nutzung verbunden sind. Wir prüfen aber jedes Projekt individuell, auch außerhalb dieser Bereiche. Wir haben z. B. auch schon große Wohnbauprojekte erfolgreich entwickelt.

Was ist Ihr Erfolgsgeheimnis, Ihr Business-Motto?

Henry Ford soll einmal gesagt haben: „Ich prüfe jedes Angebot, es könnte das Angebot meines Lebens sein.“ Diesem Statement kann ich einiges abgewinnen. Wir denken wirtschaftlich und wachstumsorientiert, sind aber auch agil genug, um spontan zu sagen: Das schauen wir uns an, das rechnen wir uns durch. Wichtig ist für mich aber auch: als SHI-Group müssen wir nicht alles allein machen. Wir arbeiten nicht isoliert, sondern verfolgen einen „Open Innovation“ Ansatz. Das heißt: In unseren Kernkompetenzen sind wir sehr, sehr smart, aber es gibt Bereiche, für die wir Input von außen holen, Partner dazu nehmen. Ich bin überzeugt, dass man Projekte mit diesem Ansatz schneller und qualitativ optimal umsetzen kann. Wir suchen also immer nach interessanten, strategischen Partnern. Menschen und Unternehmen, mit denen man sich auf Augenhöhe gemeinsam auf einen Weg macht und partnerschaftlich Projekte umsetzt. Dabei liegt der Fokus natürlich immer auch auf dem wirtschaftlichen Erfolg – für alle Beteiligten.

©Sound of Vienna Konzertveranstaltungs GmbH

Apropos Wirtschaftlichkeit: Sie betreiben seit mehr als 20 Jahren sehr erfolgreich den Kursalon Hübner und haben ihn zur Kultlocation gemacht. Jetzt gibt es eine Ausschreibung um die Betreibung ab 2025. Wollen Sie sich zurückziehen?

Es gibt eine Ausschreibung, weil unser Vertrag Anfang 2025 ausläuft. Wir stehen in bestem Einvernehmen mit den Eigentümern und sind von diesen auch herzlich eingeladen, ein Angebot abzugeben. Die Ausschreibung ist bereits länger geplant und für uns natürlich nachvollziehbar: die Eigentümer wollen sich auf dem Markt umschauen, was wirtschaftlich und konzeptionell möglich ist. Als langjähriger Betreiber kennen wir die Location Kursalon natürlich in- und auswendig, mit allen Stärken und Schwächen. Für mich ist der Kursalon eines der schönsten Palais Wiens, ein fantastisches Objekt, aber es ist natürlich auch anspruchsvoll, das Haus wirtschaftlich zu führen.

Werden Sie sich an der Ausschreibung beteiligen?

Der Kursalon ist großartig, aber für uns ist Wirtschaftlichkeit ein zentrales Thema, der Betrieb muss sich rentieren. Es ist also eine Rechenaufgabe, und wenn für uns alle Parameter passen, werden wir ein interessantes Angebot abgeben.

Es heißt, dass bereits Spitzengastronomen an Sie herangetreten sind, die den Kursalon gern mit Ihnen gemeinsam weiterbetreiben würden.

Wir werden tatsächlich immer wieder von Unternehmen angesprochen, die an einer Zusammenarbeit mit der SHI-Group interessiert sind – auch, aber nicht nur den Kursalon betreffend. Das freut uns natürlich, das bestätigt uns in unserer Arbeit und wir prüfen diese Möglichkeiten immer sehr genau. Das heißt, wir sind immer offen für einen spannenden Ideenaustausch und mögliche Partnerschaften. Aber es sollte auch klar sein: Wer den Kursalon allein betreiben will, muss sich an der Ausschreibung beteiligen und sich an die mit der Ausschreibung beauftragte Agentur wenden.

Viele heimische Besucher des Stadtparks würden sich ein ganzjährig durchgehend geöffnetes Kaffeehaus oder Restaurant im Kursalon wünschen. Warum gibt es das nicht?

Bis jetzt war das nicht Teil unseres Geschäftskonzepts. Derzeit prüfen wir unterschiedliche Konzepte, und für die Zukunft ist natürlich nichts ausgeschlossen.


Stark verbreitet und schambehaftet: 1 Million Österreicherinnen und Österreicher können nicht sinnerfassend lesen. Ein Interview mit Angelika Hrubesch, der Leiterin des Alfa-Zentrums in den Wiener Volkshochschulen. 

Lesen schafft Autonomie – Interview mit Angelika Hrubesch

Bild: ©Bubu Dujmic

Stark verbreitet und schambehaftet: 1 Million Österreicherinnen und Österreicher können nicht sinnerfassend lesen. Ein Interview mit Angelika Hrubesch, der Leiterin des Alfa-Zentrums in den Wiener Volkshochschulen. 

Bei einem so massiven Problem ist es einigermaßen merkwürdig, dass es so wenig Aktionen gegen den Analphabetismus gibt. Denn es müsste ja das Ziel jeder Regierung sein, das sofort zu ändern. Nun gibt es tatsächlich wenig Informationen zu diesem Themenkomplex. Österreich hat sich erst sehr spät, 2011/2012, an einer internationalen Vergleichsstudie beteiligt und seither wissen wir, dass etwa eine Million der 15- bis 65-Jährigen, ca. 17 Prozent betroffen sind. Es gab damals eine gewisse Aufregung, aber die Diskussionen beschränken sich seither immer auf den 8. September, den Weltalphabetisierungstag. 

Seit 2012 existiert allerdings eine große Initiative des Bundes und der Länder, die „Initiative Erwachsenenbildung“, die Kurse fördert. Neben den Volkshochschulen gibt es bundesweit viele Einrichtungen, die Alphabetisierung anbieten. In den Volkshochschulen ist die Basisbildung aber schon mehr als 30 Jahre Teil des Angebots. 

wienlive: Was ist das Hauptproblem?

Angelika Hrubesch: Wir wissen, dass wir viele der Betroffenen kaum erreichen können. Richtige Kampagnen sind in dem Fördervolumen nicht drinnen. An Fernsehspots kann ich mich jedenfalls nicht erinnern.

Ein Vorurteil ist, dass die Betroffenen hauptsächlich Migranten sind. Was ist da dran?

Von den 17 Prozent Betroffenen haben die meisten als Erstsprache Deutsch. Viele glauben dann, das würde v. a. arbeitslose oder sozial benachteiligte Menschen betreffen – das ist allerdings ein Irrtum. Viele der Betroffenen sind berufstätig, manche sogar erfolgreich. Sie sind aber immer in Gefahr, dass jede Änderung im Berufsumfeld für sie das Aus bedeuten könnte. Und: Viele davon sind sehr intelligent, um vielleicht das letzte Vorurteil auszuräumen. 

Das wird im „Vorleser“ ja auch beschrieben. Die Analphabetin soll weitergebildet werden und kündigt dann, weil sie da ja lesen können müsste …

Ja, ich kenne eine Frau, die bei einer Bank gearbeitet hat – in der Reinigung. Und dann hat die Bank die Reinigung ausgelagert. Nun hätte die Reinigungsfirma zwar die Frau übernommen, aber das wäre alles komplizierter geworden – mit mehreren Einsatzgebieten etcetera. Die Bank hätte die Frau sogar als Telefonistin übernommen, aber das hat sie sich eben auch nicht zugetraut. 

Das „Nicht-gut-lesen-Können“ ist nämlich leider sehr schambehaftet. Manche Kampagnen verstärken das sogar – sie sind leider oft skandalisierend – so in der Art „Was, du kannst nicht lesen?“. In der Folge ziehen sich die Betroffenen noch mehr in sich zurück. Zu oft wird nämlich der Mangel an Lesekompetenz auf ein individuelles Versagen zurückgeführt. Also schuld sind immer die Betroffenen …

Ein Versagen besteht allerding beim Schulsystem, denn wie kann es sein, dass die Schulen nach 9 Jahren Menschen entlassen, die nicht ausreichend lesen können?

Genau, allerdings sind da auch die sozialen Bedingungen um die Schule herum Teil des Problems – man kann allerdings sicher nicht Kinder von 6 bis 14 dafür verantwortlich machen, dass sie etwas nicht gelernt haben.   

Was kann die VHS tun, um Betroffene zu erreichen?

Wir bemühen uns, unsere Kurse so niederschwellig wie möglich anzubieten. Wir haben so gut wie immer Beratungszeiten und Sprechstunden, ein Kurseinstieg ist auch fast jederzeit möglich. Oft geht es um den richtigen Zuspruch. Viele, die zu uns kommen, glauben, dass sie die Einzigen sind, die davon betroffen sind und sagen selbst „ich war zu faul“ oder „ich war so ein schlimmer Schüler“. Erst im Kurs bemerken sie, dass sie nicht allein sind. Deshalb ist Mundpropaganda für uns sehr wichtig. 

Aber es ist nicht so, dass manche das Lesen nur verlernt haben, oder? 

Dieses Verlernen ist nur ein Teil des Problems. Ich verwende auch den Begriff Analphabetismus ungerne, weil das so ausschaut, als ob die Betroffenen nur die Buchstaben nicht kennen und es würde reichen, diese 26 Buchstaben zu lernen, um lesen und schreiben zu können. Die Herausforderungen sind aber komplexer. Ich muss Zusammenhänge verstehen, auf Bildschirmen lesen und scrollen können und so weiter.

Wie muss man sich so einen Kurs also vorstellen?

Wir schauen uns immer zuerst an, was die Betroffenen können, denn die meisten, die hier in die Schule gegangen sind, können in unterschiedlichsten Facetten ein bisschen lesen. Manche tun sich wirklich schwer mit den Buchstaben, können aber sehr gut Abschreiben, weil das die Schule trainiert hat. Bei manchen vermuten wir eine nicht erkannte Legasthenie. 

Wichtig ist uns das Arbeiten in der Gruppe, wobei wir bei den Kompetenzen auch individuell arbeiten können. Wir haben also viele Kurse, und zwar von zweimal pro Woche bis zu viermal. Durch die Förderung haben wir sozusagen den Luxus, auch in kleineren Gruppen arbeiten zu können. 

Gibt es zu diesem Problem auch eine wissenschaftliche Forschung innerhalb der Pädagogik?

Der Bereich ist sehr klein – also da ist definitiv noch Luft nach oben. In Deutschland ist es besser, da läuft gerade wieder eine Dekade der Alphabetisierung mit ziemlich vielen Mitteln für die Forschung.

Eigentlich müssten Betriebe ja stark an Lesekampagnen interessiert sein. Sehen Sie da Signale?

Die Sozialpartner sind natürlich an der „Initiative Erwachsenenbildung“ beteiligt. Betriebliche Initiativen für Basisbildung sehe ich leider wenige. Die Firmen regeln das oft auf ihre eigene Weise und sind oft perfekt auf gering Gebildete eingestellt. Ein Beispiel aus dem Bereich Reinigung: Jedes Putzmittel hat eine bestimmte Farbe und der Lappen und die zu putzende Fläche die gleiche Farbe. Besser wäre es selbstverständlich, den Menschen Lernangebote zu machen – bei uns sind Alphabetisierungs-Kurse sogar kostenfrei! 

Abschließend: Warum ist das Lesen-Können so wichtig?

Mit dem Lesen gewinnt man ungeheuer viel Autonomie – viele Türen öffnen sich erst mit dieser Fähigkeit. Und das Lesen von Literatur erschließt uns dann nochmal eine Welt. 


vhs.at

T. C. Boyle in Wien – ein Interview mit dem Bestsellerautor aus Santa Barbara.

„Ich tue alles, um mein Publikum zu unterhalten“ – T. C. Boyle

T. C. Boyle in Wien – ein Interview mit dem Bestsellerautor aus Santa Barbara.

T. C. Boyles neuer Roman „Blue Skies“ wird weltweit bejubelt. Niemand sonst versteht es, die Auswirkungen der Klimakatastrophe ebenso drastisch wie unterhaltsam anhand einer gewöhnlichen Familie in den USA darzustellen. Sein Auftritt bei „Theater im Park“ im Schwarzenbergpark am Montag vor hunderten Fans wurde heftig akklamiert – sein Schriftstellerkollege Michael Köhlmeier las Stellen aus dem Roman auf Deutsch, T. C. Boyle diskutierte mit Ö1-Redakteurin Renata Schmidtkunz über Leben und Werk.

In „Blue Skies“ ist die Klimakatastrophe längst Alltag – in Kalifornien regnet es nie und Waldbrände fressen sich auch durch die Siedlungen, während in Florida sich Hurrikane täglich abwechseln und Häuser vom Meer verschluckt werden.

Wienlive konnte mit dem Autor, der 2013 mit seinem Roman „América“ Gast bei unserer Gratisbuchaktion „EineSTADT.EinBUCH.“ war, bei einem Mittagessen in der „Hollerei“– T. C. Boyle lebt weitgehend vegetarisch – sprechen.

Von Helmut Schneider

Nach den Klimabüchern „Ein Freund der Erde“ 2000 und jetzt „Blue Skies“ – fühlen Sie sich nicht ein bisschen wie Kassandra?

Ja, absolut – aber ich schreibe meine Romane nicht, um Menschen zum Handeln zu bewegen – das ist nicht mein Job als Künstler. Ich bin nur sehr beunruhigt. Wir alle begreifen inzwischen, dass es bei der Umweltkatastrophe keine Beschränkungen gibt – wir sind längst über der Grenze. Was uns Menschen erwartet, ist purer Horror. Ich habe keine Lösung für das Problem, ich kann nichts dagegen tun – außer Menschen bewusst machen, was ihnen bevorsteht. Romane können Menschen nicht von schädlichem Handeln abhalten.

Wir müssen uns also nicht vor Ihrem nächsten Roman fürchten?

Ich hoffe nicht, aber ich weiß noch nicht, worüber ich schreiben werde – aber es wird sicher wieder etwas ganz Anderes sein.

Nebenbei bemerkt – Kassandra ereilte ja ein schlimmes Schicksal…

Ja, das ist wahr. Aber irgendwie erwartet uns das ja alle…

Alle Ihre Bücher sind unterhaltsam, aber „Blue Skies“ finde ich ihr bisher witzigstes. War das so geplant?

Jede meiner Geschichten hat einen anderen Sound, eine andere Stimmung. Ich habe gestern mit Vergnügen gehört, wie die deutsche Fassung von „Blue Skies“ aufgenommen wurde. Aber ich plane keine Witze in die Geschichte ein, sondern diese entwickeln sich daraus.

Ist Humor nicht inzwischen die einzige Option, der Situation unserer Welt zu begegnen?

Ja, ob es nun die Klimaerwärmung ist, oder einfach die Tatsache, dass wir in einem sinnlosen Universum leben und irgendwann sterben werden – klar braucht man dabei Humor.

Es heißt ja auch, nur böse Witze sind gute Witze…

Das ist wahr. Meine Rezensenten waren sehr glücklich mit dem Buch, meinten aber, es wäre sehr schwarzhumorig. Mir war das aber gar nicht bewusst. Das liegt einfach in meiner Mentalität und es ist der Weg, den die Geschichte eingeschlagen hat. Aber bei Gesprächen mit dem Publikum merkte ich schon, dass viele einen Guru erwarten oder Lösungen und zumindest etwas Hoffnung. Damit kann ich allerdings nicht dienen.

In vielen Ihrer Bücher kommen Tiere in entscheidenden Rollen vor – Schimpansen, Löwen, Ratten, Vögel – nun eben Insekten und Schlangen. Es sind gar nicht mehr so viele Tiere übrig für Ihre nächsten Bücher, vielleicht noch ein Nilpferd?

Ja, Pablo Escobars Nilpferde sind ja berühmt und würden eine gute Story ergeben – obwohl das schon sehr bekannt ist. Aber ich bin einfach von der Natur und Biologie fasziniert. Wahrscheinlich wäre ich auch als Biologe glücklich. Aber es ist lustig – vielleicht gehen mir ja als Autor tatsächlich einmal die Tiere aus. Aber ich glaube fest daran, dass die Insekten, die in den letzten Jahren sehr reduziert wurden, wieder zurückkommen.

Sie bewegen sich sehr gerne – wie oft beschrieben – in der Natur. Aber warum sind Sie meistens allein unterwegs?

Das ist mein Weg, den Puls der Erde zu fühlen, wenn dabei dein Blut durch deine Venen strömt – ohne Ablenkung. Als junger Mann liebte ich es auch, mit Freunden durch die Gegend zu wandern, oft zugedröhnt und dann ins Wasser zu springen – das war auch toll. Aber unter meinen jetzigen Lebensumständen und vielleicht auch meinem Alter geschuldet bin ich bei meinen Wanderungen am liebsten unbegleitet. Ich will alles auf meine Weise sehen – ein bisschen so wie als Kind.

Sie hatten ja schon sehr viele Lesungen in den USA und Europa – unterscheidet sich da ihr Publikum sehr?

Eigentlich nicht. Aber in Deutschland und Österreich ist das literarische Publikum besser. Ich habe natürlich auch Hardcore-Fans in den USA, aber das normale Publikum scheint sich nicht so viel aus Literatur zu machen. Die Menschen, die zu meinen Lesungen kommen, sind ähnlich – sie lieben Literatur und ich versorge sie mit meiner, und ich habe das Glück, dass sie das lieben, was ich ihnen liefere. Vielleicht bestehen in Deutschland und Österreich bisweilen höhere formale Erwartungen, aber ich versuche das herauszunehmen, denn ich finde, Literatur wie eben auch Musik und generell Kunst soll für alle erfahrbar sein. Man muss nicht immer einen akademischen Schirm über alles halten – das kann auch spannend sein, aber ich liebe es, wenn Menschen Literatur einfach als Unterhaltung genießen. Literatur ist eine Geschichte, die dich emotional bewegt. Wer meine tiefgreifenden Gedanken haben will, soll meine Bücher lesen. Und wer sich unterhalten will, soll zu meinen Lesungen kommen, denn ich werde alles tun, um mein Publikum zu unterhalten. Das ist genau das, was meine Mutter getan hat, als sie mir als Kind Geschichten vorgelesen hat. Es ist eine Show, es ist Spaß. Ich denke, wir vergessen das nur zu oft.

Interessant, sie wuchsen ja in einer schwierigen Familie auf, aber Ihre Mutter hat Ihnen immer vorgelesen?

Meine Mutter hat mir tatsächlich das Lesen beigebracht – obwohl ich ein hyperaktives Kind war und anfangs auch gar nicht gut in der Schule. Deshalb hat sie begonnen, mir vorzulesen. Ich höre noch immer ihre Stimme, wenn ich lese, sogar auf der Bühne. Daneben gab es auch noch einen Lehrer, der Amateurschauspieler war. Wenn wir brav waren, hat er uns am Freitag eine Geschichte vorgelesen, eigentlich als Schauspieler aufgeführt. Das war pures Vergnügen, ich bin zitternd da rausgegangen. Als ich vor vielen Jahren in meinem Job angefangen habe, wusste ich von Beginn an, dass das eine Show sein musste. Einigen Hochschulprofessoren gefällt das nicht so, sie meinen, man sollte sich ernsthaft mit Literatur auseinandersetzen. Da stimme ich auch zu, aber jeder kann sich meine Arbeit auf seine Weise aneignen. Denn Kunst ist Freude – das ist das Einzige, was uns von den Tieren unterscheidet.  


T. C. Boyle: Blue Skies. Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren
Hanser, 400 Seiten, € 28,80

UNSER WEG ZUM CLOUDKAPITALISMUS – Ein Interview mit Armin Thurnher

Foto: Irena Rosc

Ein Interview mit Armin Thurnher, der heute (19. Mai) um 18 Uhr bei dem zweitägigen Literaturfestival „Rund um die Burg“ sein Buch „Anstandslos“ vorstellen wird. In seinem neuen Buch arbeitet der Falter-Herausgeber die Ära von Sebastian Kurz auf. Im Interview geht es auch darum, warum Demokratien durch Social Media gefährdet sind.

Geboren 1949 in Bregenz, kam Armin Thurnher zum Studium nach Wien und gründete 1977 mit Walter Martin Kienreich die linksliberale Wochenzeitschrift Falter, deren Ausrichtung er maßgeblich prägte, ab 2012 als Falter-Herausgeber. Seit Beginn der Pandemie schreibt er einen täglichen Blog namens „Seuchenkolumne. Nachrichten aus der vervirten Welt“, in dem er vor allem die österreichische Innenpolitik kommentiert und in dem bis zu seinem Tod auch sein Kater regelmäßig als Ezzesgeber auftrat. Mit „Anstandslos – Demokratie, Oligarchie, österreichische Abwege“ erschien jetzt eine Abrechnung mit der unter Korruptionsverdacht stehenden Regierungen von Sebastian Kurz.

wienlive: Alle, die Politik beobachteten, konnten live erleben, wie Kurz und Sobotka die Regierung mit Kern, deren Mitglieder sie waren, sabotierten. Wieso hat da niemand Alarm geschrien?

ARMIN THURNHER: Weil die Medienlandschaft, von der es zwar immer heißt, sie stünde unter einer linken Hegemonie, die in Wirklichkeit aber fest in konservativer Hand ist, das unterstützt hat. Verschiedene entscheidende Akteure waren begeistert, dass die Schwarzen jetzt endlich einen Stimmenbringer mit einer gewissen Ausstrahlung hatten. Denn bis zu diesem Zeitpunkt waren das immer die anderen: Kreisky und Vranitzky und die Blauen mit Haider und sogar der dumpfe Strache hat noch Stimmen angezogen. Plötzlich war einer da, der die Wähler auf die schwarze Seite gezogen hat.

Halten Sie die Medien tatsächlich noch für so mächtig?

Ja, denn wenn alle geschrieben hätten, Kurz ist ein sprechblasentrainierter Maturant und seine Behauptungen über Silberstein und die Balkanroute sind falsch, wäre es anders ausgegangen.

Das gilt dann wohl international, denn Trump hätte es ohne Fox News vielleicht auch nicht gegeben, oder?

Nicht nur nicht ohne Fox, sondern auch nicht ohne die New York Times, denn Medien sind nun einmal begeistert von Menschen, die Aufmerksamkeit generieren. Totschweigen ist im Medienzeitalter keine reale Möglichkeit. Aber natürlich muss zuerst etwas da sein – bei Kurz etwa sein Wille zur Macht und der Wille, die ÖVP auf einen neuen Kurs zu bringen. Die ÖVP war ja bis dato immer zerrissen und hat mit zig Stimmen gesprochen. Und da gab es dann einen, der gesagt hat: Entweder ihr nehmt mich und lässt mich mit harter Hand regieren, oder ihr bleibt weiter unter 20 Prozent. Diese Drohung hat funktioniert. Bei Trump war es ganz ähnlich. Beide haben aber auch einen stark ausgeprägten opportunistischen Kern.

Kurz hat dann seine Regierung wie einen Mafia-Clan geführt mit ihm als Paten. Alle anderen waren seine Soldaten. Die Beamten hat er mit seinen Generalsekretären kaltgestellt.

Ja – alle Ministerien haben nur noch das wiedergegeben, was die Zentrale Kurz ausgegeben hat. Interessanterweise hat das alle fasziniert, statt dass das kritisiert worden wäre.

„Die Texte der Chats gehören vor dem Parlament, in Stein gemeißelt, als Mahnmal für die Demokratie aufgestellt.”

Armin Thurnher

Das scheint ein Grundbedürfnis in Österreich zu sein – man soll ja nicht streiten …

Der kultivierte Streit wird hierzulande nicht geschätzt. Dabei ist Politik ja nichts anderes – man muss immer verschiedene Konzepte und Angebote bewerten und darüber befinden, wer Recht hat mit seiner Einschätzung.

Sie schreiben „Die Lüge gehört zum politischen Geschäft wie der Pool zur Hollywoodvilla“ – was war also an den Lügen von Kurz anders?

Gar nichts, er hat seine Karriere mit der Lüge, dass er so unglaublich populärer ist als Mitterlehner, begonnen – was er dann mit den gefälschten Umfragen untermauert hat. Das war insofern wahr, als er tatsächlich populärer war – aber er hat das so übertrieben, dass es dann doch wieder eine Lüge war. Das Interessante daran ist, dass es egal gewesen wäre, wenn man das damals schon gewusst hätte. Das ist so wie bei Trump. Seine Anhänger entschließen sich, ihm alles zu glauben und wollen das gar nicht auf seinen Wahrheitsgehalt überprüfen. Denn sie sagen, es lügen sowieso alle, und da ist mir mein Lügner lieber als deiner.

Nach den bekannt gewordenen Chats von Schmidt müsste inzwischen ja alles klar sein …

Ja, nach den Chats müsste moralisch alles klar sein, und ich verstehe auch nicht, wie man sagen kann, dass das private oder intime Inhalte sind. Die wirklich intimen Inhalte wurde ja zu Recht beiseite geschoben. Aber in den bekannt gewordenen Chats geht es um öffentliche Geschäfte – etwa wie die Reichen bevorzugt werden. Das sind Texte, die gehören – in Steintafeln gemeißelt – vor dem Parlament als Mahnmal aufgestellt. Das sind öffentlich relevante Texte, die gar nichts mit Privatsphäre zu tun haben.

Was Sie im Buch natürlich noch nicht behandeln konnten – weil gerade passiert –, ist die ÖVP/ FPÖ-Koalition in Niederösterreich. Wieso kommt Mikl-Leitner damit in den Medien durch?

Sie kommt damit durch, weil sie einfach eine große Machtposition hat. Man sieht ja, wie das funktioniert. Alle Medien behandeln die sogenannten „Chaos-Tage“ der Sozialdemokraten, statt sich mit Niederösterreich zu beschäftigen, was sicher mehr die Aufgabe eines kritischen Journalismus wäre. Aber solange die Entscheidungsträger im Land das Gefühl haben, man müsse nur eine kurze Aufregung überstehen, wird nichts passieren.

Leider sind die Demokratien weltweit in Gefahr, angefangen mit dem Brexit, dann Trump, Orban und zuletzt Kurz-Freund Netanjahu. Warum eigentlich, es gibt ja keine Hungerrevolten oder ähnliches?

Es besteht eine brisante Kombination aus der neuen Social-Media-Situation und dem relativen Wohlstand, der vieles mit einem Wurstigkeits-Gefühl überzieht. So lässt man Dinge aus dem Ruder laufen. Die Social-Media-Situation schafft wiederum die idealen Voraussetzungen für einen neuen Irrationalismus. Der war zwar immer da, kommt aber heute viel leichter an die Oberfläche. Die neuen Medien generieren zudem eine neue Art von Überwachungs- oder Cloud-Kapitalismus. Fast alle nehmen an etwas teil, von dem sie gar nicht so genau wissen, was es ist.

rundumdieburg.at


Die Gastro-Szene im Wandel zur Zwei-Klassen-Gesellschaft mit Billiglokalen und gehobenen Restaurants. Ein Interview mit WKW-Gastro-Obman Peter Dobcak.

Aus für den Wirt am Eck? Interview mit Peter Dobcak

Bild: ©Bubu Dujmic

Die Gastro-Szene im Wandel zur Zwei-Klassen-Gesellschaft mit Billiglokalen und gehobenen Restaurants. Ein Interview mit WKW-Gastro-Obman Peter Dobcak.

Seit acht Jahren kämpft der Fachgruppenobmann der Gastronomie der Wirtschaftskammer Wien, Peter Dobcak, jetzt schon für „seine“ Wirte. Auch mit viel Erfolg und Einsatz in der Corona-Zeit – die Förderungen der Regierung für die Gastro-Szene waren hoch. Der Sohn einer Hoteliersfamilie in Salzburg hat das Gastro-Geschäft von der Pike auf gelernt und nach einem Abstecher auf den Immobiliensektor in den USA auch in Wien Lokale betrieben. Der Job als Wirt geht sich mit dem Einsatz in der WKO, wo er 6.000 Mitglieder vertreten muss, natürlich nicht mehr aus. 

Zumal die Gastro-Szene gerade einen Umbruch erlebt. Nach Corona kam die Inflation. Die Energiekosten haben sich vervielfacht und auch die Preise für die Wareneinkäufe zogen stark an. Dazu kommen Mietpreiserhöhungen. Die Wiener Wirte müssen seither seiltanzen zwischen Mehrkosten-Abdeckung und Preisen für die Gäste, die sich diese gerade noch leisten können. Dazu kommen die Probleme bei der Rekrutierung von Personal.

wienlive: Warum ist es so schwierig, Köche und Kellner zu finden?

PETER DOBCAK: Das Gehalt – die Kollektivverhandlungen sind gerade für beide Seiten befriedigend gelaufen – ist wichtig, aber es gilt sicher auch, Rahmenbedingungen zu verbessern. Wir müssen uns darauf einstellen, dass unsere Angestellten flexiblere Arbeitszeiten wollen. Viele möchten nur noch 30 Wochenstunden arbeiten – ich bräuchte also mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Branche muss sich darauf einstellen. Allerdings kann ich ein Lokal nicht weniger lang offen halten, da sonst der Umsatz fehlt. Das ist der Grund für unser Personalproblem. 

Auch die Drop-out-Quote ist in Ihrer Branche sehr hoch, wieso?

Das war in der Gastro-Szene schon immer so – aber das gilt auch für uns Unternehmer selbst. Etwa 20 Prozent der Gewerbescheine fallen pro Jahr weg und es kommen 20 Prozent wieder dazu. Auch wenn da viele Ummeldungen etwa innerhalb der Familie dabei sind, ist das eine hohe Zahl. 

Seit einiger Zeit geistert das Schlagwort von der Zwei-Klassen-Gastronomie herum – also nur noch Billiglokale mit wenig Personal und entsprechend teurere Restaurants. Ist das die Zukunft?

Das sind unsere Befürchtungen. Der Mittelbau könnte tatsächlich wegbrechen, denn zwischen 5 und 30 Mitarbeiter*innen hat man bald – wir sind nun einmal eine personalintensive Branche. Um sich das leisten zu können, was wir als Mittelbau bezeichnen – also das bessere Wiener Gasthaus –, werde ich als Unternehmer preislich ein Stück raufrutschen müssen. Wir sehen das jetzt schon in anderen Ländern wie der Schweiz, wo es im mittleren Preissegment gar nichts mehr gibt. Dort haben sie nur noch To-Go-Lokale mit bestenfalls Selbstbedienung und Restaurants mit sehr hohen Preisen. Ich fürchte, das wird auch bei uns die Zukunft sein. Wir sind stolz darauf, dass unsere Gäste eine schöne Zeit bei uns verbringen können, aber es muss sich am Ende des Tages auch für uns rechnen. Ich kann nichts um 1 Euro verkaufen, das mich im Einkauf 1,50 Euro kostet.


„Unsere Ausbildung ist top. Auf der ganzen Welt trifft man in der Spitzengastronomie auf Österreicher.“

Peter Dobcak, Fachgruppenobmann Gastronomie Wien, über die Situation in der Szene. 

Das traditionelle Wiener Gasthaus am Eck ist also in Gefahr. Wird das aussterben?

Ich glaube nicht, dass es aussterben wird, aber es wird sich verändern, wird sich anpassen, also schlicht und ergreifend bis zur letzten Komma-stelle optimieren müssen, damit das Ding wirklich gut läuft. Jetzt hatten wir ja noch den Aufholeffekt nach der Pandemie – die Gansl- und Weihnachtsumsätze waren wirklich gut. Aber natürlich waren auch unsere Kosten durch die Inflation sehr hoch. Manche Kolleginnen und Kollegen haben etwa Energiepreissteigerungen um das 10-Fache. Wir sind ja logischerweise eine sehr energieintensive Branche und wenn ich dann statt 50.000 im Jahr 500.000 zahle, kann man sich ausrechnen, was das für uns bedeutet. Das ist kalkulatorisch nicht mehr darstellbar. Dazu kommt, dass das Mittagsgeschäft durch das vermehrt genützte Homeoffice eingebrochen ist. 

Wie sehen Sie den Boom der Zustelldienste? Viele Wirte nützen das ja auch …

Die Lieferdienste sind gekommen, um zu bleiben, wie es so schön heißt. Es gibt momentan nur noch zwei große – Mjam und Lieferando –, die fast schon eine Monopolstellung haben und in gewisser Weise die Preise diktieren können. Idealerweise nützen unsere Mitglieder die schwächeren Zeiten in der Küche für diese Dienste, aber es ist nicht einfach, die Kosten im Griff zu halten. Was mir aber mehr Sorge bereitet, sind sogenannte „Ghost Kitchen“. Da wird das Menü irgendwo produziert, wo es überhaupt keine Gasträume gibt, der Kunde bestellt aber im Glauben, es wäre beispielsweise eine echte Pizzeria. Eine solche Schattengastronomie ist leider gesetzlich vollkommen legal. 

Was ist momentan der Trend in der Gastronomie – welche neuen Lokale werden vermehrt eröffnet?

Es geht stark in Richtung Regionalität und Nachhaltigkeit. Auch veganes und bewussteres Essen ist weiter im Trend. Gäste, die ins Lokal gehen, wollen ein hochwertiges Essen, bei dem man weiß, wo die Zutaten herkommen. Jahrzehntelang gab es eine Burgerwelle, dann kamen Wraps in Mode.

Ich beobachte tatsächlich vermehrt Lokale, die auch Zutaten zum Selberkochen verkaufen, wie etwa selbstgemachte Pasta oder Gnocci …

Ja, das gibt es auch. Manche haben sogar einen kleinen, feinen Lebensmittelhandel dabei und bieten neben dem Gastraum auch To-Go an. Unsere Mitglieder werden immer flexibler.

Was hat Sie bewogen, in die Gastronomie zu gehen?

Ich bin in der Touristik aufgewachsen und habe mit vier Jahren schon Teller abserviert. Ich bin dann in die Hotelfachschule gegangen, wo ich meine Frau kennengelernt habe. Also ich war sozusagen immer im Dienstleistungsgewerbe. Jetzt als Funktionär ist es meine Arbeit, „lästig“ zu sein und Gefahren für die Branche aufzuzeigen. Die Förderungen in der Pandemie haben unsere Kolleg*innen einzig und allein unserer Beharrlichkeit zu verdanken. Gastronom wird man aus Freude an der guten Zeit von anderen und aus Freude am Kochen. Wir haben nach wie vor viele Familienbetriebe und unsere Ausbildung ist sehr gut – auf der ganzen Welt trifft man in der Spitzengastronomie auf Österreicher.