Koreanerinnen in Berlin und Bremen – Ta-Som Helena Yuns Roman „Oh Sunny“

Die 1985 in Berlin geborene Ta-Som Helena Yun bringt in ihrem Debütroman die Zerrissenheit einer jungen Frau zwischen zwei Welten auf den Punkt. Dabei läuft für ihre Protagonistin Sunny auf den ersten Blick alles bestens. Das Jurastudium hat der 26-Jährigen wenig Mühe gemacht. Die aus Korea stammenden Eltern können ihre Tochter bei Bekannten aus der Community mit Stolz präsentieren. Doch in Wirklichkeit ist Sunny am Ende ihrer Kräfte. Sie glaubt noch immer, ihre Abtreibung mit 16 würde als Makel an ihr bis in alle Ewigkeiten kleben und ihre Beziehung zu einem angehenden Arzt ist zerbrochen. Nach einem Streit mit ihrer dominanten Mutter flüchtet Sunny aus Bremen nach Berlin zu der etwas älteren Ha, die mit Sunny in der Familie aufgewachsen war, weil sie die Verhältnisse in Korea nicht ertragen konnte. Ha leitet ein koreanisches Sport- und Kulturzentrum am Rande der Stadt. Und dort zieht Sunny kurzerhand ein. Das Periphere, Unsichere ihrer Existenz scheint ihr entgegenzukommen – sie startet nur halbherzig Versuche, Job und Wohnung zu finden. Monatelang lebt sie neben Turnmatten und Medizinbällen. Nach und nach begreifen wir ihre Situation, die ähnlich vieler Migranten scheint. Wobei natürlich die allermeisten weit weniger privilegiert sind. Denn Sunnys Eltern sind wohlhabend, der Vater war in Korea Führer der Opposition und ist in Deutschland Professor. Und Sunny ist perfekt zweisprachig.

Ha überträgt ihr schließlich ein Projekt. In Berlin wurde ein Denkmal für die sogenannten „Trostfrauen“ errichtet, das jetzt plötzlich im Viertel zu stören scheint. Unter diesem euphemistischen Begriff sind Frauen gemeint, die während der japanischen Besatzung Koreas den fremden Soldaten zu Diensten sein mussten. Nach dem Weltkrieg wurden diese oft von ihren eigenen Angehörigen abermals gedemütigt und gemieden.

 Ta-Som Helena Yun beschreibt aber auch andere Koreanerinnen in Berlin. Und so besteht das Bild einer eigenen Gemeinschaft mit Ha im Mittelpunkt. Doch Ha ist weit weniger stark als Sunny anfangs vermutet.

Ta-Som Helena Yun wirft einen interessanten Blick auf eine spezielle Community, das Buch liest sich sehr unterhaltsam – obwohl die Hauptperson ja über lange Strecken antriebslos ist und die Konfliktszenen – etwa mit Sunnys Mutter – nicht groß ausgeschlachtet werden. Gehört auch einmal gewürdigt: Der Leykam Verlag macht ausnehmend sorgfältig und originell gestaltete Bücher.  

Ta-Som Helena Yun: Oh Sunny, Leykam Verlag, 272 Seiten, € 24,50

Endlosschleife Patriachat – „Kitty“ von Satoko Ichihara bei den Wiener Festwochen

Ein Theaterabend wie eine Gehirnwäsche: Schon die fast andauernd laufende Teletubbies-Musik macht betrunken, aber das Gezeigte setzt da noch einen drauf. Ein Mädchen taumelt durch den Familienalltag, die harmlose Kindchen-Erzählerstimme kommt aus dem Off, Papa und Mama haben groteske Katzenmasken auf und benehmen sich stereotyp. Denn Papa will dauern Fleisch essen, Mama ekelt davor. Der Patriarch schreckt auch vor Vergewaltigung nicht zurück, um sein Recht durchzusetzen. In der Küche blinkt und surrt es wie in einem Casino.  

Die japanische Theatermacherin Satoko Ichihara schickt in „Kitty“ – nach der besonders bei Kindern beliebte Comicfigur „Hello Kitty“ – ihre Protagonistin durch alle Höllen, in denen Frauen ausgebeutet und geknechtet werden. Die Protagonistin ist als einzige ohne Maske, ihr begegnen als Empfangsdame, Pornodarstellerin und Prostituierte andauernd Männer in absurd-niedlichen Kostümen – eine Horrorshow des Patriachats. Ihre Devise: immer nur freundlich lächeln, die japanische Tugend, die wohl nur für Frauen gilt. Im Rahmen der Geschichte verliert sie ihr geliebtes Kätzchen Charmy, formt sie einen „Fleisch-Mensch“ und bricht gar ins Weltall auf. Nur vier Darstellerinnen schaffen die Comic-Handlung – Sung Soo-yeon, Yurie Nagayama, Birdy Wong Ching Yan, und Yuka Hanamoto –, eine wahrlich gigantische Leistung, die vom interessierten Publikum auch mit viel Applaus belohnt wird. Am Ende sieht man sie alle maskenlos – da bieten sie in Werbefernsehmanier Schlüsselanhänger von allen im Stück aufgetretenen Figuren an.

www.festwochen.atFoto: Toshiaki Nakatani

25 Jahre Haus der Musik – Am 14./15. Juni wird bei freiem Eintritt gefeiert

Seit dem Jahr 2000 hat sich das Haus der Musik in der Seilerstätte zu einem interaktiven Hotspot für Musikvermittlung und kulturellen Austausch entwickelt. Es ermöglicht Besucherinnen und Besuchern, Musik nicht nur zu hören, sondern aktiv zu erleben. Mehr als 5,5 Millionen Besucher*innen haben die Institution bereits besucht. Das Haus der Musik, ist ein Museum der Wien Holding.

Das Haus der Musik feiert nun sein 25-jähriges Bestehen und lädt am Samstag, 14. und Sonntag, 15. Juni zu einem großen Jubiläumswochenende bei freiem Eintritt in die
Seilerstätte 30, 1010 Wien – mit musikalischen Gratulationen der Wiener Philharmoniker.

Denn die Wiener Philharmoniker sind seit Anbeginn eng mit dem Haus der Musik verbunden. In der ersten Etage des Museums befinden sich:

das Museum der Wiener Philharmoniker,

das offizielle Orchesterarchiv,

sowie der historische Gründungsort des Orchesters im Jahr 1842 durch Otto Nicolai, der im ehemaligen Palais Erzherzog Karl – dem heutigen Haus der Musik – lebte.

Das Haus der Musik steht unter der Ehrenpräsidentschaft von Maestro Zubin Mehta, einem der bedeutendsten Dirigenten der Gegenwart. Seine langjährige Verbundenheit mit dem Museum und den Wiener Philharmonikern unterstreicht die internationale Bedeutung des Hauses als Botschafter Wiener Klangkultur.

Höhepunkte des Jubiläumsprogramms im Haus der Musik:

Samstag, 14. Juni 2025 | 11:00 Uhr
Gernot Kranner: „Der Zauberer von Oz“
Ein fantasievolles Mitsing-Musical für Kinder und Familien
Freier Eintritt – Zählkarten erforderlich

Sonntag, 15. Juni 2025 | 11:00 Uhr
Matinee mit dem Ensemble Wien
Mitglieder der Wiener Philharmoniker spielen live im überdachten Innenhof

www.wienholding.at www.hdm.at

Aufbruch & Untergang der DDR – Christoph Heins Monumentalroman „Das Narrenschiff“

752 Seiten über ein Staatsgebilde, das es seit 1989 nicht mehr gibt. Soll man sich das antun? Ja, unbedingt! Denn zum einen unterhält Christoph Hein trotzt mancher Längen und trotz eines sehr nüchternen Stils durchaus mit interessanten Romanfiguren. Und zum anderen ist die DDR natürlich Geschichte, aber an den Verwerfungen dieser Zeit kauen nicht nur die Deutschen noch immer, wie überhaupt fast alle ehemaligen Staaten der Sowjetunion an Russland eine dicke Rechnung stellen müssten. Und: Die DDR war eine Diktatur, eine Staatsordnung, die leider wieder Konjunktur zu haben scheint.

Hein konzentriert sich dabei auf 6 Menschen, deren Leben er mit der DDR-Geschichte – vom Aufstand in der Stalinallee 1953, der geheimen Rede Chruschtschows nach Stalins Tod über dessen Terror, dem Ungarn-Aufstand 1956, dem Mauerbau, dem Prager Frühling bis zu den Montags-Demos und dem Mauerfall – spiegelt.

Und zwar: Johannes Goretzka, der vom glühenden Nazi zum Stalinisten mutiert, Kartsen Emser, Professor und Politbüro-Mitglied, deren beider Frauen, die ebenfalls Karriere im Regime machen, sowie Benaja Kuckuck, ein exzellenter Shakespeare-Kenner, der sich Hoffnungen auf eine Professur macht dann aber in der Kulturverwaltung arbeiten muss. Alle Männer kommen aus dem Exil und repräsentieren den Willen, einen wirklich gerechten sozialistischen Staat zu schaffen. Goretzkas Frau Yvonne bringt ihre Tochter Kathinka in die Ehe mit – deren Vater war ein Jude, dem die Flucht aus Nazi-Deutschland nicht gelungen ist. Im Freundeskreis werden die jeweiligen politischen Ereignisse diskutiert, man hilft sich auch gegenseitig im sicheren Wissen, dass man gegen die Partei niemals im Recht sein kann. Wer aufbegehrt, verliert die Mitgliedschaft und darf – wenn er Glück hat – nach einem Jahr an der Parteischule wieder einen Antrag stellen. Und natürlich war der Staat, wie die Ökonomen bald schon wissen, wirtschaftlich eine Fehlkonstruktion wie überhaupt der Kommunismus wegen fehlender Anreize zum Wettbewerb niemals funktionieren konnte. Am Ende wird der Ausverkauf des DDR-Vermögens geschildert, viele verlieren Heim und Hof, denn findige Juristen verhelfen den Erben ehemaliger Eigentümer wieder zu ihren Rechten.

Klingt alles recht trocken, aber Hein bringt auch private Schicksale – Banaja ist homosexuell und muss das zunächst auch in der DDR verbergen, Yvonne hat Affairen, da ihr Mann nicht nur invalide, sondern auch völlig lieblos zu ihr ist. Kathinka versucht einen Weg abseits der Parteilinie und wird Teil der Montags-Demos. „Das Narrenschiff“ wirkt schon wegen des konsequent auktorialen und chronologischen Erzählens wie aus der Zeit gefallen. Aber es zahlt sich aus, einen Staat beim Werden und Untergehen zu verfolgen.

Christoph Hein: Das Narrenschiff. Suhrkamp Verlag, 752 Seiten, € 28,80

Brecht als Bildgeschichte: Festwochen-Gastspiel von „Moeder Courage“

Die Bühne beherrscht eine riesige Kugel (Welt- oder Kanonen–?), die die Darsteller schwach von hinten beleuchtet durch ein Wasserbassin ziehen. Hat der Weltuntergang schon stattgefunden und ist irgendwie kosmisch?

Lisaboa Houbrechts im Februar 2025 am Toneelhuis Antwerpen / KVS Brüssel herausgebrachte Version von Bertolt Brechts „Mutter Courage und ihre Kinder“ setzt zuerst ein optisches Statement. Und dann erst ein theatralisches. Die junge belgische Regisseurin lässt Brechts Text in großer Geschwindigkeit und mit wenig Emotionen sprechen. Das hat Sinn, denn auch Brecht begriff den Krieg – bei „Mutter Courage“ den Dreißigjährigen – als Geschäft und die Courage (Laetitia Dosch) erst recht. Sie lebt vom Krieg – angeblich um ihre 3 Kinder zu retten, die sie natürlich trotzdem nach und nach verliert – und fürchtet sich vor dem geschäftsstörenden Frieden. Genug Stoff, um an heutige Konflikte zu denken. Die Brutalität der Kriegsdialektik wird offengelegt. Doch Brecht wusste auch, dass er sein Publikum unterhalten musste, um es aufzuklären. Das wird bei dieser Inszenierung leider vergessen – nicht wenige Zuseher verließen schon nach wenigen Minuten die Halle. Dass auf Französisch und Niederländisch gespielt wird, kommt erschwerend dazu. Aber immerhin ein Versuch, Brechts erfolgreiches Kriegsdrama neu zu interpretieren, wie das dann doch am Ende dankbar applaudierende Publikum wohl auch fand. (Foto: Kurt Van Der Elst)

Zwischen Mensch und Maschine: Lisz Hirn beim Café Creativ

Am 13. Mai fand die fünfte Ausgabe von Café Creativ im traditionsreichen Café Landtmann statt. Zu Gast war diesmal die renommierte Philosophin Lisz Hirn, die ihr aktuelles Buch „Der überschätzte Mensch – Was machen KI, Smartphone und ChatGPT mit uns als Mensch“ (Zsolnay Verlag) präsentierte.

Vor ausverkauftem Haus sprach Hirn pointiert über die Herausforderungen der digitalen Gegenwart und stellte die zentrale Frage: Wie viel Mensch bleibt im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz noch übrig?

KI: Keine Intelligenz, sondern nützliches Werkzeug

Lisz Hirn brachte es auf den Punkt: Künstliche Intelligenz sei derzeit keine echte Intelligenz, sondern basiere auf maschinellem Lernen. Richtig eingesetzt, könne sie den Alltag erleichtern und für mehr Bequemlichkeit sorgen – im Privatleben ebenso wie im Arbeitsalltag. Doch Hirn warnte auch: „KI sagt nicht immer die Wahrheit.“ Kritisch müsse man hinterfragen, wer die Systeme mit Daten speist und mit welchen Interessen dies geschieht.

Empathie bleibt menschlich

Eines machte Hirn unmissverständlich klar: Entscheidungen, die Empathie erfordern, dürfen niemals Maschinen überlassen werden. Trotz aller technologischen Fortschritte bleibe der Mensch gefordert, Verantwortung zu übernehmen und ethische Maßstäbe zu setzen.

Moderation mit Wiener Schmäh

Durch den Abend führte Dr. Ursula Scheidl, Chefredakteurin im echo Medienhaus, die mit gewohntem Charme und Fachwissen die Brücke zwischen philosophischer Reflexion und gesellschaftlicher Relevanz schlug.

Café Creativ als Plattform für lebendige Diskurse

Die fünfte Ausgabe von Café Creativ hat eindrucksvoll bewiesen, wie inspirierend, kritisch und unterhaltsam ein Diskurs über brennende Themen unserer Zeit sein kann. Für alle, die Inspiration und Tiefgang suchen, ist diese Veranstaltungsreihe längst zum Pflichttermin geworden.

Foto: Stefan Diesner

Geschichten vom Ende der USA – Zach Williams „Es werden schöne Tage kommen“

Auch der Büroalltag kann zum Horror werden. Ein kleiner Schneesturm und der Erzähler ist plötzlich mit dem Sicherheitsmenschen und einem etwas kauzigen Kollegen im Büro allein. Der hat gerade eine Scheidung am Hals, seine Frau hat aufgenommen, dass er sie umzubringen gedroht hat und der Sicherheitsmensch hat seltsame Ideen zur Geschichte der Rassentrennung. Doch auch der Erzähler ist seltsam und am Ende bleibt ein beklemmendes Gefühl übrig. Was ist hier los?

Das ist die erste Geschichte der 10 Stories, die der junge amerikanische Erzähler, der noch nicht einmal einen Wikipedia-Artikel hat, obwohl er global schon ziemlich gehypt wird. In „Es werden schöne Tage kommen“ schafft er eine Art postzivilisatorische Welt, in der unser Alltag schon ziemlich kaputt geworden ist. Der Horror im Alltag ist vielleicht unser schlimmster Horror.

Wir erleben, wie eine Mutter beobachtet, wie ihrem Baby ein sechster Zeh wächst, wie  zwei ungleiche Brüder in der Provinz Jugendliche beim sinnlosen Feiern beobachten, wie ein Park-Ranger eine Ausflugscrew in Zaum zu halten versucht oder wie ein trauernder Witwer in eine antikapitalistische Verschwörungsgesellschaft gerät. Könnte doch allen passieren, oder?

Zach Williams: Es werden schöne Tage kommen, Stories. Aus dem Englischen von Bettina Abarbanell und Clemens J. Setz, dtv, 272 Seiten, € 25,50

Christian Ludwig Attersee: Sonnendieb – Bilddichtungen 2023–2025 in der Galerie Hilger

Ab Freitag, 9. Mai, ist bis 2. Juli die Ausstellung mit neuesten Werken Atteresees anlässlich seines 85. Geburtstag in der Galerie Hilger zu sehen. 

Christian Ludwig Attersee zählt zu den international bekanntesten österreichischen Malern und ist Mitbegründer der „Neuen Österreichischen Malerei“. Vor seiner Ausbildung zum Bildenden Künstler feierte Attersee als Segelsportler große Erfolge (Staatsmeister). Neben seinen Tätigkeiten als Maler, Bühnenbildner, Designer, Schriftsteller, Musiker und Filmemacher lehrte Attersee als Professor in Wien und Salzburg. Im Laufe seiner Karriere wurde Attersee vielfach ausgezeichnet, unter anderem 2005 mit dem Österreichischen Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse. 

Die Kunst von Christian Ludwig Attersee ist durch seinen figural-symbolischen Stil, leuchtende Farben und dynamischen Pinselstrich gekennzeichnet. Seine Werke sind voller vielschichtiger Assoziationen und Phantasien, die mit lyrischen Textelementen unterstrichen sind. 1984 vertrat er Österreich bei der Biennale in Venedig. Neben der Malerei widmet sich Attersee auch der Gestaltung des öffentlichen Raums. So entstand 1986 die Gestaltung von Wiens erstem Champagnerball im Konzerthaus und 1987 ein Schiffsschaukel für André Hellers „Luna-Luna-Rummelplatz“. Mit der von ihm gestalteten Fassade des 1996 eröffneten Attersee-Hauses auf der Wiener Mariahilfer Straße, eines Geschäftshauses einer internationalen Textilkette, entwarf er das 210 Quadratmeter große Mosaik „Wetterhändler“, das größte Glasmosaik Europas, umgesetzt vom Mosaikbildner Elio Macoritto. 2006 hüllte er für sechs Wochen den Wiener Ringturm in Folie. 2007 wurde das 220 Quadratmeter große Innenraummosaik „Reichtum Erde“ in der Geologischen Bundesanstalt in Wien fertiggestellt. (Bild oben: Sonnendieb, 2023/24, Acryl auf grundierter Leinwand)

Galerie Ernst Hilger
Dorotheergasse 5/ 1. floor
1010 Vienna, Austria

P +43-1-512 53 15
gallery@hilger.at, www.hilger.at

Öffnungszeiten / Opening Hours
Di-Fr 11-18 Uhr / Tue-Fri 11-18
Saturday on appointment

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Rund um die Burg am 9. und 10. Mai an 3 Locations

Wo wäre der Neandertaler heute?

Rashel Kushner ungewöhnlicher Spionageroman „See der Schöpfung“

Vom Genre her ist der neue Roman der seit „Flammenwerfer“ (2015) zurecht viel gelobten US-Autorin ein Spionagethriller und er hat auch dementsprechend seinen Höhepunkt am Schluss. Doch wie man das bei der in LA lebenden Rachel Kushner erwarten kann, ist es natürlich so viel mehr. Wir erfahren Interessantes über die Natur der ersten Menschen und der Neandertaler, über ein Dorf mitten in einem vergessenen Winkel Frankreichs und über die gruppendynamischen Prozesse in einer Öko-Aussteigertruppe. Vor allem aber haben wir eine ebenso faszinierende starke wie doch eher unsympathische Heldin. Sadie ist Ex-CIA-Spionin und arbeitet jetzt als Agent Provokateur für einen ihr unbekannten reichen Auftraggeber, der eine Aktivistengruppe zerstören möchte, die ein landwirtschaftliches Großprojekt sabotiert haben soll. Ein Megabassin soll gebaut werden, um die Dürre aus den Folgen des Klimawandels abzuwenden – mit Auswirkungen für das fragile Wassersystem der Region. Sadie schleicht sich geschickt und aufwändig in die Gruppe ein, indem sie mit dem ihr völlig abstoßend erscheinenden Jugendfreund des Anführers eine Beziehung eingeht. Sie soll ein Buch der Bewegung ins Englische übersetzen. Während ihres Jobs fängt sie die Mails des Gurus der Bewegung ab, der schon seit Jahren in den Höhlen der Umgebung lebt. Bruno, den Sadie niemals persönlich kennenlernt, ist sozusagen ihr Gegenpol, der sie zunehmend fasziniert. Seine klugen, aber nicht uneitlen Überlegungen zum Schicksal der Menschheit machen einen nicht unerheblichen Teil des Romans aus. Wäre etwa der Neandertaler das bessre Menschenmodell gewesen? Und was sieht man, wenn man Tage in der Dunkelheit lebt? Kushner gelingt es, ihre Heldin als zerrissene Persönlichkeit glaubhaft darzustellen. Mit ihren multiplen Betrügereien – sie verlockt schließlich Menschen zu Straftaten, die diese für Jahre ins Gefängnis bringen – ist sie zweifelsohne ein Monster, aber eben ein interessantes. Gegen Ende fragt sich Sadie, die ja andauernd jemand anderen spielt, wer sie nun eigentlich wirklich ist. Der originelle Ausgang der Geschichte sei hier aber natürlich nicht verraten.

Rachel Kushner: See der Schöpfung. aus dem Englischen von Bettina Abarbanell, Rowohlt Verlag, 480 Seiten, 27,50 Euro