Aufwachsen im Schatten Kaliforniens – „Avalon“, Nell Zinks berührendes Porträt eines Mädchens
Die Mutter verzieht sich in ein buddhistisches Kloster, der Vater ist längst ohne Adresse zu hinterlassen nach Australien ausgewandert. Und so wachsen Bran – Abkürzung von Brandy – und ihr Halbbruder auf einer Pflanzenfarm bei der Familie des letzten Freundes ihrer Mutter im Hinterland von Los Angeles auf. Die Familie gehört einer Motorradgang an und betreibt nebenbei recht krumme Geschäfte – sogar das Land, auf dem sie die Pflanzen für reiche Abnehmer und Firmen züchten, scheint nicht wirklich ihr Besitz zu sein. Doch Bran ist klug und schafft mühelos die Highschool, was ihr in den USA allerdings ohne weitere Collegeausbildung nur Jobs mit geringster Bezahlung ermöglicht. Zudem hat sie keine Papiere und auch keinen Führerschein, was sie allerdings nicht daran hindert, sich einen billigen Gebrauchtwagen zu besorgen und damit in die Unabhängigkeit zu starten, denn auf der schmutzigen Farm wird sie bloß als billige Arbeitskraft ausgenützt.
Nell Zink stammt aus Kalifornien, lebt aber schon seit Jahren südlich von Berlin. Dass sie erzählen kann, hat sie bereits mit Romanen wie „Nikotin“ und „Vrginia“ bewiesen. In „Avalon“ zeichnet sie ein anderes Bild ihrer Heimat an der Westküste. Eines der großen Gegensätze, denn Brans Freunde sind, wenn schon nicht reich, so zumindest guter Mittelstand. Etwa der schwule Jay, der trotz mangelnden Talents und ausgerechnet bei einer blinden Lehrerin Flamenco lernen und tanzen will und später die Filmhochschule besucht. Bran kann gut Geschichten schreiben – soll sie eine unwahrscheinliche Karriere als Drehbuchautorin wagen?
Und dann lernt sie den Studenten Peter kennen, der an der Ostküste studiert und bereits mit einem reichen, schönen Mädchen aus einem arabischen Clan verlobt ist. Zwar wissen beide, dass nichts aus ihrer Liebe werden kann, aber die Anziehung bleibt. Für Peter und seine Freunde sind alle Reichen und Erfolgreichen Faschisten, in Wirklichkeit erliegt er aber sehr leicht den Verlockungen des Kapitalismus. „Avalon“ – übrigens eine Insel vor L.A. auf dem sich ein Vergnügungspark befindet – endet auf der Party eines berühmten Schriftstellers und es ist klar, dass sich die Liebe von Peter und Bran in Erinnerung auflösen wird. Ein interessanter Roman abseits aller Kalifornien-Klischees.
Nell Zink: Avalon
Aus dem Englischen von Thomas Überhoff
Rowohlt
272 Seiten
€ 24,70