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Geschichten vom Ende der USA – Zach Williams „Es werden schöne Tage kommen“

Auch der Büroalltag kann zum Horror werden. Ein kleiner Schneesturm und der Erzähler ist plötzlich mit dem Sicherheitsmenschen und einem etwas kauzigen Kollegen im Büro allein. Der hat gerade eine Scheidung am Hals, seine Frau hat aufgenommen, dass er sie umzubringen gedroht hat und der Sicherheitsmensch hat seltsame Ideen zur Geschichte der Rassentrennung. Doch auch der Erzähler ist seltsam und am Ende bleibt ein beklemmendes Gefühl übrig. Was ist hier los?

Das ist die erste Geschichte der 10 Stories, die der junge amerikanische Erzähler, der noch nicht einmal einen Wikipedia-Artikel hat, obwohl er global schon ziemlich gehypt wird. In „Es werden schöne Tage kommen“ schafft er eine Art postzivilisatorische Welt, in der unser Alltag schon ziemlich kaputt geworden ist. Der Horror im Alltag ist vielleicht unser schlimmster Horror.

Wir erleben, wie eine Mutter beobachtet, wie ihrem Baby ein sechster Zeh wächst, wie  zwei ungleiche Brüder in der Provinz Jugendliche beim sinnlosen Feiern beobachten, wie ein Park-Ranger eine Ausflugscrew in Zaum zu halten versucht oder wie ein trauernder Witwer in eine antikapitalistische Verschwörungsgesellschaft gerät. Könnte doch allen passieren, oder?

Zach Williams: Es werden schöne Tage kommen, Stories. Aus dem Englischen von Bettina Abarbanell und Clemens J. Setz, dtv, 272 Seiten, € 25,50

Chris Lohner über die Nachkriegsjahre

Text: Andrea Buday

Heuer jährt sich das Ende des 2. Weltkriegs zum 80. Mal. U.a. wird am 8. Mai am Heldenplatz das „fest der freude“ gefeiert. Unter dem Motto: „80 Jahre Befreiung vom Nationalsozialismus – Für ein Niemals wieder und Frieden in Europa“.

Chris Lohner hat die Nachkriegsjahre noch gut im Gedächtnis – „Ich bin ein Kind der Stadt“, nennt sie ihr Buch, in dem sie über diese Zeit schreibt. Lesen Sie hier ein Interview zum Erscheinen des Buches 2020. 

wienlive: Sie schreiben, Sie waren rachitisch und unterernährt, aber irgendetwas Essbares fand sich immer…

Chris Lohner: Wir hatten sehr nette Nachbarn, die Portners, die einen Schrebergarten in Meidling besaßen, wo sie Gemüse anbauten, das sie mit uns teilten. Manchmal wurden wir Kinder auch dorthin eingeladen und dann durften wir Beeren essen. Das war wie im Märchen. Andererseits kannten wir keinen Riesenhunger, weil wir ja gewohnt waren, sehr wenig zu essen.

War es in Wien nicht leichter?

Ganz im Gegenteil. In der Stadt war es viel ärger als auf dem Land, wo man immer wieder einmal einen Erdapfel oder ein kleines Stückerl Brot bekam. Darum ist ja meine Großmutter zum Beispiel auf den Laaerberg gegangen, um dort Sauerampfer zu pflücken oder Brennnesseln, die sie dann verkocht hat.

Dann kamen aber die CARE-Pakete aus den USA …

Das war großartig! Wie Weihnachten und Ostern zusammen. Später wurde ich dann Ehrenmitglied von CARE.

Sie erzählen auch von Bassenawohnungen, also Klo und Wasser auf dem Gang, sowie von Bettwanzen.

Wir wurden jeden Morgen auf rote Punkte, also Wanzenbisse, kontrolliert und wenn welche gefunden wurden, streute man hochgiftiges DDT aufs Bett. Man hatte nichts anderes und niemand dachte sich etwas dabei. Jeder machte das, weil ja alle Wanzen hatten.

Sie wuchsen im zerbombten Wien mit Not und Entbehrungen auf, beschreiben Ihre Kindheit aber als eine sehr glückliche.

Wir waren zwar arm, aber gleichzeitig in vielerlei Hinsicht sehr reich. Unsere Eltern haben sich mit uns beschäftigt, mit uns gespielt und waren für uns da. In der Volkshochschule, die mein Vater leitete, durfte ich Kurse besuchen. Ich lernte Töpfern, Französisch und Nähen, zudem gingen wir ins Kino und wir unternahmen regelmäßig Ausflüge aufs Land wie etwa Wandern im Wienerwald. Uns Kinder langweilte das, aber meine Liebe zur Natur verdanke ich meinen Eltern. Denn wir waren so oft als möglich im Freien.


Chris Lohner: „Ich bin ein Kind der Stadt. Wienerin seit 1943“
Vorwort von Hugo Portisch
€19,80
echomedia Buchverlag

Immer in der Fremde – Christoph Zielinskis Roman „Laurenzerberg“ über polnische Juden in Wien nach dem Krieg. Am 10. Mai bei RUND UM DIE BURG.

Immer in der Fremde – Christoph Zielinskis Roman „Laurenzerberg“ über polnische Juden in Wien nach dem Krieg. Am 10. Mai bei RUND UM DIE BURG.

Am Laurenzerberg beim Schwedenplatz befindet sich die Wohnung von Ada und Szymon, aus Polen stammende Juden, wo auch Adas Cousin Wacek und seine Frau Fela oft zu Gast sind, zumal Wacek in Szymons Unternehmen arbeitet. Wir sind im Wien der 60er-Jahre. An den Schaltstellen der Stadt arbeiten noch immer frühere Nazis, die gerne von ihren Kriegserlebnissen erzählen, während sich die ehemaligen KZ-Häftlinge ihrer tätowierten KZ-Nummer auf dem Arm schämen. Sie sind nach Wien gekommen, weil man im Ostblock mitnichten vor antisemitischen Anfeindungen geschützt ist.

Der bekannte Krebsspezialist Prof. Christoph Zielinski wollte dieser Generation mit seinem Roman eine Art Denkmal setzten. Entstanden ist aber auch das Bild eines Wien, in dem Klassenunterschiede zelebriert werden und die Vergangenheit der Opfer am besten nicht angesprochen wird. Und natürlich ist „Laurenzerberg“ auch ein Migrantenroman über Menschen, die sich nirgendwo zu Hause fühlen und sich in Wien nach Krakau sehnen – obwohl sie wissen, dass dort gerade ein Regime alle Freiheit zunichte macht.

Zielinski kann sehr gut Szenen aus dieser Welt malen – etwa den Besuch der zunächst noch armen Familie bei der schon wohlhabenderen Familie im Südbahnhotel oder die ärztliche Konsultation bei einem Professor, der seiner jüdischen Patientin gerne Anekdoten aus seiner Zeit als SS-Mann in Italien erzählt. Im Nachwort beschreibt Zielinski das Entstehen des Romans – nichts ist wirklich erfunden, aber er hat die verschiedensten Personen zu Romanfiguren zusammengesetzt.

Am 10. Mai wird Christoph Zielinski seinen Roman bei RUND UM DIE BURG vorstellen (13.30 Uhr, Restaurant Vestibül im Burgtheater, Eintritt frei)


Christoph Zielinski: Laurenzerberg
Ueberreuter, 168 Seiten, € 20,95

Chris Lohner bei Rund um die Burg

Auch Chris Lohner kommt zum Festival RUND UM DIE BURG (9. und 10. Mai, rundumdieburg.at) Hier ein Ausschnitt aus dem Interview mit ihr von Ingrid Luttenberger im aktuellen Wien live.

Vor mehr als 50 Jahren machte Chris Lohner ihre erste Ansage im ORF. Sie war (und ist) Fotomodell, Schauspielerin, Stimme der ÖBB, Autorin und eine Pop-Ikone – spätestens seit ihren legendären Auftritten in den „Kottan“-Folgen mit Lukas Resetarits. Heute, mit 82 Jahren, ist sie hochaktiv. Ihr 15. Buch ist gerade erschienen und sie setzt sich für Feminismus ebenso ein wie für Menschen in Afrika.

wienlive: Chris, du blickst auf mehr als 50 Jahre Erfahrung in der Medien- und Kommunikations-
branche zurück. Du hast eine professionelle Website, gerade dein 15. Buch geschrieben, du bist auf Facebook. Wie und womit kommuniziert eigentlich die private Chris?

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Im aktuellen Wien live auf Seite 8 spricht Chris Lohner mit Ingrid Luttenberger.

Chris Lohner: Gespräche sind mir das Wichtigste! Ich pflege Freundschaften persönlich, ich telefoniere
weltweit. WhatsApp nütze ich auch. Das Wichtigste ist mir, dass ich mit meinen Freunden reden und mich auf das Gespräch konzentrieren kann. Daher mag ich schon FaceTime und Videotelefonie nicht, das lenkt mich ab. Briefe schreibe ich gerne, obwohl das durch das Internet weniger geworden ist. Mails verschicke ich auch.

Leider hast du auch Rassismus hautnah erlebt, selbst noch in den 80er-Jahren. Der jamaikanische Musiker und Tennisspieler Lance Lumsden war lange dein Lebensgefährte – und du damit die erste prominente Österreicherin, deren Beziehung zu einem Farbigen öffentlich Thema war.

Ja, Lance und ich waren 14 Jahre lange zusammen. Es ist schon verrückt, was ich damals alles zu hören bekommen habe. Man hat mich sogar eine „Negerhure“ genannt. Heute darf man nicht mehr „Neger“ sagen.

Dein Engagement geht – noch immer – weit über eine angemessene Sprache hinaus. Dein neues Buch heißt „wenn afrika lächelt“ und schildert deinen Einsatz als Botschafterin von „Licht für die Welt“. Chris Lohner in Armutsvierteln in Afrika …

… 20 Jahre lang. Teilweise habe ich dort abends im Schlafsack und mit Taschenlampe mein Tagebuch geschrieben. Und aus diesen Aufzeichnungen ist jetzt das Buch entstanden. Es ist unglaublich, wenn man erlebt, wie jemand durch eine Operation sein Augenlicht wiedererlangt. Vielleicht werden manche Menschen, die das Buch lesen, etwas besser verstehen, wie gut es uns hier geht. Und ein bisschen demütiger werden.

Du schilderst in deinem Afrika-Buch berührende, traurige, aber auch heitere Momente. Das Lächeln hat es sogar in den Buchtitel geschafft. Als du deinen ersten Roman „Der Krokodilmann“ bei „Kaiser“ Robert Palfrader präsentiert hast, bist du selbst als „Ansagerin“ für „die Ansagerin“ aufgetreten. Mit einer Karotte am Revers.
Humor, Selbstironie – sind das tragende Elemente in deinem Leben?

Ja! Humor ist nach der Liebe das Wichtigste überhaupt! Humor hilft immer. Und auch, über sich selbst lachen zu können. Etwas anderes, das mir sehr hilft, ist die Fähigkeit, immer wieder das Gute im Schlechten zu sehen. Und: Ich glaube fest an ausgleichende Gerechtigkeit.

Am 10. Mai, 13 Uhr, wird Chris Lohner im Restaurant Vestibül im Burgtheater beim Festival RUND UM DIE BURG ihr Buch „Wenn Afrika lächelt“ vorstellen. Eintritt frei!


Chris Lohner, Wenn Afrika lächelt
€23,00
208 Seiten
echo medienhaus

Unsere fragilen Verbindungen – Colum McCanns kluger Roman „Twist“ über Unterseekabeln enthüllt unsere gestörte Kommunikation

Man glaubt ja immer, heutzutage laufe das Internet und alles, was daran hängt, längst über Satelliten. Ein Irrtum, denn weit mehr als 90 Prozent des transkontinentalen Datenaustausches – von Telefonaten übers Internet bis hin zu Finanztransaktionen – funktionieren über Unterseekabel. Davon gibt es derzeit 1,48 Millionen Kilometer. Wenn eines dieser überraschend dünnen – nur 4 Zentimeter dicken – Glasfaserkabeln ausfällt, rücken spezielle Schiffe zur Reparatur aus, um sie wieder zu flicken. Um eine solche Aktion und natürlich um noch viel mehr geht es im neuen Roman des inzwischen in New York lebenden irischen Autors Colum McCann, der damit wiederum beweist, dass er zur absolut ersten Riege der lebenden Schriftsteller gehört.

In „Twist“ sind wir im Kopf des gescheiterten Schriftstellers Anthony Fennell, der eine Reportage – 10.000 Zeichen – über die Reparatur eines Kabelbruchs in der Tiefsee schreiben soll und der in Kapstadt mit dem Einsatzleiter John Conway zusammentrifft. Beide sind Iren, die schon in verschiedenen Regionen der Welt gelebt haben. Fennell lernt auch Zanele ,die ungewöhnlich hübsche Frau Conways, die aus den Townships stammt und als Schauspielerin eine Beckett-Aufführung in England vorbereitet, kennen.

McCanns Figuren sind freilich maximal vielschichtig, der Erzähler hat eine gescheiterte Ehe hinter sich, einen Sohn, den er fast nie besucht, und er ist Alkoholiker. Die Fahrt auf dem Reparaturschiff nützt er als Entzug, denn an Bord ist Alkohol verboten. Conway wird im Laufe des Romans immer mysteriöser, seine Verbindung mit Zanele brüchig. Irgendetwas treibt den betont selbstkontrolliert wirkenden Mann an, dessen größte Leidenschaft das Apnoetauchen ist. Wir erleben schließlich, wie zwei Kabel geflickt werden – ein höchst komplexer Vorgang, der eine perfekt eingespielte international besetzte Mannschaft erfordert. McCann hat zweifelsohne gut recherchiert. Doch bevor das dritte Kabel vor der Küste Ghanas – die einfachste Operation – ausgeführt wird, verschwindet Conway plötzlich und Fennell strandet in Accra, wo er die schrecklichen Auswirkungen der Globalisierung und des Kolonialismus erleben muss.

Fennell spricht es selbst an: Die Geschichte Conways scheint eine weitere Adaption von Joseph Conrads „Herz der Finsternis“, der Erzähler beschreibt genau die Eingangsszene in Coppolas Verfilmung „Apocalypse Now“, in der der Schauspieler Martin Sheen in real einen Spiegel mit der bloßen Faust zertrümmert. Der finale Twist Conways soll hier aber nicht verraten werden. Nach dem grandiosen Buch über den Nahostkonflikt aus der Sicht der Opfer – „Apeirogon“ – ist McCann wieder ein Roman gelungen, der zentrale Fragen unserer heutigen Welt stellt. Unsere Existenz baut zunehmend auf fragile technische Lösungen, während wir für unsere persönlichen Bindungen kaum mehr Worte oder Gesten finden. Ein Buch, das sehr lange nachhallt.

Colum McCann: Twist
Aus dem Englischen von Thomas Überhoff
Rowohlt
414 Seiten
€ 29,50

Das Nachfühlen einer Beziehung – Jaqueline Scheiber: dreimeterdreißig bei RUND UM DIE BURG am 10. Mai

Dreimeterdreißig ist die Höhe der Wiener Altbauwohnung, in der Klara eines Tages neben ihrem toten Freund Balázs aufwacht. Ein Schock zweifelsohne, doch Klara will das Offensichtliche nicht wahrhaben.

Die österreichische Autorin Jaqueline Scheiber, Jahrgang 1993, war einige Jahre als Influencerin unter dem Namen Minusgold sehr erfolgreich und arbeitete auch als Sozialarbeiterin. „dreimeterdreißig“ ist ihr erster Roman und er ist sehr poetisch geworden. Scheiber reflektiert dabei aber nicht nur die Gefühlswelt von Klara, sondern auch das Umfeld des anscheinend bestens integrierten Ungarn Balázs, der in einem Theater hinter der Bühne arbeitete. Daneben ist es auch ein Bild der Generation der jungen Menschen nach dem Zerfall des Ostblocks, das Aufwachsen in instabilen Verhältnissen. Freiheit kann bekanntlich auch überfordern. Die Erfahrung, einen nahen Menschen zu verlieren, musste die junge Autorin auch selbst machen. Trotzdem ist „dreimeterdreißig“ kein Buch über Trauer, sondern ein intensiver Roman über eine Beziehung.

Am 10. Mai wird Jaqueline Scheiber ihr Buch bei RUND UM DIE BURG (12.30 Uhr, Restaurant Vestibül im Burgtheater) vorstellen.


Jaqueline Scheiber: dreimeterdreißig
Leykam, 240 Seiten, € 25,50

Jaqueline Scheiber: dreimeterdreißig
Leykam, 240 Seiten, € 25,50

Kurt Palm eröffnet mit seinem Buch „Trockenes Feld“ RUND UM DIE BURG am 9. Mai

Kurt Palm kennt man als umtriebigen Regisseur – er machte mit Phettberg etwa die „Nette Leit Show“, Sachbuchautor und erfolgreichen Krimiautor – „Bad Fucking“ wurde auch verfilmt und für seinen ungewöhnlichen Krimi „Der Hai im System“ erhielt er den Leo-Perutz-Preis. Schon lange in Wien Neubau lebend, stammt er aus dem oberösterreichischen Neukirchen an der Vöckla. Seine Eltern waren da aber als Vertriebene lange Zeit staatenlos, sie gehörten einer Minderheit im heutigen Kroatien an und lebten im heute verfallenen Ort Kapan, was damals Slawonien genannt wurde, der größere Ort daneben Suhopolje heißt übersetzt „Trockenes Feld“ – das ist der Titel von Palms Familienbuch. Als die Deutschen Ende des Weltkrieges vor den Partisanen zurückwichen, mussten Pals Verwandte „Heim ins Reich“, kamen aber nur bis Oberösterreich, wo sich Palms Vater als Hilfsarbeiter durchschlagen musste. Der Roman ist jetzt eine Art Spurensuche, denn die meisten Angehörigen und Zeitzeugen sind bereits gestorben. Und nach dem Krieg waren bekanntlich alle daran interessiert, die Jahre der Katastrophen zu vergessen – das Thema war für Nachkommen tabu.

„Trockenes Feld“ ist bestimmt keine Autobiografie, Kurt Palms Werdegang kommt zwar vor, steht aber nicht im Mittelpunkt. Vielmehr fragt sich der Autor, wie seine Eltern die schweren Schicksalsschläge meistern und dabei ihren Kindern eine beste Ausbildung ermöglichen konnten. Vieles aus der Kriegszeit muss dabei im Dunklen bleiben. Palms Vater wurde für die SS-Polizei zwangsrekrutiert, hatte aber das Glück, nicht an der Ostfront kämpfen zu müssen. Eine relativ leichte Verwundung rettete ihm wahrscheinlich das Leben. In Kapan wäre er hingegen von den Partisanen ermordet worden. In Österreich tut die Familie alles, um möglichst schnell als Einheimische zu gelten. Bis zum Speiseplan orientiert man sich an den Nachbarn. Das Buch ist auch die Geschichte einer Assimilation von Staatenlosen in Österreich und erzählt viel über die politische Stimmung nach dem verlorenen Krieg.

Eine zentrale Rolle spielt auch die Tragödie von Kurt Palms Bruder Reinhard. Der erfolgreiche Dramaturg und Übersetzer nahm sich 2014 im Alter von 56 Jahren im Wald von Neuwaldegg das Leben – der Selbstmord schien sorgfältig vorbereitet.

„Trockenes Feld“ ist der Versuch, Herkunft aufzuarbeiten. Besonders spannend ist etwa der Besuch des Autors mit seiner Schwester in Kapan, das heute kaum mehr existiert. Sie treffen da auf einen Einheimischen, der ihnen Gräueltaten der Wehrmacht erzählt. Ein wichtiges und interessantes Buch für alle, die an der verdrängten Geschichte Österreichs und Jugoslawiens interessiert sind.

Am Freitag, 9. Mai, wird Kurt Palm um 16 Uhr im Café Landtmann RUND UM DIE BURG eröffnen. Der Eintritt ist wie immer frei!


Kurt Palm: Trockenes Feld
Leykam, 304 Seiten
€ 26,50

Ein junger Iraner in den USA stellt sich diversen Traumata – Kaveh Akbar: Märtyrer!

Ein Roman, der viel will, einiges auch bringt, sich aber auch leicht verzettelt. Kaveh Akbars „Märtyrer!“ wurde von der New York Times und anderen Zeitungen viel gelobt und stand auch auf der Longlist des National Book Awards. Erzählt wird die Geschichte des jungen Iraners Cyrus, der als Baby mit seinem Vater in die USA gekommen war, nachdem seine Mutter in einem Flugzeug, das die US-Army irrtümlich abgeschossen hatte, ums Leben gekommen war. Cyrus ist ein begabter Student, will Dichter werden, verfällt aber dem Alkohol und der Drogensucht. Sein Vater, ein hart arbeitender Migrant, stirbt, als er aufs College kommt. Mithilfe der Anonymen Alkoholiker wird Cyrus trocken, was ihm aber weiterhin fehlt, ist ein Ziel im Leben. Als Verwandtschaft bleibt ihm ja nur noch sein Onkel im Iran, der als Veteran des brutalen iranisch-irakischen Krieges nur noch so dahinvegetiert. Immerhin schreibt Cyrus Gedichte und zunehmend interessiert ihn die Idee des Märtyrertums. Nicht die sinnlosen muslimischen Terroristen – Cyrus ist nicht sonderlich gläubig – sondern Menschen wie Jeanne d’Arc oder die Menschen, die sich in Peking und Prag den Panzern gestellt haben. Er will sterben, aber sein Tod soll einen Sinn haben. Sein Freund Zee – Cyrus ist irgendwie bisexuell – erzählt ihm von einer Künstlerin, die als schwer Krebsleidende im Brooklyn-Museum sich tagtäglich den Fragen des Publikums stellt. Cyrus muss sie sprechen…

„Märtyrer!“ ist kein linear erzählter Roman, Kaveh Akbar bringt immer wieder Träume und die Geschichten anderer ein – etwa Cyrus Onkel, Mutter und Vater. Das ist an sich interessant, denn seine Hauptfigur ist irgendwann auserzählt. So soll sein Onkel im Krieg als schwarzer Engel über die Schlachtfelder geritten sein, um den Sterbenden den Trost des Jenseits vorzugaukeln. Am Ende bringt Akbar dann noch einen Knüller um die Mutter von Cyrus – sie ist nämlich jene berühmte sterbende Künstlerin mit der Cyrus die langen Gespräche führen kann. Das scheint ein wenig zu dick aufgetragen, die Story einer bettelnden und stehlenden Migrantin, die zum Kunststar wird, wirkt wenig glaubhaft. Trotzdem: Kaveh Akbar schafft einen Einblick in das Gefühlsleben eines jungen Iraners in den USA und macht deutlich, wie verschieden Menschen sein können, die nebeneinander leben.


Kaveh Akbar: Märtyrer!
Aus dem Englischen von Stefanie Jacobs
Rowohlt, 400 Seiten, € 25,50

Freudloses Studentenleben mit Mord – Michael Köhlmeier: Die Verdorbenen

Eine Geschichte, die nachdenklich macht: Der Ich-Erzähler Johann berichtet von seiner Studentenzeit in Marburg in den 70er-Jahren, als er plötzlich von einer Kollegin – Christiane –, die er kaum kennt und die ihn auch nicht interessiert, offenbart bekommt, dass sie ihn liebt.

Das hätte schnell geklärt sein können, doch Johann ist ein Unentschlossener. Als er sie später wiedersieht, werden sie doch in irgendeiner Weise ein Paar, allerdings ein höchst ungewöhnliches. Denn Christiane ist seit Kindergartenzeit gleichzeitig mit Tommie zusammen, der Christianes Entscheidung gegen ihn aber zu akzeptiere scheint. Bloß zieht Tommie dann doch bei ihnen ein. Sowohl Christiane als auch Tommie scheinen emotional gestört und eines nachts flieht Johann ohne Ziel als er die beiden auffordert, miteinander zu schlafen und sie das auch tun. In Belgien schläft er in einem Strandkorb, wo er von einem Mann überfallen wird. Johann kann sich wehren und tötet den bereits Wehrlosen. Damit schließt sich ein Kreis, denn Johann hatte seinem Vater auf die Frage, was denn sein Wunsch an das Leben wäre, antworten wollen: Ich möchte einmal einen Menschen töten… Die Pointe will ich aber natürlich nicht verraten. 

Michael Köhlmeier ist meiner Meinung nach am besten bei kürzeren Erzählungen. „Die Verdorbenen“ könnte gut auch als Novelle bezeichnet werden. Eine Novelle ist, nach Goethe, „eine sich ereignete unerhörte Begebenheit“. Das passt hier ganz gut, aber Roman verkauft sich wohl besser. In dieser Geschichte scheint kein Satz zu viel und keiner zu wenig. Und natürlich geht es um die ganz großen Themen: Was ist das Böse, was ist ein Leben ohne Liebe wert und was braucht es, um böse zu werden? Das alles entwickelt eine Zwanghaftigkeit wie eine antike Tragödie.


Michael Köhlmeier: Die Verdorbenen
Hanser Literaturverlage, 160 Seiten, € 24,50

3 Menschen am Dach eines Hochhauses – Isabella Straubs Roman „Nullzone“

Die einen wohnen in einem schiefen Gemeindebau-Hochhaus, die anderen haben viel Geld angezahlt, um rundherum in einem futuristischen Wabenbau unterzukommen. Das Stadtentwicklungsgebiet, in dem beides angesiedelt ist, trägt den verstörenden Namen Nullzone. Beim Wohnen offenbaren sich auch heute noch die sozialen Klassen.

Die Wiener Autorin Isabella Straub bringt eine Hausmeisterin mit Medikamentenproblem, einen Paketzusteller, der Unternehmer – Drohnenzusteller – werden will, und einen Zukunftsforscher, der Dauergast in einer Startup-Castingshow ist, zusammen. Abwechselnd nehmen wir als Leser an ihren Sorgen teil. Dramatik bekommt die Geschichte, weil das Hochhaus umzufallen droht – eine Sanierung würde jedes Budget sprengen, aber die Bewohner desselben gehen natürlich trotzdem für ihre lieb gewordene Einöde auf die Straße.

Die drei Hauptpersonen haben natürlich alle ihre Macken. Zukunftsforscher Gabor will eigentlich gar nicht in seine Wabe umziehen. Er wurde bloß von seiner Frau in das Projekt genötigt. Außerdem hat er den Verdacht, an einer schweren Krankheit zu leiden. Paketzusteller Rachid leidet unter der Trennung von seiner Freundin, gefällt sich im Macho-Boss-Gehabe und hat leider wenig im Kopf, während die Hausbesorgerin Elfi noch immer hofft, ihr verschwundener Sohn würde zurückkommen. Rührend kümmert sie sich aber um eine halb-demente Nachbarin. Am Ende kommen alle aus verschiedenen Motiven auf dem Dach des Hochhauses zum Showdown zusammen, wo Rachid Gabor beweisen will, dass seine Drohne einsatzfähig ist.

Isabella Straub ist ein unterhaltsamer Roman über das Zusammenleben in einer Großstadt gelungen, ihr Personal ist interessant. Man ahnt, welche Schicksale in den bereits jetzt bestehenden Waben schlummern.

Straub wird ihren Roman auch bei Rund um die Burg (9./10. Mai) vorstellen.


Isabella Straub: Nullzone
Elster & Salis, 372 Seiten, € 26,50