Nicht weniger als 22 Jahre hat sich Dimitré Dinev nach seinem gefeierten Erstling, den Flüchtlingsroman „Engelszungen“, Zeit gelassen, um seinen nächsten Roman zu veröffentlicht. Gut, es sind fast 1200 Seiten und die Geschichten, die der Autor ausbreitet, hätten noch für einige weitere Romane gereicht. Aber als Schriftsteller muss man ja auch von etwas leben – seine Essays, Drehbücher und Erzählungen werden mutmaßlich nicht viel abgeworfen haben. Dimitré Dinev bewies also einen langen Atem! Gleich vorweg: Wer sich auf „Zeit der Mutigen“ einlässt, wird reich belohnt: Der Roman ist eine Geschichte der Donauregion – vor allem Österreich und Bulgarien aus dem der Autor 1990 nach Wien gekommen ist – vom Beginn des 1. Weltkrieges bis zu den ersten Briefbombenmorden 1993 in Österreich. Dimitré Dinev ist sicher ein würdiger Preisträger des heurigen Österreichischen Buchpreises.
Dinev erzählt von drei Familien, es beginnt mit der lebensmüden Dienstmagd Eva, die statt sich das Leben zu nehmen eine Liebesnacht mit einem Soldaten erlebt und dann Krankenschwester wird. Dann gibt es die bulgarische Hirtin Nada – sicher die stärkste Figur, denn bei Dinev sind meist Frauen die beeindruckendsten Charaktere – und dazu eine herumziehende Roma-Familie. Neben den Schrecken des ersten und vor allem zweiten Weltkriegs sind vor allem die Verbrechen der Kommunisten in diesem Roman sehr präsent. Ein ganzes, langes Kapitel schildert die unmenschlichen Zustände im berüchtigten Lager Belene auf einer Donauinsel. Der Rache an den Verantwortlichen widmen sich mehrere der Protagonisten. Nadas Tochter wird sogar deswegen zur Geheimdienst-Offizierin.
Am eindrucksvollsten ist sicherlich, wie es dem Autor gelingt, den Horror mit mystischen Motiven zu verweben. Wie im Titel behauptet, gibt es auch an den dunkelsten Orten immer auch Menschen mit Mut und einem Gespür für das Richtige. Auch der Alltagsrassismus etwa gegenüber den Roma ist oft beschrieben. So sieht man über einige doch sehr papierene Dialoge auch gnädig hinweg.
Denn über weite Strecken ist der Roman spannend zu lesen. Es gibt jede Menge Betrügereien, erstaunliche Karrieren, Geheimdienstoperationen und Schicksalsschläge von Figuren, die man während der Lektüre liebgewonnen hat. „Zeit der Mutigen“ ist ein Buch für mutige Leser.
Dimitré Dinev: Zeit der Mutigen. Kein & Aber, 1148 Seiten, € 37,95
