Der bayerische Supertenor Jonas Kaufmann singt zu Silvester an der Wiener Staatsoper den Eisenstein in der „Fledermaus“ von Johann Strauss, Robert Schumann und Franz Liszt im Wiener Konzerthaus und begeistert als Franz Schuberts „Doppelgänger“ in New York.
Mit dunkler Mittellage und strahlender Höhe, einem ergreifend zarten, fast gehauchten Piano und wilden Forte-Attacken erweist sich Jonas Kaufmann als exzellenter, in jedem Moment über seine Stimme souverän gebietender Sänger auf der Höhe seiner Kunst. Sein vitaler, baritonal gefärbter, ein wenig verschleierter Tenor mit seinem leicht kehligen Timbre, dessen pochende Erregung und Legato-Kultur SangesfreundInnen mit Freudenschauern erfüllen, verfügt über enorme Kraftreserven, außergewöhnliche Ausdrucksstärke, hohe Intonationssicherheit und hinreißende Intensität. Außerdem ist Kaufmann, der mit den schwierigsten Tenorrollen der Opernliteratur, Wagners Tristan und Verdis Otello, unangefochten auf dem Opernolymp thront, ein glänzender Schauspieler mit brennender Leidenschaft und großen Gefühlen. Auch in der Wahl seiner Rollen erweist sich der bayerische Supertenor als intelligent. Man hört, dass er die großen Tenöre vor ihm genau kennt, er hat von ihnen gelernt, aber er vermeidet es, sie zu imitieren.
Universalist. Wie vor ihm nur der spanische Tenorissimo Plácido Domingo pendelt Kaufmann mühelos zwischen italienischem, französischem und deutschem Repertoire. „Ich finde es wichtig, mein Repertoire zu mischen“, sagt er. „Das ist ein gutes Rezept, mich frisch zu erhalten, was die Motivation und die Stimme betrifft. In der Vergangenheit war das völlig normal. Früher haben die Sänger alles durcheinandergesungen, an einem Abend Otello, am nächsten Abend Tamino, am dritten Abend Tannhäuser. Ich weiß nicht, warum das verloren gegangen ist, aber prinzipiell geht es ja in unserer Welt immer mehr in Richtung Spezialisierung. Ich fände es langweilig, nur noch fünf, sechs Partien zu singen, und außerdem wäre es auch ungünstig: Routine lullt ein. Ich weiß auch, dass die unterschiedlichen Partien sich gegenseitig befruchten. Wenn man eine italienische Partie nach einer deutschen macht, versucht man, seiner Stimme mehr Weichheit und Legato zu geben, und profitiert gleichzeitig von den Kraftreserven aus dem Wagner-Training. Den italienischen Belcanto versucht man dann in den Wagner-Gesang reinzubringen, damit es nicht so abgehackt und hart klingt, sondern auch eine gewisse Weichheit hat.“
Das Höchste der Kunst. An der Wiener Staatsoper, wo er ein gefeierter Publikumsmagnet ist, macht er sich rar in dieser Saison, der Österreichische und Bayerische Kammersänger. Während er in den letzten Jahren im Haus am Ring in so unterschiedlichen Rollen wie Wagners Parsifal, Brittens Peter Grimes, Giordanos Andrea Chénier, Radamès in Verdis „Aida“ und Verdis Otello, Calaf in Puccinis „Turandot“ und Canio in Leoncavallos „Pagliacci“ begeisterte, hat er sich in dieser Spielzeit bisher auf die herbstliche Saison-Eröffnung der Staatsoper im Burggarten mit Stücken von Ponchielli, Verdi, Puccini und Johann Strauss beschränkt. Zu Silvester folgt das spektakuläre Finale des Johann-Strauss-Jahres, das zum 200. Geburtstag des Walzerkönigs in ganz Wien gefeiert wurde, wenn Jonas Kaufmann im Haus am Ring als Eisenstein in der Königin der Operette „Die Fledermaus“ debütiert. „Ich liebe Wien, und ich liebe die Musik dieser Stadt“, sagt der in Salzburg lebende sympathische Bayer mit dem umwerfenden Charme. „,Die Fledermaus‘ von Johann Strauss oder die ,Winterreise‘ von Franz Schubert gehören zum Höchsten der Kunst.“
Die leichte Muse. Vor der sogenannten leichten Muse hat Jonas Kaufmann, der 2019 für seine „Wien“-CD, eine von den Wiener Philharmonikern begleitete Hommage an den Walzerkönig Johann Strauss, die Operettenseligkeit von Franz Lehár und das Wienerlied, vom Wiener Bürgermeister Michael Ludwig im Wiener Konzerthaus mit dem Goldenen Rathausmann ausgezeichnet wurde, keine Angst. „Den Eisenstein in der ,Fledermaus‘ habe ich beim Silvesterkonzert 2018 in der Semperoper Dresden gesungen, das hat großen Spaß gemacht“, erzählt Kaufmann. „Diese Partie ist nicht so leicht, dass ich sie erst einplanen möchte, wenn ich Oper nicht mehr kann. Operette ist schwer zu singen, und gleichzeitig muss man auch spielen und sprechen können und mit so viel Herzblut dabei sein, dass der Funke überspringt. Vom Publikum hat es immer positive Reaktionen auf meine Operetten-Schmankerl gegeben. Natürlich gibt es dann aber auch wieder die kritischen Stimmen, welche die Ernsthaftigkeit des Opernsängers bewachen. Aber ich glaube, wenn man eine gesunde Mischung findet, in der man das eine nicht vernachlässigt und das andere trotzdem tut, ist das ein guter Weg.“
Mit der „Fledermaus“ kehrt Kaufmann zu seinen Wurzeln zurück. Seine allererste professionelle Bühnenproduktion noch während seines Studiums war „Eine Nacht in Venedig“ von Johann Strauss in der Saison 1993/94 am Theater Regensburg; Kaufmann sang die Partie des Caramello in über dreißig Vorstellungen. „Operette ist für mich schlichtweg Gute-Laune-Musik“, sagt er. „Wenn ich als Jugendlicher ungeliebte Arbeiten wie Putzen oder Staubsaugen vor mir hatte, musste ich nur ,Die Fledermaus‘ mit Carlos Kleiber auflegen, die hat mir sofort ein Lächeln ins Gesicht gezaubert.“
Magische Töne. Auch nach der „Fledermaus“ geht es für Jonas Kaufmann weiter mit der Operette. Im Frühjahr begibt sich der tenorale Herzensbrecher auf eine Europa-Tournee, in deren Rahmen er am 22. April auch im Wiener Konzerthaus Station macht. Unter dem Titel „Magische Töne“, inspiriert von Assads Arie aus der Oper „Die Königin von Saba“ des jüdischen österreichisch-ungarischen Komponisten Karl Goldmark, die von großen Tenören wie Enrico Caruso oder Nicolai Gedda zum Schlager gemacht wurde, gibt er populäre Lieder aus Operetten der österreichisch-ungarischen Komponisten Franz Lehár, der, wie Kaufmann sagt, „orchestriert hat wie Puccini“, und Emmerich Kálmán zum Besten – „Die Lustige Witwe“, „Das Land des Lächelns“, „Giuditta“, „Die Csárdásfürstin“ oder „Gräfin Mariza“. „Wir haben diesmal Ungarn als zentrales Thema gewählt“, erklärt Kaufmann. „Viele der Werke stammen aus dem ungarischen Teil der alten Doppelmonarchie. Anfangs ging es meistens um die höhere Gesellschaft, später dann um den einfachen Bürger, den Städter oder den Bauern. So können wir uns in ganz unterschiedliche Lebenswelten hineinträumen.“ Und: „Diese Stücke lassen uns nicht stillsitzen. Sie entführen in eine heile, glückliche, schöne Vergangenheit – und genau das wollen wir unserem Publikum schenken. Ich bin sehr empfänglich für das, was Musik transportiert. Und ein begeisterter Verfechter der Idee, dass man mit Musik Emotionen beeinflussen und bewegen kann.“
Kaufmanns Partnerin bei den „Magischen Tönen“ ist die schwedische Sopranistin Malin Byström, die derzeit die Leonore in Beethovens „Fidelio“ an der Wiener Staatsoper singt. „Malin ist eine großartige Sängerin, die ich seit vielen Jahren kenne“, so Kaufmann, „vielleicht eine der feurigsten Schwedinnen überhaupt. Sie kann zart und leicht, aber auch kräftig und leidenschaftlich singen – eine ideale Besetzung für dieses Programm.“
Lieder im Park. Ein weiteres, vom Publikum gestürmtes Highlight präsentiert Jonas Kaufmann am 9. Juli mit seinen „Liedern im Park“, einer Mischung aus Kunstliedern, Wienerliedern und Operetten-Hits, in der von Michael Niavarani und Georg Hoanzl seit 2020 betriebenen Freiluft-Bühne Theater im Park im barocken Schwarzenberggarten am Belvedere. Unter 30 Meter hohen, uralten Platanen singt der vergötterte Heldentenor, begleitet von seinem kongenialen Pianisten Helmut Deutsch, romantische Lieder von Schubert oder Richard Strauss, aber auch „In einem kleinen Café in Hernals“ oder „I bin a stiller Zecher“ von Hermann Leopoldi. Für das Wienerische hatte der Startenor aus München schon immer ein Faible, das Wienerlied bezeichnet er als „tönende Kulturgeschichte von Wien“. Übrigens war der Wiener Pianist Helmut Deutsch, Kaufmanns Professor für Liedgestaltung an der Hochschule für Musik und Theater München, vor mehr als 30 Jahren der Erste, mit dem er am Wiener Idiom arbeitete. Selbst für „echte“ Wiener ist es verblüffend, wie der fesche Bayer das Wienerische beherrscht
„Meine Großeltern hatten einen aufgelassenen Bauernhof in Tirol, wo ich mit meiner Schwester viel Zeit verbracht habe“, erzählt Jonas Kaufmann. „Meine Großmutter hat die goldenen Melodien der Wiener Operette geliebt, ganz im Gegensatz zu meinem Großvater, der ein Wagner-Verehrer war; sie hat sich dauernd Schallplatten von Rudolf Schock und Hermann Prey angehört und dazu gesungen. Ich habe schon als Kind die Operetten-Schlager von Johann Strauss oder Franz Lehár gehört, geliebt und nachgesungen.“ Genauso wie die Wienerlieder im Wiener Dialekt: „Ich habe immer verschiedene Dialekte nachgemacht, am liebsten das Wienerische von Hans Moser und Helmut Qualtinger als Herr Karl.“
Geburtstagsfeier. Schon am 12. Jänner 2026 feiert Jonas Kaufmann, der auch ein begnadeter Liedsänger ist, mit einem Liederabend im Wiener Konzerthaus den 80. Geburtstag seines Professors und Pianisten Helmut Deutsch. Begleitet vom Geburtstagskind am Klavier, singt er Robert Schumanns berühmten Liederzyklus „Dichterliebe“ nach Gedichten von Heinrich Heine, die ewige Geschichte einer unerwiderten Liebe. „Es ist ein unglaubliches Glück, diesen Zyklus singen zu dürfen“, sagt er. „Die ,Dichterliebe‘ ist ein Unikat, einmalig in der gesamten Liedliteratur.“ Des Weiteren interpretiert das gefeierte Duo Lieder des Klaviervirtuosen Franz Liszt, darunter „Tre Sonetti di Petrarca“, basierend auf den Kanzonen des italienischen Renaissance-Dichters für seine Geliebte Laura, „O lieb, so lang du lieben kannst“, „Ihr Glocken von Marling“ oder „Die Loreley“. Helmut Deutsch ist seit frühester Jugend ein Liszt-Aficionado.
„Ich liebe das Lied sehr, weil ich da die größte künstlerische Freiheit habe“, sagt der bayerische Megastar. „Ich mache meine Liederabende mit meinem Pianisten Helmut Deutsch, den ich seit mehr als dreißig Jahren kenne; da muss ich nicht ein großes Orchester überschreien und auf Kollegen Rücksicht nehmen. Außerdem kann ich beim Lied in Bereiche meiner Stimme vordringen, die in der Oper nicht möglich wären. Wenn da nicht der Schauspieler spricht, sondern die Seele, wenn da echte Gefühle im Spiel sind, wenn da etwas entsteht, wenn das berührt, dann hat man im Liederabend die Chance, ohne das Kostüm, ohne die Maske, ohne das Tamtam rundherum noch minimalistischer zu sein, noch zarter, noch ehrlicher, noch natürlicher – und trotzdem kommt es beim Publikum an.“ Und Kaufmann weiter: „Rein sängerisch gesehen ist das Genre Lied die Königsklasse. Es erfordert wesentlich mehr Detailarbeit vom Sänger, oft auch mehr Präzision und Konzentration – und eine enorme Wandlungsfähigkeit. In der Oper erzählt man eine große Geschichte, bei einem Liederabend sind es bis zu 25 Miniatur-Geschichten, auf die man sich in kürzester Zeit einstellen muss.“
Doppelgänger. Im Herbst erschienen ist Jonas Kaufmanns jüngste Sony-Doppel-CD/DVD „Doppelgänger“, auf der er, begleitet von seinem Dialogpartner Helmut Deutsch am Klavier, Robert Schumanns „Dichterliebe“ und „Kerner-Lieder“ (auf CD) und Franz Schuberts „Schwanengesang“ in der tollen Inszenierung von Claus Guth (auf DVD) zum Besten gibt. Schon während seiner Studienjahre in München hatte sich Kaufmann in der Lied-Klasse von Helmut Deutsch Schumanns „Dichterliebe“ erarbeitet. Im Mitschnitt von 1994, von dem Jonas Kaufmann sechs Titel als Bonus-Tracks für die Schumann-CD gewählt hat, ist Jan Philip Schulze sein Begleiter am Klavier – ein reizvoller Kontrast zur gereiften Aufnahme von 2020.
Im September 2023 hat Jonas Kaufmann mit dem grandiosen Musiktheater-Regisseur Claus Guth in der Park Avenue Armory, einem riesigen, neugotischen Waffenarsenal in der eleganten Upper East Side von Manhattan, das von einem avantgardistischen Künstlerkollektiv mit unkonventionellen Produktionen darstellender und bildender Künste gespeist wird, unter dem Titel „Doppelgänger“ Franz Schuberts „Schwanengesang“, die letzten Lieder des romantischen Wiener Liederfürsten, mit transformativen Licht- und Film-Projektionen in der monumentalen Wade Thompson Drill Hall (der Halle, in der die Soldaten gedrillt wurden) zur multidimensionalen Uraufführung gebracht. Begleitet von Helmut Deutsch, singt Kaufmann mit unerhörter liedhafter Subtilität und einem Farben- und Nuancenreichtum, der seinesgleichen sucht, Schuberts betörende Kleinodien zwischen Lebensverzweiflung und Todesnähe. Claus Guth hat den „Schwanengesang“ als Geschichte eines schwerverletzten Soldaten im Ersten Weltkrieg inszeniert; mit Tänzerinnen und Tänzern als Krankenschwestern und Kriegsversehrten auf einer riesigen Spielfläche mit 70 Lazarett-Betten.
Schmerzensgestalt. „Der Doppelgänger“ ist das letzte von Schuberts sechs Liedern nach Heinrich-Heine-Gedichten voll Weltschmerz und Zerrissenheit, die der romantische Tonsetzer im August 1828 vertonte. Nach seinem Tod am 19. November 1828 verkaufte sein Bruder Ferdinand diese letzten Heine-Lieder und sieben romantische Liebeslieder nach Gedichten von Ludwig Rellstab dem Verleger Tobias Haslinger, der sie als „Schwanengesang“ veröffentlichte. Weil ihm „Der Doppelgänger“ zu düster war, setzte Haslinger „Die Taubenpost“ nach Johann Gabriel Seidl an den Schluss des von ihm zusammengestellten „Liederzyklus“. „Der Doppelgänger“ erzählt von einem einsamen nächtlichen Heimkehrer, der vor dem Haus seiner früheren Geliebten, die längst die Stadt verlassen hat, der Schmerzensgestalt seines bleichen Doppelgängers begegnet. Im Volkslied gilt der Doppelgänger als Todesbote, dementsprechend ist Jonas Kaufmann im New Yorker Waffenarsenal ein Soldat, der die Heimkehr aus dem Krieg nicht schafft und in einem Feldlazarett vor seinem Tod von seiner Geliebten träumt.
Elisabeth Hirschmann-Altzinger
Johann Strauss: „Die Fledermaus“, Wiener Staatsoper, 31. 12., 18 Uhr; zeitversetzte TV-Übertragung: ORF III, 31. 12., 20.15 Uhr
