Navid Kermani ist ein deutscher Autor, dessen Eltern schon lange vor seiner Geburt aus dem Iran in die Bundesrepublik geflohen waren. Der studierte Orientalist arbeitete als Journalist u.a. beim SPIEGEL, für seinen Roman „Dein Name“ erhielt er den Kleist-Preis.

Lesen & Leben – Navid Kermanis „Das Alphabet bis S“

Navid Kermani ist ein deutscher Autor, dessen Eltern schon lange vor seiner Geburt aus dem Iran in die Bundesrepublik geflohen waren. Der studierte Orientalist arbeitete als Journalist u.a. beim SPIEGEL, für seinen Roman „Dein Name“ erhielt er den Kleist-Preis.

In seinem neuen Buch erzählt er von einer in Köln lebenden iranstämmigen erfolgreichen deutschen Schriftstellerin, deren Mutter gerade gestorben ist und deren betagter Vater die Realität nicht mehr wahrhaben will. Dazu erleidet ihr minderjähriger Sohn einen Herzinfarkt, was die namenlose Erzählerin natürlich ziemlich mitnimmt. Außerdem hat sie sich von ihrem Mann getrennt – es gäbe also viel zu reflektieren, zumal der Roman eigentlich ein Tagebuch ist. Doch viel mehr als alles Persönliche scheint sie ihre nach dem Alphabet geordnete Bibliothek zu beschäftigen, als sie beschließt, den bisher ungelesenen Autoren eine zweite Chance zu geben. Und so finden wir in dem fast 600 Seiten starken Buch viele Zitate und Meinungen zu so unterschiedlichen Autoren und Autorinnen wie Peter Altenberg, Emil Cioran, Emily Dickinson, Salvador Espriu, Fukazawa Shichiro oder Julien Green und Hermann Hesse. Sie kommt dabei – wie der Titel vermuten lässt – nur bis S.  

Das gibt Kermani Gelegenheit, über so ziemlich alles in der modernen Welt eine Meinung zu verbreiten – zumal aus weiblicher Sicht. Banales findet sich da neben allerlei Geistreichem. Schließlich ziehen sich die Themen Tod und Verlust durch den ganzen Text – die Autorin erlebt etwa eine Papst-Audienz, bei der sie das Oberhaupt der Katholiken bittet, um ihn zu beten. So nebenbei besucht sie mit ihrem Vater die Verwandten in Teheran oder fährt ans Meer. Sie scheint dabei ein wenig aus der Zeit gefallen, sucht etwa nach einem Labor, das noch analoge Fotos entwickelt und mokiert sich darüber, dass in Deutschland auch gute Freunde die Rechnung im Lokal teilen. Manchmal ist sie auch selbstkritisch: „Ärgere mich über die Nichte, weil sie keinen Bikini mehr trägt, seit sie fromm ist, keinen kurzen Rock, kein enges T-Shirt. Ich selbst trug noch nie dergleichen, jedoch aus anderen, den richtigen Gründen, versteht sich.“, notiert sie.

Der Umfang des Buches sollte nicht abschrecken – die einzelnen Notate lassen sich auch überspringen, wenn sie gerade nicht interessieren. Alles in allem ein bemerkenswerter Lesestoff.


Navid Kermani: Das Alphabet bis S
Hanser Verlag
592 Seiten
€ 33,95