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Richard Neutra im Wien Museum

Der unbekannte Architekturstar


Richard Neutra – der Architekturstar, den man in seiner Heimat Österreich noch immer zu wenig kennt. Das Wien Museum im Musa würdigt jetzt – 50 Jahre nach seinem Tod – den Wiener mit einer großen Ausstellung.
Fotos: Wien Museum; Kramar


Es gibt nicht viele Österreicher, die es auf die Titelseite des Time Magazine schafften – und wenn dann eher mit negativen Beigeschmack wie zuletzt Kanzler Kurz als jener Politiker, der die Rechten in Europa zum Mainstream machte. Aber 1949 ehrte das Magazin den Architekten Richard Neutra. Bloß wer war der vor 50 Jahren verstorbene Wiener?

Kurz gesagt Richard Neutra (1892-1970) war der international erfolgreichste österreichische Architekt des 20. Jahrhunderts. Der Großteil seiner rund 300 Bauten steht allerdings in seiner zweiten Heimat Kalifornien, wo er seit den 1920er-Jahren lebte. Hier wurde er zum Begründer einer genuin amerikanischen Moderne, deren Wurzeln zum Teil in Wien und Österreich zu suchen sind. Neutra war begeistert von der hochentwickelten industriellen Fertigung der USA, beschäftigte sich zugleich aber auch mit Physiologie, Psychologie und Verhaltensforschung – das Ziel war eine neue humanistische Architektur. Neutras Bauten zeichnen sich durch offene Grundrisse, leichte Konstruktionen und eine enge Beziehung zur umgebenden Landschaft aus, sie folgen einem strengen System und sind zugleich auf individuelle Wohnbedürfnisse zugeschnitten.

50 Jahre nach Neutras Tod nähert sich das Wien Museum dem Werk und der Wirkung des Architekten auf zwei unterschiedlichen Ebenen: Aktuelle Fotografien von David Schreyer zeigen neun exemplarische Wohnhäuser Neutras, die nicht nur kalifornische Wohnkultur vermitteln, sondern durch ihre Raumökonomie, gestalterische Qualität und Funktionalität auch heute noch vorbildlich sind. Ergänzend dazu wird auf einer historischen Achse Neutras wechselhafte Beziehung zu seiner Heimatstadt Wien nachgespürt.

Der Weg nach Amerika
Richard Neutra wurde 1892 als Sohn einer jüdischen Wiener Familie geboren. Bald nach Beginn seines Studiums an der Technischen Hochschule wurde er in die private Bauschule von Adolf Loos aufgenommen. Loos, der stets voller Begeisterung von seinem Aufenthalt in Amerika berichtete, war es auch, der in Neutra den Wunsch erweckte, einmal selbst in die Vereinigten Staaten zu reisen, um dort neuartige Bautechniken, aber auch das Werk von Frank Lloyd Wright zu studieren, dessen revolutionäre Bauten in Wien durch Reproduktionen bekannt waren. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs machte diese Pläne jedoch zunichte, Neutra wurde an die Front nach Bosnien-Herzegowina geschickt. Nach dem Zusammenbruch der Monarchie gab es für junge Architekten in Wien kaum Arbeitsmöglichkeiten. Über Zürich, wo er für den Landschaftsplaner Gustav Ammann tätig war und während dieser Zeit seine künftige Frau Dione kennenlernte, und Berlin, wo er im Atelier von Erich Mendelsohn arbeitete, gelang Neutra schließlich 1923 die ersehnte Ausreise in die Vereinigten Staaten von Amerika.

Richard Neutra und Rudolph Schindler
Ab 1925 lebten die Neutras in Los Angeles, zunächst bei dem Otto Wagner-Schüler Rudolph Schindler, der seit 1914 in den USA ansässig war. In den folgenden Jahren konnten die beiden Wiener Emigranten eine Reihe von Wohnhäusern errichten, die heute zu den bedeutendsten Bauten der kalifornischen Moderne zählen. In ihnen zeigt sich die Wiener Prägung durch Wagner und Loos ebenso wie das Interesse an der lokalen Baukultur der Pueblo-Indianer und innovativen Bautechniken und Materialien. Aus diesen vielfältigen Einflüssen entstand eine genuin amerikanische, von den historischen europäischen Stilen unabhängige Architektur. Mit dem Lovell Health House wurde Richard Neutra 1929 international bekannt und erhielt in Folge zahlreiche Bauaufträge. In Österreich dagegen konnte Neutra nur ein Haus verwirklichen – das kleine Einfamilienhaus in der Wiener Werkbundsiedlung wurde 1932 fertiggestellt.

Ein Vorreiter nachhaltigen, ökologischen Wohnens
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Neutras Einfamilienhäuser zu Modellen für das neue Wohnen der Mittelschicht: Die offenen Grundrisse brachten neue Wohnbedürfnisse zum Ausdruck und machten durch innovative, leichte Konstruktionen eine maximale Öffnung zur umgebenden Landschaft möglich. Der Mensch, so Neutra, sollte möglichst „naturnah“ leben. Die Bedürfnisse der Bewohner wurden mittels Fragebögen erhoben. Standardisierung, Präfabrikation und billige Baumaterialien sollte diese Architektur allgemein erschwinglich machen. Auch in seinen einflussreichen Büchern hatte Neutra stets die großen sozialen Fragen im Blick. Heute gelten Neutras Häuser als Luxusimmobilien, während er selbst im Schaffen von leistbarem Wohnraum und einer gesellschaftlich relevanten Architektur ein wesentliches Ziel seiner Arbeit sah. Neutra galt nun als einer der prominentesten Architekten der USA. 1949, auf dem Zenit seines Ruhmes, ehrte ihn das „Time“-Magazin mit einem Titelbild.

Die Rückkehr nach Wien
In den 1960er-Jahren versuchten Richard und Dione Neutra, in Wien Fuß zu fassen. Doch trotz zahlreicher Ehrungen, Ausstellungen und Versprechen seitens einflussreicher Politiker blieben die Jahre in der alten Heimat Episode: Die Architekten Wiens fürchteten die prominente Konkurrenz aus Amerika, den Jungen galt Neutra als Vertreter des Establishments. 1969 kehrten die Neutras resigniert nach Los Angeles zurück. Das bedeutendste Dokument dieser Zeit ist ein bemerkenswerter, heute weitgehend vergessener Film mit dem Titel „Die Ideen des Richard Neutra“.

Die Architekturfotografien von David Schreyer
Von den rund 300 Bauten, die Neutra in einer fast 50-jährigen Bautätigkeit realisieren konnte, steht der Großteil in Kalifornien. Aus diesem riesigen Pool wählten die Kuratoren des Wien Museums neun Häuser aus, die im Detail dokumentiert wurden. Zeitlich parallel zu ausführlichen Gesprächen, die Andreas Nierhaus mit den heutigen Bewohnern führte, entstanden die Fotografien von David Schreyer. Sie zeigen die Häuser in ihrem heutigen Zustand und ihrer aktuellen Nutzung – es sind keine aufgeräumten Hochglanzbilder, sondern präzise Analysen der alltäglichen Wirklichkeit dieser Bauten.

Die Fotografien können auch als Antwort auf die bekannten Schwarzweiß-Aufnahmen Julius Shulmans verstanden werden, die bis heute die Wahrnehmung von Neutras Bauten prägen. David Schreyer zeigt die Häuser nicht als überhöhte Kunstwerke, sondern als ästhetische hochwertige Gebrauchsobjekte.

Die in der Ausstellung präsentierten Häuser entstanden in einem Zeitraum von
30 Jahren, von 1936 bis 1966. Räumlich liegt der Schwerpunkt auf Los Angeles und dem Stadtviertel Silver Lake, wo bis heute zahlreiche Bauten Neutras wie auch sein eigenes Wohnhaus zu finden sind. Exkursionen führen in die noble Nachbarstadt Pasadena, in die Oase von Palm Springs und die Mondlandschaft von Lone Pine.

Die Häuser zeigen die ganze Bandbreite von Neutras Können im Einfamilienhausbau und vermitteln sein stringentes architektonisches System, das zugleich große Vielfalt und individuelle Abwechslung möglich macht. Viele der Häuser Neutras, ehemals häufig für die Mittelschicht konzipiert, sind mittlerweile Luxusobjekte und gleichzeitig nicht selten vom Abbruch bedroht, denn die rasant steigenden Grundstückspreise in Los Angeles machen die verhältnismäßig kleinen Bauten für die Immobilienwirtschaft unrentabel. Die Eigentümer der in der Ausstellung präsentierten Häuser waren nicht selten zugleich ihre Retter. So erzählen diese Häuser nicht nur von der Geschichte des modernen Wohnens, sondern auch von seiner radikalen Ökonomisierung in der neoliberalen Gegenwart.


RICHARD NEUTRA
Wohnhäuser für Kalifornien
Wien Museum MUSA, Felderstraße 6-8, 1010 Wien – bis 20. September 2020
Dienstag bis Sonntag und Feiertag, 10 bis 18 Uhr
www.wienmuseum.at
Erwachsene: EUR 7,- / ermäßigt EUR 5,-. Kinder und Jugendliche unter 19 Jahre – Eintritt frei!
Jeden ersten Sonntag im Monat für alle BesucherInnen – Eintritt frei!