Von „Born in the USA“ bis zu „Luka“ – Ein Buch deckt grobe Missverständnisse bei der Rezeption von Pop-Songs auf

Als Ronald Reagans Wahlkampfteam für seine zweite Kandidatur als US-Präsident  einen griffigen Song für seine Auftritte brauchte, fragten diese doch tatsächlich bei Bruce Springsteen an, ob er seinen Hit „Born in the USA“ dafür hergeben würde. Der lehnte klarerweise ab, doch das eigentlich Bemerkenswerteste ist, dass der besagte Song das komplette Gegenteil von Patriotismus a la Reagan darstellt. Springsteen erzählt darin die Geschichte eines Underdogs, der schon als Kind geschlagen wird, dann in der Kleinstadt mit der Polizei in Konflikt gerät und als letzten Ausweg in Vietnam kämpft, wo er jede Menge „yellow men“ massakriert. Wieder daheim wird er dann auch noch als Veteran verarscht. Etwas Unpassenderes als diesen Song kann man sich für eine Wahlwerbung kaum vorstellen.

Der deutsche Journalist Michael Behrendt hat fast 100 Songs gefunden, die diametral zu ihrer Botschaft konsumiert und eingesetzt werden. Das ist recht unterhaltsam und zeigt, dass schon vor der digitalen Überflutung das Zuhören eine rare Tugend war. Susan Vegas Song „Luka“ von 1987 handelt von einem Jungen, der täglich von seinen Eltern misshandelt wird – was aber Eltern nicht daran hinderte, ihn im Radio als Geburtstagssong für ihren Sohn zu wünschen. Udo Jürgens Chanson „Griechischer Wein“ wird vielleicht noch heute in alkoholgesättigten Bierzelten gesungen, obwohl er von der Einsamkeit griechischer Fremdarbeiter handelt und nicht etwa von maritimen Urlaubsfreuden.

Vieles kann man mit mangelnden Englisch-Kenntnissen erklären, oder dass manches im Dialekt oder Slang nicht verstanden wird – aber das meiste sind Missverständnisse, die einfach einer bequemeren Interpretation geschuldet sind. Die Songzeile „It never rains in Southern California“ von Albert Hammond kennt wohl jeder. Da denkt man an die goldenen Strände von Long Beach oder Santa Monica, aber dass es gleich darauf im Song – lässig übersetzt – heißt „Mädchen, ich warne dich, es schüttet dort!“ wird fast immer vergessen. Denn ja, die Gewitter in Kalifornien können heftig sein – auch wenn in dem Song wohl eher von seelischen Regengüssen die Rede ist.

Michael Behrendt ist ein Buch gelungen, in dem man immer wieder gerne blättert und liest und in dem man bisweilen Erstaunliches findet.

Michael Behrendt: Verhört, verkannt, vereinnahmt – 99 ½ missverstandene Songs. Reclam, 282 Seiten, € 19,95