Hoch soll sie leben – Donna Leon
Hoch soll sie leben! Die amerikanische Krimi-Diva Donna Leon stürmt mit ihrem 31. Brunetti-Band „Milde Gaben“ die Charts, tourt mit ihrer Barock-Band Il Pomo d’Oro um die Welt und feiert am 28. September ihren 80. Geburtstag.
Foto: Michiel Hendry / Interview: Elisabeth Hirschmann
Die US-Bestsellerautorin Donna Leon, Dozentin für englische Literatur und Erfinderin des venezianischen Commissario Brunetti, bringt seit 30 Jahren im Zürcher Diogenes Verlag immer Ende Mai einen neuen Venedig-Krimi heraus, jeder mit einem Opernzitat als Motto und monatelang an der Spitze der Belletristik-Charts. Im 31. Band, „Milde Gaben“ („Give unto Others“), verzichtet sie ganz auf Gewaltverbrechen und erforscht mit großer Eleganz in philosophischer Manier und melancholischem Ton Schwächen, Verrat, Eifersucht und das Altwerden.
Vor 41 Jahren hatte sie sich in Venedig niedergelassen, heute lebt die passionierte Liebhaberin der Barockoper, besonders des „Caro Sassone“ Georg Friedrich Händel, im schweizerischen Graubünden. „La Serenissima“ ist nur noch gelegentliches Sehnsuchtsziel, wenn sie Freunde besuchen will. Die reiche Ausbeute ihrer literarischen Erfolge steckt Donna Leon, die sich als „Händel-Junkie“ bezeichnet, in die Barockmusik. 2012 hat sie das Schweizer Originalklang-Ensemble Il Pomo d’Oro gegründet, und sie begleitet – mit finanzieller und geistiger Unterstützung – die Aufnahmen der 42 erhaltenen Händel-Opern. Am 28. September feiert die kleine, kluge Lady mit dem stechenden Blick ihren 80. Geburtstag. Ad multos annos!
wienlive: „Milde Gaben“ ist ein unüblicher Krimi ohne Mord. Warum verzichten Sie darauf?
Donna Leon: Ich habe immer gesagt, dass ich die Bücher nicht plane. Ich beginne einfach, die Geschichte zu erzählen, und schreibe immer weiter, sodass ich entdecken kann, was passiert. Ob es einen Mord geben wird oder ein anderes Verbrechen, weiß ich nicht, das muss ich erst herausfinden. Wenn Dinge passieren oder nicht, ist es für mich eine ebenso große Überraschung wie für den Leser. Ich bin sicher, dass alle dramaturgischen Entscheidungen an einem unbewussten Ort in meinem Gehirn getroffen werden, aber sie springen erst im richtigen Moment auf die Seite.
Es geht um Gier, Betrug, Eifersucht, Vertrauensverlust und Altwerden. Wird Brunetti pessimistischer, je älter er wird?
Ich fürchte, er wird pessimistischer oder erschöpfter wegen der vielen Gräueltaten, welche die Leute einander antun. Das ist weit verbreitet unter den Menschen, wenn sie alt werden. Ich werde pessimistischer auf eine intellektuelle Weise: Es genügt, den „Guardian“ zu lesen, um pessimistisch zu sein. Aber, und es ist ein glückliches „Aber“ für mich, ich finde das Leben sehr angenehm und habe viel Freude daran. Das ist allerdings eine gefühlsmäßige Reaktion auf meine eigene Welt. Wenn ich auf die größere Welt schaue, ist es schwierig, nicht schwarzzusehen.
Wenn Brunetti über Leben und Tod nachdenkt, holt er sich Rat in der klassischen Literatur; diesmal liest er Ciceros „Orationes in Verrem“, die Reden gegen den korrupten römischen Proprätor
in Sizilien, und die „Oneirokritika“ von Artemidoros, die einzige Traumdeutung der antiken Welt …
Brunetti liest klassische Literatur auf die gleiche Weise wie ich. Ich lese die alten Texte, um herauszufinden, wie Menschen Tausende Jahre vor uns dachten und Entscheidungen trafen, was sie für selbstverständlich hielten, für gut und schlecht, für moralisch und unmoralisch. Ich finde Artemidoros faszinierend, weil für ihn und seine Zeitgenossen Träume die Zukunft voraussagten, während wir wollen, dass sie über die Vergangenheit erzählen, ein verborgenes Geheimnis enthüllen. Vielleicht sind sie nicht mehr als Träume, das psychologische Pendant zum Beine-Ausstrecken oder Schnarchen.
Das Motto stammt wieder aus einem Werk von Händel, der Hymne „Blessed are they that considereth the poor“, die „Il caro Sassone“ für das Foundling Hospital in London komponierte. Warum diesmal ein Kirchenlied?
Weil diese Hymne sagt, dass diejenigen, die den Armen geben, gesegnet sein werden. „Milde Gaben“ ist ein Buch über die Armenfürsorge.
Sie haben das Buch Heike Bischoff-Ferrari gewidmet, der Professorin für Altersmedizin in Zürich …
Über die Jahre ist Heike eine gute Freundin geworden: Sie ist anständig, intelligent und lebt für das Wohlbefinden ihrer Patienten. Vergessen wir nicht Vitamin D, Omega-3 und die körperliche Ertüchtigung! Sie erinnert mich an die Ärzte meiner Jugend, die sich auch darum gekümmert haben, dass es den Leuten gut geht.
Am 28. September feiern Sie Ihren 80. Geburtstag. Herzliche Gratulation! Was wünschen Sie sich vom Universum?
Spaß haben, liebenswürdig sein, Händels Musik hören.
Ist Ihnen Händels Musik wichtiger als die Bücher, die Sie schreiben?
Händels Musik ist sicherlich viel wichtiger als meine Bücher. Das sind Krimis, vergessen Sie das nicht! Seine Musik ist auf der gleichen Höhe, was Schönheit und Genialität betrifft, wie die besten Gedichte oder Romane der Weltliteratur.
Vor zehn Jahren haben Sie ein Originalklang-Orchester gegründet, das auf alten Instrumenten sehr viel Händel spielt: Il Pomo d’Oro. Sie treten mit den Musikern auf und unterstützen ihre Aufnahmen. Haben Sie nie daran gedacht, selbst Musikerin zu werden?
Einige Freunde und ich hatten die Idee, ein Barock-Ensemble zu gründen. Aber weil ich keine Musikerin bin und wenig über die Musikwelt wusste, konnte ich – abgesehen von meinem Enthusiasmus – nicht viel beitragen. Ich bin Zuschauerin und Zuhörerin. Ich habe nie gelernt, eine Partitur zu lesen, außerdem spiele ich kein Instrument. Aber ich liebe die Barockmusik, kenne und schätze die Musiker im Orchester und habe einen Riesenspaß daran, ihnen zuzuhören, auf den Proben oder bei den Aufführungen.
Sie leben seit ein paar Jahren nicht mehr in Venedig, sondern in der Schweiz. Wenn Sie die Palazzi der „Serenissima“ und Vivaldis Musik mit den Bergen und den Kühen vergleichen: Was sind die Vorteile der Schweiz?
Ich bin vor einigen Jahren nach Graubünden übersiedelt, davor habe ich den Sommer in der Schweiz verbracht, um der Hitze zu entfliehen und meinen kleinen Garten umzugraben. Die Gegend hat so ziemlich dieselbe Landschaft, die ich als Kind in New Jersey kannte; es gibt auch viele Kühe und wenig Leute. Ein weiterer Vorteil ist die Nähe zu Italien.