Die Österreichische neue Moderne

Albertina modern im Künstlerhaus Wien, Eröffnungsausstellung The Beginning, Kunst in Österreich1945-1980.

The Beginning


Mit „The Beginning“ zeigt das neue Museum Albertina Modern im Künstlerhaus österreichische Kunst in den entscheidenden Jahrzehnten nach 1945. Vom Aufbruch nach dem Krieg bis zur Wende 1980.
Text: Helmut Schneider / Fotos: Albertina Wien, Sammlung Dagmar und Manfred Chobot © ART BRUT KG, Maria Lassnig Stiftung / Bildrecht, Wien, 2020, Estate Robert Klemmer


Mit der Albertina Modern besitzt Wien jetzt im komplett sanierten und adaptierten Künstlerhaus ein weiteres großes Museum für die Gegenwartskunst. Auf mehr als 2.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche werden hier zukünftig große Themenausstellungen nationaler wie auch internationaler Kunst nach 1945 stattfinden. Coronabedingt musste die echte Öffnung auf 27. Mai verschoben werden. Dafür ist die erste Ausstellung eine kleine Sensation. Besucher bekommen einen veritablen Überblick über das heimische Kunstschaffen nach dem Zweiten Weltkrieg bis ins Jahr 1980. Studiert werden kann dabei auch, wie schwer es die moderne Kunst in Österreich hatte und wie lange noch das nationalsozialistische Kunstideal vom reinen Schönen nachwirkte. Das Künstlerhaus diente etwa in der NS-Zeit als Ort der berüchtigten Ausstellung „Entartete Kunst“, in der die Nazis pauschal die Moderne verunglimpften. Die Wiener Avantgarde war dann nach dem Krieg lange Jahre auch eine Geschichte von Kunstskandalen.
Wobei die Ausstellungsmacher von „The Beginning“ davon ausgehen, dass es in Österreich nach 1945 stets mehrere Avantgarden gegeben hat. Es herrschten sogar Gräben zwischen dem Phantastischen Realismus – in Österreich die erste künstlerische Erneuerung nach Jahrzehnten der Stagnation und Provinzialisierung – und der abstrakten Malerei, zwischen dem Wiener Aktionismus und der konkreten und geometrischen Kunst.

Albertina modern im Künstlerhaus Wien, Eröffnungsausstellung The Beginning, Kunst in Österreich1945-1980.

Gemeinsame Feinde
Gemeinsam sind den Künstlerinnen und Künstlern dieser Avantgarden die radikale Auflehnung gegen Autorität und Hierarchie, die Kritik an der Verdrängung vergangener Schuld und die kompromisslose Zurückweisung eines reaktionären Kunstverständnisses, das weit über 1945 hinaus in Österreich als Ideal gilt. Gegen dieses Ideal verstoßen die Schreckensbilder des frühen Ernst Fuchs, Anton Lehmden und Rudolf Hausner. Die Wiener Aktionisten von Otto Mühl bis Günter Brus und Hermann Nitsch spielen auf das gängige reaktionäre Kunstverständnis an, während die Abstrakten, Wolfgang Hollegha und Markus Prachensky, dagegen anmalen. Die gesellschaftskritischen Realisten von Alfred Hrdlicka über Reimo Wukounig bis Gottfried Helnwein verfluchen dieses Ideal und Wiens Speerspitze der Art Brut von Franz Ringel bis Peter Pongratz verspottet es.

Erst nach und nach wiederentdeckt wurden die Künstlerinnen, die ab den späten 1960er-Jahren den Konflikt der Geschlechter beziehungsweise die gesellschaftliche Benachteiligung der Frau zum Ausgangspunkt ihrer widerständigen Kunst machen. Sie bekämpfen das reaktionäre Ideal ebenfalls: Die Aktionistin Valie Export und die spätere feministische Avantgarde, von Renate Bertlmann und Friederike Pezold bis Birgit Jürgenssen und Karin Mack, sind es nicht nur leid, sich von Männern repräsentieren und darstellen zu lassen. Sie positionieren sich radikal gegen die patriarchale Gesellschaft, die immer noch von den Geschlechterrollen, Zwängen und Tabus des „Austro-Faschismus“ und „Dritten Reichs“ geprägt ist.
„The Beginning“ widmet aber auch den bedeutenden EinzelgängerInnen Friedensreich Hundertwasser, Arnulf Rainer und Maria Lassnig eigene Räume. Was Skulptur und Objektkunst in diesem Zeitraum leisten, veranschaulichen Hauptwerke von Joannis Avramidis und Rudolf Hoflehner über Wander Bertoni und Roland Goeschl bis Curt Stenvert, Bruno Gironcoli und Cornelius Kolig.

Albertina modern im Künstlerhaus Wien, Eröffnungsausstellung The Beginning, Kunst in Österreich1945-1980.

Epochenabgrenzungen
Es ergibt sich für diese Ausstellung eine Epochengrenze, die über die Besatzungszeit hinausreicht und der erst mit den 1980er-Jahren ein anderer, ein neuer Abschnitt der Kunstgeschichte gegenübersteht. Für die in den 1950er-Jahren geborene Generation waren der Nationalsozialismus und das in ihm verankerte Kunst- und Gesellschaftsverständnis keine Bezugsgrößen mehr. 2021 wird mit „The Eighties“ dieser neue Abschnitt ebenfalls zum Gegenstand einer großen Ausstellung in der Albertina Modern.


„The Beginning“
KUNST IN ÖSTERREICH ZWISCHEN 1945 UND 1980
– Etwa 340 Werke von 74 Künstlerinnen und Künstlern
– Katalog erhältlich um € 49,90 (Deutsch) im Shop der ALBERTINA MODERN und der ALBERTINA
– Öffnungszeiten: täglich 10–18 Uhr
albertina Modern im Künstlerhaus, Erd- und Untergeschoß
Karlsplatz 5 | 1010 Wien –
T +43 (01) 534 83 0
albertina.at