Buchtipp – Heimito von Doderer, Die Wasserfälle von Slunj
Ein Buchtipp von Helmut Schneider. Heimito von Doderer: Die Wasserfälle von Slunj
Für viele ist dieser letzte erschienene Roman (1963) Doderers gelungenstes Prosawerk. „Die Wasserfälle von Slunj“ sind „Doderer im Goldenen Schnitt, sind Doderer in Vollendung, sie sind die Essenz seines Schreibens…“ findet etwa Schriftstellerkollegin Eva Menasse im Nachwort der Jubiläumsausgabe.
Nun, die „Die Wasserfälle von Slunj“ sind mit knapp 400 Seiten zunächst einmal viel weniger umfangreich als „Die Strudlhofstiege“ (900 Seiten) und „Die Dämonen“ (1350 Seiten). Und sie haben daher naturgemäß auch viel weniger Personal. Allerdings waren sie auch bloß als erster Teil eines Romanprojektes gedacht, das Doderer sich in Analogie zu Beethovens 7. Symphonie vierteilig dachte. Da der Autor allerdings wenig später 1966 verstarb, sind nur noch Entwürfe von den weiteren Teilen übriggeblieben.
Wir erleben das Schicksal der englischen Industriellenfamilie Clayton ab den 70er-Jahren des 19. Jahrhunderts. Rasch erzählt Doderer von der Heirat des jungen Robert Clayton mit Harriet und ihrer Hochzeitsreise auf den Kontinent, wo sie auch in Wien Halt machen – noch nicht wissend, dass sie sehr bald schon dort leben werden. Denn für die Maschinenfabrik Clayton empfiehlt sich eine Firmenzentrale in Mitteleuropa. Besonders beeindruckt ist das Paar aber von den Wasserfällen, den Wassermassen im kroatischen Slunj. Und genau dort wird ihr Sohn Donald, der 9 Monate später geboren wird, dann auch viele Jahre später ums Leben kommen. Die Fälle bilden sozusagen die Klammer des Romans. Dazwischen hat Doderer aber eine Fülle von Schicksalen gespannt – vom Aufstieg des einfachen Buchhalters Chwostik zum eigentlichen Firmenchef bis zum einfachen Volk der Hausmeister und Prostituierten, der Salondamen und Museumswärter. Die Kunst des Erzählers ist es, die jeweiligen Leben in wenigen Szenen auszustellen und dabei die Leser auch noch bestens zu unterhalten. Doderer ist unzweifelhaft einer der humorvollsten Autoren, die die österreichische Literatur je hervorgebracht hat.
Das dunkle Zentrum des Romans aber bildet der Industriellensohn Donald Clayton. Er lernt mühelos, ist technisch begabt und kann alle an ihn gestellten Anforderungen zur Zufriedenheit erfüllen. Allerdings redet er schon als Kind kaum und als er sich dann eine Partnerin fürs Leben suchen sollte, versagt er natürlich kläglich. Doderer gelingt dabei eine der witzigsten Szenen der Literatur. Während sich die von ihm verehrte Monica in ihrem Schlafzimmer bereits nackt auszieht und Donald dies auch andeutet, glaubt dieser, sie wolle erst noch einen Brief schreiben und betrachtet eine halbe Stunde lang wortlos den anbrechenden Starkregen. Wenig später kommt Donald dann bei einem ähnlichen Setting fast ums Leben. Doderer hat das Inszenieren solcher Parallelen spürbar Spaß gemacht. Das Scheitern und die Katastrophe Donalds so kurz vor dem Ersten Weltkrieg hat möglicherweise auch noch als Beispiel für ein viel größeres kommunikatives Versagen Bedeutung. Die Qualität dieses Romans liegt eben auch darin, dass er viele Deutungen zulässt.
„Die Wasserfälle von Slunj“ können sicher als ein Appetitmacher zum Romanwerk Heimito von Doderers herhalten. Und sie sind – auch wenn Doderer die großen politischen Probleme der Zeit seltsam ausspart – zweifelsohne eine schillernde Darstellung der Wiener Gesellschaft vor dem Ende der Donaumonarchie.
„Die Wasserfälle von Slunj“ von Heimito von Doderer, C.H.Beck Verlag
€ 24,90
ISBN: 978-3-406-69960-3