Warhol im Mumok

Abseits der Suppendosen


Im mumok wirft eine Ausstellung einen Blick auf das wenig bekannte, aber überraschend interessante Frühwerk des Popkultur-Chamäleons. Marianne Dobner hat die Warhol-Ausstellung im mumok kuratiert.
Text: Helmut Schneider / Fotos: Stefan Joham


Andy Warhol scheinen alle schon zu kennen. Seine Porträts von Celebrities wie Marilyn Monroe oder Mao, seine Suppendosen und seine „Death and Disaster“-Serie mit Autounfällen und dem elektrischen Stuhl sind fast schon popkulturelle Klischees – ähnlich wie Klimtreproduktionen. Das mumok beschäftigt sich nun aber in den Ausstellungen „ANDY WARHOL EXHIBITS a glittering alternative“ und „DEFROSTING THE ICEBOX“ mit Andy Warhol als Installationskünstler und Kurator. Gezeigt werden dabei auch frühe Arbeiten wie Zeichnungen, die der damals noch als gefragter Illustrator beschäftigte Künstler anfertigte. Kunstwerke, die Warhol später nicht mehr zeigen wollte – war er doch inzwischen selbst zur Kunstfigur und zum lebenden Mythos geworden. Im mumok bekommt man jetzt quasi einen rohen Warhol zu sehen, einen sehr witzigen noch dazu, der in Zeichnungen Penisse als Personen auftreten ließ oder sich über die Modeszene lustig machte. In „DEFROSTING THE ICEBOX“ wird eine Ausstellung dokumentiert, die Warhol Ende der 60er-Jahre in Providence veranstaltet hat – mit Objekten ausschließlich aus den Depot-Beständen des Museum of Art der Rhode Island School of Design. Die Kuratorin beider Schauen, Marianne Dobner, hat dabei auch Warhols Idee aufgegriffen und sich mit Objekten aus dem Wiener Weltmuseum und der Antikensammlung des KHM bedient.

wienlive: Andy Warhol ist einer der meistgezeigten und bestdokumentierten Künstler – warum bringt ihn das mumok jetzt trotzdem?
MARIANNE DOBNER: Wir hatten tatsächlich seit fast 40 Jahren keine Warhol-Ausstellung – die letzte Schau war 1981 im 20er-Haus, als Warhol noch gelebt hat. Der zweite Grund ist, dass ich selbst seit acht Jahren über Andy Warhol forsche und auch meine Doktorarbeit über ihn schreibe – die Ausstellungen sind sozusagen auf meinen Vorschlag hin entstanden.

Warhol ist ja einer der teuersten Künstler – wie schwer ist es da, an Objekte heranzukommen?
DOBNER: Beim Frühwerk ist es nicht ganz so schwierig. Das ist zwar zerstreut – es braucht also viel Recherche, um herauszufinden, wo die einzelnen Arbeiten sind –, aber andererseits sind die Versicherungssummen nicht so hoch.

Es heißt aber auch, Warhol wollte sein Frühwerk eher verstecken …
DOBNER: Ja, das hat er tatsächlich versucht. Ab 1962 hat er sein künstlerisches Frühwerk nicht mehr öffentlich ausgestellt und hat alle Ausstellungsprojekte, die Retrospektiven zeigen wollten, unterwandert, indem er gesagt hat, ihr bekommt meine Leihgaben, aber nur wenn ihr das Frühwerk ausklammert. 

Und warum wollten Sie dann justament das Frühwerk zeigen?
DOBNER: Ich glaube einfach, dass man diesen Mythos Warhol, diesen Charakter ohne Vergangenheit, nur dann verstehen kann, wenn man sich auch mit seinen Anfängen beschäftigt. In den Fünfziger Jahren hat er noch viel experimentiert, er war auf dem Papier sogar mutiger als dann später auf der Leinwand. Vieles hat er damals probiert, was später perfektioniert wurde. Die meisten, die heute Warhol kuratieren, haben Warhol ja noch persönlich gekannt – das ist bei mir nicht der Fall, wodurch ich einen gewissen historischen Abstand zu ihm habe. Mein Vorteil ist: Ich kann sein Werk aus einem anderen Blickwinkel ansehen, denn ich bin einfach aus einer anderen Generation.

Haben Sie ein persönliches Lieblingswerk in der Ausstellung?
DOBNER: Mir gefallen etwa die marmorierten Papierarbeiten gleich beim Eingang sehr gut, die ich im Archiv des Warhol-Museums in seiner Geburtsstadt Pittsburgh gefunden habe. Es heißt ja immer, Warhol habe in den Fünfziger Jahren nicht abstrakt, sondern nur figurativ gearbeitet. Mit diesen Arbeiten kann man das absolut widerlegen.
Spannend ist auch, dass er diese alte Technik des Marmorierens verwendet hat, bei der ein Blatt in einem Bad aus Öl und Farbe so lange geschwenkt wird, bis man die gewünschte Struktur erreicht. Warhol hat die Blätter anschließend zu Papierfiguren gefaltet und an der Wand aufgehängt oder am Boden verstreut.
Das war 1954 – vielleicht also eine seiner frühesten Installationen. Auf der Rückseite der Arbeiten kann man sogar noch Pfotenabdrücke von Warhols Katzen erkennen. Und man sieht, dass sich Warhol bereits in dieser frühen Zeit intensiv mit dem Raum auseinandergesetzt hat.

Zu dieser Zeit hat er ja noch sehr erfolgreich als Grafiker gearbeitet, oder?
DOBNER: Definitiv. Er war in den Fünfziger Jahren wirklich ein sehr gut verdienender Grafiker und hat bis in die 70er-Jahre immer wieder illustriert – etwa Kinder- und Kochbücher. Bereits Mitte der 50er-Jahre konnte er sich dadurch sein erstes Town-House in Manhattan leisten.

Zu den berühmten Silver Clouds. Sie haben die damalige Ausstellung sozusagen nachgestellt?
DOBNER: Ja, „Silver Clouds and Cow Wallpaper“ wurde 1966 bei Castelli gezeigt. Im ersten Raum gibt es nur die Tapete mit den sich wiederholenden Kuhköpfen und im zweiten die mit Helium gefüllten silbernen Kissen. Wir wollten zeigen, dass für Warhol der Raum immer ein wichtiger Teil der Ausstellung war. Es war bewusst als Doppelinstallation konzipiert. Die Idee besteht aus der Darstellung von Gegensätzen – der leere bunte Raum mit der rosa Kuh an der Wand und der monochrome Raum mit den dreidimensionalen, sich bewegenden silbernen Kissen, wo die Gäste auch aktiv werden müssen.

Wie haben das die Besucher aufgenommen?
DOBNER: Nicht so schlecht, wobei gesagt werden muss, dass Warhol in Europa immer besser verstanden wurde als in den USA. „Silver Clouds and Cow Wallpaper“ kam ja später auch nach Köln und einige andere Städte. Und da war das Publikum wirklich begeistert. Man darf auch nicht vergessen, dass das völlig unverkäuflich war – obwohl Castelli schon sehr kommerziell ausgerichtet war.


Felix Salten

Der talentierte Mr. Salten


Eine Doppelausstellung im MUSA und in der Wienbibliothek zeigt Bambi-Erfinder Felix Salten als Netzwerker und aufgeweckten Europäer, der auch die USA bereiste. Ab 8. Dezember hat das Wien Museum wieder für Besucher geöffnet.
Text: Helmut Schneider / Foto: Sabine Hauswirth, Wien Museum


Felix Salten hatte das Glück, das pulsierende Wien vor dem Ersten Weltkrieg erleben und sogar mitgestalten zu dürfen, und das Pech, noch im Alter vor den Nazis fliehen zu müssen. Zu seinem 75. Todestag gibt es jetzt zwei zusammenhängende Ausstellungen im Wien Museum/MUSA und in der Wienbibliothek, die sein vielschichtiges Werk als Autor, Journalist und Drehbuchschreiber sowie sein bewegtes Leben darstellen. Salten hat sich mit viel Fleiß und Geschick aus bescheidenen familären Verhältnissen zu einem gut verdienenden, einflussreichen Wiener Intellektuellen hochgearbeitet. Er war ein offener Charakter, der etwa auch mit Begeisterung für die aufkommende Filmindustrie produzierte. An den Filmrechten für seinen größten Erfolg – „Bambi“ – hat er freilich nicht viel verdient, da er sie schon vor der Disney-Anfrage verkauft hatte. Aber als Buch war „Bambi“ natürlich ein Riesenerfolg, der ihn dazu bewegte, noch mehrere Tiergeschichten „nachzuschießen“. Wir befragten dazu Ursula Storch, Kuratorin der Schau im MUSA.

Felix Salten, Filmstill aus „Die kleine Veronika“, 1929 (Ausschnitt) – ein Beispiel für Saltens umfangreiches Filmschaffen in Wien

wienlive: Wie kam es zur Idee einer Salten-Ausstellung?
URSULA STORCH: Die Idee stammt von Sylvia Mattl-Wurm, der damaligen Direktorin der Wienbibliothek, die sich auch darum bemüht hatte, dass 2015 der Salten-Nachlass aus Zürich nach Wien kam. Ihr schwebte immer auch eine Ausstellung im Umfeld der Kunst vor und diese Kooperation zwischen Wien Museum und Wienbibliothek war quasi das Letzte, was sie auf Schiene bringen konnte, bevor sie in die wohlverdiente Pension gegangen ist.

Was macht Felix Salten heute noch interessant?
STORCH: Für mich ist faszinierend, dass Salten zu fast allen berühmten Menschen seiner Zeit Kontakt hatte. Ich stelle mir das so vor wie ein Spinnennetz, in dem alle bedeutenden Promis eingefangen sind, und merkwürdigerweise kennt man den, der in der Mitte als Spinne sitzt, am wenigsten. Salten war ein genialer Netzwerker, lange bevor es diesem Begriff überhaupt gegeben hat.

Er war auch ein Aufsteiger, der zeitlebens gut verdient hat …
STORCH: Ja, er war sogar ein Schulabbrecher, weil er einfach für seine Familie Geld verdienen musste. Trotzdem hat er dann auch gerne Geld ausgegeben und war ein bisschen ein Dandy, der immer Wert auf sein elegantes Erscheinungsbild gelegt hat. Salten war auch einer der ersten Wiener, die sich ein eigenes Auto leisten konnten.

Was waren seine Einnahmequellen?
STORCH: Primär seine journalistische Arbeit, die immer seine ökonomische Basis darstellte. Aber er war auch als Schriftsteller sehr erfolgreich und sehr anpassungsfähig. Er hatte das Talent, wirklich klug und geschickt mit Sprache umgehen zu können. Er war so etwas wie ein Sprachchamäleon, das wirklich jedes Genre bedienen konnte – durchaus auch in der Absicht, für den Markt zu schreiben, um damit möglichst viel Geld zu verdienen. Von ihm gibt es wirklich alles: Operettenlibretti, Theaterstücke, 
Reiseberichte, Übersetzungen, natürlich Feuille-
tons, Kinderbücher, Drehbücher und Romane.

Trotzdem kennt man ihn heute nur noch als Bambi-Erfinder und Vielleicht-Mutzenbacher-Autor – warum?
STORCH: Ich denke dadurch, dass er so extrem für den Markt geschrieben hat, gelang ihm nichts wirklich Bleibendes. Er schrieb einfach das, was seine Zeitgenossen verlangt haben.

Interessant ist auch, dass er international interessiert war, wie seine USA-Reise zeigt …
STORCH: Er muss auch sehr gut Englisch gesprochen haben, denn er hat ja auch Übersetzungen gemacht. Es gibt Fotos, wo er neben Buster Keaton und Marlene Dietrich steht.

Weil er so ein Alleskönner war, hat ihm Karl Kraus auch die „Josefine Mutzenbacher“ angedichtet…
STORCH: Im Katalog führt Murray G. Hall aus, warum die „Mutzenbacher“ mit großer Wahrscheinlichkeit nicht von Felix Salten verfasst wurde. Obwohl in seinem Nachlass jetzt eine pornographische Erzählung aufgetaucht ist – allerdings viel später, nämlich in den 30er-Jahren, geschrieben und stilistisch völlig anders als „die Mutzenbacher“.

Was ist Ihr Lieblingstext von Felix Salten?
STORCH: Mir gefallen seine essayistischen Stücke am besten. Ein Tipp wäre etwa seine Darstellung des Wiener Praters – „Wurstelprater“ (1911) –, den er so beschreibt, wie es ihn wahrscheinlich damals schon nicht mehr gab. Da offenbart sich eine große Sehnsucht nach dem Urwienerischen.


Im Schatten von Bambi – Felix Salten entdeckt die Wiener Moderne
Wien Museum im MUSA, 1010 Wien, Felderstraße 6–8
Dienstag bis Sonntag & feiertags: 10 bis 18 Uhr
Wienbibliothek im Rathaus, Ausstellungskabinett
1082 Wien, Rathaus, Eingang Felderstraße, Stiege 6
Montag bis Freitag: 9 bis 17 Uhr
Eintritt frei!

Martin Schläpfer – der neue Direktor

Tänzer, Choreograf & Philosoph


Gewinnend ehrlich. Leicht hat es sich Martin Schläpfer nie gemacht. Als neuer Direktor möchte er das Wiener Staatsballett international noch bekannter machen.
Text: Ursula Scheidl / Fotos: Ashley Taylor, Tillmann Franzen


Dass das Interview anders als sonst ablaufen würde, darauf war ich vorbereitet: Fiebermessen beim Eingang in die Staatsoper, zweimalige Registrierung, FFP2-Maske aufsetzen, kein Fotograf, viel Abstand – die Sicherheitsmaßnahmen sind enorm! Schließlich geht es doch darum, den Probe- und Spielbetrieb unter keinen Umständen zu gefährden. Martin Schläpfer verspätet sich – um drei (!) Minuten – und entschuldigt sich ausführlich. Pünktlichkeit ist dem gebürtigen Schweizer wichtig. Er ist sehr freundlich, aber kein „Showman“ und lässt sich gerne zu Gedankenspielen verführen. Für seine Antworten nimmt er sich viel Zeit, so viel, dass er beinahe seinen Folgetermin vergisst. Geschwätz ist ihm fremd, was er sagt, muss stimmen, aber nicht immer stimmig sein. Aus einer Appenzeller Bauernfamilie stammend, sollte der jüngste von drei Brüdern entweder Biobauer oder Lehrer werden. Während seiner Schulzeit nahm er Geigenunterricht und erlernte den Eiskunstlauf. Da sah ihn die lokale Ballettlehrerin Marianne Fuchs und überredete ihn 1975, im Alter von fünfzehn Jahren, eine Ballettausbildung zu beginnen. 1977 gewann Schläpfer als bester Schweizer beim Prix de Lausanne ein Stipendium, das ihm ein weiteres Ballettstudium an der Royal Ballet School in London ermöglichte.

Martin Schläpfer ist der neue Direktor des Wiener Staats-balletts. Davor war er 11 Jahre Ballettdirektor und Chefchoreograf an der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf und Duisburg, wo er das Ballett komplett neu formierte.

wienlive: Sie haben – gegen den anfänglichen Widerstand Ihrer Eltern – relativ spät mit dem Tanzen angefangen …
MARTIN SCHLÄPFER: Ich war ein Spätzünder und sah im Alter von 15 aus wie elf. Aber ich war völlig begeistert von diesem Ballett, das war für mich einfach alles. Darum habe ich mich wahrscheinlich auch über die Grenzen verausgabt, wurde schlechter in der Schule. In St. Gallen, in der Provinz in den 70er-Jahren war das für meine Eltern sicherlich sehr belastend.

Trotzdem haben Sie international Karriere gemacht. Wie ist Ihnen das gelungen?
SCHLÄPFER: Man muss ab und zu einen Widerstand überwinden, um herauszufinden, was man unbedingt will. Ich hatte auch immer das Glück, wirklich die für mich besten Lehrer zu haben. Und auch nicht angepasste Künstler, die mich ein Stück weit unterstützt haben.

Man sagt Ihnen nach, dass Sie ein wenig störrisch und eigensinnig waren, sind Sie es noch?
SCHLÄPFER: Ja, ich denke schon, aber weniger emotional, sondern mehr der Tanzkunst wegen, die man durchaus ab und an zu verteidigen hat. Ein wenig hat das auch mit meiner bäuerlichen Erziehung zu tun, dass man sich nur bis zu einem gewissen Punkt dreinreden lässt. Aber ich hoffe, dass ich heute durchaus auch zur Diplomatie fähig bin.

Warum haben Sie bereits mit 27 aufgehört zu tanzen?
SCHLÄPFER: Ich war beim Basler Ballett künstlerisch verloren und habe intuitiv gemerkt, dass ich einen Wechsel brauche. Ich war ein sehr scheuer und gleichzeitig sehr kraftvoller Mensch, aber ich spürte, dass ich als Persönlichkeit etwas auffüllen muss und nicht immer anecken kann.

Tut es Ihnen leid, das Tanzen so früh aufgegeben zu haben?
SCHLÄPFER: Nein, weil ich heute nicht dort wäre ohne diesen Schnitt, aber natürlich tut es mir weh. Ich war hochbegabt und hätte eine Weltkarriere machen können, aber ich habe die Entscheidung selber zu verantworten.

In Bern haben Sie als Choreograf begonnen. Was braucht ein guter Choreograf?
SCHLÄPFER: Eine sehr starke Verbindung zu sich selber und zu den Dingen, die einem wichtig sind. Die Stücke können schön aussehen, aber ein Stück braucht eine Handschrift. Im besten Falle kommt man mit den Jahren zu einem unaustauschbaren Look. Vorbilder in dem Sinne habe ich nie gehabt, aber ich brauche Lehrer, jemanden wie Hans van Manen, den ich sehr respektiere. Aber ich bin nie jemand gewesen, der ihnen nacheifert, deshalb hat es so lange gedauert. Ich brauchte etwa zehn Jahre, um ein bisschen besser als der Durchschnitt zu sein. Denn ich möchte nicht öffentlich arbeiten und mittelmäßig sein, ich glaube, dann muss man es lassen.

Sie waren in Düsseldorf sehr erfolgreich. Warum sind Sie nach Wien gekommen?
SCHLÄPFER: Als ich das erste Mal gefragt wurde, war ich zu jung. Jetzt hatte ich eigentlich auch einen anderen Lebensplan und wollte zurückschalten. Nach drei intensiven Gesprächen hat mich Bogdan Roščić überzeugt. Ich spüre, dass ich von dem Mann intellektuell lernen kann.

Was zeichnet das Wiener Staatsballett aus?
SCHLÄPFER: Manuel Legris hat eine tolle Compagnie mit virtuosen Tänzern aufgebaut. Ich wusste ja nicht, was auf mich zukommt. Im Moment ist die Energie einfach wunderschön, wir sind sehr schnell zusammengekommen. Natürlich gibt’s da Platz nach oben, aber alle arbeiten gerne, es gibt kein Beamtentum hier. Ich bin fordernd, aber ein fairer Typ, der gerne persönlich mit den Tänzern arbeitet.

Als erste Premiere haben Sie sich „Live“ und Mahlers Vierte ausgesucht. Warum?
SCHLÄPFER: Über viele Jahre ist die Freundschaft mit Hans van Manen gewachsen. Ich hatte immer zu viel Respekt, ich bin Schweizer und nicht so ein „buddy type“. Aber er hat mir bereitwillig das Stück, das praktisch nirgends zu sehen ist, für Wien gegeben. Dann wollte ich für die erste Vorstellung unbedingt dieses großartige Orchester integrieren. Musik ist beim Tanz sehr wichtig für mich. Mahlers Vierte ist eine der leichteren, spielerischen Symphonien, trotzdem nicht ohne Hinterlist. Dieses Paradies am Schluss ist keines. Die Opulenz einerseits mit mehr als hundert Tänzerinnen und Tänzern auf der Bühne und andererseits dieses grandiose Meisterstück mit einer Tänzerin – mir schien diese Kombination einfach schön. Zudem passt Mahler gut zu Wien: sinnlich und plötzlich wieder so tief-traurig oder fast suizidal.

Was mögen Sie an Wien und woran müssen Sie sich noch gewöhnen?
SCHLÄPFER: Die Stadt ist nicht so gehetzt, nicht so aufgepeitscht. Sie ist eine Metropole, aber sie hat eine Sinnlichkeit. Allerdings muss ich die indirekte, wienerische Mentalität noch ein bisschen erforschen. In der Schweiz überlegen wir uns fünfmal, ob wir überhaupt etwas sagen. In Wien wird unglaublich viel geredet. Ich muss mich bemühen, das zu mögen, aber das ist nichts Schlimmes.

Was möchten Sie nach den ersten fünf Jahren erreicht haben?
SCHLÄPFER: Dass wir als Wiener Staatsballett unentbehrlich wichtig geworden sind. Die erste Premiere wird wegweisend sein, ob ich es geschafft habe, mit dem Publikum zu kommunizieren oder nicht!

Sie sind jetzt fast 61, sind Sie glücklich mit der Person, die Sie geworden sind?
SCHLÄPFER: Ich bin zufrieden, es gibt einiges, das ich für mich persönlich noch gerne hinkriegen würde, aber ob mir das gelingt, wird meine Gesundheit zeigen.


Kuratorium für die umfassende Landesverteidigung

Unser Heer kann mehr


Was bedeutet eigentlich umfassende Landesverteidigung in Zeiten von Corona und Cyber Crime? Vier Vollprofis erklären, was wirklich dahinter steckt (von links): Mag. Jürgen Wimmer, Stabschef des KULV; Mag.(FH) Dr. Gottfried Reiter, Leiter des Bildungsinstitutes des Kuratoriums für die Umfassende Landesverteidigung; Mag. Dr. Wolfgang Baumann, Präsident des KULV; Mag. Anton Wessely, Sektionsleiter „Militärische Landesverteidigung“ im KULV.
Text: Ursula Scheidl / Foto: Arman Rastegar


Wenn wir an unser Bundesheer denken, fallen uns zunächst die Präsentation militärischen Geräts am Wiener Ring am 26.Oktober, Einsätze beim Hochwasserschutz oder an unseren Grenzen und nicht zuletzt die Aushilfe beim Paketdienst der Post ein. Unser Heer hilft immer dann, wenn Not am Mann ist. Aber ist das wirklich alles? Keineswegs! Zur umfassenden Landesverteidigung gehören die militärische, die geistige, die zivile und die wirtschaftliche Landesverteidigung. Das politisch unabhängige Kuratorium für Umfassende Landesverteidigung (KULV) forciert eine breite sicherheitspolitische Diskussion über die Notwendigkeit der Wiederbelebung der Umfassenden Landesverteidigung sowie deren notwendige Anpassung an die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen. Dies soll unter Einbindung des Parlaments und der Bevölkerung geschehen. Davon abgeleitet erstellt und kommuniziert das KULV modern und unkompliziert gesamtstaatliche Empfehlungen für Politik, Bund, Länder, Gemeinden und die Bevölkerung.

Warum wurde der Verein KULV 2015 gegründet?
Wolfgang Baumann: Wir mussten erkennen, dass in der Bevölkerung die Inhalte der umfassenden Landesverteidigung zu wenig verankert sind. Durch den EU-Beitritt meinen die Österreicher auch, dass wir uns im Bedarfsfall auf die EU verlassen können. Wir haben aber 2015 bei der Migrationskrise und jetzt bei der Pandemie gesehen, dass die EU hier keine Zuständigkeiten hat, und die Nationalstaaten unverändert ihre Aufgaben erledigen müssen.

Die militärische Landesverteidigung leuchtet ein. Was verstehen Sie unter geistiger Landesverteidigung?
Gottfried Reiter: Das ist die wichtigste Säule überhaupt, da geistige Landesverteidigung die ideellen Voraussetzungen schaffen soll. Hier soll bereits bei der Jugend angesetzt werden: warum gibt es die Wehrpflicht, was sind die Werte unserer Republik? Seit 1978 gibt es einen Erlass, in dem die Inhalte der geistigen Landesverteidigung und der poltischen Bildung geregelt sind. Allerdings können viele Lehrer damit nichts anfangen, die meisten verstehen darunter eine Werbemaßnahme des Bundesheeres. Tatsächlich sollten sie, abgeleitet von einem Bedrohungsbild vermitteln, welche Maßnahmen jeder Mensch in seinem Alltag zur Krisenvorbereitung treffen sollte, etwa die Bevorratung. Das muss natürlich altersadäquat erfolgen. Hier müssen wir ein gemeinsames Verständnis zwischen dem Unterrichts- und dem Verteidigungsministerium schaffen.

Ist die Sicherheitsschule in Wiener Neustadt ein erster Versuch?
Reiter: Im 5-jährigen HAK-Lehrplan soll natürlich ein Schwerpunkt auf die geistige Landesverteidigung gelegt werden. Vor allem der schulautonome Erweiterungsbereich „Führung und Sicherheit“ bietet sich dafür an. Gerade in Zeiten von Covid 19 ist es wichtig, Risikoszenarien gut abschätzen und entsprechend reagieren zu können.

Wie steht es mit der wirtschaftlichen und zivilen Landesverteidigung?
Jürgen Wimmer: Die Bevölkerung ist auf eine Krise nicht entsprechend vorbereitet, wenn es etwa einen längeren Stromausfall gibt oder die Wasserversorgung gestört ist. In anderen Ländern ist es selbstverständlich, dass man alles zu Hause hat, um auch ohne Strom zu überleben. Das ist besonders wichtig, um auch ohne Internet Nachrichten zu empfangen. In der wirtschaftlichen Landesverteidigung müssen wir die Bevorratung und die Logistikketten sicherstellen, dass wir im Rahmen der kritischen Infrastruktur Betrieb in Österreich unterstütze, während der Pandemie haben etwa Schutzmasken gefehlt.

Sind wir nun besser vorbereitet?
Wolfgang Baumann: Vermutlich ja. Allerdings kommt nun die Wirtschafskrise dazu, und man müsste festlegen, welche Betriebe infrastrukturell wirklich relevant sind. Diese muss der Staat entsprechend unterstützen.

Die Katastrophenhilfe wird von den Menschen in Österreich enorm positiv gesehen. Die Bevölkerung ist dankbar. Was stört Sie daran?
Anton Wessely: Im Prinzip nichts, aber das sind keine Aufgaben der Landesverteidigung. Einsätze zur Katastrophenhilfe bedürfen nur technischer Kräfte und Mann-Stärke und erfordern, so wie sicherheitspolizeiliche Assistenzeinsätze, kein militärisches Gerät. Die Fähigkeit zum militärischen Kampf ist das Alleinstellungsmerkmal des Bundesheeres gegenüber den anderen Einsatzorganisationen Österreichs.

Was sind die nächsten Ziele?
Wolfgang Baumann: Wir haben das große Glück ein Verfassungsgesetz zu haben, in dem Landesverteidigung nicht nur militärisch, sondern umfassend gesamtstaatlich betrachtet wird. Wir müssen die Herzen der Bevölkerung gewinnen und alle vier Aspekte bewusst machen. Auch in der Außenpolitik sollte klar sein, dass wir kooperative Nachbarschaftspolitik betreiben und nicht nur egoistisch an uns selber denken.


Interview mit Jonas Kaufmann

„Liedgesang ist die Königsklasse des Singens“


Superstar Jonas Kaufmann, der beste und schönste Heldentenor der Welt, hat bei Sony eine neue CD herausgebracht: „Selige Stunde“ versammelt romantische Liebes- und Abschiedslieder, darunter das melancholische „Allerseelen“ und die leidenschaftliche „Zueignung“ von Richard Strauss, Schumanns lyrische „Mondnacht“ und die inbrünstige „Widmung“, aber auch Mozarts herziges „Veilchen“ und Schuberts launische „Forelle“. Kongenial begleitet am Klavier von seinem Lehrer Helmut Deutsch, betört der bayerische Herzensbrecher mit seinem vitalen, baritonal gefärbten, ein wenig verschleierten Tenor und seinem leicht kehligen Timbre, mit brennender Leidenschaft und großen Gefühlen.
Text: Elisabeth Hirschmann-Altzinger / Fotos: Julian Hargreaves; Gregor Hohenberg


wienlive: Auf Ihrem neuen Album „Selige Stunde“ singen Sie, begleitet von Helmut Deutsch am Klavier, sehnsüchtige Liebes- und Abschiedslieder von Schubert, Schumann, Mendelssohn oder Richard Strauss. Warum zitiert der Titel ein Lied von Zemlinsky?
JONAS KAUFMANN: Weil ich fand, dass dieser Titel am ehesten den Charakter des Albums trifft und weil er gezielt auf dieses Lied hinweist, das leider nicht mehr so bekannt ist. Die populären Lieder der CD – „Auf Flügeln des Gesanges“, „In mir klingt ein Lied“ oder „Mondnacht“ – sind ja als Albumtitel längst verbraucht.


Sind das Ihre Lieblingslieder?
KAUFMANN: Es ist unsere persönliche Wunsch-Liste, man könnte es ein Album von Zugaben nennen. Was aber nicht heißt, dass wir von den bekanntesten Lied-Komponisten die beliebtesten Rausschmeißer genommen haben. Vielmehr waren es Stücke, die uns besonders am Herzen liegen und die auch ganz charakteristisch für den jeweiligen Komponisten sind. Dazu haben wir Sachen ausgesucht, die man heute nicht mehr kennt, aber unbedingt kennen sollte.


Wie wichtig ist das Lied in Ihrer Karriere?
KAUFMANN: Sehr! Für mich ist Liedgesang die Königsklasse des Singens. Weil dieses Genre noch mehr Farben, Details und Nuancen braucht als die Oper. Leider habe ich das Aufnehmen von Liedern in letzter Zeit etwas vernachlässigt, der Kalender war immer zu voll. Deshalb war nach dem Lockdown mein erster Impuls, Helmut anzurufen: Jetzt ist die Chance, Lieder aufzunehmen.



Sie sind zuletzt in Grafenegg und im Theater im Park aufgetreten, singen das Sommernachtskonzert und ein Weihnachtskonzert im Konzerthaus. Hat das mit der Corona-Pandemie zu tun?
KAUFMANN: Natürlich. Wenn von März bis jetzt alles gelaufen wäre, wie geplant, hätte ich weder die konzertanten „Aida“-Vorstellungen in Neapel noch die Angebote aus Genf, Budapest und Ljubljana wahrnehmen können. Grafenegg war bereits geplant, allerdings nicht „Die schöne Müllerin“ sondern „Fidelio“. Auch das Schönbrunn-Konzert war längst geplant, nur findet es jetzt ohne Publikum statt. Die beiden Konzerte im Theater im Park am Belvedere kamen durch die Corona-Lücke zustande.


Sensationell ist Ihre Rückkehr an die Wiener Staatsoper unter dem neuen Direktor Bogdan Roščić. Was sind seine Qualitäten?
KAUFMANN: Dass er beides hat: die Leidenschaft für die Oper und Manager-Qualitäten. Normalerweise ist es heute ja ein Entweder-oder.


An der Staatsoper singen Sie „Don Carlos“ und „Parsifal“. Der italienische Seelendramatiker oder der teutonische Leitmotiv-Schöpfer – wer ist Ihnen lieber?
KAUFMANN: Als 2013 der 200. Geburtstag beider Komponisten gefeiert wurde, sang ich an der Met den Parsifal und lernte für mein Debüt als Manrico in „Il Trovatore“ in München. Da wurde ich oft gefragt, welcher der beiden Komponisten mir näher stünde. Musikalisch konnte ich die Frage nicht beantworten. Als ich in New York die Verdi-Partie studierte, war ich so gefangen von der Musik, dass ich nur noch Verdi singen wollte. Dann kam der nächste „Parsifal“, und ich tauchte ein in diesen Kosmos, vergaß alles drumherum und glaubte, das Größte gefunden zu haben. So ging das hin und her, ein Wechselbad der Gefühle. Als Mensch steht mir freilich Verdi näher; bei ihm muss
man den Künstler nicht vom Menschen trennen, das ist eine Einheit. Dass er auf die Frage nach seinem größten Werk geantwortet haben soll: „Mein Altenheim für Sänger“, macht ihn mir zusätzlich sympathisch. Bei Wagner hingegen gibt es, vorsichtig gesagt, einiges Befremdliche, vor allem seine antisemitischen Schriften und seine Selbstüberschätzung. Da wünschen sich selbst militante Wagnerianer, dass er nur komponiert und nicht so viel gesagt oder geschrieben hätte.


Sie gelten als der beste und schönste Operntenor. Hat das auch Nachteile?
KAUFMANN: Der größte Nachteil wäre, wenn die Leute nur noch mit den Augen hören und kaum noch unterscheiden können, ob ein Sänger Weltklasse oder bestenfalls Mittelmaß ist. Klar, im Zeitalter von Blu-ray, YouTube und Oper im Kino kann es einem als Sänger nicht egal sein, wie man aussieht. Das Modell „Singendes Sofa“ funktioniert nur noch in wenigen Ausnahmefällen, und Oper ist nun mal nicht nur Singen, sondern Musik plus Theater. Wenn aber eine Rolle in erster Linie nach der Optik besetzt wird und erstklassige Sänger durch solche ersetzt werden, die besser aussehen, dann ist für mich die Schmerzgrenze erreicht. Denn worum geht es denn in unserem Genre vor allem? Dass das Publikum gepackt wird von der Musik und von den Emotionen, die ein glaubhafter Darsteller auslöst. Und das funktioniert nun mal nicht, wenn das Aussehen top ist und die Stimm a Scherbn.


Selige Stunde.
Jonas Kaufmann
; Helmut deutscH (Sony Classical). Auf der CD „Selige Stunde“ versammeln Jonas Kaufmann und Helmut Deutsch romantische Lieder von Schubert, Schumann, Beethoven, Brahms, Mendelssohn, Mahler, Hugo Wolf und Richard Strauss. Überraschend und süß ist der Rudolf-Schock-Schlager „In mir klingt ein Lied“ nach der 3. Chopin-Etüde E-Dur.

Vorwahl-Interview

Wien hat schon viele Krisen gestemmt


Mit seinem unaufgeregten und sicheren Führungsstil liegt Wiens Bürgermeister Michael Ludwig nach nur 2 Jahren im Amt unangefochten auf Platz 1 (etwa 47 Prozent) bei allen Umfragen, wen die Wienerinnen und Wiener als Stadtchef direkt wählen würden. Wir stellen dem studierten Historiker Fragen auch nach der Zukunft der Stadt.
Text: Helmut Schneider / Foto: Bubu Dujmic


wienlive: Nach dem Sommer sind die Corona-Infektionen wieder angestiegen. Wie sicher werden die Wahlen in Wien sein?
MICHAEL LUDWIG: Ich gehe davon aus, dass das sehr sichere Wahlen sein werden, weil wir alle Maßnahmen getroffen haben, die das garantieren. Überall dort, wo die Wahllokale klein sind, haben wir die Wahlen in größere Lokale verlegt und wir werden einen speziellen Ordnerdienst einrichten, damit nicht zu viele Menschen gleichzeitig in einem Wahllokal zusammenkommen können. Selbsverständlich wird es auch überall Desinfektionsmittel geben. Ungeachtet dessen lade ich alle Wienerinnen und Wiener ein, vorher schon von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. In den Wahlreferaten, die in den allermeisten Fällen in den Magistratischen Bezirksämten untergebracht sind, kann man mit der bereits verschickten Amtlichen Wahlinformation bis 9. Oktober sofort eine Wahlkarte bekommen und vor Ort gleich wählen.

Gibt es Untersuchungen, wie hoch die Wahlbeteiligung sein wird?
LUDWIG: Es gibt Meinungsumfragen, die zeigen, dass die Wahlbeteiligung coronabedingt nicht steigen wird und es werden wahrscheinlich so viele Wahlkarten abgegeben werden wie noch nie. Es wird daher schwer sein, schon am Wahlabend ein halbwegs sicheres Ergebnis zu verlautbaren.

Wodurch wurde Wien in der Krise besonders stark getroffen?
LUDWIG: Besonders schmerzt uns der komplette Einbruch beim Kongresstourismus. Wien ist nach Paris die europäische Stadt mit den meisten Kongressen. Aber wir haben gut gewirtschaftet – wir hatte ja im letzten Jahr ein ausgeglichenes Budget erzielt und 750 Millionen Euro Rücklagen gebildet. Aber natürlich ist die Gesamtentwicklung eine, die uns sehr fordert.

Wien ist jetzt schon seit einem halben Jahr im Krisenmodus und niemand kann sagen, wann das überstanden sein wird. Wie lange hält das eine Millionenmetropole noch aus ?
LUDWIG: Das ist richtig, aber ich denke, dass unsere Vorgängergenerationen noch ganz andere Krisen überstanden haben. Wenn ich jetzt mit älteren Menschen diskutiere und mir diese über ihre schwersten Zeiten berichten höre ich, was es da im und nach dem Krieg für Lebensumstände gegeben hat. Ja natürlich sind wir in einer schweren Situation. Die Stadt Wien ist sehr resilient – einfach weil wir das Miteinander immer in den Vordergrund gerückt haben. Das zeigt sich jetzt deutlich: Wir haben etwa mit den Helfern Wiens eine Einrichtung mit 40 verschiedenen Organisationen, die alle eng zusammenarbeiten. Ich sage immer, das ist wie ein Muskel, den man ständig trainieren muss, damit er in der Krise in Top-Form zum Einsatz kommen kann.

Wie halten Sie persönlich durch?
LUDWIG: Vor allem, indem ich mit Optimismus in die Zukunft blicke. Natürlich leben wir jetzt in einer herausfordernden Zeit, aber wenn wir das Miteinander leben, dann bin ich sicher, dass wir diese Krise stemmen werden.

Aber es wird Abstriche beim Wohlstand geben müssen, oder?
LUDWIG: Als die Bundesregierung verkündet hat: „Koste es, was es wolle“, habe ich sofort die Frage gestellt, wer die Milliarden, die jetzt in Aussicht gestellt werden, im Endeffekt zu bezahlen hat. Ich habe von Beginn an gesagt, das werden mit Sicherheit nicht die Pensionistinnen und Pensionisten oder die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sein können. Darüber hinaus sei angemerkt. Diese angekündigten Gelder kommen leider derzeit nicht immer dort an, wo es notwendig wäre.


Wetterlady und Powerfrau

Wir müssen Barrieren brechen


Eser Akbaba hat eine klare Botschaft in ihr neues Buch „Sie sprechen ja Deutsch!“ verpackt. Im Interview mit wienlive spricht sie offen über Stolpersteine und will Mut machen.
Text: Ursula Scheidl / Foto: Stefan Joham


Strahlend wirbelt sie mit wildem Lockenkopf herein – unverkennbar ihr Markenzeichen. Seit März 2013 präsentiert Eser Akbaba das ORF-1-Wetter, aber der Weg dorthin war nicht immer einfach. In ihrem Buch erzählt sie, mit welchen Schwierigkeiten ihre Familie konfrontiert war, als sie in Österreich ankam, und was es heißt, als Gastarbeiterkind zwischen zwei Welten aufzuwachsen.

wienlive: Sie sind in Wien geboren. Wann waren Sie das erste Mal mit diesem erstaunten Satz „Sie sprechen ja Deutsch!“ konfrontiert?
ESER AKBABA: Ich bin mit Deutsch als Erstsprache aufgewachsen und kam mit einem Jahr in den Kindergarten. Zu Hause wurde mehrheitlich türkisch gesprochen, aber ich kann Deutsch viel besser als meine Muttersprache Zaza oder Türkisch. Einmal kam ein älterer, sehr netter, adrett gekleideter Mann auf mich zu. Offenbar kannte er mich aus dem Fernsehen. Er sagte: „Sie sprechen aber sehr gut Deutsch.“ Ich war so verdutzt, das passiert mir wirklich sehr selten (lacht)! Ich antwortete: „Danke sehr, Sie aber auch.“ Es passiert immer wieder, ich weiß nicht warum. Mittlerweile sollte es eigentlich selbstverständlich sein, dass die Nachgeneration sehr gut Deutsch spricht, teilweise sogar noch besser als die Muttersprache.

Sie sprechen ein sehr schönes Deutsch, obwohl Sie in Simmering aufgewachsen sind. Wieso wollten Sie schon als kleines Mädchen Moderatorin werden, das ist doch eher ungewöhnlich?
AKBABA: Wir sechs Kinder haben mit den Eltern immer „Zeit im Bild“ geschaut, danach kam das Wetter. Carl Michael Belcredi hat mich fasziniert – mit seinen karierten Pullis –, wie er über das Wetter, die Wolken und Hochs und Tiefs gesprochen hat. Das wollte ich auch machen. In unserer Souterrain-Wohnung gab es zudem einen kleinen Spiegel, der mich magisch angezogen hat, da habe ich immer reingesprochen.

Wie haben Ihre Freunde und Eltern auf Ihren Berufswunsch reagiert?
AKBABA: Das war ein Traum, den ich aufblühen lassen habe. 2009 wurde ich entdeckt, habe das aber selber noch nicht so wirklich realisieren können. Ich war bei der Zeitschrift „biber“ bei einer Podiumsdiskussion. Bibi Handlos, meine Entdeckerin, hat mich angesprochen, dass ich als Moderatorin zum ORF sollte. Das war schon ein großes Thema, medial, aber auch natürlich innerhalb der Familie.

Warum glauben Sie, haben Sie es geschafft?
AKBABA: Ich bin ja nicht die Einzige, die das alles, was ich erlebt habe, erlebt hat, aber ich bin die einzig Sichtbare. Es gibt so viele andere Esers da draußen, Ärztinnen, Rechtsanwältinnen, Managerinnen. Aber man sieht sie nicht so wie mich jeden Tag im Fernsehen. Deswegen kann ich sagen, ich habe es geschafft im Sinne, dass ich sichtbar bin – vom Gastarbeiterkind zur ORF-Moderatorin – da gibt’s wirklich nicht viele. Aber man kann es schaffen. Man kann es wirklich schaffen.

Warum haben Sie das Buch geschrieben?
AKBABA: Eigentlich wollte ich es mit 80 schreiben. Aber mein Kollege Jürgen Pettinger hat mich letztes Jahr dazu überredet. Da bin ich genau 40 geworden. Ich habe ihm im Studio zwischendurch immer Geschichten erzählt, diese andere Welt, die er nicht kennt, hat ihn sehr interessiert. Nach einem Todesfall in der Familie war ich nicht sicher, ob ich das schaffe. Er hat gesagt, wir machen das jetzt einfach!

Was ist Ihnen in Ihrem Leben besonders gut oder weniger gut gelungen?
AKBABA: Meine Haare (lacht). Nein. Das war ein Scherz, ich glaube, was mir gut gelungen ist, ist mein Buch. Ich glaube auch, dass ich gezeigt habe, dass ich etwas in diesem Land erreicht habe, was viele vielleicht noch erträumen oder vielleicht gar nicht einmal zu träumen wagen. Ich bin stolz darauf, weil es war schon ein steiniger Weg. Was ist mir weniger gut gelungen? Na ja, ich hab’s nicht so mit der Männerwelt, wobei, wer weiß? Was nicht ist, kann ja noch werden!

Sie wirken immer so fröhlich, optimistisch und ausgeglichen, gibt es irgendetwas, das Sie aus dem Gleichgewicht bringen kann?
AKBABA: Es fällt mir nicht schwer, ein fröhlicher Mensch zu sein, ich denke, mir geht’s gut, ich lebe in einem schönen, sicheren Land, wenn wir es mit anderen vergleichen. Ich versuche immer das Positive zu sehen, aber natürlich bringen mich manche Situationen auch auf die Palme, da kommt dann mein südländisches Blut durch. In Anatolien kann man ordentlich streiten. Meine Familie kennt das. Unsere Gesprächskultur ist anders, ich rede gerne mit Händen und Füßen. Da ist man temperamentvoll, obwohl ich mittlerweile schon viel gelassener bin.

Sie sind Vorbild für viele junge Mädchen. Welche Botschaft, möchten Sie ihnen mitgeben?
AKBABA: Ich tu mir sehr schwer mit dem Begriff Vorbild. Weil jeder sollte aus sich selbst das Beste mitnehmen. Wenn ich aber der Nachgeneration vermitteln kann, du schaffst es, wenn du es willst, du musst nur dahinter sein, dann bin ich gerne ein Vorbild.

Wo ist Ihre Heimat?
AKBABA: Ich habe schon als kleines Kind immer im Sommer einen Monat im Dorf bei den Großeltern oder auch in Istanbul verbracht. Natürlich fühle ich mich zu meinen Wurzeln stark hingezogen. Aber Heimat ist für mich Wien. Ich bin hier geboren und aufgewachsen. 


„Sie sprechen ja Deutsch“
Eser Akbaba, Jürgen Pettinger.
Mit Illustrationen von Hüseyin Işık
184 Seiten, Format 13,5 x 21,5
Kremayr & Scheriau, € 22,–

Interview mit Michael Ludwig

Held? Meine Mutter


Bürgermeister Michael Ludwig über Echt Wien – von „Drahdiwaberl“ bis zu „Faschierte Laberln“, warum der soziale Zusammenhalt zu Wien gehört und warum ihm auf die Frage nach Wiener Helden sofort seine Mutter einfällt.
Text: Helmut Schneider / Fotos: Lukas Beck


Michael Ludwig ist in Neubau aufgewachsen, als dieser Bezirk noch finster und grau und voll mit alten Kleinstbetrieben war. Als er dann mit seiner alleinerziehenden Mutter nach Floridsdorf in eine Gemeindewohnung kam, konnte er zum ersten Mal „Licht, Luft und Sonne“ erleben – wie das Motto des Wohnbauprogramms des Roten Wien hieß. Nicht nur als Wiener Bürgermeister, sondern auch als studierter Historiker kennt er seine Stadt und seine Bewohner ganz genau.

wienlive: Fangen wir mit dem Wienerischen an. Was ist Ihr Lieblingsausdruck?
MICHAEL LUDWIG: Ich habe viele, es gibt ja auch so viele wunderbare Wiener Wortschöpfungen – von Drahdiwaberl bis Schmauswaberl. Das Wienerische kann in vielen Bereichen viel mehr ausdrücken als das Hochdeutsche.

Sie sind in Neubau aufgewachsen und dann nach Floridsdorf übersiedelt. War das sozusagen ein Kulturschock für einen Jugendlichen?
LUDWIG: Dazu muss man wissen, dass sich die Bezirke damals noch ganz anders dargestellt haben. Der 7. Bezirk meiner Kindheit war noch stark von Gewerbe und kleineren Industriebetrieben geprägt. Meine Mutter war Hilfsarbeiterin in einer Fabrik, die sich in einem Gründerzeithaus auf drei Stockwerken befunden hat. Dieser Betrieb ist mir sozusagen nach Floridsdorf nachgezogen und ist heute ein international agierendes erfolgreiches Unternehmen. Schon allein dadurch sieht man, dass sich in den Bezirken viel geändert hat. Der 21. Bezirk war lange Zeit landwirtschaftlich geprägt, hatte aber auch Großindustrie mit 2.000 Beschäftigten und mehr. Heute ist er ein sehr attraktiver Wohnbezirk. Beide Bezirke haben also eine sehr starke Wandlung erfahren. Es ist interessant zu sehen: Eine Großstadt wie Wien ist ein lebendiger Organismus, der einer ständigen Veränderung unterworfen ist.

Aber sprachlich haben sich die Bezirke mehr angeglichen, das berühmte Meid­linger „l“ stirbt aus, oder?
LUDWIG: Das ist wahrscheinlich den elektronischen Medien geschuldet. In meiner Kindheit war es noch etwas Besonderes, wenn eine Familie einen Fernseher hatte. Im Laufe der Jahrzehnte sind viele Sender dazugekommen und das wirkt sich auf den Sprachgebrauch aus. Aber erfreulicherweise gibt es eine starke Renaissance der Wiener Begriffe und ich freue mich, dass das Wienerlied in seiner traditionellen, aber auch vor allem in seiner modifizierten Form großen Anklang findet.

Was ist sozusagen die Essenz von Wien, das Echte?
LUDWIG: Ich glaube, dass sich Wien von anderen, gesichtslosen Metropolen sehr stark durch das Mitei­nander, durch die Art und Weise, wie die Wienerinnen und Wiener miteinander leben, unterscheidet. Die Wienerinnen und Wiener sind sehr fleißige Menschen – aber sie feiern auch gerne und finden viele Anlässe für Feste und Veranstaltungen. Es gibt eben nicht nur Heurige, sondern auch viele Zusammenkünfte mit Literatur oder Musik, beispielsweise in Kaffeehäusern – daneben viele Open-Air-Events. Die Wiener Bevölkerung arbeitet gerne, aber feiert auch gerne. Das ist typisch für das gesellschaftliche Klima in unserer Stadt.

Sehr wichtig für das Wiener Gemüt ist sicher auch das Essen. Was ist Ihr Lieblingsessen?
LUDWIG: Mir schmeckt eigentlich alles aus der Wiener Küche. Die Wiener Küche ist ja auch deshalb so beliebt, weil sie von den Vorspeisen über markante Hauptspeisen bis zum Dessert überall etwas bietet. Wien ist ja auch die ein­zige Stadt, nach der eine Küche benannt ist. Die Wienerinnen und Wiener essen nicht nur gerne, sondern auch gerne gut.

Was würden Sie spontan bestellen?
LUDWIG: Fleischlaberln mit Erdäpfelsalat und nachher Zwetschgenknödel oder Kaiser­schmarren oder eine dieser wunder­vollen Torten, die es in dieser Form nur in Wien gibt.

Sie kommen als Wiener Bürgermeister natürlich auch viel herum – fällt Ihnen eine mit Wien vergleichbare Stadt ein?
LUDWIG: Jede Stadt hat ihren Reiz, aber Wien ist schon eine ganz besondere Stadt, weil sie eine Verbindung ist von Metropole und gleichzeitig sehr kleinteiligen, kleinräumigen Grätzelstrukturen, in denen sich die Wienerinnen und Wiener zu Hause fühlen. Es soll ja Menschen geben, die einen Trennungsschmerz empfinden, wenn sie eine Bezirksgrenze überschreiten müssen. Wir sind eine sehr weltoffene, internationale Stadt und trotzdem eine Stadt, in der das Regionale eine sehr große Rolle spielt. Vierzehn Prozent der Grund­fläche werden etwa immer noch landwirtschaftlich genutzt, und als einzige Millionenstadt der Welt besitzen wir sogar einen attraktiven, hochqualita­tiven Weinbau.

Haben die Wiener – Stichwort „lieber Augustin“ – ein besonderes Talent, mit Krisen umzugehen?
LUDWIG: Ich denke schon, und das hängt damit zusammen, dass Wien im Zentrum Euro­pas im Laufe der Jahrhunderte viele Krisen überstehen musste, wir haben da eine gewisse Resilienz entwickelt. Und wir besitzen einen gesunden Zukunftsoptimismus – verbunden mit dem, was man Wiener Schmäh nennt. Wir nehmen manches augenzwinkernd zur Kenntnis und schauen, dass wir uns in einer solchen Situation behaupten können.

„Sudern“ gehört aber auch zu Wien …
LUDWIG: Kritik ist nur dann erlaubt, wenn sie aus den eigenen Reihen kommt. Kommt es zum Wien-Bashing von außen, rücken die Wienerinnen und Wiener zusammen – vor allem dann, wenn die Kritik ungerechtfertigt ist.

War das ein Problem in der Corona-Zeit?
LUDWIG: Ich habe als Wiener Bürger­meister immer großen Wert darauf gelegt, dass wir im Einvernehmen mit der Bundesregierung agieren, weil ich der Meinung bin, dass sich eine Krise diesen Ausmaßes nicht für parteipolitischen Hickhack eignet. Umso mehr waren wir enttäuscht, dass ab dem Zeitpunkt, als die Krise sich etwas abgeflacht hat, sofort wieder unqualifiziertes Wien-Bashing eingesetzt hat. Das hat die Wiener Bevölkerung nicht verdient und da melde ich mich als Bürgermeister auch lautstark zu Wort.

Das Spektrum von Wienern reicht quasi von Kreisky bis zum Mundl. Den typischen Wiener gibt es vielleicht gar nicht, oder?
LUDWIG: Das ist ja eben typisch für Wien, dass das Spek-trum zwischen so weit auseinanderliegenden Polen liegt – und Kreisky und Mundl haben ja bekanntlich auch mit viel Widerstand kämpfen müssen. Mir fällt da natürlich auch der „Herr Karl“ von Helmut Qualtinger oder der „Bockerer“ ein.

Wer war oder ist für Sie ein Wiener Held?
LUDWIG: Mir fällt da eher eine Heldin ein, nämlich meine Mutter, die sich als Hilfsarbeiterin und Alleinerzieherin in schwierigen Situationen behauptet hat – und das in einer Zeit, in der es noch viel schwerer war, Beruf und Familienleben unter einen Hut zu bringen. Es war nicht selbstverständlich, dass ich studieren durfte.

Abschließend: Was ist Ihrer Einschätzung nach Ihre größte Leistung bisher als Wiener Bürgermeister?
LUDWIG: Dass ich das Miteinander in der Stadt in den Vordergrund gerückt habe, weil ich denke, dass wir die großen Herausforderungen, die auf uns zukommen – nicht nur in der Corona-Zeit –, nur gemeinsam meistern können. In Wien leben natürlich viele unterschiedliche Kulturen miteinander. Klar gilt daher auch: keine Toleranz für Intolerante.


Herbstsaison

Zu zweit ist alles schöner


Grandios. Die Kammerspiele starten die Herbstsaison mit Peter Turrinis Uraufführung „Gemeinsam ist Alzheimer schöner“. Maria Köstlinger und Johannes Krisch brillieren in dieser Tragikomödie (ab 19.9.).
Text: Andrea Buday / Fotos: Stefan Joham


Der Theaterbesuch wird ein anderer sein, aber die Verantwortlichen versprechen, alles zu tun, um trotz der Vorsichtsmaßnahmen, die den Verordnungen der Gesundheitsbehörden entsprechen, einen schönen Abend zu bieten. Spätestens wenn Maria Köstlinger und Johannes Krisch die Bühne betreten, werden Mund-Nasen-Schutz (beim Betreten und Verlassen des Hauses), coronaadäquate Sitzpläne etc. vergessen sein. Und genau davon handelt auch das Stück.

GEMEINSAM IM HEIM
Ein Paar, das ein Leben miteinander verbracht hat, lebt nun im Altersheim in der Abteilung für Demenzkranke. Sie erinnern sich an gute wie schlechte Zeiten, an Affären, an schmerzvolle Kränkungen, an eigenes Versagen und machen einander Vorwürfe, die immer heftiger und aufgrund ihrer Vergesslichkeit immer unspezifischer werden.

SCHWARZER HUMOR
So nachdenklich das Stück auch stimmt, hat es dennoch recht lustige Seiten. Und sogar ein Happy End. Denn die Zwei, die am Ende alles vergessen zu haben scheinen, verlieben sich erneut ineinander. Der Verlust des Gewesenen bedingt einen neuen Anfang. Durch das Vergessen könne etwas völlig Neues entstehen, sagt auch Maria Köstlinger. Alles fange wieder von vorne an.

ENDLICH WIEDER SPIELEN
Dass Peter Turrini mit diesem Stück ein großer Wurf gelungen ist, darin sind sich die zwei Josefstadt-Schauspieler, die sich nach der langen Corona-Pause wieder enorm aufs Spielen freuen, einig. Und wenn alles klappt wie geplant, dann steht Köstlinger zudem ab September für die sechste Staffel „Vorstadtweiber“ vor der Kamera. Auch Krisch hat Drehtermine, darf aber darüber noch nicht reden.


wienlive: Turrinis Stück behandelt viele Themen wie Krankheit, Alter, Abgeschobenwerden, Einsamkeit und Tod. Wirkt das nicht bedrückend?
JOHANNES KRISCH: Das Stück zieht mich nicht runter, aber es ist doch sehr anstrengend und energieaufwendig.
MARIA KÖSTLINGER: Ja, ziemlich, weil man sich doch mehr als sonst mit all diesen Themen auseinandersetzt. Man hat persönliche Erfahrungen. Zudem habe ich in meinem Leben auch schon viel Zeit in Alters- bzw. Pflegeeinrichtungen verbracht und das kommt alles wieder hoch. Auch die eigene Angst vor Krankheit, Schwäche und Einsamkeit spielt hier mit.

Sie fürchten sich vor Einsamkeit?
KÖSTLINGER: Davor habe ich wirklich große Angst. Einsamkeit ist etwas, was sich richtig schlimm anfühlt. Es gibt Menschen, die können sehr hervorragend allein sein und sehnen sich gelegentlich danach, ich tue mir sehr schwer damit.
KRISCH: Mir geht’s genauso. Ich kann nicht allein sein. Zwei Tage allein zu Hause? Entsetzlich! Ich halte mich nicht aus. Da muss ich leiden (lacht).

Wieso halten Sie sich selbst nicht aus?
KRISCH: Ich habe schon versucht draufzukommen, es ist mir aber noch nicht gelungen. Ich weiß nur: Einsamkeit ist etwas Furchtbares.


„Man kann oft gar nicht anders, als dem Leben mit all seinen Widrigkeiten mit Lachen zu begegnen.“

Maria Köstlinger

Und wie geht es Ihnen mit dem Alter bzw. dem Älterwerden?
KÖSTLINGER: Für eine Frau bedeutet alt werden etwas anderes als für einen Mann. Rein äußerlich ist es einfach schwieriger, damit zurechtzukommen. Man sieht das ja bei Kolleginnen, deren Gesicht „gebügelt“ bzw. gespritzt ist. Dabei wird immer vergessen, dass die Seele in dem Alter bleibt, in dem man eben ist. Grundsätzlich ist es etwas Wunderbares, ein Leben gelebt zu haben. Wenn man sich dessen bewusst ist, dann ist das schön. Nur heutzutage verhält es sich leider so, dass diese Einstellung wenig Anerkennung findet. Das spüre ich sehr stark und dagegen versuche ich mich zu verwehren. Mit viel Humor (lacht).
KRISCH: Je älter man wird, umso weiser sollte man mit dem Leben umgehen und mit den Erkenntnissen, die man daraus gewonnen hat. Alt werden heißt, dass die Maschine nicht mehr so funktioniert und das ist bitter. Und ärgert uns. Aber vielleicht muss das ja so sein, damit wir eine andere Ebene erreichen, sozusagen reinkarnieren und unsere Reise auf einer anderen Ebene fortsetzen.

Das Stück zeigt auch, wie wichtig es ist, im Jetzt zu leben und seinen Partner wertzuschätzen, ihn täglich neu zu entdecken.
KÖSTLINGER: Ein wunderschöner Gedanke. Man sollte sich auch immer wieder bewusst machen, dass der Moment zählt. Es funktioniert eine gewisse Zeit lang, aber früher oder später holt einen der Alltag ein und man achtet nicht mehr darauf. Erst wenn etwas Gravierendes passiert, beginnt man wieder nachzudenken. Es mag kitschig klingen, aber man sollte tatsächlich bemüht sein, seinen Partner jeden Tag neu zu entdecken.
KRISCH: Vor allem jeden Abend! Schon die Großmutter hat immer gesagt, man solle nie böse aufeinander einschlafen, sondern vorher alles bereinigen. Weil man ja nie weiß, ob man am nächsten Tag aufwacht, und das zuletzt Gesagte wird ewig in Erinnerung bleiben. Das sollte man sich stets vor Augen führen. Natürlich schafft man es nicht immer, was furchtbar ist … Es hat etwas mit Zeit nehmen zu tun und mit Achtsamkeit.

„Ich kann nicht allein sein. Einsamkeit ist etwas Furchtbares. Ich halte mich selbst nicht aus.“

Johannes Krisch

Wie bereitet man sich auf ein Stück mit solch dramatischer Thematik vor?
KRISCH: Die Konflikte, die im Stück vorkommen, sind uns ja nicht unbekannt, und den Rest übernimmt die Fanatise. Zudem hat man auch Erfahrungen bzw. kennt Menschen, die dement sind. Insofern ist dieser Rucksack schon ein wenig gefüllt. Und Peter Turrini hat das ja auch sehr gut geschrieben. Vieles bleibt offen und interpretierbar.

Darf man eigentlich über derart ernste Themen lachen?
KRISCH: Unbedingt. Man sollte über viel mehr lachen. Über die Liebe lacht man ja auch.
KÖSTLINGER: Man kann manchmal gar nicht anders, als dem Leben mit all seinen Widrigkeiten mit Lachen zu begegnen. Es ist auch ein Rettungsanker. Noch schöner ist es, wenn man zu zweit lachen kann. Krisch: Alles ist schöner, wenn man es zu zweit erlebt, nicht nur Alzheimer. Auch das Leben selbst (lacht).


Infos & Details zu „Gemeinsam ist Alzheimer schöner“: josefstadt.org.

Ideen im Gepäck

Musik lässt mich nicht los


Nach vielen Jahren im Ausland kehrt der erfolgreiche Musikmanager Bogdan Roščić als künstlerischer Leiter der Wiener Staatsoper in seine Heimat zurück – mit vielen Ideen im Gepäck. Ein Interview mit einem Heimkehrer.
Text: Ursula Scheidl / Fotos: Stefan Joham


Eigentlich hatte ich mit einem Interview per E-Mail oder Skype gerechnet, aber Bogdan Roščić macht es lieber persönlich – mit gebotenem Abstand, versteht sich – im großen Sitzungssaal der Bundestheater-Holding. Er ist groß und sehr schlank, spricht tadelloses Hochdeutsch – bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass der geborene Belgrader bis zu seinem 10. Lebensjahr, als er nach Linz kam, kein Wort Deutsch konnte. In der 1. Klasse Gymnasium hatte er bereits ein „sehr gut“ in Deutsch. „Das hat einfach so funktioniert“, erzählt er.

Später Weckruf
Zur Musik fand Bogdan Roščić erst mit 14, dafür dann aber umso heftiger. Als Sohn zweier Ärzte, umgeben von Büchern, wollte auch er Arzt werden.
„Gott sei Dank hat mir rechtzeitig gedämmert, dass ich das – frei nach einem schönen Satz von Goethe – ,zu meinem Wesen nicht gebrauchen kann.‘ Und dann habe ich mich einfach auf das geworfen, was meine Leidenschaft war – die Musik. In Rekordzeit habe ich versucht, in mich hineinzustudieren, was ich konnte, Konzertgitarre, Querflöte, Musiktheorie, aber mir war schnell klar, dass es für einen ausübenden Musiker nicht reichen wird, und vielleicht wollte ich das auch nicht mit letzter Konsequenz.“
Seine Laufbahn startete er als Journalist bei den Tageszeitungen „Die Presse“ und „Kurier“, danach war er Musikchef bei Ö3, wechselte dann zu unterschiedlichen Labels wie Universal, Decca und Deutsche Grammophon, um zuletzt als Präsident von Sony Classical große Karriere zu machen. Im weltweiten Musikbusiness arbeitete er u. a. mit Stars wie Cecilia Bartoli, Anna Netrebko, Jonas Kaufmann, Juan Diego Flórez oder Teodor Currentzis. Ehrgeizig, kompetent und gleichzeitig bescheiden wirkt der Top-Manager und Vater von drei Kindern im ausführlichen Gespräch.

wienlive: Ihr Direktionsantritt fällt in eine schwierige Zeit, worin sehen Sie die Herausforderungen, aber auch Chancen?
BOGDAN ROŠČIĆ: Die Chance liegt darin, dass uns vor Augen geführt wird, wie kostbar das ist, was in diesem Haus Abend für Abend stattfindet. Vielleicht spürt man das nicht so intensiv, wenn die Oper immer spielt. Die Herausforderungen aufgrund der Pandemie liegen einfach darin, dass man die Pläne überhaupt verwirklichen kann. Es gibt Lockerungen, aber wenn die Erkrankungen wieder steigen, könnten die auch wieder zurückgenommen werden. Die große Frage wird sein, wie verläuft die weitere Entwicklung? Ab wann kann man in welchem Umfang proben? Ab wann können unsere Gast-Künstler ins Land? Der Opernbetrieb ist sehr international, es gibt nichts Vergleichbares. An jedem beliebigen Tag arbeiten hier Menschen aus Dutzenden Ländern. Außerdem wird man sehen, wie das Publikum in der Zeit danach reagieren wird. Es gibt vielleicht keine Stadt auf der ganzen Welt, in die mehr Menschen auch wegen der Oper reisen. Wie werden die wirtschaftlichen Verhältnisse sein? Opernkarten können leider auch in Wien zu teuer sein.

Sie haben sich Philipp Jordan als Musikdirektor gewünscht. Haben Sie schon einmal mit ihm gearbeitet?
ROŠČIĆ: Nein. Ich habe aber sehr genau seine Laufbahn als Opern- und Konzertdirigent mitverfolgt. Er ist ja beides und beides auf demselben Niveau. Was mir vor allem präsent war, ist der Aufschwung, den die Pariser Oper in seiner Zeit genommen hat. Auch die Wiener Symphoniker haben mit ihm eine spektakuläre Entwicklung genommen.

Sie starten mit zehn Opern- und drei Ballettpremieren. Was waren Ihre Auswahlkriterien?
ROŠČIĆ: Es geht nicht um einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde, aber die hohe Zahl war mir wichtig. Weil wir bewusst ein Zeichen der Erneuerung des Kernrepertoires setzen wollen. Es sind einige Werke dabei, die nicht nur in Wien zu den meist gespielten gehören. Sie prägen dadurch das Erscheinungsbild, vor allem eines Repertoiretheaters, am meisten. Und ich glaube eben an den gesellschaftlichen Wert des Repertoiretheaters.

Castorf, Neuenfels, Lauwers, Stone – das liest sich wirklich wie das „Who’s Who“ der Regie-Szene. Was muss ein Regisseur für Sie können?
ROŠČIĆ: Es ist fast einfacher zu sagen, was er oder sie nicht machen soll. Ich halte zum Beispiel nichts von Inszenierungen, die nur weltanschauliche Positionen illustrieren, das ist uninteressant und unkünstlerisch. Alle Regisseure, die große Arbeiten abliefern, bebildern nicht, sondern arbeiten absolut werktreu. Sie sind imstande, den ganzen Reichtum, die ganze Emotion, das ganze Universum, das da hineinverdichtet wurde, in zwei, drei Stunden auszupacken und als umwerfendes, essenzielles Erlebnis auf die Bühne zu bringen. Nur darum kann es gehen, nur darum gibt’s dieses Haus. Für Konzerte in Kostümen wurden weder die Opern geschrieben noch wurde dafür die Staatsoper gegründet. Das kann man viel billiger haben.

Die guten Sänger müssen heute auch hervorragende Schauspieler sein. Was ist wichtiger: Regie, Wort oder Musik?
ROŠČIĆ: Man gerät in eine Sackgasse, wenn man versucht, das gegeneinander anzusetzen. Das ist meine tiefste Überzeugung. Natürlich ist die Vorstellung lachhaft, dass jemand in die Oper kommt, um sich die Libretti von großartigen Burgtheater-Schauspielern vorspielen zu lassen. Aber es ist eine unfaire Polemik, weil die Libretti so geschrieben sind, damit sie als Träger für hochkomplexe Musik dienen. Die Komplexität von Shakespeares Sprache ist dafür nicht geeignet. Es muss in der Oper darum gehen, dass das Drama nicht nur gesungen, sondern auch gespielt wird. In Mahlers Worten: „Rein musikalische Erfolge sind ja leider im Theater gar keine Erfolge.“

Abstand ist der neue Anstand. Bogdan Roščić wollte das Interview trotz Corona gerne persönlich führen. Sein Motto: Mit Disziplin ist fast alles möglich.

Sie legen Ihren Schwerpunkt auf Mozart, Wagner und Klassiker des 20. Jahrhunderts. Warum ausgerechnet diese drei?
ROŠČIĆ: Das wird sich in allen Saisonen bis 2024/25 durchziehen. Und aus jedem dieser Schwerpunkte wird es zusätzlich zu anderen Dingen zumindest eine Neuproduktion geben. Weder für Mozart noch für Wagner muss
man eine Lanze brechen. Aber bei Mozart darf gerade in Wien eine ganz besondere Qualität erwartet werden. Ab der zweiten Saison beginnt ein neuer Da-Ponte-Zyklus. Philippe Jordan hat in Paris bei Wagner großartige Dinge geleistet, diese großen Werke in Wien mit unserem Orchester zu machen, war einfach unwiderstehlich. Und die klassische Moderne halte ich einfach für notwendig. Es gibt keine Verbindung zwischen den allerletzten Ausläufern spätromantischer Oper, etwa Richard Strauss, und der zeitgenössischen Produktion. Dazwischen liegt der Grand Canyon, und man muss da für das Publikum eine Brücke bauen und es in diese Klangwelten verführen. Es gibt große Werke der Nachkriegszeit, einiges wurde schon gespielt, aber darauf wollen wir aufbauen.

Auch bei der Kinderoper haben Sie sich einiges vorgenommen …
ROŠČIĆ: Sie ist nur eine von vielen Maßnahmen. Die Kinderoper hat hier eine schöne Tradition. Ich will sie noch stärker in das Haus holen. Wir planen zum Beispiel „Die Entführung aus dem Serail“ aus dem Hauptspielplan auch als Wanderoper für Kinder. An besonderen Orten der Staatsoper jagen die Kinder gemeinsam mit den Darstellern durchs Haus. Natürlich wird es weiterhin auch die Zauberflöte nach dem Opernball geben. Man kann aber nicht bei Kindern stehenbleiben. Was sind die Angebote für Jugendliche, für junge Erwachsene? Kulturvermittlung ist uns ganz zentral wichtig, im Lauf der Zeit wird sehr viel Neues verwirklicht werden.

Sie waren lange Klassikchef bei verschiedenen Labels. Da haben Sie viel digital gehört. Oper ist analog und live. Wie geht es Ihnen damit?
ROŠČIĆ: Ich finde es gut, wenn Menschen bei Spotify oder anderen Anbietern überall auf der Welt die gesamte je aufgenommene Musik hören können, so preiswert und unkompliziert wie es noch nie möglich war. Aber es ist ein ganz anderes, ein einsames Erlebnis, das hat Vor- und Nachteile. Dagegen im Haus hat man diesen unwiederbringlichen Moment in Gemeinschaft mit anderen, das ist etwas Atemberaubendes. Das kann man einfach überhaupt nicht vergleichen.

Was soll man einmal über Ihre Direktion sagen?
ROŠČIĆ: Er hat sich seiner Aufgabe würdig gezeigt.

Was hören Sie privat und wie – analog oder digital?
ROŠČIĆ: Wenig und dann nur Klassik, und das digital, weil bei den vielen Umzügen der letzten 20 Jahre meine Vinylsammlung dran glauben musste.

Haben Sie ein Lieblingszitat?
ROŠČIĆ: Bei Giacomo Leopardi, dem Dichter des Pessimismus, gibt es diese wunderbare Stelle, wo er den Menschen definiert als „Sempre ingannato, sempre ingannabile“. Also: Immer betrogen, nämlich von seinen eigenen Hoffnungen, und immer bereit, sich davon neu betrügen zu lassen. Das kann man in Zeiten wie diesen fast schon als Motto nehmen.