Interview mit Gottfried Kumpf

„Das Leben hat mir alles gegeben“


(Un-)Ruhestand. Wer kennt ihn nicht, den immer lächelnden Herrn mit dem markanten Schnurrbart? Kaum zu glauben, dass der international renommierte Maler, Graphiker und Bildhauer Professor Gottfried Kumpf vor kurzem bereits seinen 90. Geburtstag gefeiert hat.
Text: Ursula Scheidl / Fotos: Koch, Privat


Zuletzt hat ihn seine Heimatgemeinde Annaberg-Lungötz zum Ehrenbürger ernannt. Dort wurde der vielseitige Künstler als Sohn eines Landarztes geboren. Es lag also auf der Hand, dass er einige Jahre Medizin studierte. Doch gezeichnet und gemalt hat er immer, und für einen Anatomie-Atlas gestaltete er Aquarelle von Präparaten. Während der Ferien verdiente er sich als Gitarrist bei einer Jazzband das Geld für Farben und Leinwand. Seit 1956 arbeitet er als freischaffender Maler und Bildhauer. Mit seiner Kunst fand er unter dem Pseudonym „Kumpf“ weit über die Grenzen Österreichs höchste Anerkennung. Heute gilt er als typisch burgenländischer Maler, den die pannonische Weite mit ihren Schönheiten prägt, denn bereits seit 1968 lebt er dort, seit 1984 mit seiner Frau Guni. Befragt nach künstlerischen Vorbildern, nennt er „die Natur mit all ihren Formen – und die alten Meister“. 2005 erhielt er das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst. Dabei ist er stets bescheiden geblieben. Und er bedauert es sehr, dass dieses Interview aufgrund der Coronapandemie nur per Mail und telefonisch stattfinden kann.

wienlive: Ihr Markenzeichen ist „Der Asoziale“, wie ist die Idee dazu entstanden?
GOTTFRIED KUMPF: „Der Asoziale“ hat sich auf manchen meiner Bilder ergeben und wurde von Schriftstellern und Sammlern dann plötzlich ,der Asoziale‘ genannt – einer, der neben der Gesellschaft lebt.

Stört es Sie, wenn manche Ihre Arbeiten als zu naiv bezeichnen?
KUMPF: Manche meiner Arbeiten schauen vielleicht naiv aus, sind es aber nicht, weil ich mit hohem Bewusstsein male oder die Skulpturen forme. Es stört mich nicht, wenn manche Leute meine Werke als naiv bezeichnen, die wissen es nicht besser. Außerdem ist die echte naive Malerei eine phantastische anerkannte Kunstrichtung.

1989 entwarfen Sie Stahlskulpturen für den Wiener „Adventzauber“. Wie kamen Sie von der Malerei zur Skulptur?
KUMPF: Meine erste Bronzeskulptur – „Der Asoziale“ – entstand schon 1974, und in den folgenden Jahren habe ich immer mehr kleine und große Bronzeskulpturen gemacht.

Die erste von vielen großen Bronzeskulpturen im Wiener Tiergarten Schönbrunn war 1990 ein Nilpferd, der Bronze-Elefant, der in Coronazeiten aktueller denn je wirkt, steht seit 2004 vor dem Naturhistorischen Museum Wien. Warum gerade dieses Material – Bronze?
KUMPF: Bronze wurde schon viele Jahrhunderte für Skulpturen verwendet. Es hat eine lange Tradition in der Geschichte der Kunst und ist als Material einzigartig für einen Künstler. Die Großskulpturen in Bronze für den Tiergarten Schönbrunn, dort stehen mittlerweile 15 Großskulpturen von mir, habe ich auf Initiative meines Freundes Helmut Pechlaner, damals Direktor des Tiergartens Schönbrunn, gemacht und daraus ist ein ganzer Skulpturengarten entstanden. Bernd Lötsch, damals Direktor des Naturhistorischen Museums, wollte einen Bronze-Elefanten von mir vor dem Museum stehen haben – und daraus ist eine Dauereinrichtung geworden. Nun verwechselt niemand mehr das „Naturhistorische mit dem Kunsthistorischen Museum“. Und jetzt ist er tatsächlich als „Babyelefant“ aktueller denn je geworden. Er ist ja etwas mehr als 2 Meter lang.

In den 1990er-Jahren haben Sie die Therme Stegersbach gestaltet und das Bühnenbild von „Der Zigeunerbaron“ für die Seefestspiele Mörbisch entworfen. Was hat Sie daran begeistert?
KUMPF: Die Bauten haben sich naturgemäß ergeben, ich wurde einfach gefragt. Und wenn so eine große Bühne mit 3.600 Quadratmetern wie in Mörbisch vorhanden ist, dann ist das eine sehr schöne Aufgabe für einen Künstler, dort ein Bühnenbild zu entwerfen. Außerdem war dieses Thema für mich wie geschaffen (lacht).

1970 versuchten Sie sich auch als Schauspieler in dem Film „Das falsche Gewicht“. Warum blieb es bei diesem einen Ausflug?
KUMPF: Auch da wurde ich sozusagen „entdeckt“, weil mich der Drehbuchautor des Filmes, Fritz Hochwälder, bei einer Ausstellung gesehen hat. Aufgrund meines Aussehens hat Hochwälder sofort erkannt, dass ich der „Sameschkin“ bin. Eine Figur dieses Filmes und Gegenspieler von Helmut Qualtinger. So wurde ich eingeladen, diese Rolle zu spielen.

Wie hat es Sie ins Burgenland verschlagen?
KUMPF: Es war hauptsächlich die Landschaft, die mich fasziniert hat, und dann hat es sich ergeben, dass ich einen alten Streckhof gefunden habe, den ich gemeinsam mit meiner 1982 verstorbenen Frau, der akademischen Malerin Prof. Maria Plachky, restaurieren konnte.

Was fasziniert Sie am Burgenland, an der Landschaft? Ihr Gemälde „Löffler über der Langen Lacke“ wurde eine Ihrer bekanntesten Arbeiten …
KUMPF: Natürlich ist diese besondere Landschaft im nördlichen Burgenland in Österreich einzigartig. Das Ölbild „Löffler über der Langen Lacke“ habe ich für die Errettung des „Naturschutzgebietes Lange Lacke“ gemalt. Gemeinsam mit dem ORF und WWF haben wir diese Aktion gestartet und daraus wurde der heutige „Nationalpark Neusiedler See / Seewinkel“.

Sie sind als Künstler ungeheuer vielfältig. Was hat Ihnen am meisten Spaß gemacht?
KUMPF: Die große Freiheit und Vielfältigkeit, die man in diesem Beruf hat.

Was ist das Beste an Ihrem Beruf?
KUMPF: Dass ich immer und überall arbeiten kann, ganz, wie es mir gefällt.

Wer oder was ist Ihre größte Inspiration?
KUMPF: Die Natur, die man nie übertreffen kann.

Gibt es in Ihrem Leben etwas, das Sie gerne gemacht hätten, es aber nie dazu kam?
KUMPF: Nein!

Wie erleben Sie die Corona-Pandemie?
KUMPF: Für mich persönlich hat sich nicht viel geändert, weil ich ja immer zu Hause im Atelier arbeite – außer bei den Bronzeskulpturen, die ich in Italien gieße, und jetzt kann ich nicht nach Bologna fahren. Derzeit arbeite ich gerade an Ölbildern für die nächste Ausstellung. Aber allgemein spürt man die große Depression auf jedem Gebiet. Mir tut das alles sehr leid.

Wie sieht ein perfekter Tag für Sie aus?
KUMPF: Wenn ich nach dem Frühstück sofort arbeiten – malen oder bildhauern – kann.

Was ist Ihr liebster Ort auf der ganzen Welt?
KUMPF: Mein Atelier.

Welches Motto passt zu Ihrem Leben?
KUMPF: Leben und leben lassen.

Welchen Wunsch möchten Sie sich noch erfüllen?
KUMPF: Natürlich – so wie vermutlich jeder – dass Corona bald vorbei ist. Und dass es danach so weitergeht wie vorher in meinem Leben.


Interview mit T.C. Boyle

„Sam soll uns das Herz brechen!“


Affenliebe. Im neuen Roman des US-Bestsellerautors geht es um die Zuneigung einer Studentin zu dem Jungschimpansen Sam, der im Rahmen eines Forschungsprojekts die Zeichensprache erlernt. T.C. Boyle im Interview aus Santa Barbara, Kalifornien.
Text: Helmut Schneider / Foto: Stefan Joham


„Sprich mit mir“ – so der Romantitel – ist eine Aufforderung, die nach der Lektüre wie ein Flehen klingt. Sam ist ein junger Schimpanse, dem ein karrierefixierter Wissenschaftler Ende der 70er-Jahre in Kalifornien die Zeichensprache beibringt und der bei ihm zu Hause wie ein Kleinkind aufwächst. Zur Betreuung holt er sich Studierende, und eine von ihnen –
Aimee – baut eine besonders intensive Bindung zu ihrem „Forschungsobjekt“ auf. Als Sam wieder an seinen Besitzer, einen anderen Wissenschaftler in Utah, der Affen eher als Kapitalanlage hält, zurückgegeben werden muss, fasst Aimee einen tollkühnen Plan. Sie will Sam befreien. Wir konnten dazu den Autor des Romans, T. C. Boyle,
befragen und dabei auch den Zustand der USA nach der Erstürmung des Kapitols ansprechen.

wienlive: 2020 war hart für uns alle – besonders für Sie als Schriftsteller?
T. C. BOYLE: Die permanente Anspannung war natürlich erschöpfend für mich. Mein Sohn hat vergangenen Frühling seine Facharztausbildung in einem der größten Krankenhäuser von L.A. begonnen und war damit gleich an der vordersten Front in der Pandemie, was für uns sehr beunruhigend war – er wurde aber vor kurzem bereits geimpft. Unnötig zu erwähnen, dass die ganze Situation tausendmal verschärft wurde durch das Spektakel des Möchtegern-Diktators im Weißen Haus. Trumps Mangel an Interesse für die Pandemie und seine Inkompetenz haben Tausenden von Menschen das Leben gekostet. Ich persönlich habe das getan, was ich immer mache: früh aufstehen, schreiben, lange Wanderungen am Strand oder in den Bergen, schlafen und den Traum vom reinen Herzen träumen. Und das immer wieder und wieder und wieder.

Wie schätzen Sie den Angriff, den Sturm aufs Kapitol ein?
BOYLE: Ich bin wütend auf die Machthaber, die es nicht geschafft haben, Trump im Zaum zu halten und dabei nur an ihre eigenen Ambitionen gedacht haben. Es klebt Blut an ihren Händen und ich hoffe, sie werden für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen ebenso wie jene, die ins Weiße Haus eingefallen sind. In jeder anderen Demokratie wäre Trump jetzt hinter Gittern – ebenso wie die Aufpeitscher, die ihn unterstützen, wie die Senatoren Josh Hawley und Ted Cruz.

Was erwarten Sie vom neuen Präsidenten Joe Biden?
BOYLE: Frieden, Normalität und Vernunft.

Wie sind Sie auf die Idee zu „Sprich mit mir“ gekommen?
BOYLE: Als ich in Iowa als Student des Writers’ Workshop war, erfuhr ich, dass Wissenschaftler versuchten, Affen Sprache beizubringen – das hat mich fasziniert. Mein erster Band Kurzgeschichten, von denen ich viele noch als Student geschrieben habe, hieß „Descent of Man“ (Die Abstammung der Menschheit), und die erste Geschichte ist ein absurdes Gespräch zu diesem Thema. Ich bin also Jahre später zu diesem Material zurückgekehrt und habe einen Roman über die Fremdpflege-Experimente in den 70er- und 80er-Jahren konstruiert, in denen Affen von Menschen aufgezogen wurden, um herauszufinden, wie viel Sprache man ihnen beibringen kann.



Gab es historische Vorbilder? Die Schimpansin Washoe war etwa schon in den 60er-Jahren fähig, mit Zeichensprache zu kommunizieren …
BOYLE: Ja, die gab es. Ich war von mehreren Sachbüchern über diese Experimente inspiriert, besonders von der herzerwärmenden Biografie von Elizabeth Hess „Nim Chimpsky: The Chimp Who Would Be Human“.

Haben Sie persönliche Erlebnisse mit Menschenaffen?
BOYLE: Eine enge Freundin von mir ist Primatenforscherin. Sie hat mich eingeladen, mit Menschen zu sprechen, die im Zoo von L.A. arbeiten, und mich dort umzusehen. Bei der Schaffung der Figur des Sam musste ich mich aber auf meine schriftstellerischen Instinkte verlassen, Sam wurde für mich immer deutlicher, je mehr das Buch anwuchs.

Das geht ja so weit, dass jedes zweite Kapitel aus Sams Sicht erzählt wird …
BOYLE: Der Reiz und die Herausforderung bestand ja gerade darin, in die Rolle eines Schimpansen zu schlüpfen und seine Sicht der Dinge darzulegen.

Kennen Sie Franz Kafkas „Ein Bericht für eine Akademie“?
BOYLE: Ja, natürlich, eine meiner liebsten Kafka-Erzählungen, in der wunderbar witzig die Frage nach dem Menschlichen im Tier und dem Tierischen im Menschen gestellt wird.

Die meisten gelehrigen Schimpansen in der Wissenschaft waren Weibchen, Sie haben sich für ein Männchen entschieden – wegen der Beinahe-Love-Story?
BOYLE: Im Unterschied zu unserer Spezies, wo die weiblichen Exemplare viel intelligenter sind als die männlichen, dürfte bei den Schimpansen das Geschlecht in Sachen Intelligenz keine Rolle spielen. Dass Wissenschaftler lieber mit weiblichen Jungtieren arbeiten, dürfte daran liegen, dass sie verträglicher sind – obwohl sie genauso viel Kraft haben und auch gefährlich sein können. Aber für meinen Roman war eine Art Dreiecksbeziehung – der Professor verliebt sich ja auch in die Studentin Aimee – natürlich spannend.

Die Hauptfigur Aimee scheint etwas unentschlossen – will sie quasi ihre innere Leere mit Sam ausgleichen?
BOYLE: Ich verstehe Ihre Interpretation, aber ich teile sie nicht. Aimee ist scheu und unartikuliert – das schien mir in einem Roman über Sprache und Identität sehr passend.

Eines meiner TV-Highlights als Kind war die Serie „Daktari“ mit dem Schimpansen Judy. Was haben Sie als Kind gesehen?
BOYLE: Eigentlich nur Cowboys, Cowboys und wieder Cowboys. Tod durch Drücken eines Abzugs. Selbstgezüchtete amerikanische Gewalt, was sonst? Sie konnten das im echten Leben sehen, als Trumps Mob das Kapitol stürmte.

Wie wichtig ist Ihnen Tierwohl? Sie sind ja Vegetarier und hatten auch immer Haustiere …
BOYLE: Ich bin zwar kein echter Vegetarier, aber ich beschränke mich auf Fisch und Putenfleisch – wenn ich denn einmal Fleisch esse, und zwar aus ethischen Gründen. Ich leide mit den Tieren mit – aber natürlich auch mit Menschen. „Sprich mit mir“ soll Menschen aufrütteln. Möge Sam sie bezirzen und ihnen das Herz brechen!

Angeblich arbeiten Sie schon am nächsten Roman – können Sie uns verraten, worum es gehen wird?
BOYLE: Nächstes Jahr wird ein Band mit 13 Kurzgeschichten mit dem Titel „I Walk Between the Raindrops“ (nach der in der New York Times erschienenen Titelstory) herauskommen. Und ich habe gerade die ersten 50 Seiten meines neuen Romans „Blue Skies“ geschrieben, der im Heute beginnt und in der Zukunft meines Romans „Ein Freund der Erde“ weitergeht. Es geht darin um Umweltzerstörung, den Klimakollaps und das Verschwinden anderer Lebewesen, die mit uns die Erde bewohnen. Wird irgendeine Spezies übrig bleiben mit Ausnahme von Mikroorganismen? Denn nicht zuletzt das Coronavirus hat uns gezeigt, dass wir – auch wenn wir das gerne glauben – nicht an der Spitze der Nahrungskette stehen …


ING in Österreich

Immer einen Schritt voraus


Individuelle Finanzlösungen: Roman Ermantraut leitet das Großkundengeschäft der ING in Österreich. Er will mit grünen Finanzierungen sowie der Anbindung an das globale ING Netzwerk mit Niederlassungen in mehr als 40 Ländern der Welt punkten.
Text: Ursula Scheidl / Foto: Stefan Joham


Mehr als 30 Billionen Euro wird es laut Internationaler Energieagentur bis 2035 brauchen, um das Pariser Klimaziel von 1,5 bis 2 Grad zu erreichen. Dafür bedarf es nicht nur der Anstrengung von Regierungen, Technologie- und Infrastrukturkonzernen, sondern auch ganz besonders des Beitrags der Finanzwirtschaft. Selbst bereits seit 2007 klimaneutral, setzt die ING einen Schwerpunkt bei Nachhaltigkeitsfinanzierungen. So entstanden nicht nur Handlungsgrundsätze wie die Abkehr von der Finanzierung der Kohleindustrie, sondern auch ein Finanzierungsangebot, das Anstrengungen zur Klimaverbesserung vorantreibt, und ein Pool von Experten, die ihr Know-how einbringen wie Roman Ermantraut.

wienlive: Hatten Sie schon als Kind eine Affinität zu Zahlen?
ROMAN ERMANTRAUT: Ja, aber meine Leidenschaft ist das Gespräch mit Menschen, um Geschäfte zu machen und einen Mehrwert zu schaffen. Die Corona-Krise trifft mich hart, weil ich anstatt mit Menschen zu arbeiten den ganzen Tag vor meinem Bildschirm sitze. Seit 15 Jahren bin ich bei der Bank, und von Anfang an war ich viel unterwegs, um unsere Kunden zu betreuen.

Wie sieht diese Betreuung genau aus?
ERMANTRAUT: Bei einer Bankenbetreuung geht es nicht nur um Finanzierung, sondern auch um Dienstleistungen. Wenn Sie z. B. 50 Euro von Wien nach Belgien überweisen, dann braucht es eine Partnerbank in Belgien, die diese Zahlung annimmt und weiterverteilt. Es gibt auch Dienstleistungen bei Handelsfinanzierungen, wenn Sie als Unternehmen Waren verschicken. Meistens sichern das Banken über Akkreditive oder Garantien ab. Und es gibt natürlich den Kapitalmarkt, wo es etwa um die Finanzierung mittels Anleihen geht.

Wie gehen Sie dabei vor ?
ERMANTRAUT: Wir verstehen uns als Partner, um gemeinsam mit unseren Kunden Wege und Lösungen in immer herausfordernder werdenden Umfeldern zu erarbeiten. Persönliche Kundenbetreuer und globale Experten-Teams in Amsterdam, London und Frankfurt mit Erfahrungen aus den unterschiedlichsten Bereichen stehen dabei zur Verfügung. Jeder Kunde ist einzigartig und verdient auf seine speziellen Bedürfnisse optimal zugeschnittene Lösungen. Wir servicieren sowohl große österreichische Unternehmen als auch internationale, in Österreich aktive Unternehmen und bringen dabei lokale und globale Expertise mit ein.

Was unterscheidet ING von anderen Banken?
ERMANTRAUT: Wir haben uns der Nachhaltigkeit verschrieben. Wir glauben, dass nachhaltig wirtschaftende Unternehmen langfristig besser dastehen und auch ein besseres Credit Rating haben werden. Daher haben wir Produkte entwickelt, die nachhaltiges Wirtschaften fördern. Vor zwei Jahren haben wir auch in Österreich mit einem grünen Kredit begonnen, wir nennen ihn Sustainability Improvement Loan. Wenn ein Unternehmen nachhaltig wirtschaftet, dann wird der Kredit über die Jahre billiger. Ratingagenturen machen ein Nachhaltigkeitsrating, das direkt an den Zins des Kredits gekoppelt ist: je besser das Rating, desto weniger Zinsen. Wir glauben, dass wir als Bank einen gesellschaftlichen Auftrag haben, die Nachhaltigkeit voranzutreiben.

Was verstehen Sie unter nachhaltiger Finanzierung?
ERMANTRAUT: Wir bieten Unternehmen in Österreich die gesamte Palette grüner Finanzierungen an und begleiten sie auf ihrem Weg zu mehr Nachhaltigkeit. Freilich setzen wir dabei hohe Standards an, nicht nur bei uns selbst, sondern auch bei den Finanzierungswerbern, die – um in den Genuss des günstigen Nachhaltigkeitszinssatzes zu kommen – besondere Voraussetzungen im Bereich Umwelt und Soziales erfüllen müssen. Mittlerweile stieß diese Idee auch beim Finanz- und Umweltministerium auf großes Gehör. Weil es nicht darum geht, wie grün man schon ist, sondern um die Transformation, wie man sich verbessert. Der Ausstieg aus Kohle hin zu Gas und idealerweise Ökostrom muss auch finanziert werden. Diesen Energiewandel sollen der Staat und die Banken finanzieren, und wenn es Anreize gibt, tun sich die Unternehmen leichter.

Wie soll das Unternehmen trotz Corona wachsen?
ERMANTRAUT: Wir setzen auf grünes Wachstum und wollen Branchenführer für Sustainable Finance werden und Vorbild sein. Von 2018 bis Ende 2019 sind wir stark gewachsen. Corona trifft uns natürlich, aber wir haben uns auf eine relativ überschaubare Kundengruppe fixiert, die wir ordentlich betreuen, nicht nur in Österreich, sondern auch international, in Ost- und Westeuropa, aber auch in Asien und Nord- und Südamerika. Unsere Kunden schätzen langfristige Beziehungen, wobei der Mensch im Vordergrund steht. Wir sind nicht hier, um schnelle Profite zu machen, sondern wollen das Geld der österreichischen Sparer in die österreichische Wirtschaft zurückinvestieren. Derzeit haben wir hier etwa 7 Milliarden an Einlagen, das Kreditvolumen beträgt aber erst eine Milliarde. Mein Ziel ist, dass wir so stark wachsen, dass das Geld, das hier eingelegt wird, auch weiter hier verborgt wird.


„Bank. Aber besser.“ lautet das Motto, unter dem die ING in Österreich Services der digitalen Vollbank anbietet. Über eine halbe Million Kunden nutzen Girokonten, Verbraucherkredite, Immobilienfinanzierungen, Sparkonten und Depots. Firmenkunden bietet die ING Finanzlösungen auf internationalem Niveau unter Einbindung der weltweit tätigen ING Group.
www.ing.at

Warhol im Mumok

Abseits der Suppendosen


Im mumok wirft eine Ausstellung einen Blick auf das wenig bekannte, aber überraschend interessante Frühwerk des Popkultur-Chamäleons. Marianne Dobner hat die Warhol-Ausstellung im mumok kuratiert.
Text: Helmut Schneider / Fotos: Stefan Joham


Andy Warhol scheinen alle schon zu kennen. Seine Porträts von Celebrities wie Marilyn Monroe oder Mao, seine Suppendosen und seine „Death and Disaster“-Serie mit Autounfällen und dem elektrischen Stuhl sind fast schon popkulturelle Klischees – ähnlich wie Klimtreproduktionen. Das mumok beschäftigt sich nun aber in den Ausstellungen „ANDY WARHOL EXHIBITS a glittering alternative“ und „DEFROSTING THE ICEBOX“ mit Andy Warhol als Installationskünstler und Kurator. Gezeigt werden dabei auch frühe Arbeiten wie Zeichnungen, die der damals noch als gefragter Illustrator beschäftigte Künstler anfertigte. Kunstwerke, die Warhol später nicht mehr zeigen wollte – war er doch inzwischen selbst zur Kunstfigur und zum lebenden Mythos geworden. Im mumok bekommt man jetzt quasi einen rohen Warhol zu sehen, einen sehr witzigen noch dazu, der in Zeichnungen Penisse als Personen auftreten ließ oder sich über die Modeszene lustig machte. In „DEFROSTING THE ICEBOX“ wird eine Ausstellung dokumentiert, die Warhol Ende der 60er-Jahre in Providence veranstaltet hat – mit Objekten ausschließlich aus den Depot-Beständen des Museum of Art der Rhode Island School of Design. Die Kuratorin beider Schauen, Marianne Dobner, hat dabei auch Warhols Idee aufgegriffen und sich mit Objekten aus dem Wiener Weltmuseum und der Antikensammlung des KHM bedient.

wienlive: Andy Warhol ist einer der meistgezeigten und bestdokumentierten Künstler – warum bringt ihn das mumok jetzt trotzdem?
MARIANNE DOBNER: Wir hatten tatsächlich seit fast 40 Jahren keine Warhol-Ausstellung – die letzte Schau war 1981 im 20er-Haus, als Warhol noch gelebt hat. Der zweite Grund ist, dass ich selbst seit acht Jahren über Andy Warhol forsche und auch meine Doktorarbeit über ihn schreibe – die Ausstellungen sind sozusagen auf meinen Vorschlag hin entstanden.

Warhol ist ja einer der teuersten Künstler – wie schwer ist es da, an Objekte heranzukommen?
DOBNER: Beim Frühwerk ist es nicht ganz so schwierig. Das ist zwar zerstreut – es braucht also viel Recherche, um herauszufinden, wo die einzelnen Arbeiten sind –, aber andererseits sind die Versicherungssummen nicht so hoch.

Es heißt aber auch, Warhol wollte sein Frühwerk eher verstecken …
DOBNER: Ja, das hat er tatsächlich versucht. Ab 1962 hat er sein künstlerisches Frühwerk nicht mehr öffentlich ausgestellt und hat alle Ausstellungsprojekte, die Retrospektiven zeigen wollten, unterwandert, indem er gesagt hat, ihr bekommt meine Leihgaben, aber nur wenn ihr das Frühwerk ausklammert. 

Und warum wollten Sie dann justament das Frühwerk zeigen?
DOBNER: Ich glaube einfach, dass man diesen Mythos Warhol, diesen Charakter ohne Vergangenheit, nur dann verstehen kann, wenn man sich auch mit seinen Anfängen beschäftigt. In den Fünfziger Jahren hat er noch viel experimentiert, er war auf dem Papier sogar mutiger als dann später auf der Leinwand. Vieles hat er damals probiert, was später perfektioniert wurde. Die meisten, die heute Warhol kuratieren, haben Warhol ja noch persönlich gekannt – das ist bei mir nicht der Fall, wodurch ich einen gewissen historischen Abstand zu ihm habe. Mein Vorteil ist: Ich kann sein Werk aus einem anderen Blickwinkel ansehen, denn ich bin einfach aus einer anderen Generation.

Haben Sie ein persönliches Lieblingswerk in der Ausstellung?
DOBNER: Mir gefallen etwa die marmorierten Papierarbeiten gleich beim Eingang sehr gut, die ich im Archiv des Warhol-Museums in seiner Geburtsstadt Pittsburgh gefunden habe. Es heißt ja immer, Warhol habe in den Fünfziger Jahren nicht abstrakt, sondern nur figurativ gearbeitet. Mit diesen Arbeiten kann man das absolut widerlegen.
Spannend ist auch, dass er diese alte Technik des Marmorierens verwendet hat, bei der ein Blatt in einem Bad aus Öl und Farbe so lange geschwenkt wird, bis man die gewünschte Struktur erreicht. Warhol hat die Blätter anschließend zu Papierfiguren gefaltet und an der Wand aufgehängt oder am Boden verstreut.
Das war 1954 – vielleicht also eine seiner frühesten Installationen. Auf der Rückseite der Arbeiten kann man sogar noch Pfotenabdrücke von Warhols Katzen erkennen. Und man sieht, dass sich Warhol bereits in dieser frühen Zeit intensiv mit dem Raum auseinandergesetzt hat.

Zu dieser Zeit hat er ja noch sehr erfolgreich als Grafiker gearbeitet, oder?
DOBNER: Definitiv. Er war in den Fünfziger Jahren wirklich ein sehr gut verdienender Grafiker und hat bis in die 70er-Jahre immer wieder illustriert – etwa Kinder- und Kochbücher. Bereits Mitte der 50er-Jahre konnte er sich dadurch sein erstes Town-House in Manhattan leisten.

Zu den berühmten Silver Clouds. Sie haben die damalige Ausstellung sozusagen nachgestellt?
DOBNER: Ja, „Silver Clouds and Cow Wallpaper“ wurde 1966 bei Castelli gezeigt. Im ersten Raum gibt es nur die Tapete mit den sich wiederholenden Kuhköpfen und im zweiten die mit Helium gefüllten silbernen Kissen. Wir wollten zeigen, dass für Warhol der Raum immer ein wichtiger Teil der Ausstellung war. Es war bewusst als Doppelinstallation konzipiert. Die Idee besteht aus der Darstellung von Gegensätzen – der leere bunte Raum mit der rosa Kuh an der Wand und der monochrome Raum mit den dreidimensionalen, sich bewegenden silbernen Kissen, wo die Gäste auch aktiv werden müssen.

Wie haben das die Besucher aufgenommen?
DOBNER: Nicht so schlecht, wobei gesagt werden muss, dass Warhol in Europa immer besser verstanden wurde als in den USA. „Silver Clouds and Cow Wallpaper“ kam ja später auch nach Köln und einige andere Städte. Und da war das Publikum wirklich begeistert. Man darf auch nicht vergessen, dass das völlig unverkäuflich war – obwohl Castelli schon sehr kommerziell ausgerichtet war.


Felix Salten

Der talentierte Mr. Salten


Eine Doppelausstellung im MUSA und in der Wienbibliothek zeigt Bambi-Erfinder Felix Salten als Netzwerker und aufgeweckten Europäer, der auch die USA bereiste. Ab 8. Dezember hat das Wien Museum wieder für Besucher geöffnet.
Text: Helmut Schneider / Foto: Sabine Hauswirth, Wien Museum


Felix Salten hatte das Glück, das pulsierende Wien vor dem Ersten Weltkrieg erleben und sogar mitgestalten zu dürfen, und das Pech, noch im Alter vor den Nazis fliehen zu müssen. Zu seinem 75. Todestag gibt es jetzt zwei zusammenhängende Ausstellungen im Wien Museum/MUSA und in der Wienbibliothek, die sein vielschichtiges Werk als Autor, Journalist und Drehbuchschreiber sowie sein bewegtes Leben darstellen. Salten hat sich mit viel Fleiß und Geschick aus bescheidenen familären Verhältnissen zu einem gut verdienenden, einflussreichen Wiener Intellektuellen hochgearbeitet. Er war ein offener Charakter, der etwa auch mit Begeisterung für die aufkommende Filmindustrie produzierte. An den Filmrechten für seinen größten Erfolg – „Bambi“ – hat er freilich nicht viel verdient, da er sie schon vor der Disney-Anfrage verkauft hatte. Aber als Buch war „Bambi“ natürlich ein Riesenerfolg, der ihn dazu bewegte, noch mehrere Tiergeschichten „nachzuschießen“. Wir befragten dazu Ursula Storch, Kuratorin der Schau im MUSA.

Felix Salten, Filmstill aus „Die kleine Veronika“, 1929 (Ausschnitt) – ein Beispiel für Saltens umfangreiches Filmschaffen in Wien

wienlive: Wie kam es zur Idee einer Salten-Ausstellung?
URSULA STORCH: Die Idee stammt von Sylvia Mattl-Wurm, der damaligen Direktorin der Wienbibliothek, die sich auch darum bemüht hatte, dass 2015 der Salten-Nachlass aus Zürich nach Wien kam. Ihr schwebte immer auch eine Ausstellung im Umfeld der Kunst vor und diese Kooperation zwischen Wien Museum und Wienbibliothek war quasi das Letzte, was sie auf Schiene bringen konnte, bevor sie in die wohlverdiente Pension gegangen ist.

Was macht Felix Salten heute noch interessant?
STORCH: Für mich ist faszinierend, dass Salten zu fast allen berühmten Menschen seiner Zeit Kontakt hatte. Ich stelle mir das so vor wie ein Spinnennetz, in dem alle bedeutenden Promis eingefangen sind, und merkwürdigerweise kennt man den, der in der Mitte als Spinne sitzt, am wenigsten. Salten war ein genialer Netzwerker, lange bevor es diesem Begriff überhaupt gegeben hat.

Er war auch ein Aufsteiger, der zeitlebens gut verdient hat …
STORCH: Ja, er war sogar ein Schulabbrecher, weil er einfach für seine Familie Geld verdienen musste. Trotzdem hat er dann auch gerne Geld ausgegeben und war ein bisschen ein Dandy, der immer Wert auf sein elegantes Erscheinungsbild gelegt hat. Salten war auch einer der ersten Wiener, die sich ein eigenes Auto leisten konnten.

Was waren seine Einnahmequellen?
STORCH: Primär seine journalistische Arbeit, die immer seine ökonomische Basis darstellte. Aber er war auch als Schriftsteller sehr erfolgreich und sehr anpassungsfähig. Er hatte das Talent, wirklich klug und geschickt mit Sprache umgehen zu können. Er war so etwas wie ein Sprachchamäleon, das wirklich jedes Genre bedienen konnte – durchaus auch in der Absicht, für den Markt zu schreiben, um damit möglichst viel Geld zu verdienen. Von ihm gibt es wirklich alles: Operettenlibretti, Theaterstücke, 
Reiseberichte, Übersetzungen, natürlich Feuille-
tons, Kinderbücher, Drehbücher und Romane.

Trotzdem kennt man ihn heute nur noch als Bambi-Erfinder und Vielleicht-Mutzenbacher-Autor – warum?
STORCH: Ich denke dadurch, dass er so extrem für den Markt geschrieben hat, gelang ihm nichts wirklich Bleibendes. Er schrieb einfach das, was seine Zeitgenossen verlangt haben.

Interessant ist auch, dass er international interessiert war, wie seine USA-Reise zeigt …
STORCH: Er muss auch sehr gut Englisch gesprochen haben, denn er hat ja auch Übersetzungen gemacht. Es gibt Fotos, wo er neben Buster Keaton und Marlene Dietrich steht.

Weil er so ein Alleskönner war, hat ihm Karl Kraus auch die „Josefine Mutzenbacher“ angedichtet…
STORCH: Im Katalog führt Murray G. Hall aus, warum die „Mutzenbacher“ mit großer Wahrscheinlichkeit nicht von Felix Salten verfasst wurde. Obwohl in seinem Nachlass jetzt eine pornographische Erzählung aufgetaucht ist – allerdings viel später, nämlich in den 30er-Jahren, geschrieben und stilistisch völlig anders als „die Mutzenbacher“.

Was ist Ihr Lieblingstext von Felix Salten?
STORCH: Mir gefallen seine essayistischen Stücke am besten. Ein Tipp wäre etwa seine Darstellung des Wiener Praters – „Wurstelprater“ (1911) –, den er so beschreibt, wie es ihn wahrscheinlich damals schon nicht mehr gab. Da offenbart sich eine große Sehnsucht nach dem Urwienerischen.


Im Schatten von Bambi – Felix Salten entdeckt die Wiener Moderne
Wien Museum im MUSA, 1010 Wien, Felderstraße 6–8
Dienstag bis Sonntag & feiertags: 10 bis 18 Uhr
Wienbibliothek im Rathaus, Ausstellungskabinett
1082 Wien, Rathaus, Eingang Felderstraße, Stiege 6
Montag bis Freitag: 9 bis 17 Uhr
Eintritt frei!

Martin Schläpfer – der neue Direktor

Tänzer, Choreograf & Philosoph


Gewinnend ehrlich. Leicht hat es sich Martin Schläpfer nie gemacht. Als neuer Direktor möchte er das Wiener Staatsballett international noch bekannter machen.
Text: Ursula Scheidl / Fotos: Ashley Taylor, Tillmann Franzen


Dass das Interview anders als sonst ablaufen würde, darauf war ich vorbereitet: Fiebermessen beim Eingang in die Staatsoper, zweimalige Registrierung, FFP2-Maske aufsetzen, kein Fotograf, viel Abstand – die Sicherheitsmaßnahmen sind enorm! Schließlich geht es doch darum, den Probe- und Spielbetrieb unter keinen Umständen zu gefährden. Martin Schläpfer verspätet sich – um drei (!) Minuten – und entschuldigt sich ausführlich. Pünktlichkeit ist dem gebürtigen Schweizer wichtig. Er ist sehr freundlich, aber kein „Showman“ und lässt sich gerne zu Gedankenspielen verführen. Für seine Antworten nimmt er sich viel Zeit, so viel, dass er beinahe seinen Folgetermin vergisst. Geschwätz ist ihm fremd, was er sagt, muss stimmen, aber nicht immer stimmig sein. Aus einer Appenzeller Bauernfamilie stammend, sollte der jüngste von drei Brüdern entweder Biobauer oder Lehrer werden. Während seiner Schulzeit nahm er Geigenunterricht und erlernte den Eiskunstlauf. Da sah ihn die lokale Ballettlehrerin Marianne Fuchs und überredete ihn 1975, im Alter von fünfzehn Jahren, eine Ballettausbildung zu beginnen. 1977 gewann Schläpfer als bester Schweizer beim Prix de Lausanne ein Stipendium, das ihm ein weiteres Ballettstudium an der Royal Ballet School in London ermöglichte.

Martin Schläpfer ist der neue Direktor des Wiener Staats-balletts. Davor war er 11 Jahre Ballettdirektor und Chefchoreograf an der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf und Duisburg, wo er das Ballett komplett neu formierte.

wienlive: Sie haben – gegen den anfänglichen Widerstand Ihrer Eltern – relativ spät mit dem Tanzen angefangen …
MARTIN SCHLÄPFER: Ich war ein Spätzünder und sah im Alter von 15 aus wie elf. Aber ich war völlig begeistert von diesem Ballett, das war für mich einfach alles. Darum habe ich mich wahrscheinlich auch über die Grenzen verausgabt, wurde schlechter in der Schule. In St. Gallen, in der Provinz in den 70er-Jahren war das für meine Eltern sicherlich sehr belastend.

Trotzdem haben Sie international Karriere gemacht. Wie ist Ihnen das gelungen?
SCHLÄPFER: Man muss ab und zu einen Widerstand überwinden, um herauszufinden, was man unbedingt will. Ich hatte auch immer das Glück, wirklich die für mich besten Lehrer zu haben. Und auch nicht angepasste Künstler, die mich ein Stück weit unterstützt haben.

Man sagt Ihnen nach, dass Sie ein wenig störrisch und eigensinnig waren, sind Sie es noch?
SCHLÄPFER: Ja, ich denke schon, aber weniger emotional, sondern mehr der Tanzkunst wegen, die man durchaus ab und an zu verteidigen hat. Ein wenig hat das auch mit meiner bäuerlichen Erziehung zu tun, dass man sich nur bis zu einem gewissen Punkt dreinreden lässt. Aber ich hoffe, dass ich heute durchaus auch zur Diplomatie fähig bin.

Warum haben Sie bereits mit 27 aufgehört zu tanzen?
SCHLÄPFER: Ich war beim Basler Ballett künstlerisch verloren und habe intuitiv gemerkt, dass ich einen Wechsel brauche. Ich war ein sehr scheuer und gleichzeitig sehr kraftvoller Mensch, aber ich spürte, dass ich als Persönlichkeit etwas auffüllen muss und nicht immer anecken kann.

Tut es Ihnen leid, das Tanzen so früh aufgegeben zu haben?
SCHLÄPFER: Nein, weil ich heute nicht dort wäre ohne diesen Schnitt, aber natürlich tut es mir weh. Ich war hochbegabt und hätte eine Weltkarriere machen können, aber ich habe die Entscheidung selber zu verantworten.

In Bern haben Sie als Choreograf begonnen. Was braucht ein guter Choreograf?
SCHLÄPFER: Eine sehr starke Verbindung zu sich selber und zu den Dingen, die einem wichtig sind. Die Stücke können schön aussehen, aber ein Stück braucht eine Handschrift. Im besten Falle kommt man mit den Jahren zu einem unaustauschbaren Look. Vorbilder in dem Sinne habe ich nie gehabt, aber ich brauche Lehrer, jemanden wie Hans van Manen, den ich sehr respektiere. Aber ich bin nie jemand gewesen, der ihnen nacheifert, deshalb hat es so lange gedauert. Ich brauchte etwa zehn Jahre, um ein bisschen besser als der Durchschnitt zu sein. Denn ich möchte nicht öffentlich arbeiten und mittelmäßig sein, ich glaube, dann muss man es lassen.

Sie waren in Düsseldorf sehr erfolgreich. Warum sind Sie nach Wien gekommen?
SCHLÄPFER: Als ich das erste Mal gefragt wurde, war ich zu jung. Jetzt hatte ich eigentlich auch einen anderen Lebensplan und wollte zurückschalten. Nach drei intensiven Gesprächen hat mich Bogdan Roščić überzeugt. Ich spüre, dass ich von dem Mann intellektuell lernen kann.

Was zeichnet das Wiener Staatsballett aus?
SCHLÄPFER: Manuel Legris hat eine tolle Compagnie mit virtuosen Tänzern aufgebaut. Ich wusste ja nicht, was auf mich zukommt. Im Moment ist die Energie einfach wunderschön, wir sind sehr schnell zusammengekommen. Natürlich gibt’s da Platz nach oben, aber alle arbeiten gerne, es gibt kein Beamtentum hier. Ich bin fordernd, aber ein fairer Typ, der gerne persönlich mit den Tänzern arbeitet.

Als erste Premiere haben Sie sich „Live“ und Mahlers Vierte ausgesucht. Warum?
SCHLÄPFER: Über viele Jahre ist die Freundschaft mit Hans van Manen gewachsen. Ich hatte immer zu viel Respekt, ich bin Schweizer und nicht so ein „buddy type“. Aber er hat mir bereitwillig das Stück, das praktisch nirgends zu sehen ist, für Wien gegeben. Dann wollte ich für die erste Vorstellung unbedingt dieses großartige Orchester integrieren. Musik ist beim Tanz sehr wichtig für mich. Mahlers Vierte ist eine der leichteren, spielerischen Symphonien, trotzdem nicht ohne Hinterlist. Dieses Paradies am Schluss ist keines. Die Opulenz einerseits mit mehr als hundert Tänzerinnen und Tänzern auf der Bühne und andererseits dieses grandiose Meisterstück mit einer Tänzerin – mir schien diese Kombination einfach schön. Zudem passt Mahler gut zu Wien: sinnlich und plötzlich wieder so tief-traurig oder fast suizidal.

Was mögen Sie an Wien und woran müssen Sie sich noch gewöhnen?
SCHLÄPFER: Die Stadt ist nicht so gehetzt, nicht so aufgepeitscht. Sie ist eine Metropole, aber sie hat eine Sinnlichkeit. Allerdings muss ich die indirekte, wienerische Mentalität noch ein bisschen erforschen. In der Schweiz überlegen wir uns fünfmal, ob wir überhaupt etwas sagen. In Wien wird unglaublich viel geredet. Ich muss mich bemühen, das zu mögen, aber das ist nichts Schlimmes.

Was möchten Sie nach den ersten fünf Jahren erreicht haben?
SCHLÄPFER: Dass wir als Wiener Staatsballett unentbehrlich wichtig geworden sind. Die erste Premiere wird wegweisend sein, ob ich es geschafft habe, mit dem Publikum zu kommunizieren oder nicht!

Sie sind jetzt fast 61, sind Sie glücklich mit der Person, die Sie geworden sind?
SCHLÄPFER: Ich bin zufrieden, es gibt einiges, das ich für mich persönlich noch gerne hinkriegen würde, aber ob mir das gelingt, wird meine Gesundheit zeigen.


Kuratorium für die umfassende Landesverteidigung

Unser Heer kann mehr


Was bedeutet eigentlich umfassende Landesverteidigung in Zeiten von Corona und Cyber Crime? Vier Vollprofis erklären, was wirklich dahinter steckt (von links): Mag. Jürgen Wimmer, Stabschef des KULV; Mag.(FH) Dr. Gottfried Reiter, Leiter des Bildungsinstitutes des Kuratoriums für die Umfassende Landesverteidigung; Mag. Dr. Wolfgang Baumann, Präsident des KULV; Mag. Anton Wessely, Sektionsleiter „Militärische Landesverteidigung“ im KULV.
Text: Ursula Scheidl / Foto: Arman Rastegar


Wenn wir an unser Bundesheer denken, fallen uns zunächst die Präsentation militärischen Geräts am Wiener Ring am 26.Oktober, Einsätze beim Hochwasserschutz oder an unseren Grenzen und nicht zuletzt die Aushilfe beim Paketdienst der Post ein. Unser Heer hilft immer dann, wenn Not am Mann ist. Aber ist das wirklich alles? Keineswegs! Zur umfassenden Landesverteidigung gehören die militärische, die geistige, die zivile und die wirtschaftliche Landesverteidigung. Das politisch unabhängige Kuratorium für Umfassende Landesverteidigung (KULV) forciert eine breite sicherheitspolitische Diskussion über die Notwendigkeit der Wiederbelebung der Umfassenden Landesverteidigung sowie deren notwendige Anpassung an die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen. Dies soll unter Einbindung des Parlaments und der Bevölkerung geschehen. Davon abgeleitet erstellt und kommuniziert das KULV modern und unkompliziert gesamtstaatliche Empfehlungen für Politik, Bund, Länder, Gemeinden und die Bevölkerung.

Warum wurde der Verein KULV 2015 gegründet?
Wolfgang Baumann: Wir mussten erkennen, dass in der Bevölkerung die Inhalte der umfassenden Landesverteidigung zu wenig verankert sind. Durch den EU-Beitritt meinen die Österreicher auch, dass wir uns im Bedarfsfall auf die EU verlassen können. Wir haben aber 2015 bei der Migrationskrise und jetzt bei der Pandemie gesehen, dass die EU hier keine Zuständigkeiten hat, und die Nationalstaaten unverändert ihre Aufgaben erledigen müssen.

Die militärische Landesverteidigung leuchtet ein. Was verstehen Sie unter geistiger Landesverteidigung?
Gottfried Reiter: Das ist die wichtigste Säule überhaupt, da geistige Landesverteidigung die ideellen Voraussetzungen schaffen soll. Hier soll bereits bei der Jugend angesetzt werden: warum gibt es die Wehrpflicht, was sind die Werte unserer Republik? Seit 1978 gibt es einen Erlass, in dem die Inhalte der geistigen Landesverteidigung und der poltischen Bildung geregelt sind. Allerdings können viele Lehrer damit nichts anfangen, die meisten verstehen darunter eine Werbemaßnahme des Bundesheeres. Tatsächlich sollten sie, abgeleitet von einem Bedrohungsbild vermitteln, welche Maßnahmen jeder Mensch in seinem Alltag zur Krisenvorbereitung treffen sollte, etwa die Bevorratung. Das muss natürlich altersadäquat erfolgen. Hier müssen wir ein gemeinsames Verständnis zwischen dem Unterrichts- und dem Verteidigungsministerium schaffen.

Ist die Sicherheitsschule in Wiener Neustadt ein erster Versuch?
Reiter: Im 5-jährigen HAK-Lehrplan soll natürlich ein Schwerpunkt auf die geistige Landesverteidigung gelegt werden. Vor allem der schulautonome Erweiterungsbereich „Führung und Sicherheit“ bietet sich dafür an. Gerade in Zeiten von Covid 19 ist es wichtig, Risikoszenarien gut abschätzen und entsprechend reagieren zu können.

Wie steht es mit der wirtschaftlichen und zivilen Landesverteidigung?
Jürgen Wimmer: Die Bevölkerung ist auf eine Krise nicht entsprechend vorbereitet, wenn es etwa einen längeren Stromausfall gibt oder die Wasserversorgung gestört ist. In anderen Ländern ist es selbstverständlich, dass man alles zu Hause hat, um auch ohne Strom zu überleben. Das ist besonders wichtig, um auch ohne Internet Nachrichten zu empfangen. In der wirtschaftlichen Landesverteidigung müssen wir die Bevorratung und die Logistikketten sicherstellen, dass wir im Rahmen der kritischen Infrastruktur Betrieb in Österreich unterstütze, während der Pandemie haben etwa Schutzmasken gefehlt.

Sind wir nun besser vorbereitet?
Wolfgang Baumann: Vermutlich ja. Allerdings kommt nun die Wirtschafskrise dazu, und man müsste festlegen, welche Betriebe infrastrukturell wirklich relevant sind. Diese muss der Staat entsprechend unterstützen.

Die Katastrophenhilfe wird von den Menschen in Österreich enorm positiv gesehen. Die Bevölkerung ist dankbar. Was stört Sie daran?
Anton Wessely: Im Prinzip nichts, aber das sind keine Aufgaben der Landesverteidigung. Einsätze zur Katastrophenhilfe bedürfen nur technischer Kräfte und Mann-Stärke und erfordern, so wie sicherheitspolizeiliche Assistenzeinsätze, kein militärisches Gerät. Die Fähigkeit zum militärischen Kampf ist das Alleinstellungsmerkmal des Bundesheeres gegenüber den anderen Einsatzorganisationen Österreichs.

Was sind die nächsten Ziele?
Wolfgang Baumann: Wir haben das große Glück ein Verfassungsgesetz zu haben, in dem Landesverteidigung nicht nur militärisch, sondern umfassend gesamtstaatlich betrachtet wird. Wir müssen die Herzen der Bevölkerung gewinnen und alle vier Aspekte bewusst machen. Auch in der Außenpolitik sollte klar sein, dass wir kooperative Nachbarschaftspolitik betreiben und nicht nur egoistisch an uns selber denken.


Interview mit Jonas Kaufmann

„Liedgesang ist die Königsklasse des Singens“


Superstar Jonas Kaufmann, der beste und schönste Heldentenor der Welt, hat bei Sony eine neue CD herausgebracht: „Selige Stunde“ versammelt romantische Liebes- und Abschiedslieder, darunter das melancholische „Allerseelen“ und die leidenschaftliche „Zueignung“ von Richard Strauss, Schumanns lyrische „Mondnacht“ und die inbrünstige „Widmung“, aber auch Mozarts herziges „Veilchen“ und Schuberts launische „Forelle“. Kongenial begleitet am Klavier von seinem Lehrer Helmut Deutsch, betört der bayerische Herzensbrecher mit seinem vitalen, baritonal gefärbten, ein wenig verschleierten Tenor und seinem leicht kehligen Timbre, mit brennender Leidenschaft und großen Gefühlen.
Text: Elisabeth Hirschmann-Altzinger / Fotos: Julian Hargreaves; Gregor Hohenberg


wienlive: Auf Ihrem neuen Album „Selige Stunde“ singen Sie, begleitet von Helmut Deutsch am Klavier, sehnsüchtige Liebes- und Abschiedslieder von Schubert, Schumann, Mendelssohn oder Richard Strauss. Warum zitiert der Titel ein Lied von Zemlinsky?
JONAS KAUFMANN: Weil ich fand, dass dieser Titel am ehesten den Charakter des Albums trifft und weil er gezielt auf dieses Lied hinweist, das leider nicht mehr so bekannt ist. Die populären Lieder der CD – „Auf Flügeln des Gesanges“, „In mir klingt ein Lied“ oder „Mondnacht“ – sind ja als Albumtitel längst verbraucht.


Sind das Ihre Lieblingslieder?
KAUFMANN: Es ist unsere persönliche Wunsch-Liste, man könnte es ein Album von Zugaben nennen. Was aber nicht heißt, dass wir von den bekanntesten Lied-Komponisten die beliebtesten Rausschmeißer genommen haben. Vielmehr waren es Stücke, die uns besonders am Herzen liegen und die auch ganz charakteristisch für den jeweiligen Komponisten sind. Dazu haben wir Sachen ausgesucht, die man heute nicht mehr kennt, aber unbedingt kennen sollte.


Wie wichtig ist das Lied in Ihrer Karriere?
KAUFMANN: Sehr! Für mich ist Liedgesang die Königsklasse des Singens. Weil dieses Genre noch mehr Farben, Details und Nuancen braucht als die Oper. Leider habe ich das Aufnehmen von Liedern in letzter Zeit etwas vernachlässigt, der Kalender war immer zu voll. Deshalb war nach dem Lockdown mein erster Impuls, Helmut anzurufen: Jetzt ist die Chance, Lieder aufzunehmen.



Sie sind zuletzt in Grafenegg und im Theater im Park aufgetreten, singen das Sommernachtskonzert und ein Weihnachtskonzert im Konzerthaus. Hat das mit der Corona-Pandemie zu tun?
KAUFMANN: Natürlich. Wenn von März bis jetzt alles gelaufen wäre, wie geplant, hätte ich weder die konzertanten „Aida“-Vorstellungen in Neapel noch die Angebote aus Genf, Budapest und Ljubljana wahrnehmen können. Grafenegg war bereits geplant, allerdings nicht „Die schöne Müllerin“ sondern „Fidelio“. Auch das Schönbrunn-Konzert war längst geplant, nur findet es jetzt ohne Publikum statt. Die beiden Konzerte im Theater im Park am Belvedere kamen durch die Corona-Lücke zustande.


Sensationell ist Ihre Rückkehr an die Wiener Staatsoper unter dem neuen Direktor Bogdan Roščić. Was sind seine Qualitäten?
KAUFMANN: Dass er beides hat: die Leidenschaft für die Oper und Manager-Qualitäten. Normalerweise ist es heute ja ein Entweder-oder.


An der Staatsoper singen Sie „Don Carlos“ und „Parsifal“. Der italienische Seelendramatiker oder der teutonische Leitmotiv-Schöpfer – wer ist Ihnen lieber?
KAUFMANN: Als 2013 der 200. Geburtstag beider Komponisten gefeiert wurde, sang ich an der Met den Parsifal und lernte für mein Debüt als Manrico in „Il Trovatore“ in München. Da wurde ich oft gefragt, welcher der beiden Komponisten mir näher stünde. Musikalisch konnte ich die Frage nicht beantworten. Als ich in New York die Verdi-Partie studierte, war ich so gefangen von der Musik, dass ich nur noch Verdi singen wollte. Dann kam der nächste „Parsifal“, und ich tauchte ein in diesen Kosmos, vergaß alles drumherum und glaubte, das Größte gefunden zu haben. So ging das hin und her, ein Wechselbad der Gefühle. Als Mensch steht mir freilich Verdi näher; bei ihm muss
man den Künstler nicht vom Menschen trennen, das ist eine Einheit. Dass er auf die Frage nach seinem größten Werk geantwortet haben soll: „Mein Altenheim für Sänger“, macht ihn mir zusätzlich sympathisch. Bei Wagner hingegen gibt es, vorsichtig gesagt, einiges Befremdliche, vor allem seine antisemitischen Schriften und seine Selbstüberschätzung. Da wünschen sich selbst militante Wagnerianer, dass er nur komponiert und nicht so viel gesagt oder geschrieben hätte.


Sie gelten als der beste und schönste Operntenor. Hat das auch Nachteile?
KAUFMANN: Der größte Nachteil wäre, wenn die Leute nur noch mit den Augen hören und kaum noch unterscheiden können, ob ein Sänger Weltklasse oder bestenfalls Mittelmaß ist. Klar, im Zeitalter von Blu-ray, YouTube und Oper im Kino kann es einem als Sänger nicht egal sein, wie man aussieht. Das Modell „Singendes Sofa“ funktioniert nur noch in wenigen Ausnahmefällen, und Oper ist nun mal nicht nur Singen, sondern Musik plus Theater. Wenn aber eine Rolle in erster Linie nach der Optik besetzt wird und erstklassige Sänger durch solche ersetzt werden, die besser aussehen, dann ist für mich die Schmerzgrenze erreicht. Denn worum geht es denn in unserem Genre vor allem? Dass das Publikum gepackt wird von der Musik und von den Emotionen, die ein glaubhafter Darsteller auslöst. Und das funktioniert nun mal nicht, wenn das Aussehen top ist und die Stimm a Scherbn.


Selige Stunde.
Jonas Kaufmann
; Helmut deutscH (Sony Classical). Auf der CD „Selige Stunde“ versammeln Jonas Kaufmann und Helmut Deutsch romantische Lieder von Schubert, Schumann, Beethoven, Brahms, Mendelssohn, Mahler, Hugo Wolf und Richard Strauss. Überraschend und süß ist der Rudolf-Schock-Schlager „In mir klingt ein Lied“ nach der 3. Chopin-Etüde E-Dur.

Vorwahl-Interview

Wien hat schon viele Krisen gestemmt


Mit seinem unaufgeregten und sicheren Führungsstil liegt Wiens Bürgermeister Michael Ludwig nach nur 2 Jahren im Amt unangefochten auf Platz 1 (etwa 47 Prozent) bei allen Umfragen, wen die Wienerinnen und Wiener als Stadtchef direkt wählen würden. Wir stellen dem studierten Historiker Fragen auch nach der Zukunft der Stadt.
Text: Helmut Schneider / Foto: Bubu Dujmic


wienlive: Nach dem Sommer sind die Corona-Infektionen wieder angestiegen. Wie sicher werden die Wahlen in Wien sein?
MICHAEL LUDWIG: Ich gehe davon aus, dass das sehr sichere Wahlen sein werden, weil wir alle Maßnahmen getroffen haben, die das garantieren. Überall dort, wo die Wahllokale klein sind, haben wir die Wahlen in größere Lokale verlegt und wir werden einen speziellen Ordnerdienst einrichten, damit nicht zu viele Menschen gleichzeitig in einem Wahllokal zusammenkommen können. Selbsverständlich wird es auch überall Desinfektionsmittel geben. Ungeachtet dessen lade ich alle Wienerinnen und Wiener ein, vorher schon von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. In den Wahlreferaten, die in den allermeisten Fällen in den Magistratischen Bezirksämten untergebracht sind, kann man mit der bereits verschickten Amtlichen Wahlinformation bis 9. Oktober sofort eine Wahlkarte bekommen und vor Ort gleich wählen.

Gibt es Untersuchungen, wie hoch die Wahlbeteiligung sein wird?
LUDWIG: Es gibt Meinungsumfragen, die zeigen, dass die Wahlbeteiligung coronabedingt nicht steigen wird und es werden wahrscheinlich so viele Wahlkarten abgegeben werden wie noch nie. Es wird daher schwer sein, schon am Wahlabend ein halbwegs sicheres Ergebnis zu verlautbaren.

Wodurch wurde Wien in der Krise besonders stark getroffen?
LUDWIG: Besonders schmerzt uns der komplette Einbruch beim Kongresstourismus. Wien ist nach Paris die europäische Stadt mit den meisten Kongressen. Aber wir haben gut gewirtschaftet – wir hatte ja im letzten Jahr ein ausgeglichenes Budget erzielt und 750 Millionen Euro Rücklagen gebildet. Aber natürlich ist die Gesamtentwicklung eine, die uns sehr fordert.

Wien ist jetzt schon seit einem halben Jahr im Krisenmodus und niemand kann sagen, wann das überstanden sein wird. Wie lange hält das eine Millionenmetropole noch aus ?
LUDWIG: Das ist richtig, aber ich denke, dass unsere Vorgängergenerationen noch ganz andere Krisen überstanden haben. Wenn ich jetzt mit älteren Menschen diskutiere und mir diese über ihre schwersten Zeiten berichten höre ich, was es da im und nach dem Krieg für Lebensumstände gegeben hat. Ja natürlich sind wir in einer schweren Situation. Die Stadt Wien ist sehr resilient – einfach weil wir das Miteinander immer in den Vordergrund gerückt haben. Das zeigt sich jetzt deutlich: Wir haben etwa mit den Helfern Wiens eine Einrichtung mit 40 verschiedenen Organisationen, die alle eng zusammenarbeiten. Ich sage immer, das ist wie ein Muskel, den man ständig trainieren muss, damit er in der Krise in Top-Form zum Einsatz kommen kann.

Wie halten Sie persönlich durch?
LUDWIG: Vor allem, indem ich mit Optimismus in die Zukunft blicke. Natürlich leben wir jetzt in einer herausfordernden Zeit, aber wenn wir das Miteinander leben, dann bin ich sicher, dass wir diese Krise stemmen werden.

Aber es wird Abstriche beim Wohlstand geben müssen, oder?
LUDWIG: Als die Bundesregierung verkündet hat: „Koste es, was es wolle“, habe ich sofort die Frage gestellt, wer die Milliarden, die jetzt in Aussicht gestellt werden, im Endeffekt zu bezahlen hat. Ich habe von Beginn an gesagt, das werden mit Sicherheit nicht die Pensionistinnen und Pensionisten oder die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sein können. Darüber hinaus sei angemerkt. Diese angekündigten Gelder kommen leider derzeit nicht immer dort an, wo es notwendig wäre.


Wetterlady und Powerfrau

Wir müssen Barrieren brechen


Eser Akbaba hat eine klare Botschaft in ihr neues Buch „Sie sprechen ja Deutsch!“ verpackt. Im Interview mit wienlive spricht sie offen über Stolpersteine und will Mut machen.
Text: Ursula Scheidl / Foto: Stefan Joham


Strahlend wirbelt sie mit wildem Lockenkopf herein – unverkennbar ihr Markenzeichen. Seit März 2013 präsentiert Eser Akbaba das ORF-1-Wetter, aber der Weg dorthin war nicht immer einfach. In ihrem Buch erzählt sie, mit welchen Schwierigkeiten ihre Familie konfrontiert war, als sie in Österreich ankam, und was es heißt, als Gastarbeiterkind zwischen zwei Welten aufzuwachsen.

wienlive: Sie sind in Wien geboren. Wann waren Sie das erste Mal mit diesem erstaunten Satz „Sie sprechen ja Deutsch!“ konfrontiert?
ESER AKBABA: Ich bin mit Deutsch als Erstsprache aufgewachsen und kam mit einem Jahr in den Kindergarten. Zu Hause wurde mehrheitlich türkisch gesprochen, aber ich kann Deutsch viel besser als meine Muttersprache Zaza oder Türkisch. Einmal kam ein älterer, sehr netter, adrett gekleideter Mann auf mich zu. Offenbar kannte er mich aus dem Fernsehen. Er sagte: „Sie sprechen aber sehr gut Deutsch.“ Ich war so verdutzt, das passiert mir wirklich sehr selten (lacht)! Ich antwortete: „Danke sehr, Sie aber auch.“ Es passiert immer wieder, ich weiß nicht warum. Mittlerweile sollte es eigentlich selbstverständlich sein, dass die Nachgeneration sehr gut Deutsch spricht, teilweise sogar noch besser als die Muttersprache.

Sie sprechen ein sehr schönes Deutsch, obwohl Sie in Simmering aufgewachsen sind. Wieso wollten Sie schon als kleines Mädchen Moderatorin werden, das ist doch eher ungewöhnlich?
AKBABA: Wir sechs Kinder haben mit den Eltern immer „Zeit im Bild“ geschaut, danach kam das Wetter. Carl Michael Belcredi hat mich fasziniert – mit seinen karierten Pullis –, wie er über das Wetter, die Wolken und Hochs und Tiefs gesprochen hat. Das wollte ich auch machen. In unserer Souterrain-Wohnung gab es zudem einen kleinen Spiegel, der mich magisch angezogen hat, da habe ich immer reingesprochen.

Wie haben Ihre Freunde und Eltern auf Ihren Berufswunsch reagiert?
AKBABA: Das war ein Traum, den ich aufblühen lassen habe. 2009 wurde ich entdeckt, habe das aber selber noch nicht so wirklich realisieren können. Ich war bei der Zeitschrift „biber“ bei einer Podiumsdiskussion. Bibi Handlos, meine Entdeckerin, hat mich angesprochen, dass ich als Moderatorin zum ORF sollte. Das war schon ein großes Thema, medial, aber auch natürlich innerhalb der Familie.

Warum glauben Sie, haben Sie es geschafft?
AKBABA: Ich bin ja nicht die Einzige, die das alles, was ich erlebt habe, erlebt hat, aber ich bin die einzig Sichtbare. Es gibt so viele andere Esers da draußen, Ärztinnen, Rechtsanwältinnen, Managerinnen. Aber man sieht sie nicht so wie mich jeden Tag im Fernsehen. Deswegen kann ich sagen, ich habe es geschafft im Sinne, dass ich sichtbar bin – vom Gastarbeiterkind zur ORF-Moderatorin – da gibt’s wirklich nicht viele. Aber man kann es schaffen. Man kann es wirklich schaffen.

Warum haben Sie das Buch geschrieben?
AKBABA: Eigentlich wollte ich es mit 80 schreiben. Aber mein Kollege Jürgen Pettinger hat mich letztes Jahr dazu überredet. Da bin ich genau 40 geworden. Ich habe ihm im Studio zwischendurch immer Geschichten erzählt, diese andere Welt, die er nicht kennt, hat ihn sehr interessiert. Nach einem Todesfall in der Familie war ich nicht sicher, ob ich das schaffe. Er hat gesagt, wir machen das jetzt einfach!

Was ist Ihnen in Ihrem Leben besonders gut oder weniger gut gelungen?
AKBABA: Meine Haare (lacht). Nein. Das war ein Scherz, ich glaube, was mir gut gelungen ist, ist mein Buch. Ich glaube auch, dass ich gezeigt habe, dass ich etwas in diesem Land erreicht habe, was viele vielleicht noch erträumen oder vielleicht gar nicht einmal zu träumen wagen. Ich bin stolz darauf, weil es war schon ein steiniger Weg. Was ist mir weniger gut gelungen? Na ja, ich hab’s nicht so mit der Männerwelt, wobei, wer weiß? Was nicht ist, kann ja noch werden!

Sie wirken immer so fröhlich, optimistisch und ausgeglichen, gibt es irgendetwas, das Sie aus dem Gleichgewicht bringen kann?
AKBABA: Es fällt mir nicht schwer, ein fröhlicher Mensch zu sein, ich denke, mir geht’s gut, ich lebe in einem schönen, sicheren Land, wenn wir es mit anderen vergleichen. Ich versuche immer das Positive zu sehen, aber natürlich bringen mich manche Situationen auch auf die Palme, da kommt dann mein südländisches Blut durch. In Anatolien kann man ordentlich streiten. Meine Familie kennt das. Unsere Gesprächskultur ist anders, ich rede gerne mit Händen und Füßen. Da ist man temperamentvoll, obwohl ich mittlerweile schon viel gelassener bin.

Sie sind Vorbild für viele junge Mädchen. Welche Botschaft, möchten Sie ihnen mitgeben?
AKBABA: Ich tu mir sehr schwer mit dem Begriff Vorbild. Weil jeder sollte aus sich selbst das Beste mitnehmen. Wenn ich aber der Nachgeneration vermitteln kann, du schaffst es, wenn du es willst, du musst nur dahinter sein, dann bin ich gerne ein Vorbild.

Wo ist Ihre Heimat?
AKBABA: Ich habe schon als kleines Kind immer im Sommer einen Monat im Dorf bei den Großeltern oder auch in Istanbul verbracht. Natürlich fühle ich mich zu meinen Wurzeln stark hingezogen. Aber Heimat ist für mich Wien. Ich bin hier geboren und aufgewachsen. 


„Sie sprechen ja Deutsch“
Eser Akbaba, Jürgen Pettinger.
Mit Illustrationen von Hüseyin Işık
184 Seiten, Format 13,5 x 21,5
Kremayr & Scheriau, € 22,–