Bereits zum dritten Mal erinnerte eine jährliche Literaturveranstaltung des echo medienhauses an den Wiener Dichter Heimito von Doderer.

Das war der D-Day für Doderer im Justizpalast

Bild: ©Sabine Kehl-Baierle

Bereits zum dritten Mal erinnerte eine jährliche Literaturveranstaltung des echo medienhauses an den Wiener Dichter Heimito von Doderer.

Die Veranstaltung fand auf historischem Boden statt, nämlich dort, wo es vor bald 100 Jahren brannte – in einem Original-Verhandlungssaal im Justizpalast. Mehr als 50 Teilnehmer:innen ließen sich die Gelegenheit nicht entgehen, das der Öffentlichkeit normalerweise nicht zugängliche beeindruckende Ambiente zu besuchen.

Der Justizpalastbrand im Mammutroman „Die Dämonen“

Heuer widmete sich der D-Day für Doderer der Darstellung des Justizpalastbrands am 15. Juli 1927 im großen Finale des 1400-Seiten-Romans „Die Dämonen“, nach der Chronik des Sektionsrates Geyrenhoff. Nach dessen Erscheinung war Doderer 1956 am Höhepunkt seines Ruhms, der SPIEGEL hob ihn aufs Cover, in Stockholm dachte man an die Verleihung des Literaturnobelpreises an ihn. Doderers 100-seitige Schilderung des Brandes ist einerseits sehr genau, andererseits erlaubt sich der Autor auch dichterische Freiheiten. Im Kontrast zu der Katastrophe lösen sich gleichzeitig die Probleme der einzelnen Menschen, sie finden zueinander, heiraten, bekommen die fast verpasste Erbschaft doch noch, versöhnen sich, und der Mörder kommt im Wiener Kanalsystem um.

Der Historiker Alfred Pfoser, ehemaliger Leiter der Büchereien Wien, analysierte gemeinsam mit echo Chefredakteurin Ursula Scheidl Zusammenhänge und historische Hintergründe sowie das umfangreiche Personal von Doderers Dämonen.

Der Brand begann als Unmutsäußerung gegen ein als skandalös empfundenes Urteil eines Geschworenengerichts zu den Ereignissen im burgenländischen Schattendorf und endete mit Polizeischüssen in die demonstrierende und den Justizpalast angreifende Menge. Es gab 84 Todesopfer unter den Demonstranten und fünf auf Seiten der Polizei, dazu hunderte Verletzte auf beiden Seiten. Es war ein „Ereignis von europäischer Dimension“ wie Alfred Pfoser erläuterte. Doderer, selbst sein Leben lang „ein Zerrissener“, wirft in seinem Wien-Epos einen verzweigten, tiefgehenden, aber auch humorvollen Blick auf das Personal, wovon sich das begeisterte Publikum auch live überzeugen konnte: Schauspielerin, Autorin und Regisseurin Chris Pichler las gewohnt mitreißend ausgewählte Stellen aus dem Roman. Am Ende des Abends waren sich alle einig: Trotz oder gerade wegen der Widersprüchlichkeit Heimito von Doderers, es lohnt sich immer wieder, in sein Werk einzutauchen.

Danke an die Buchhandlung analog in der Otto-Bauer-Gasse, die einen gut bestückten Büchertisch betreute.

Der D-Day für Doderer bedankt sich bei der Stadt Wien Marketing und beim Justizpalast für die Unterstützung. Der nächste D-Day findet am 21. September 2024 statt.

Heimito von Doderers berühmtestes Werk, „Die Strudlhofstiege“, spielt genau genommen nur an einem Tag, nämlich am 21. September 1925, an dem Mary K ein Bein von der Straßenbahn abgefahren wird. Allerdings besteht das Werk aus unzähligen Rückblenden. Grund genug aber für das echo medienhaus, um jedes Jahr am 21. September Doderers umfangreiches Werk mit einer Veranstaltung zu feiern – ähnlich dem Bloomsday mit dem alljährlich James Joyce gedacht wird.