Die dunkle Seite des Villenviertels – Monika Fagerholms Roman „Wer hat Bambi getötet?“ über eine Gruppenvergewaltigung
Die finnisch-schwedische Autorin Monika Fagerholm ist in Skandinavien ein Literaturstar, hierzulande ist sie noch zu entdecken. Ihr preisgekrönter Roman „Wer hat Bambi getötet?“ wäre dazu die beste Gelegenheit. Denn Fagerholm schafft es, ein brutal-ernstes Thema fast spielerisch und ohne erhobenen Zeigefinger schockierend nah zu gestalten. Es geht um zwei Jungs aus dem Villenviertel von Helsinki. Gusten, dessen Mutter Opernsängerin ist und viel auf Tour gehen muss, wächst praktisch in der reichen Familie seines Freundes Nathan auf, wo er „wie ein Sohn“ behandelt wird. Doch als Nathan seine Freundin Sascha – nachdem sie ihn verlassen hatte – im schalldichten Keller des großen Hauses einsperrt und vergewaltigt, ist es Gusten, der sogar gegen den Wunsch des Opfers zur Polizei geht. Obwohl er ebenso wie zwei weitere Freunde Sascha auch vergewaltigt hatte. Der Prozess bringt die geschönte Welt des Villenviertels ins Wanken. Dabei werden die „schrecklichen Vier“, oder „Boys“, wie die Zeitungen sie nennen, freigesprochen, nur Nathan bekommt eine bedingte Verurteilung. Zusätzlich sozialen Sprengstoff bringt die Tatsache, dass Sascha im berüchtigten Mädchenheim Grawellska aufgewachsen ist, also ganz unten in der gesellschaftlichen Hackordnung steht und Nathans Familie viel zahlt, um Saschas Familie ruhigzustellen. Wenige Jahre später stirbt Sascha, die eine Karriere als Schwimmerin vor sich hatte, an einer Überdosis.
Gusten wird hingegen erfolgreicher Immobilienmakler, sein Verhältnis zu Frauen ist freilich gestört. Seine Liebe Emmy stalkt er auch nach dem Ende der Beziehung und er tröstet sich ausgerechnet mit Emmys weitaus klügeren Freundin Saga-Lill. Alles verkorkst irgendwie. Die Karriere von Nathans Mutter als Chefin eines neoliberalen Thinktanks ist nach dem Skandal in der Familie ebenfalls dahin – sie stirbt wenig später an einer Krebserkrankung.
Das schreckliche Geschehen packt Fagerholm allerdings in eine scheinbar ironisch-harmlose Sprache mit vielen Wiederholungen der Schlüsselsätze – auch in Versalien oder in kursiv. Sie breitet einen wahren Sprachklangteppich über die Katastrophe aus. Der Titel des Romans geht auf den Titel des Filmes zurück, den ein jüngerer Schulkollege über die Ereignisse zu drehen plant. Und der bezieht sich wiederum auf den Song der Sex Pistols „Who Killed Bambi“ Ende der 70er-Jahre.
Der Roman hat auch eine prominente Übersetzerin, nämlich Antje Rávik Strubel. Ihr Roman „Blaue Frau“ wurde mit dem Deutschen Buchpreis 2021 ausgezeichnet.
Monika Fagerholm: Wer hat Bambi getötet?
Übersetzt aus dem Finnischen von Antje Rávik Strubel
Residenz Verlag
256 Seiten
€ 25,–