Neue Ära am Volkstheater mit Jura Soyfer und Michael Haneke
Nur 26 Jahre alt war der in Russland geborene, aber in Wien sozialisierte Autor Jura Soyfer, als er 1939 im Nazi-KZ Buchenwald an Typhus starb. In den 70er- und 80er-Jahren wurde er als linker Nachfahre von Johann Nestroy viel gespielt, ein „Jura-Soyfer-Theater“ zog etwa durch die Wiener Gemeindebauten. Sein interessantes Romanprojekt „So starb eine Partei“ blieb leider nur Fragment. Aktuell ist es aber sehr still um ihn geworden. Der neue Volkstheater-Direktor Jan Philipp Gloger beginnt jetzt mit einer Fassung aus mehreren Soyfer-Stücken – „Weltuntergang“, „Astoria“, „Vineta“ – sowie einigen Einzelszenen seine erste Saison. Eine gute Wahl für ein Volkstheater, man kokettiert gleich am Anfang mit dem „armen Theater“, die Bühne beherrscht die Raumkapsel aus dem Weltuntergang, die aufklappbar zur Theaterpawlatsche werden kann. Das spielfreudige Ensemble – Andrej Agranovski, Alicia Aumüller, Tjark Bernau, Maximilian Pulst, Sissi Reich, Samouil Stoyanov, Kostia Rapoport – agiert beherzt zur Freude des Publikums. Soyfers berühmtes „Lied von der Erde“ („Voll Hunger und voll Brot ist diese Erde, Voll Leben und voll Tod ist diese Erde, In Armut und in Reichtum grenzenlos“) bildet die Klammer zu dieser kurzweiligen Inszenierung, die nur wenig Längen hat.
Am Samstag feierte das neue Volkstheater-Team einen Tag der offenen Tür und erlebte einen Besucheransturm und am Sonntag hatte dann die Bühnenadaption von Michael Hanekes Film „Caché“ in einer Inszenierung von Felicitas Brucker Premiere – ein wahres Kontrastprogramm, denn im Film verschwimmen ja die Realitätsebenen. Doch der Abend gelingt nicht zuletzt durch die geschickt eingesetzten Mittel – auf mehreren Ebenen werden Videos gespielt, die Bühne ist gleichzeitig Projektionsleinwand. Es geht ja um eine Familie, die plötzlich anonym Videokassetten erhält, auf denen ihr Haus und sie selbst von außen zu sehen sind. Als der Vater dem Verdacht nachgeht, sie könnten von jemandem stammen, den er als Kind aus der Familie gemobbt hatte – der Sohn der plötzlich verstorbenen Bediensteten, kippt die Story in eine Art Kriminalfall. Der vom Vater zur Rede gestellte Mann streitet glaubhaft alles ab, begeht aber dann vor dessen Augen Selbstmord. Das Rätseln über die Motive aller Figuren wird immer bedrückender. Nur vier DarstellerInnen braucht der Abend (Bernardo Arias Porras, Sebastian Rudolph, Johanna Wokalek und Moritz Grossmann). Allesamt spielen großartig nüchtern – Burgtheater-Publikumsliebling Johanna Wokalek kehrt damit nach Jahren in Deutschland wieder nach Wien zurück. Auch hier setzte der begeisterte Applaus des Premierenpublikums ein.
Infos & Karten: volkstheater.at