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Endlosschleife Patriachat – „Kitty“ von Satoko Ichihara bei den Wiener Festwochen

Ein Theaterabend wie eine Gehirnwäsche: Schon die fast andauernd laufende Teletubbies-Musik macht betrunken, aber das Gezeigte setzt da noch einen drauf. Ein Mädchen taumelt durch den Familienalltag, die harmlose Kindchen-Erzählerstimme kommt aus dem Off, Papa und Mama haben groteske Katzenmasken auf und benehmen sich stereotyp. Denn Papa will dauern Fleisch essen, Mama ekelt davor. Der Patriarch schreckt auch vor Vergewaltigung nicht zurück, um sein Recht durchzusetzen. In der Küche blinkt und surrt es wie in einem Casino.  

Die japanische Theatermacherin Satoko Ichihara schickt in „Kitty“ – nach der besonders bei Kindern beliebte Comicfigur „Hello Kitty“ – ihre Protagonistin durch alle Höllen, in denen Frauen ausgebeutet und geknechtet werden. Die Protagonistin ist als einzige ohne Maske, ihr begegnen als Empfangsdame, Pornodarstellerin und Prostituierte andauernd Männer in absurd-niedlichen Kostümen – eine Horrorshow des Patriachats. Ihre Devise: immer nur freundlich lächeln, die japanische Tugend, die wohl nur für Frauen gilt. Im Rahmen der Geschichte verliert sie ihr geliebtes Kätzchen Charmy, formt sie einen „Fleisch-Mensch“ und bricht gar ins Weltall auf. Nur vier Darstellerinnen schaffen die Comic-Handlung – Sung Soo-yeon, Yurie Nagayama, Birdy Wong Ching Yan, und Yuka Hanamoto –, eine wahrlich gigantische Leistung, die vom interessierten Publikum auch mit viel Applaus belohnt wird. Am Ende sieht man sie alle maskenlos – da bieten sie in Werbefernsehmanier Schlüsselanhänger von allen im Stück aufgetretenen Figuren an.

www.festwochen.atFoto: Toshiaki Nakatani

Brecht als Bildgeschichte: Festwochen-Gastspiel von „Moeder Courage“

Die Bühne beherrscht eine riesige Kugel (Welt- oder Kanonen–?), die die Darsteller schwach von hinten beleuchtet durch ein Wasserbassin ziehen. Hat der Weltuntergang schon stattgefunden und ist irgendwie kosmisch?

Lisaboa Houbrechts im Februar 2025 am Toneelhuis Antwerpen / KVS Brüssel herausgebrachte Version von Bertolt Brechts „Mutter Courage und ihre Kinder“ setzt zuerst ein optisches Statement. Und dann erst ein theatralisches. Die junge belgische Regisseurin lässt Brechts Text in großer Geschwindigkeit und mit wenig Emotionen sprechen. Das hat Sinn, denn auch Brecht begriff den Krieg – bei „Mutter Courage“ den Dreißigjährigen – als Geschäft und die Courage (Laetitia Dosch) erst recht. Sie lebt vom Krieg – angeblich um ihre 3 Kinder zu retten, die sie natürlich trotzdem nach und nach verliert – und fürchtet sich vor dem geschäftsstörenden Frieden. Genug Stoff, um an heutige Konflikte zu denken. Die Brutalität der Kriegsdialektik wird offengelegt. Doch Brecht wusste auch, dass er sein Publikum unterhalten musste, um es aufzuklären. Das wird bei dieser Inszenierung leider vergessen – nicht wenige Zuseher verließen schon nach wenigen Minuten die Halle. Dass auf Französisch und Niederländisch gespielt wird, kommt erschwerend dazu. Aber immerhin ein Versuch, Brechts erfolgreiches Kriegsdrama neu zu interpretieren, wie das dann doch am Ende dankbar applaudierende Publikum wohl auch fand. (Foto: Kurt Van Der Elst)

Was wäre wenn… Wajdi Mouawads „Die Wurzel aus sein“ im Akademietheater

Foto: ©Tommy Hetzel

Schriftsteller, zumal Romanciers, müssen quasi aus Berufsgründen vom Schicksal besessen sein. Ihr Job ist es ja, sich Lebensentwürfe auszudenken. So schrieb der im Vorjahr verstorbene Paul Auster mit „4321“ einen 1000-Seiten-Roman, in dem er vier verschiedene Schicksale eines 1947 geborenen Jungen ausbreitet. Im Akademietheater sehen wir jetzt etwas Ähnliches auf der Bühne. Der libanesische Autor Wajdi Mouawad beschreibt in „Die Wurzel aus sein“ fünf Versionen des Lebens von Talyani Waqar Malik, dessen Eltern vor der Frage standen, ob und wohin sie vor dem Krieg im Libanon fliehen sollen. Einmal bleibt Malik in Beirut, einmal wird er Neurochirurg in Rom, einmal ein Künstler in Quebec, einmal Taxifahrer in Paris und einmal ist er ein Mörder, der in einer Todeszelle in Texas auf seine Hinrichtung wartet. Das Ganze hat einen persönlichen Hintergrund, denn Wajdi Mouawads Vater schickte den Bruder zum Flughafen, um die nächste Maschine nach Rom oder Paris zu buchen, um die Familie in Sicherheit zu bringen. Es wurde Paris, aber es hätte auch anders kommen können…

Im Stück sind wir am Tag der verheerenden Explosion eines Chemielagers im Hafen von Beirut 2020. Wajdi Mouawad hat viel zu erzählen in diesem doch sehr epischen Drama, das im Akademietheater dreieinhalb Stunden dauert, dank der geschickten Regiekunst von Stefan Bachmann und seinen beeindruckenden Schauspielern aber trotzdem sehr kurzweilig geriet.

Denn wir lernen natürlich auch die jeweiligen Familien Maliks – sehr präsent gespielt von Thiemo Strutzenberger – kennen und alle haben natürlich ihre Eigenheiten, die aufzuzählen hier den Rahmen sprengen würden. Es ist ein bisschen wie in einer sehr guten TV-Serie, man bekommt Charaktere zum Lieben und Ablehnen, manche versteht man, andere nicht. Olaf Altmann genügen als Bühne dunkelgraue Wände, die sich magisch verschieben, die Darsteller brauchen kaum mehr als bisweilen einen Tisch und einen Stuhl, wir eilen immer wieder durch Orte und Zeiten. Am Ende wollen die Hiergebliebenen die ganze Familie nach Beirut einladen, wo ein ganzes Viertel in Schutt und Asche liegt. Ein Abend der maximal unterhält.

Infos und Karten: burgtheater.at

 „Ever Given“ am Volkstheater, „Der Revisor“ im Akademietheater und „Akins Traum“ an der Burg

Bild: ©Tommy Hetzel

Nach drei Abenden hintereinander an drei Wiener Bühne stellen sich Ermüdungserscheinungen ein – und das liegt nicht nur an den Bestuhlungen.

Freitags am Volkstheater: „Ever Given“, eine „Kipp-Punkt-Revue“ von Helgard Haug und Rimini Protokoll. Haugs Arbeit zum Verschwinden eines Flugzeuges („All Right. Good Night“) war wirklich spannendes Doku-Theater, doch diesmal wirkt ihr Konzept nicht schlüssig. Es sollte um die wochenlange Blockade des Suezkanals nach der Havarie des Containerschiffs ”Ever Given“ gehen. Der globale Stillstand der Handelsströme wird von der Metapher zur Realität. Doch Haug mischt das mit Geschichten von Migration und persönlichen Schicksalsschlägen. Das mag alles interessant sein – die nur über Video eingespielte Beschreibung einer Frau, die über ihr Stottern erzählt, ist sogar sehr witzig –, es mangelt aber an einer gedanklichen Klammer. Und die Live-Musik macht es diesmal auch nicht besser.

Am Samstag dann Nikolai Gogols Komödienklassiker „Der Revisor“ aus dem Jahr 1835 im Akademietheater. Regisseur Mateja Koležnik versetzt das zweifelsohne noch immer aktuelle Stück über eine Kleinstadt, die einen faulen kleinen Beamten, der auf zu großem Fuß lebt, für einen Revisor hält, in ein Ambiente von Kaltem Krieg und Realsozialismus. Alle sind korrupt, das Gemeinwohl wird mit Füßen getreten. Die Gemeindediener führen einen artistischen Tanz auf, um den Status Quo zu verschleiern – das bringt einen grotesken Drive in den Abend. Andrea Wenzl und Lola Klamroth setzen als schrille Mutter und gestörte Tochter des Bürgermeisters noch einen drauf. Es gibt sehr unterhaltsame Szenen, Tim Werths als vermeintlicher Revisor mit Oberschüler-Charme ist ebenso gerissen wie eitel. Eine solide Arbeit, vielleicht hätte man sich im Kafka-Jahr aber doch mehr Hinweise auf das Parabelhafte dieser Komödie gewünscht.

Sonntag dann im Burgtheater: „Akins Traum vom osmanischen Reich“, ein fürs Schauspiel Köln geschriebenes Stück des 1991 in Essen geborenen Autors Akın Emanuel Şipal, das der Burg-Chef Stefan Bachmann jetzt an seinem neuen Haus zeigt. In Köln soll es ja sehr erfolgreich gewesen sein, in Wien wirkt das ganze zumal auf der großen Bühne dann doch sehr dünn. Anhand der Identitätskrise des Autors wird die Geschichte des osmanischen Reichs im Schnelllauf aufgearbeitet – immerhin standen die Osmanen ja auch zweimal in Wien, wie man bei uns schon in der Volksschule lernt. Nun, Mehmet Ateşçi als Erzähler und Alter Ego des Autors ist durchaus sympathisch und ein paar Gags – wie der Kampf um die immer wieder von ihm vergessenen Feuchttücher für seine Kinder – locken den Abend auch auf. Doch die historischen Szenen beginnen schnell zu ermüden, zumal ihnen auch die historische Reflexion fehlt.


volkstheater.at

burgtheater.at

September – Arnold Schönberg Uraufführung „UND PIPPA TANZT!“ in der Galerie bel etage

Foto: Arnold Schönberg Center, Wien, Schönberg 1907, im Hintergrund Mathilde Schönberg

Wienlive-Mitarbeiter und Kolumnist Otto Brusatti präsentiert im Schönberg-Gedenkjahr (150. Geburtstag am 13. September) ein vergessenes Fragment mit einem hochkarätigen Ensemble:  UND PIPPA TANZT!

Aus den überlieferten Skizzen Schönbergs zu einem Musik-Bühnenstück nach dem Märchendrama in 4 Akten „UND PIPPA TANZT!“  von Gerhart Hauptmann.

Neu eingerichtet als vielfältiges Musik-Kammerspiel für 6 SolistInnen (im expressiven Naturalismus des beginnenden 20. Jahrhunderts, sowie aus Schubert und bis in die Jetztzeit)

Musik: Trio Stippich (Maria/Helmut/David) und Otto Brusatti (auch Gestaltung und Sprechrollen), Schauspiel: Julia Prock-Schauer, Tanz: Elisabeth Kneissl

Schönberg hinterließ Entwürfe; aber: kombiniert mit Musik zwischen Schubert und Aktuellem wird erstmals ganz „Neue Musik“ der überraschenden Art geschaffen!

Theatralisch: ausgerissen, absurd-realistisch, in Bewegung, ein andres Musiktheater …
Inhaltlich: (ACHTUNG) weiterhin aktuell mit Brutalem, Süßem, Aggressivem, Frauenverachtendem …

12. September, 19 Uhr
Galerie bel etage Kunsthandel
Mahlerstraße 15, 1010 Wien

Eine Anmeldung für die Performance und Uraufführung um 19 Uhr ist unbedingt erforderlich unter:
office@beletage.com  oder  schoenberg.pippatanzt@gmail.com

Yasmina Rezas „James Brown trug Lockenwickler“ in den Kammerspielen

Szenebild aus „James Brown trug Lockenwickler“ – ©Moritz Schell

Die Französin Yasmina Reza kennt man als scharfe und witzige Chronistin unser westlichen Mittelstandsgesellschaft. In „Der Gott des Gemetzels“ treffen etwa zwei Familien, deren Kinder körperlich aneinandergeraten waren, zu einem Versöhnungstreffen aufeinander, was natürlich gründlich schiefgeht. Das Stück wurde auch von Roman Polański höchst erfolgreich verfilmt. In der neuen, erst im Vorjahr in München uraufgeführten Komödie „James Brown trug Lockenwickler“ geht es wieder um eine Familie und deren Sohn. Dieser hält sich seit seinem fünften Lebensjahr für den kanadischen Superstar Céline Dion. Das Stück spielt in einer psychiatrischen Einrichtung – in den Kammerspielen ist man da gleich in einer Art weißen Gummizelle (Bühnenbild: Sabine Freude). Jacob/Celine, gespielt von Julian Valerio Rehl, ist fast in allen Szenen anwesend, oft aber nur stummer Beobachter.  Regisseurin Sandra Cervik unterstreicht das Märchenhafte der Geschichte, denn alle Figuren wirken von der Autorin stark überzeichnet. Die Psychologin (Alexandra Krismer) ist mit ihrem seltsamen Verhalten geradezu das Klischee ihrer Zunft. Was dieser Komödie allerdings abgeht ist ein klarer Konflikt, denn Reza stellt sich keinesfalls der heutigen Identitäts-Problematik. Dass sich Jacob als Frau fühlt, ist zwar für die Eltern nicht angenehm, würde aber wahrscheinlich sogar der konservativen aber unsichere Vater (Juergen Maurer) irgendwie schlucken. Sein insistieren, Céline Dion zu sein, ist allerdings wirklich ein psychischer Defekt, den man mit dem Recht auf die eigene Identität schwer verteidigen kann. Der einzige Freund, der Jacob in seiner Rolle akzeptiert, ist ausgerechnet ein junger weißer Mann, der sich für einen Schwarzen hält. Manche würden das als sozio-kulturelle Aneignung empfinden…

In den Kammerspielen gehen die gut anderthalb Stunden Spiel durch die Professionalität des Ensembles – Maia Köstinger spielt die ratlose Mutter – sehr kurzweilig vorbei. Am Ende bricht die hintere Wand der Zelle weg und Jacob steht glücklich im Sternenhimmel. Na schön, Wohlfühlstücke sind ja heute eh rar.


Infos & Karten: josefstadt.org

Der stillere Revoluzzer – Zum Tod von Achim Benning

Bild aus dem Film. – ©ORF/MultiSonora/Christine de Grancy

Gemeinhin teilt man die Geschichte des Burgtheaters in die Ära vor und nach Claus Peymann ein, um das verschlafene Abonnementtheater vom weltoffeneren, neuen Burgtheater zu trennen. Das ist insofern falsch, weil Peymanns Vorgänger – der von Unterrichtsminister Fred Sinowatz 1976 berufene Achim Benning – viele der späteren Revolutionen vorwegnahm und das größte deutschsprachige Sprechtheater in eine neue Zeit führte. Er tat dies allerdings ohne großen Medienrummel, wenngleich er nicht wenige Kämpfe mit der sehr konservativen Öffentlichkeit und Presse ausfechten musste. Weil er etwa auch Regisseure aus der DDR (Manfred Wekwerth und andere) ans Haus lud, war der Parteilose auch sofort als Linker und Kommunist verschrien. Dabei öffnete er sein Haus vielen Dissidenten aus dem Panzerkommunismus wie Václav Havel und Pavel Kohout.  Man erblödete sich auch nicht, gegen ein Stück des Literaturpreisträgers Elias Canetti – „Komödie der Eitelkeiten“ – zu polemisieren, im Publikum soll es antisemitische Äußerungen gegeben haben. Und das sich gegen unverbesserliche Nazis richtende neue Stück „Das Alte Land“ (1984, Regie Achim Benning) von Klaus Pohl wurde ebenfalls heftig angegriffen. Auch weil in dieser Inszenierung ein nackter Mann zu sehen war – damals eine Ungeheuerlichkeit.

Mir persönlich ist vor allem Robert Musils Dreiecksstück „Die Schwärmer“ am Akademietheater 1980 in der Regie von Erwin Axer in Erinnerung – nicht nur weil es seither in Wien (warum eigentlich?) nicht mehr zu sehen war. In der Traumbesetzung (Joachim Bißmeier, Gertraud Jesserer, Erika Pluhar, Karlheinz Hackl, Wolfgang Gasser und Wolfgang Hübsch) wurde die – für heutige Begriffe – ziemlich werktreue Inszenierung zum Kult. Auf youtube kann man sie glücklicherweise zur Gänze anschauen.

So nebenbei führte Benning auch die Kinderschiene am Haus ein und stärkte die Mitbestimmung des Ensembles.

Achim Benning wurde 1935 in Magdeburg geboren und kam 1956 für ein Auslandssemester nach Wien, wo er auch das Max Reinhardt Seminar besuchte. Ernst Haeusserman engagierte ihn 1959 als Schauspieleleve ans Burgtheater, wo er später auch zu inszenieren begann.

Am Samstag, 3.2., um 22.45 Uhr, wird – schon vor Bennings Tod geplant – auf ORF III der Dokumentarfilm „Achim Benning – Homo Politicus“ gezeigt.  

Die Schwärmer auf youtube:

Nosferatu nach Bram Stoker im Burgtheater

Bild: ©Susanne Hassler-Smith

In Krisenzeiten haben Horrorgeschichten angeblich Konjunktur – und das hat ja durchaus Sinn. So sollen etwa während der Pandemie Liebhaber von „The Walking Dead“ und Co. besser mit den psychischen Beeinträchtigungen zurande gekommen sein als andere.

Das Burgtheater liefert uns jetzt in unseren schwierigen Zeiten eine Fassung von Bram Stokers „Dracula“ und Murnaus Stummfilmklassiker „Nosferatu“. Der Text stammt von Gerhild Steinbuch, die Regie besorgte Adena Jacobs, das Bühnenbild Eugyeene Teh. Der Abend (zwei Stunden) ist allerdings weniger zum Gruseln als zum Wundern. Alle Darstellerinnen – ja auch der Graf ist eine Frau – monologisieren abwechselnd, während sich komplexe Videoaufnahmen und dunkle Szenen auf der Bühne abspielen. Es gibt kein Schloss, sondern ein großes Haus, in dem sich – nach Drehung – ein Sanatorium offenbart.

Nosferatu im Burgtheater: Viel Blut fließt, aber es lässt sich nur selten lokalisieren. – ©Susanne Hassler-Smith

Markus Meyer gibt als einzige männliche Stimme den fliegenfressenden Diener Nosferatus, der offenbar aus Therapiegründen gefesselt wird. Viel Blut fließt, aber es lässt sich nur selten lokalisieren. Das Unerhörte des Stoffes – ein untoter Mann krallt sich eine Jungfrau und saugt sie aus – hat bei dieser Produktion niemand interessiert. Stattdessen werden Anspielungen auf KZs gemacht. Ohne Dialoge wirken die Szenen – trotz hervorragender Schauspielerinnen wie Sylvie Rohrer, Elisabeth Augustin oder Bibiana Beglau – wie Rezitationsübungen. Die irritierenden Bilder bleiben indes nicht wirklich lange im Gedächtnis. Auch das Premierenpublikum schien nicht wirklich erfreut.


Infos: burgtheater.at (am Spielplan wieder am 27.1. und 4. 2.)

Das ungeheure Ungeziefer – Lucia Bihler inszeniert Kafkas „Die Verwandlung“ im Akademietheater

Bild: ©Marcella Ruiz Cruz

Auf den jungen Mann lastet schon eine große Verantwortung, nachdem sein Vater nicht mehr arbeiten kann oder will und seiner Schwester noch eine Ausbildung ermöglicht werden soll. Doch nach „unruhigen Träumen“ findet sich Gregor Samsa „eines Morgens“ zu einem „ungeheuren Ungeziefer verwandelt“ wie es in dem berühmten ersten Satz in Franz Kafkas wohl bekanntesten Erzählung „Die Verwandlung“ heißt. Die Metamorphose legt die Ängste und Spannungen im doch bisher geordneten Leben eines diensteifrigen Handlungsreisenden bloß. Seine Stellung als Ernährer der Familie fällt in sich zusammen, bis er am Ende nur noch als Belastung wahrgenommen wird. So radikal und schonungslos wie Kafka hat niemand noch die Reduktion des Menschen auf seine Funktion in der Gesellschaft beschrieben.

Die Metamorphose legt die Ängste und Spannungen im doch bisher geordneten Leben eines diensteifrigen Handlungsreisenden bloß.
Die Metamorphose legt die Ängste und Spannungen im doch bisher geordneten Leben eines diensteifrigen Handlungsreisenden bloß. – ©Marcella Ruiz Cruz

Die junge deutsche Theaterregisseurin Lucia Bihler übersetzt den inneren Monolog Gregor Samsas in bunte, expressionistische Bilder (Bühne: Pia Maria Mackert). Ihr Ungeziefer (gespielt von Paulina Alpen) spricht nicht und ist auch kein Käfer, sondern ein grotesk überzeichneter Mensch in einem orangen Überrock. Mutter (Dorothee Hartinger), Vater (Philipp Hauss) und Schwester (Stefanie Dvorak) tragen meistens Marionettenköpfe und als Erzähler in schwarz tritt Franz Kafka himself auf (Jonas Hackmann). Dabei verschieben sich die Räume unaufhörlich – Samsa wird klein wie eine Puppe, Figuren bewegen sich auf der Decke oder an der Wand. Der Text der „Verwandlung“ wird abwechselnd gesprochen und oft auch wiederholt. Dabei entsteht in anderthalb Stunden ein beklemmendes Gesamtbild, das uns den vor hundert Jahren gestorbenen Autor näherbringt. Sollte man erlebt haben.


Infos & Karten: burgtheater.at (nächste Spieltage: 3.2. und 10.2.)

Vor 110 Jahren wurde George Tabori geboren – Rückblick auf ein Interview

Bild: ©Oliver Mark

Heuer ist ja ein richtiges Literatur-Gedenkjahr: 100. Todestag Franz Kafka, 150. Geburtstag von Hugo von Hofmannsthal, 150. Geburtstag von Karl Kraus und Friederike Mayröcker wäre im Dezember 100 Jahre alt geworden. Auf einen gerade auch für Wien wichtigen Autor und Spielmacher (Regisseur wollte er nicht genannt werden) könnte da leicht vergessen werden, aber George Tabori wurde vor 110 Jahren in Budapest – damals noch Österreich-Ungarn – geboren.

Nach Jahren in Berlin, wo er etwa im berühmten Hotel Adlon arbeitete, emigrierte er nach der Machtergreifung Hitlers 1933 über einige Umwege in die USA, wo er mit Bertolt Brecht, Elia Kazan und Alfred Hitchcock zusammenarbeitete und Drehbücher schrieb. Vom FBI überwacht zog er nach dem Krieg wieder nach Europa und schrieb erste Stücke fürs Theater. Ab 1986 arbeitete Tabori in Wien bei Peymann im Burgtheater und als Chef der Schauspielhauses, das er in „Der Kreis“ umbenannte. In den letzten Lebensjahren arbeitete er wieder in Berlin. Das folgende Interview führte ich wenige Monate vor seinem Tod (23. Juli 2007) in Wien.

Tabori wird aktuell wieder im Burgtheater gespielt. Itay Tiran inszenierte die Farce „Mein Kampf“ mit Adolf Hitler im Männerasyl in Wien, wo ihn selbstlos ausgerechnet ein Jude umsorgt. Eine durchaus gelungene Produktion – besonders Markus Hering als Schlomo Herzl ist sehenswert, Silvie Rohrer spielt die Frau Tod, Marcel Heupermann den obdachlosen Adolf Hitler und Oliver Nägele den Koscherkoch, der sich für Gott hält, den Tabori bei der Uraufführung in Wien selbst gespielt hatte. Zu sehen wieder am 1. Februar.

Interview George Tabori (geführt am 16. Oktober 2006 am Lusterboden im Volkstheater von Helmut Schneider)

Herr Tabori, Sie haben am Theater ja fast alles gemacht. Sie waren Regisseur, Schauspieler, Autor. Was war das Schwierigste?

Tabori: Das ist eine gute Frage. Also das Schreiben ist wirklich nicht das Schwierigste, weil da redet niemand zurück – beim Schreiben ist man alleine. Dann Regisseur … Ich bin eigentlich nicht ein Regisseur. Was Regisseure üblicherweise machen, ist sehr schön, aber nicht mein Weg. Ich glaube, die Schauspieler sind am Theater die wichtigsten Beteiligten und ich versuche da immer herauszufinden, was sie schon gemacht haben – weil meistens wiederholen sich Schauspieler – und das versuche ich zu verhindern, ich will etwas Neues mit ihnen machen.

Ich glaube, dass jeder Mensch und besonders die Schauspieler, jeden Tag anders sind. Der Schauspieler weiß es vielleicht nicht, aber wenn man beobachtet, dann findet man etwas, das er gestern noch nicht gemacht hat. Und das Anderssein, das Neue, das noch nicht da war, das interessiert mich.

Ich weiß nicht, ob mir das als Regisseur auch gelingt, aber ich schaue mir die Schauspieler genau an, weil ich sie für am wichtigsten halte. Bühnenbildner und Assistenten, die sind auch sehr wichtig – aber für mich sind die Schauspieler der Schlüssel bei einer Inszenierung.

Sie waren ja selber als Schauspieler auf der Bühne oder sind zumindest eingesprungen. In „Mein Kampf“ habe ich Sie am Akademietheater als Koscherkoch Lobkowitz gesehen.

Nein, ich bin kein Schauspieler, ich bin in „Mein Kampf“ eingesprungen, weil der Hugo Lindinger, ein sehr guter Schauspieler, krank wurde. Ich wollte die Premiere verschieben, aber Peymann hat gesagt: Nein, mach du seine Rolle. Ich dachte, ich probiere es mal, habe die Kochkappe aufgesetzt und mit Ignaz Kirchner gespielt – und es war ganz schön. Jetzt könnte ich es nicht mehr tun. Jetzt bin ich schon 5310 Jahre alt (lacht) also, 93. Aber das Denken funktioniert noch. Ich liege zum Beispiel oft im Bett und schaue für eine Stunde den Plafond an. Dann kommen mir verschiedene Gedanken und das habe ich gern.

Aber die Rolle war ja insofern auch interessant, als sie ja einen Koch spielten, der Gott ist, oder der sich zumindest für Gott hält…

Ja also, der Lobkowitz, der ist schwierig. Er ist verrückt, er glaubt er ist Gott, aber er war ein Koscherkoch. Ich hab mich in der Rolle auch nicht als Gott gefühlt.

Aber ich beschäftige mich sehr oft mit Gott, zum Beispiel gestern, vorgestern habe ich wieder das erste Kapitel der Bibel, das Alte Testament, gelesen und das Interessante ist, da steht immer „Und Gott sagte“ und ich frage mich dann – Zu wem hat er gesprochen? Zu den Tieren, den Bäumen oder dem Morgen und dem Gestern – was auch immer –. Und ich dachte immer, das erste Kapitel der Bibel, dass da der Gott mir sehr sympathisch war, weil er Ideen hatte, die nicht stimmten, also als er mit Tieren und Bäumen fertig gewesen ist, wollte er nach Hause gehen und dann ist ihm erst der Mensch eingefallen und er hat den Adam geschaffen. Adam steht nackt da, Gott ist zufrieden – auf Wiedersehen, ich gehe – und dann geht er und denkt „Hallo? Der kann ja nicht allein leben. Ich muss eine, wie nennt man das, Frau erfinden…“ Und er erfindet die Eva und jetzt will er endlich wirklich weggehen. Aber er hat ihnen gesagt, sie dürfen nicht Liebe machen. Und als sie sich nicht daran halten – also er hat sie allein gelassen, nackt, was hat er erwartet? – als sie doch Liebe gemacht haben, hat er sie rausgeschmissen aus dem Paradies und das ist ja eine interessante Geschichte…

Ich denke oft daran, wie er jetzt wäre, ich weiß noch nicht aber wenn ich es weiß, dann werde ich Ihnen Bescheid sagen. Diese Widersprüchlichkeiten, die finde ich schon sehr stark ausgeprägt. Wenn ich könnte, würde ich ihn danach fragen.

Sie glauben also an ein höheres Wesen, hab ich das richtig verstanden?

Ein höheres Wesen, das ist ein Ausdruck, den ich nicht genug kenne … höheres Wesen … Ich denke immer an den Renoir, Da Vinci, Malerei, wo gottartige Schöne dargestellt sind. Wo Gott „so“ macht und Adam den Finger zeigt, und ich sag dann: na ja der Michelangelo oder der Leonardo hat sich das genau so vorgestellt. Das finde ich heutzutage schwer, wenn ich an Gott denke, ich denke nicht an ihn als allgegenwärtiger Herrn, sondern ich weiß nicht wie er aussieht, ich weiß nicht, ich möchte es wissen, aber ich weiß es nicht wenn ich ehrlich bin. Ich habe ein Buch über Malerei zum Thema Christus bekommen. Da sieht man etwa ein sehr schönes Bild von Salvador Dalí, wo der Kopf nach unten gerichtet ist. Dieses Leiden kann ich verstehen, was hat Jesus gesagt, bevor er stirbt?

Er hat gesagt „Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“

Ich habe mich sehr viel mit Christus beschäftigt, ich lebte auch während des Krieges ein Jahr lang in Jerusalem. Ich fuhr auch die „Via Dolorosa“ entlang, wo die heiligen Stätten sind. Aber ich glaube nicht, dass es sich so ereignet hat, wie es in der Bibel steht. Erstens: der Golgota, wo man Christus erhängt hat, das war freie Luft – und jetzt ist da ein Loch in der Wand und man sagt, es ist wichtig, weil da hat der tote Jesus gelegen und dann ist er wieder zum Leben erweckt worden – weil er ja unsterblich ist. Ich fand diese offizielle Religiosität interessant und schön – aber geglaubt habe ich das nicht.

Zurück zum Theater. Das Theater hat ja heute viel Konkurrenz – Fernsehen, Internet usw..

Ja, ja. Das ist sehr schade. Vor einigen Jahren sind die Medien wichtiger geworden. Etwa das Fernsehen. Ich schaue in Berlin jeden Tag vielleicht eine Stunde Fernsehen. Höchstens einmal in der Woche finde ich etwas, was mich interessiert, sonst gibt es immer nur hübsche Frauen, die etwas verkaufen wollen, oder dicke Herren, die politisch sprechen. Ich glaube das Fernsehen war am Anfang interessanter als jetzt. Also zum Beispiel Fußball. Ich habe Fußball sehr gern gehabt und war früher oft auf Fußballplätzen. Aber jetzt sieht man es im Fernsehen. Am Nachmittag ein Spiel, und nachher noch eins und noch eins. Ich glaube das Resultat wird sein, dass in ein paar Jahren die Leute überhaupt nicht mehr Fußball zugucken.

Aber trotzdem schauen sich ja noch viele Menschen Theaterstücke an, es ist immer wieder faszinierend volle Häuser zu sehen.

In Österreich schon, in Berlin weniger. Ich habe da eine Theorie, wobei ich hoffe sie ist nicht richtig. Ich denke das alte griechische Theater, das hat fünfzig Jahre gedauert, dann kam das römische Theater, das war brutal und so weiter, dann kam Shakespeare und mehrere Engländer, dann kamen mehrere Franzosen und dann im 19. Jahrhundert Goethe, Schiller, Kleist… Ein Jahrhundert lang waren wir die besten und die größten, jetzt aber nicht mehr. Und außerdem was haben wir hier, also ich hab Probleme mit dem wie heißt er Peter … wie heißt er der große Schriftsteller…

Handke?

Ja. Ich glaube er hat sich sogar antisemitisch geäußert. Das ist nicht unbedingt schön, aber die Düsseldorfer Sache (Anm.: Handke wurde von der Stadt Düsseldorf der Heinrich-Heine-Preis verweigert) hat man weggesteckt und jetzt schimpft Handke auf Günther Grass. Günther Grass ist ein Freund von mir und was er als 17jähriger gemacht hat, das interessiert mich nicht und dass er das zu spät zugegeben hat, das interessiert mich auch nicht, das ist seine Sache. Vielleicht hätte ich es auch so gemacht aber das finde ich es nicht richtig, dass man ihn so angreift, nur weil er einige Sachen nicht gleich zugegeben hat. Ich kenne ihn seit Jahren, mit seinen Kindern und seiner Ehefrau. Ich habe mich gefreut, dass er den Nobelpreis bekommen hat – ebenso wie die österreichische…..

Die Frau Jelinek, ja.

Ich hab sie gekannt, damals als sie hier lebte, wir haben uns bei Shakespeare & Company getroffen. Ich habe dann auch ein Stück von ihr gemacht und sie kam drei Mal zu der Probe und sie sagte „Sie haben gewisse Sachen geändert, kürzer gemacht. Gut, machen sie nur. Ich habe den Text geschrieben, aber das heißt nicht, dass es so bleiben muss. Sie war die einzige Schriftstellerin, die das zugegeben hat. Denn wenn man etwas schreibt, das ist anders, als wenn man etwas spielt. Ich hoffe ich werde sie irgendwann wieder sehen.

Übrigens, ich habe meiner Frau gesagt, ich bleibe in Wien, Good Bye. Sie hat gelacht. Also ich gehe, Samstag gehe ich nach Hause, aber ich werde versuchen, sie zu überreden, lass uns wieder nach Wien kommen!

Das wäre toll.

Warum das so ist, das kann ich nicht sagen, aber ich fühlte mich hier wohl. Ich bin immer zu Fuß ins Burgtheater gegangen, Währinger Straße, dort war ein Hotel, mit „R“ fängt es an, dort habe ich auch gewohnt…

In der Währinger Straße ist das Hotel Regina.

Es ist ein kleines Hotel, … na ja ich will nicht nostalgisch werden …

Was ist in Wien besser für Theatermacher als in Berlin?

Also ich würde es nicht so formulieren „Was ist besser“. Weil schauen Sie, ich bin der älteste Theatermachende der Welt, aber das heißt nicht, dass ich unbedingt Gutes geschafft habe, ich hab ja so viele Stücke geschrieben, warum habe ich das gemacht?

Haben Sie ein Lieblingsstück unter ihren eigenen? 

Bei mir ist es so, wenn ich ein Stück schreibe, dann bin ich nur darauf konzentriert, alle anderen Stücke interessieren mich nicht. So war das früher. Wenn die Premiere gekommen ist, Good Bye, Ciao … So war es früher. Jetzt, seit drei, vier Jahren denke ich auch darüber nach, welches Stück ich am besten finde. Ich habe sehr gerne „Weisman und Rotgesicht“, das ich in Amerika geschrieben hab, ich möchte das wieder in Wien machen lassen. Und dann „Die Kannibalen“ – das wurde in Berlin aufgeführt, das hat mich eigentlich nach Berlin geführt.