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„Maria Stuart“ frei nach Schiller im Theater DasTAG

„Maria Stuart“ frei nach Schiller im Theater DasTAG

©Anna Stöcher

Höhepunkt aller „Maria Stuart“-Fassungen ist immer die direkte Konfrontation der beiden Königinnen – der herrschenden Elisabeth und der ehemaligen schottischen Königin Maria, die seit Jahren in einem englischen Kerker dahinschmachtet. Im Theater DasTAG in der Gumpendorfer Straße ist die Szene schnell erledigt, nur zu bald beschimpfen sich die beiden und Elisabeth unterzeichnet das Todesurteil ihrer Rivalin. Denn Gernot Plass interessiert am Drama von Friedrich Schiller vor allem die Politik und die Intrige – zweifelsohne ein sehr aktuelles Thema, das sich täglich in den Nachrichten verfolgen lässt. Wobei wir das meiste ja sowieso nur vermuten und ahnen können.

Und der Intrigen gibt es auch bei Schiller mehr als genug. Am Hof von Elisabeth tummeln sich Günstlinge und Einflüsterer, Doppelspione und Karrieristen. Leicester (Markus Hamele) unterstützt heimlich Maria, opfert aber kaltblütig den jungen Mortimer (Raphael Nicholas), um seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Elisabeth (Michaela Kaspar) ist im Zentrum des Ganzen, als Königin kann sie sich auch nicht die kleineste Schwäche erlauben, während Maria (Lisa Schrammel) zum Spielball der Mächte verkommt und sich mit ihrem Hochmut das eigene Grab schaufelt.

Politik wird ja von vielen als das denkbar Langweiligste angesehen. Das ist nicht nur gesellschaftlich betrachtet gefährlich, sondern auch falsch wie auch heutige Adaptionen im Unterhaltungsgeschäft – wie etwa die TV-Serie „Borgen“ – zeigen. „Maria Stuart“ im DasTAG ist tatsächlich auch spannend, gegen Ende streut Plass, der sich im Groben an Schiller hält, auch noch ein paar sprachliche Witze ein und ordnet die Besessenheit der Engländer an Ballspielen schon im Elisabethanischen Zeitalter beginnen.

Infos und Karten: dastag.at

Sogar das Wetter meinte es gut mit der Premiere von „Sommer.Hunds.Traum“ im Neubauer Off-Theaters, denn es war der erste wirklich heiße Tag des Jahres.

Das Off-Theater verquickt gekonnt den Sommernachtstraum mit Ulrich Seidls Kultfilm „Hundstage“

Die Besetzung von Sommer.Hunds.Traum. – ©Walter Mussil

Sogar das Wetter meinte es gut mit der Premiere von „Sommer.Hunds.Traum“ im Neubauer Off-Theaters, denn es war der erste wirklich heiße Tag des Jahres.

Und wir sind jetzt im Stück vor einem rustikalen Speckstand irgendwo in der Wiener Vorstadt bei irgendeinem Baumarkt, wo alle bereits in der Früh schwitzen. Schon vorher hat Anna – die Frau mit dem Rededurchfall aus den „Hundstagen“ – die Zuschauer mit Fragen genervt, auf die sie selbst am besten die Antworten kennt wie „Was sind die 10 häufigsten Geschlechtskrankheiten“. Mit dieser Figur im Film ist die Schauspielerin Maria Hofstätter 2001 erst so richtig berühmt geworden. Im Theater ist Sophie Resch – äußerst gekonnt – aber nicht nur die Anna, sondern auch der schelmische Puck aus dem „Sommernachtstraum“. Gelegentlich versucht sie zu zaubern, aber nicht zu oft – Shakespeares Komödie wurde ja – besonders im Sommertheater – schon mindestens 1x zu oft gespielt, nicht wenige Zuseher winken bereits genervt ab, wenn sie von einer Neuinszenierung hören. Doch Regisseur Ernst Kurt Weigel hat sich aus dem Klassiker nur jene Teile geholt, die sich in der Welt von Ulrich Seidl auch richtig gut entfalten können.

Das ergibt fast 2 Stunden höchst unterhaltsames, interessantes Theater. Ein paar Wiener Vorstadttypen richten ein Hochzeitsjubiläum aus, bei dem zu Schweinsbraten und Bier auch ein seltsames Stück aufgeführt werden soll. Es gibt lesbische Liebe, eine überqualifizierte Putzfrau mit migrantischem Hintergrund, Baumarktangestellte, Probleme mit Diebstahl auf dem Parkplatz und jede Menge Vorurteile, die die Figuren vor sich auftürmen. Alle Mitwirkenden müssen zwischendurch  auch tanzen. Neben Sophie Resch als Anna spielen Yvonne Brandstetter, Matthias Böhm, Kajetan Dick, Bernhardt Jammernegg, Christian Kohlhofer, Ylva Maj Rohsmann und Leonie Wahl. Beste Abwechslung in der Wiener Theaterszene.

Alle Infos & Karten: off-theater.at

Nestroys „Häuptling Abendwind“ als Rap-Tragikomödie im Rabenhof. – ©Rita Newman

Nestroys „Häuptling Abendwind“ als Rap-Tragikomödie im Rabenhof

Bild: ©Rita Newman

Johann Nestroys Menschenfresserstück „Häuptling Abendwind oder Das gräuliche Festmahl“ ist so politisch unkorrekt, dass man es sich heute kaum mehr spielen traut. Nun hat sich die Musikerin und Poetry Slammerin Yasmin Hafedh aka Yasmo bei ihrer allerersten Regiearbeit dem Stoff angenommen und für den Rabenhof ein aktuelles Schauerstück mit antizipatorischem Anspruch gemacht. Ihre zwei „Wilden“ – die Häuptlinge Abendwind und Biberhahn – agieren durchaus heutig, ihr Appetit auf Menschenfleisch ist eben ihre Leitkultur (oder Leidkultur) und ihr Abwehrkampf gegen die Zivilisation und den Fortschritt irgendwie verständlich. Roman Gregory, der umtriebige Mastermind der Szeneband „Alkbottle“, kann in der Titelpartie voll Überzeugung singen: „I wü ka Gemüse / I wü ka Obst“.

Doch auch in der Leitkultur gibt es Probleme. Die beiden Chefs haben sich gegenseitig die Ehefrauen wortwörtlich einverleibt und Abendwinds Tochter Atala begehrt gegen die Pläne ihres Vaters, sie mit Biberhahns Sohn Artur zu vermählen. Das geht sowieso schief, denn blöderweise landet dieser im Kochtopf. Davor präsentiert sich Artur aber noch als völliger Schnösel, der ebenso wie Atala an seinen Followern interessiert scheint. Influencer gibt es anscheinend schon auf der letzten Südseeinsel. Auch das junge Paar ist exzellent besetzt mit der aus Ghana stammenden Musikerin Bex und dem Schlagzeuger Raphael Rameis, der gemeinsam mit Yasmo auch die Musik beigesteuert hat. Und Christian Strasser spielt den Biberhahn als Pendant zu seinem Prolo-Chefkollegen mit Döblinger Zungenschlag. Klar, dass am Schluss die Häuptlingstochter die Macht übernimmt, obwohl sie keine Vorstellung davon hat, was sie politisch durchsetzen will. Das bringt Jubel aus der feministischen Ecke, stimmt für die Zukunft der Insel aber nicht hoffnungsfroh, denn im ersten Teil wurde Atala als nicht gerade helle Influencerin gezeichnet.  Yasmo sitzt als Autorin und Beobachterin die ganze Zeit am Rand der Bühne und kommentiert das Geschehen, zweimal auch mit Raps.

Das Publikum im Rabenhof applautierte schon während der Vorstellung bei allen Songs heftig, die Kombi Musik und Theaterkomödie ist immer für einen Triumpf gut. 

Karten und Infos: rabenhof.at

 „Ein bisschen trallalala“ in der Volksoper

 „Ein bisschen trallalala“ in der Volksoper

Fritzi Massary (1882-1969) und Max Pallenberg (1877-1934) waren das Glamour-Paar der Zwischenkriegszeit. Beide aus Wiener jüdischen Familien stammend, machten sie in Berlin Karriere – er auch im Charakterfach unter Max Reinhardt, sie zuerst in Revuen und dann als Operettensoubrette. Und beide setzen dabei ihren Charme ein, denn die Massary soll weder besonders schön gewesen sein, noch wirklich gut gesungen haben. Trotzdem ist ihre Karriere beeindruckend – Oscar Straus, ebenfalls ein Wiener, schrieb mehrere Operetten für sie. Sein Song „Warum soll eine Frau kein Verhältnis haben?“ wurde sozusagen zu Massarys Trademark und wurde später von vielen Sängerinnen interpretiert.

Ruth Brauer-Kvam hat nun gemeinsam mit Regisseurin Martina Gredler für die Volksoper eine Hommage an Massary und Pallenberg gestaltet. Den Pallenberg gibt Publikumsliebling Robert Palfrader. Getreu ihren Originalen machen sie sie es mit viel Charme und Schmäh. Jüdische Witze werden erzählt, die Liebesanbahnung durchgespielt (zumindest Pallenberg war bei ihrem Kennenlernen noch verheiratet) und ein paar Details aus ihrer beiden Leben verraten. Vor allem wird aber natürlich viel gesungen – ein kleines Orchester samt einem musikalischen Leiter (Adam Benzwi) steht auf der Bühne, gespielt wird auf dem abgedeckten Orchestergraben.

Fast am eindrucksvollsten sind aber die kleinen Ausschnitte aus einem Interview mit Fritzi Massary, das 1965 vom deutschen Fernsehen geführt wurde und das auf großer Leinwand gezeigt wird. Wir erleben eine noch immer sehr selbstbewusste Frau, die den Verlust ihres Geliebten – Max Pallenberg starb nach der Flucht vor den Nazis bei einem Flugzeugabsturz – niemals verwinden konnte. Ein ebenso beschwingter wie besinnlicher Abend.

Infos & Karten: volksoper.at (nächste Vorstellung am 8. April)

„Peer Gynt“ war ursprünglich ein dramatisches Gedicht, das Ibsen erst später für die Bühne adaptierte. In der jetzt im Burgtheater Kasino gezeigten Fassung des isländischen Regisseurs Thorleifur Örn Arnarsson ist das auch noch in jeder Minute spürbar. – ©Marcella Ruiz Cruz

Henrik Ibsens „Peer Gynt“ im Burgtheater Kasino

Szenefoto aus dem Stück. – ©Marcella Ruiz Cruz

„Peer Gynt“ war ursprünglich ein dramatisches Gedicht, das Ibsen erst später für die Bühne adaptierte. In der jetzt im Burgtheater Kasino gezeigten Fassung des isländischen Regisseurs Thorleifur Örn Arnarsson ist das auch noch in jeder Minute spürbar.

Gabriel Cazes stimmt schon zu Beginn mit Klaviermusik am Flügel auf die Poesie des Abends ein, und bald schon muss der Selbstsucher Peer im Gespräch mit einem seltsamen Fremden sein Scheitern einbekennen. Mavie Hörbiger ist Peer Gynt – durch die weibliche Besetzung lenkt der Regisseur den Blick geschickt weg vom männlichen Helden- und Lügengetöse hin zum existenziellen Kampf eines Menschen, der immer nur sich selbst treu sein will. Knapp 2 Stunden können wir die grazile Schauspielerin – meist in kurzen Hosen und schwarzer Mütze – erleben, wie sie sich aus den von ihr selbst verursachten Katastrophen wieder herauszuwinden versucht. Eine höchst beachtliche schauspielerische Leistung. Ihr zur Seite stehen nur 4 Kollegen/Kolleginnen:  Barbara Petritsch als Mutter Aase, Lilith Häßle als die drei Frauen Peers, sowie Johannes Zirner und Lukas Vogelsang in verschiedensten Rollen. Ein dichtes, poetisches Schauspiel auf meist leerer Bühne. Ein paar Sessel, ein durchsichtiger Plastikkobel als Schiff oder Irrenhaus sowie wechselnde Kostüme – von Glitzer-Disco-Look bis zu absurden Nacktsuits – bringen bei großzügigem Einsatz von Nebel die nötige Atmosphäre. Dass dieser auf das Wesentliche reduzierte „Peer Gynt“ gelungen ist, lässt sich schon aus der niemals fehlenden Aufmerksamkeit des Publikums erkennen, das die Premiere dann auch ausgiebig bejubelte.

Infos: burgtheater.at

„Leben und Sterben in Wien“ von Thomas Arzt als Uraufführung im Theater in der Josefstadt.

„Leben und Sterben in Wien“ von Thomas Arzt als Uraufführung im Theater in der Josefstadt

„Leben und Sterben in Wien“ ist ein schwungvoller Abend. – ©Moritz Schell

Ursprünglich hätte das Auftragsstück schon in der Corona-Zeit 2021 uraufgeführt werden sollen, doch heuer – zum 90. Jahrestag der Februarkämpfe, als die Sozialdemokraten gegen den Dollfußschen Klerikalfaschismus ankämpften – passt es sowieso besser. Denn „Leben und Sterben in Wien“ von Thomas Arzt ist zeitlich zwischen dem „Schandurteil“ im Prozess gegen die Mörder von Schattendorf 1927 –inklusive Brand des Justizpalastes – und dem gescheiterten Aufstand der Sozialdemokraten im Februar 1934 begrenzt. Mittendrin die Magd Fanni, die in ihrem Heimatdorf nicht nur unmenschlich schwer arbeiten muss, sondern dort auch vom Bauern sexuell missbraucht wird. Ihre für sie verwirrende Liebe zu der anderen Außenseiterin Sara bringt sie noch dazu in große Gefahr. Sie flieht ins Rote Wien, wo gerade der Freispruch für die Schattendorf-Mörder verkündet wird, und gerät in die Kreise der „Sozis“. Dabei ist sie schwanger, aber ausgerechnet eine Gräfin sowie Saras Vater – ein Revuetheaterdirektor (Günter Franzmeier) – helfen ihr.

Nun klingt das freilich alles ziemlich konstruiert, aber Regisseur und Hausherr Herbert Föttinger hat daraus mit Hilfe der exzellenten Live-Musik von Matthias Jakisic – er selbst sitzt mit Geige und Elektronik vorne in der großen Loge – einen recht wirkungsvollen Musiktheater-Abend geschaffen, der vom Publikum der Premiere ausgiebig gefeiert wurde. Vieles erinnert an Brecht/Weill, einiges an Jura Soyfer, wobei Arzt auch nicht vor modernem Jargon zurückschreckt. Oft bleiben Sätze unvollständig, man muss sich auch beeilen, die viele Handlung in den nicht einmal 3 Stunden (inklusive Pause) unterzubringen.

Im engagierten Ensemble stechen vor allem Frauenrollen hervor. Katharina Klar spielt die Hauptrolle der Fanni sehr glaubhaft und umschifft gekonnt überall lauernde Klischees. Ebenso schnörkellos agieren Johanna Mahaffy als ihre Geliebte und Schutzbündlerin und Ulli Maier als Gräfin. Selbst Fannis Kind  (Clara Bruckmann) ist überzeugend. Als böse Dorfalte und brutale Apologetin der Gewalt glänzt Lore Stefanek auf der dunklen Seite der Macht.

Ein schwungvoller Abend, der über so manche Schwächen des Textes und der Handlung (Fanni schießt auf einen Polizisten, wird verhaftet und gefoltert und ist schon wenig später wieder hoffnungsvolle Studentin in der Freiheit) hinwegtröstet.

Infos & Karten: josefstadt.org

Die Gruppe Rimini Protokoll tourt jetzt mit dem Abend über Taiwan „Dies ist keine Botschaft (Made in Taiwan)“ durch europäische Theater.

„Dies ist keine Botschaft (Made in Taiwan)“ im Volkstheater

Szenefoto aus „Dies ist keine Botschaft“. – ©Claudia Ndebele

Der heutige Status Taiwans ist der China-Politik Richard Nixons geschuldet. Nixon sah 1971 in Mao einen möglichen Verbündeten gegen die Sowjetunion und erfüllte die Bedingungen Chinas für eine bilaterale Annäherung. Daraufhin flog Taiwan als „Republic of China“ aus den Vereinten Nationen (deren Gründungsmitglied es war) und aus dem UN-Sicherheitsrat. Seither wird der Inselstaat diplomatisch nur von wenigen Kleinstaaten wie dem Vatikan oder Belize als Nation anerkannt und lebt unter der ständigen Bedrohung durch den großen Bruder.

Die Gruppe Rimini Protokoll tourt jetzt mit dem Abend über Taiwan „Dies ist keine Botschaft (Made in Taiwan)“ durch europäische Theater. Im Volkstheater wurde die Produktion sehr, sehr freundlich aufgenommen, denn die drei Protagonisten – eine Musikerin (Debby Szu-Ya Wang), ein Diplomat (David Chienkuo Wu war u.a. Botschafter in Belize) und eine Netz-Aktivistin (Chiayo Kuo) taten unter der Regie von Stefan Kaegi wirklich viel, um Sympathien für ihr Land zu gewinnen. Mit Videoprojektionen und Musikdarbietungen wurde die Eröffnung einer Botschaft in Österreich – im Volkstheater – geprobt. Denn natürlich traut sich auch Österreich – wie auch alle anderen Länder der EU nicht, offiziell Beziehungen zu Taiwan aufzunehmen. Dabei ist Taiwan, das etwa so groß wie Österreich ist aber mehr als doppelt so viele Einwohner hat, seit 1990 eine echte Demokratie. Die drei Spieler aus Taiwan erzählen jede Menge absonderliche Geschichten, die man nur vor dem Hintergrund der imperialen Weltpolitik verstehen kann. Debby Wangs Vater gründete etwa die Firma Possmei, einen inzwischen bedeutenden Getränkekonzern, der mit den Zutaten für Bubble Tea weltweit erfolgreich ist. Die Bevölkerung des Inselstaates wird ständig zu Waffenübungen ermuntert, da man permanent mit einer Invasion Chinas rechnen muss. Dabei waren die Chinesen einst auch nur Migranten auf der Insel und es gab und gibt Ureinwohner in Taiwan. Und bis zum 2. Weltkrieg war Taiwan 50 Jahre lang eine Provinz des japanischen Kaiserreichs. Zur großen chinesischen Übernahme kam es bekanntlich durch den General Chiang Kai-shek, der den Krieg gegen Mao verloren hatte und sich auf Taiwan zurückzog, wo er bis zu seinem Tod diktatorisch herrschte.

Ein interessanter Abend zu einem weltpolitisch brisanten Konflikt.

Informationen & Termine: www.volkstheater.at

Im Schlachthaus der Geschichte – „Animal Farm“ von Alexander Raskatov in der Staatsoper

Im Schlachthaus der Geschichte – „Animal Farm“ von Alexander Raskatov in der Staatsoper

Szenenfoto. – ©Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Schullektüre, verstaubt – ein Relikt aus dem Kalten Krieg: Die Romanparabel „Animal Farm“ – immerhin bereits vor dem Ende des 2. Weltkrieges vom enttäuschten Kommunisten George Orwell geschrieben – galt längst als veraltet und uninteressant. Seitdem sich Russland wieder in Richtung der Stalin-Sowjetunion entwickelt, wirkt diese Geschichte einer Revolution, die sich in Windeseile in ein totalitäres System verwandelt, aber wieder hochaktuell. Der schon lange in Frankreich lebende russische Komponist Alexander Raskatov, der übrigens just an dem Tag zur Welt kam, als Stalin begraben wurde, bekam aber den Auftrag zur Vertonung von „Animal Farm“ längst vor dem Einmarsch Russlands in der Ukraine. Und – wie die Aufführung in der Wiener Staatsoper zeigt – ist seine Oper kein Russen-Bashing, sondern eine höchst zeitgemäße Allegorie auf den Verrat humanistischer Ideen im Politalltag.

In nur knapp zweieinhalb Stunden (mit Pause) sehen wir in der Staatsoper die Metamorphose einer Demokratie in eine Diktatur am Beispiel eines Bauernhofes, in dem die Tiere die Herrschaft an sich gerissen haben. In der Inszenierung von Damiano Michieletto spielt „Animal Farm“ gleich in einem Schlachthaus – eine Farm ist schließlich kein Ponyhof, wir sind sozusagen im Schlachthaus der Geschichte gefangen. Und schließlich wird das unermüdlich arbeitende Pferd Boxer (Stefan Astakhov) dann auch tatsächlich geschlachtet und wiederverwertet.

Anfangs tragen noch alle Darsteller Tiermasken, nach und nach werden sie dann sozusagen zu Menschen – verrohen also nachhaltig. Raskatov hat geschickt Tierlaute in die Partitur eingebaut, ohne das Ganze dadurch zu verniedlichen. Überhaupt ist seine Musik ebenso unterhaltsam wie abwechslungsreich, ein Klangteppich, an dem man sich – trotz großer Dramatik – auch erfreuen kann. Und es gibt gute Rollen, denn nicht nur die schweinischen Widersacher Napoleon (Bassbariton Wolfgang Bankl als „Stalin“) und Snowball (Michael Gniffke als „Trotzki“) haben ihre großen Auftritte. Dem Raben Blacky (Elena Vassilieva) haben die Librettisten – neben dem Komponisten auch Ian Burton eine wesentliche Rolle als grausamen Beobachter und Einsager zugestanden. Andrei Popov singt den Geheimdienstchef („Beria“), der ihm nicht willige Tiere kurzerhand über die Klinge springen lässt.

Der britische Dirigent Alexander Soddy bringt die Farbigkeit der Musik mit dem exzellenten Orchester der Staatsoper optimal zur Geltung. Man kann in dieser Inszenierung sowohl im Text als auch in der Musik vieles entdecken. Verdienter Jubel vom Publikum bei der Premiere.

Weitere Aufführungen am 2., 5., 7. und 10. März

www.wiener-staatsoper.at

Szene aus „Iphigenie auf Tauris“. – ©Marcella Ruiz Cruz

Humanismus im Barbarenland – „Iphigenie auf Tauris“ in der Regie von Ulrich Rasche am Akademietheater 

Szene aus „Iphigenie auf Tauris“. – ©Marcella Ruiz Cruz

Stillstand gibt es bei Ulrich Rasches Interpretation von Johann Wolfgang von Goethes Ideendrama „Iphigenie auf Tauris“ tatsächlich keinen, denn alle Figuren bewegen sich gegen die sich permanent drehende Bühne. Ein eindrucksvolles Bild, das sich in den zweieinhalb Minuten der Aufführung auch nicht abnützt. Auch die Sprache folgt einem strengen Duktus mit manchmal ungewöhnlichen Betonungen. Und die Musik – ein elektronisch und oft auch bedrohlich anmutender Soundteppich (Komposition und musikalische Leitung: Nico van Wersch – Schlagwerk: Katelyn King, Keyboards: Benjamin Omerzell) – macht ebenfalls niemals Pause. Ein herausfordernder Job für alle Darsteller (Daniel Jesch, Ole Lagerpusch, Maximilian Pulst, Enno Trebs), allen voran Julia Windischbauer als Iphigenie, die sich in der Männerwelt von Tauris durchsetzen muss. Schon in der ersten Szene tragen die Männer durchsichtige T-Shirts und kommen der weiß gekleideten einzigen Frau erschreckend nahe.

Iphigenie hat nämlich wirklich keine einfache Aufgabe. Sie muss die Werbung des Königs ausschlagen und wenig später auch noch den Bruder Orest retten, der die eigene Mutter ermordete, um sich an dem Vatermord zu rächen. Dabei herrschte auf Tauris lange Zeit die barbarische Sitte, jeden Fremden kurzerhand den Göttern zu opfern.

Ulrich Rasche hat auch das Bühnenbild gestaltet, das nur aus viel Nebel vor schwarzem Hintergrund und einer aus LED-Stäben geformten Säule besteht, die während des Abends die verschiedensten Positionen einnehmen kann. In Goethes Drama passiert bekanntlich nicht viel und doch alles, wird doch das Fundament unserer Gesellschaft verhandelt – der Humanismus, der leider aktuell wieder allerorts sich auf dem Rückzugskampf befindet. So gesehen ist „Iphigenie auf Tauris“ in dieser für Zuseher ebenso fordernden wie schlüssigen Inszenierung das Stück der Stunde.


Infos & Karten: burgtheater.at

Szene aus „Heit bin e ned munta wuan“. – ©Marcel Urlaub

„Heit bin e ned munta wuan“ im Volkstheater von Wolfgang Menardi

Szene aus „Heit bin e ned munta wuan“. – ©Marcel Urlaub

Die Bühne zeigt die offenbar große Wohnung der Frau Q im heruntergekommenen Zustand aus den 70er-Jahren, reichlich mit Kitsch, ausgestopften Vögeln und Nippes bestückt. Mittels Textausschnitten von Autoren der Wiener Gruppe wie H.C. Artmann, Konrad Bayer, Friedrich Achleitner, Oswald Wiener und Gerhard Rühm erleben wir in gut anderthalb Stunden das trübe Schicksal dieser von Samouil Stoyanov großartig dargestellten, etwas fülligen Frau Q, ihre ungesunde Liebe zu einem viel jüngeren Nachbarn (Matteo Haitzmann) von gegenüber und ihren Kampf mit dem Telefon, das immer wieder hartnäckig läutet und Frau Q einen Stromstoß versetzt. Zwischendurch stimmt Claudia Sabitzer als ehrwürdiger Pompfüneberer vor dem Vorhang auf das urwienerische Thema des Abends – den Tod – ein. Ihr Text stammt aus dem Dokumentarfilm „Die Pompfüneberer“ (1994) von Arpad Bondy und Margit Knapp. Und im kleinen TV in der Wohnung läuft entweder Edith Klingers legendäre Tiersendung „Wer will mich?“ oder ein Sissi-Film. Dabei wird Frau Q gespiegelt von einem famosen Musiktrio im gleichen bieder-spießbürgerlichen Outfit (Ingrid Eder, Flora Geißelbrecht, Sixtus Preiss), denn viele der Texte werden gesungen.

Das ergibt einen kurzweiligen Abend mit viel Spaß beim Entdecken neuer Details in diesem morbiden Wienerisch-Setting. Die Handlung – Frau Q ermordet schließlich den Nachbarn und begeht Selbstmord – hätte man eher nicht gebraucht. Und die Sissi-Franzl-Kostüme gegen Ende geben der Geschichte eine etwas zu platte Wendung. Am Ende tanzt Frau Q noch einen makabren Totentanz mit ihrem nackten Angebeteten – ebenso schaurig wie peinlich.

Infos und Karten: volkstheater.at