Roman

Buchtipp von Helmut Schneider


„Über Menschen“ von Juli Zeh ist nicht nur der erste interessante Corona-Roman, sondern vor allem eine Auseinandersetzung mit der Tatsache, dass auf dem Land Rechtspopulisten als einzige Alternative erscheinen.
Text: Helmut Schneider


Die 46jährige Juli Zeh ist spätestens nach ihrem 2016 erschienenen Dorfroman „Unterleuten“ die erfolgreichste Schriftstellerin unseres deutschen Nachbarn. Der Bestseller wurde sogar vom ZDF verfilmt. Jetzt erschien mit „Über Menschen“ ein Roman, der aufgrund des Settings – wieder sind wir in der brandenburgischen Provinz in einem fiktiven Dorf – wie eine Fortsetzung wirkt. Doch statt wie in „Unterleuten“ aus der Perspektive vieler zu erzählen, erleben wir diesmal die natürlich nicht konfliktfreie Assimilation einer jungen Werbetexterin in einer Dorfgemeinschaft. Und es ist die Geschichte einer Art Freundschaft eben dieser Berlinerin Dora, die mitten in der Coronakrise in ein altes Haus am Land zieht, und dem sich selbst als „Dorfnazi“ vorstellenden, kahlrasierten Nachbarn Gote. Zeh hat dabei viel riskiert, denn wie kann es glaubhaft erscheinen, dass eine urbane, linksliberale, junge Frau Sympathie für einen älteren Mann entwickeln kann, der mit bekannten AfD-Aktivisten nach viel Bier und Schnaps das Hort-Wessel-Lied singt und eine Bewährungsstrafe wegen Körperverletzung ausgefasst hat? Aber Juli Zeh hat dabei ein Vorteil, den andere Schriftsteller nicht haben, sie wohnt nämlich schon seit einigen Jahren ebendort in der Provinz, in Brandenburg. Sie erlebt die Wut ihrer Nachbarn darüber, dass sich die Politik um ihre Bedürfnisse nicht kümmert, aus nächster Nähe mit. Und sie lässt das ihre Dora Schritt für Schritt lernen und vor allem auch erfahren wie es so ist, wenn die Busstation weit entfernt ist und nur zweimal am Tag ein Bus fährt – in einem Dorf, in dem es keine Einkaufsmöglichkeiten gibt. 

Köstlich sind aber auch die Szenen mit Doras Freund Robert im ersten Drittel des Buchs noch in Berlin. Der klimabewegte Journalist reagiert fast mit Freude auf die Pandemie, hält sich panisch an alle Vorschriften und verbietet Dora schließlich sogar längere Spaziergänge mit ihrem Hund. Corona ist für ihn und Seinesgleichen so etwas wie die gerechte Strafe für die Klimasünder. Und plötzlich lernen die gestressten Städter: „Echte Freizeit ist der Horror.“

Im Dorf gehen die Uhren natürlich anders. Und langsam stellt sich heraus, dass die Menschen auf dem Land komplexer sind als von der Hauptstadt aus gesehen. Der Nazinachbar Gote zimmert Dora ungefragt ein Bett und schenkt ihr Sesseln – einfach weil sie das nicht hat und fährt mit ihr einkaufen oder raucht eine Zigarette mit ihr zwischen den Grundstücken. Und bald schon freundet sich Dora mit Gotes kleinen Tochter Franzi an, die von der Mutter wegen Corona beim natürlich geschiedenen Vater abgegeben worden ist.

Juli Zeh gelingt es, Menschen am Land zu beschreiben und Doras Verwandlung in eine sogar spannende Handlung zu setzen. Vielleicht ist sie manchmal sehr nahe am Klischee, aber es ist sicher nicht leicht, sich ohne die übliche Pose des Besserwissenden mit Rechtsextremen auseinander zu setzen und sich dabei auch nicht vor Gefühlen zu fürchten. Die Autorin macht das, was andere nur fordern. „Wir müssen die Sorgen der Menschen ernst nehmen“ ist schließlich die größte Lüge fast aller Politiker.   


„Über Menschen“, Juli Zeh, Luchterhand Verlag
Gebundene Ausgabe, 416 Seiten
ISBN: 978-3-630-87667-2