Schillernde Persönlichkeit

„Menschen im Hotel“


Vicki Baum war in der Weimarer Zeit eine Bestsellerautorin – „Menschen im Hotel“, das bekannteste Buch der Wienerin, ist aber auch heute noch unbedingt lesenswert.
Text: Helmut Schneider / Foto: Max Fenichel


Manchmal bedarf es eines Zufalls, damit man einen Roman liest, den man immer schon im Fokus hatte. Als ich kürzlich meine Wohnung verlies, fand ich am Fensterbrett beim Ausgang die Taschenbuchausgabe von Vicki Baums Roman „Menschen im Hotel“. In unserem Haus ist es üblich Dinge, die zu schade zum Wegwerfen sind, dort abzulegen – ich habe dort auch schon unzählige Bücher zur freien Entnahme platziert. Ein Wink des Schicksals sozusagen, denn Vicki Baum war mir als schillernde Persönlichkeit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wohl bewusst, gelesen hatte ich allerdings noch nie etwas von ihr, galt sie doch immer als sogenannte Unterhaltungsschriftstellerin. Ein blöder Ausdruck sowieso, denn gerade gute Literatur ist immer Unterhaltung. Nach ein paar Seiten war aber ohnehin klar: Vicki Baum ist eine exzellente und höchst raffinierte Erzählerin. Sie hat das in diesem Roman von 1929 perfektioniert, was Autoren und Filmemacher bis heute praktizieren. Spannung aufbauen und dann – im entscheidenden Moment – zum nächsten Erzählstrang springen und so weiter. Cliffhanger nennt man das beim Film. Soweit mir bekannt, war das damals freilich in Hollywood noch längst nicht üblich.

Von Wien nach Hollywood Hollywood ist auch ein gutes Stichwort, denn dorthin verschlug es die Wienerin nach vielen Jahren in Deutschland letztendlich, wenn auch nicht ganz freiwillig. Vicki Baum hieß eigentlich Hedwig Baum und wurde 1888 auf der Wieden in Wien als Tochter eines jüdischen Regierungsbeamten geboren. Sie besuchte das Pädagogium und ließ sich von 1898 bis 1904 zur Harfenistin am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde ausbilden. Nach einem Engagement im Symphonieorchester des Wiener Konzertvereins kam sie 1913 als Harfenistin nach Darmstadt. 1916 heiratete sie den Dirigenten Richard Lert und ab 1919 veröffentlichte sie erste Bücher. Ihr endgültiger Durchbruch war dann 1929 ihr Roman „Menschen im Hotel“, den sie selbst auch dramatisierte und der schließlich sogar am Broadway lief ehe er in Starbesetzung (Greta Garbo und Joan Crawford) verfilmt wurde. 1931 übersiedelte sie selbst in die USA, zumal ihre Bücher von den Nazis stark angefeindet und nach der Machtergreifung Hitlers sogar verbrannt wurden. 1949 bereiste Vicki Baum Europa: Portugal, Frankreich, Italien, Schweiz und Belgien, nicht aber Deutschland und Österreich. Sie verstarb 1960 in Los Angeles. Ihre zahlreichen Romane, die oft verfilmt und in mehrere Sprachen übersetzt wurden, werden teilweise heute noch verlegt. Menschen im Hotel Die spannendste Figur in diesem Roman, der in einem Berliner Nobelhotel spielt, ist sicher die des todkranken Unterbuchhalters Kringelein, der vor seinem baldigen Ende noch einmal richtig leben will und dabei dort absteigt, wo sein Chef, Generaldirektor Preysing, immer zu nächtigen pflegt. Er, der sich sein ganzes Leben lang kaum die Kohle leisten konnte, will mit dem bisschen Ersparten vor seinem Tod noch den Duft des Reichtums schnuppern. Weitere Protagonisten sind ein verarmter Graf und Hochstapler, der zum Dieb wird, ein Kriegsveteran mit halben Gesicht (allein weil Baum massiv gegen den Krieg wetterte, war sie den Nazis schon verdächtig), eine Prima Ballerina, die das Abflauen ihrer Karriere erleben muss, besagter Generaldirektor und ein hübsches Berliner Mädel, das aus Not nicht nur Schreibarbeiten, sondern auch sich selbst verkauft. Vicki Baum versteht es, soziale Ungerechtigkeiten erlebbar zu machen, ihre Protagonisten sind nicht einfach schwarz oder weiß gezeichnet, sondern menschlich. Selbst der bluffende Generaldirektor oder der Juwelendieb und Fassadenkletterer haben ihre guten Seiten. „Menschen im Hotel“ mit seiner heute noch gültigen Gesellschafts- und Zivilisationskritik ist nichts Geringeres als ein Romanklassiker, den man immer wieder lesen kann.