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Talking Heads

Großer Rausch auf 550 Seiten


Als die Talking Heads bei Andy Wahrhol vorbeischauten. Durch die wilden 70er-Jahre in New York – „Dive“, die Tagebücher des Künstlers Duncan Hannah.
Text: Helmut Schneider


Ein großer Rausch auf 550 Seiten ohne Gefahr eines Katers. Das sind die jetzt auf Deutsch im Rowohlt Verlag erschienenen Tagebücher von Duncan Hannah. Wir erleben wie der 18-jährige aus der Provinz nach der Highschool von Minneapolis nach New York aufbricht, um dort am Bard College Malerei zu studieren. Mit wenig Geld, aber mit immerhin halbwegs gut verdienenden Eltern im Hintergrund, erlebt er die Szene der Stadt. Aber Geld war damals noch nicht unbedingt nötig, die Mieten für die allerdings kakerlakenverseuchten heruntergekommenen Wohnungen sind billig, wenn es eng wird, findet sich immer ein Freund, den man anpumpen kann. Und Duncans Eintrittskarte ist sowieso gratis – er sieht unverschämt gut aus und passt genau in den Zeitgeist. Einzig, dass er als Hetero andauernd Schwule abwimmeln muss, nervt ihn bisweilen.

Rückblickend gesehen ist es trotzdem ein Wunder, dass er das Jahrzehnt nicht nur überlebt hat, sondern sogar seinen künstlerischen Durchbruch schaffte. Denn Duncan lässt kaum etwas aus, ist fast immer betrunken – Blackouts inklusive – nimmt Drogen (einzig von Heroin lässt er die Finger) und scheut auch vor gefährlichen Vierteln nicht zurück. Das New York der 70er war ja ebenso spannend wie kaputt, mit vielen kreativen Möglichkeiten und ebenso vielen Fallen. Duncan kennt alle in der Szene – von Patti Smith bis zu Debbie Harry oder Bill Evans und sein Idol David Bowie, von Andy Warhol bis zu David Hockney. Viele sind noch unbekannt. Als er bei Keith Haring ins Atelier kommt und seine Zeichnungen von Hunden und Babys ansieht, notiert er „Der arme Kerl hat keine Chance, dachte ich“. Und das erste, was ihn Warhol fragt ist, ob seine Eltern reich genug wären, um ein Porträt bei ihm in Auftrag zu geben.

Fast jeden Abend ist er bei einer Party oder einem Rock-Konzert. Die meisten Musiker gehen mit ihm auf Sauftour. Mit Debbie Harry (Blondie) dreht er einen irren Underground-Film und die Talking Heads lotst er in Warholds Factory. Seine Freundinnen leben ebenso grenzwertig wie er – die eine verdienst sich ihr Geld als Stripperin, die andere als Domina – alles ganz normal damals. Am Ende erleben wir, wie eine Ära zu Ende geht. Die Gentrifizierung kommt über die Stadt, die Reichen kaufen sich in die Künstlervierteln ein und AIDS macht mit der freien Liebe kurzen Prozess. Hannahs Buch ist aber auch so etwas wie ein Entwicklungsroman, denn trotz Dauerrausch weiß Duncan instinktiv, dass er nur als Künstler sein Leben in den Griff bekommen kann. Erste Ausstellungen bringen Erfolge. Ein wunderbares Zeitdokument!   


„Dive – Tagebuch der Siebziger“ von Duncan Hannah

  • Verlag: Rowohlt Berlin
  • Erscheinungstermin: 21.04.2021
  • Lieferstatus: Verfügbar
  • 560 Seiten
  • ISBN: 978-3-7371-0092-2
  • Autor: Duncan Hannah
  • Übersetzt von: Thomas Gunkel