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Weg mit den Lügen! – In der TV-Serie „The Sandman“ (Netflix) wird das zur Katastrophe

Weg mit den Lügen – Serientipp

Weg mit den Lügen! – In der TV-Serie „The Sandman“ (Netflix) wird das zur Katastrophe
Foto: Netflix

Die Comic-Verfilmung von „The Sandman“ soll eine der teuersten Produktionen von Netflix sein. Nun, die 2000-Seiten-Vorlage von Neil Gaiman gilt ja auch als sehr komplex. In den ersten Folgen der Staffel stellt sich freilich nicht wirklich ein Aha-Moment ein. Sicher, die Schauspieler sind exzellent und die Tricks auf dem neuesten Stand, einiges – wie die Szene mit dem Brüderpaar Kain und Abel – auch recht witzig, aber doch denkt man bald: alles schon gesehen. Aber dann kommt eben doch eine Folge, die einen umhaut, obwohl gar keine special effects aufgefahren werden, sondern „bloß“ höchste Schauspielkunst, eine grandiose Kameraführung und beste Regie. Vierzig Minuten in einem Diner werden zur Hölle.

John Dee, der Sohn des Mannes, der den Sandmann Jahre gefangen hielt, ist gerade im Besitz jenes magischen Rubins, der zu den Tributen des Traumkönigs gehört. Und dieser kann Wünsche erfüllen. Dee, gespielt von David Dewlis, der schon in der dritten Folge von Fargo höchst eindrucksvoll den Widerling gab, hat einen – auf den ersten Blick – sehr simplen Wunsch, nämlich die Menschen sollten nur noch die Wahrheit sagen dürfen, also das, was sie wirklich denken. Und das hat dann im Diner, wo Dee das ausprobiert, ganz fürchterliche Folgen. Wir sehen zuerst wie sich die Figuren – die Kellnerin, die eigentlich Romane schreiben will, der Koch mit dem sie liiert ist, obwohl sie beide damit nur gegen ihre Einsamkeit ankämpfen, und der junge Mann, der sich bei der CEO, die gerade mit ihrem jungen Ehemann im Diner ist, bewerben will – sehr zivilisiert unterhalten. Durch die Macht des Rubins tun sich aber schnell menschliche Abgründe auf – die Szene endet in einem Massaker und Dee kann sich nur trösten, indem er aus einem riesigen Kübel Eis löffelt. Wer hätte gedacht, dass die Wahrheit eine so destruktive Kraft entfalten kann?

Nun, in der Literatur ist das natürlich ein altes und großes Thema. Nur ein Beispiel: Javier Marias‘ Meisterroman „Mein Herz so weiß“ beginnt mit dem Satz: „Ich wollte es nicht wissen, aber ich habe erfahren…“. Aber wer nicht lesen will, dem bietet die Diner-Szene in „The Sandman“ grandiose Anschauung.


INFO

netflix.at

Musiktipp – Wilco, Cruel Country

Das Country-Album für Nicht-Country-Fans

Das Country-Album für Nicht-Country-Fans: Wilcos „Cruel Country“ ist ein Meisterwerk.

Ebenso zufällig wie gespenstisch: Wenige Tage nach dem unfassbaren Schul-Massaker in Texas, veröffentlichte die Chicagoer Band Wilco ihr 12. Studio-Album mit dem Titel „Cruel Country“ in dem Songschreiber und Gitarrist Jeff Tweedy singt: „I love my country like a little boy / Red, white, and blue / I love my country, stupid and cruel“. Und natürlich musste da jeder halbwegs wache Geist da nicken, denn anders als „stupid and cruel“ kann man einen Staat mit Waffengesetzen, die jeden 18jährigen – also drei Jahre bevor er Alkohol und Tabak legal konsumieren kann – erlauben, sich mit Sturmgewehren einzudecken, wohl nicht nennen. Aber das ist nur ein Aspekt dieses Doppelalbums mit 21 neuen Songs, das bis Juli nur als Stream verfügbar ist. Zwar waren die Jungs aus der großen Stadt im Norden der USA immer schon ein wenig Country-verliebt, aber „Cruel Country“ ist quasi das erste komplette Country-Album. Freilich eines, das auch Menschen lieben können, die Orgel, Banjo und rollenden Bassläufen auf der Westerngitarre hassen. Es sind einfach wirklich gute Songs einer Band, die sich niemals um Grenregrenzen scherte.

Denn bei diesem Album spürt man in jedem Ton, dass es Jeff Tweedy um eine ehrliche Aufarbeitung seines Verhältnisses zu seiner Heimat geht. Und er ist sich der vielen Widersprüche voll bewusst. In einem Interview erklärt er: „When you love your family you forgive a multitude of sins and we are a family as a country that is dysfunctional.“

Faszinierend an dem Album ist aber auch, dass die Songs bei mehrmaligem Hören ins Ohr gehen, ohne dass man einzelne Songs herausnehmen könnte. „Cruel Country“ präsentiert sich als ein Gesamtkunstwerk, das man jetzt schon mit Klassikern wie Neil Youngs „Harvest“ oder Johnny Cash „At San Quentin“ vergleichen kann.