Tausendsassa

Der Meister wurde 80


Christian Ludwig Attersee. Segel-Staatsmeister, Maler, Autor, Sänger, Bühnenbildner, Professor – Österreichs bekanntester Künstler hatte und hat viele Facetten. Das Gespräch zum Geburtstag des Tausendsassas.
Text: Helmut Schneider / Fotos: Sabine Hauswirth; APA Picturedesk


„Als Künstler bin ich schon geboren“ – jenes Statement, das man bei anderen Kreativen vielleicht belächeln würde, nimmt man Christian Ludwig Attersee ohne Weiteres ab. Denn der Universalkünstler, der sich nach dem Ort seiner Jugend – Attersee – benannte, hat schon früh auf allen Orgeln der Kunstgenres gespielt. Er schrieb Romane, textete Lieder, komponierte, zeichnete und malte. Und zwischendurch segelte er noch: dreimal wurde er zwischen 1957 und 1962 österreichischer Staatsmeister. Und gefragt, welches natürliche Talent er noch gerne hätte, fällt ihm nur ein:
„nicht zu altern“.
Der Erfolg als Maler kam freilich keineswegs sofort. Im konservativen österreichischen Nachkriegsmief hatte es neue Kunst denkbar schwer, die sogenannten Wiener Aktionisten, mit denen Attersee befreundet war, wurden stark angefeindet. Zehn Jahre lang konnte Attersee kein einziges Bild verkaufen. Im Jahr 1984 vertrat er dann freilich bereits Österreich bei der Biennale in Venedig. Attersee war neben seiner Malerei immer aber auch für Sidesteps und Aktionen zu haben. Für eine Textilkette entwarf er etwa in der Mariahilfer Straße das größte Glasmosaik Europas. Sein Gesamtwerk war in zahlreichen Retrospektiven im In- und Ausland zu sehen.


wienlive: Können Sie sich noch erinnern, wann Sie Ihr erstes Bild verkauft haben?
CHRISTIAN LUDWIG ATTERSEE: Bei meiner ersten Ausstellung in Wien 1967 in der Galerie im Griechenbeisl wurde das Bild „Blaues Butterbrot“ an Peter Noever verkauft.

Wie war die Stimmung in Wien, als Sie als Künstler angefangen haben?
ATTERSEE: Es herrschte ein absolutes politisches Desinteresse an Kunst, später wurde das mit gleichaltrigen Künstlern wie Günter Brus und Hermann Nitsch zu einer fast revolutionären Kampfsituation gegen die sogenannte „Öffentlichkeit“, auch ein Großteil der österreichischen Kulturpresse war bis Ende der 1960er-Jahre gegen die Erneuerer der österreichischen Kunst.

Sind Sie wie andere aus Wien nach Berlin geflohen?
ATTERSEE: Mein erster Berufsaufenthalt in Berlin war Ende 1965; ich habe einige Monate bei Gerhard Rühm gelebt und danach eine Zeit lang mit H. C. Artmann. Diese Reise war keine Flucht, sondern hat im Mai 1966 zu meiner ersten Einzelausstellung in der Galerie Benjamin Katz geführt.

Sie waren dreimal österreichischer Staatsmeister im Segeln, gehen Sie auch heute noch segeln?
ATTERSEE: Wenn möglich, chartere ich jedes Jahr mit Freunden in den Sommermonaten eine größere Segeljacht und wir besegeln ein, zwei Wochen Teilstücke des Mittelmeers.

Was bedeutet Ihnen Erfolg?
ATTERSEE: Für mich bedeutet es etwas Einmaliges, ein Künstler zu sein, der den Menschen Lebenswege erweitern und erneuern kann. Erfolg war mir nie so wichtig wie der Beruf an sich.

Die Titel Ihrer Bilder sind immer sehr poetisch, Sie haben ja auch Texte geschrieben. Welche Literatur ist Ihnen am liebsten, was sind Ihre Lieblingsdichter?
ATTERSEE: Mein Lieblingsdichter ist derzeit Wladimir Sorokin, von dem ich gerade „Manaraga. Tagebuch eines Meisterkochs“ lese, mein absolutes Lieblingsbuch ist „Kyra Kyralina“ von Panait Istrati.


Christian Ludwig Attersee mit seinem Rhesusäffchen mit Banane, in originalem Texashemd –
Plakat 1968

Ihre Bilder erzählen meistens Geschichten. Was ist zuerst da – das Bild oder die Geschichte?
ATTERSEE: Eine Welt ohne Geschichten gibt es für mich nicht. So ist es auch in der Kunst, auch in der gegenstandslosen. Ich beginne zu malen und die Bilder erzählen sich von selbst.

Sie haben eine riesige Schallplattensammlung und wollten ja ursprünglich Opernsänger werden. Was hören Sie am liebsten?
ATTERSEE: Bei meiner Kunstjagd höre ich nahezu täglich 4–6 Stunden Musik aus allen Musikrichtungen. Am liebsten höre ich Jazzballaden, koreanische Hustenchöre, Debussy und Schönberg, Popmusik aus Ende der 1960er-Jahre usw. Sie haben auch viele Musiker persönlich getroffen, etwa David Bowie und Bob Dylan.

Was ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
ATTERSEE: Ein Treffen mit Freddy Quinn in Memphis, Tennessee: Ich wollte mich als Elvis einkleiden und er hat immer wieder versucht, mich zu verführen, in sein billiges Country-Ausstattungsgeschäft zu kommen. Den vielleicht lustigsten Abend mit bekannten Musikern habe ich mit Joe Zawinul und dem Saxophonisten Cannonball Adderley in Harlem erlebt.

Sie haben einmal die Malerei mit dem Streichen eines Butterbrots verglichen. Wie ist das gemeint?
ATTERSEE: Die Tätigkeit des Butterbrotstreichens ist für mich sehr vergleichbar mit dem Auftragen von Farbe auf eine Leinwand.

In Ihren Bildern kommen oft Tiere vor, warum?
ATTERSEE: In meiner Kunst kann man das Dreieck Tier – Landschaft – Mensch jederzeit finden; außerdem werden die Tiere in meinen Bildern von mir als Schauplatzwächter bezeichnet.

Auch ein Zitat von Ihnen: Ich lebe ewig, bis zu meinem Tod. Heißt das, nur der Augenblick ist wichtig, die Nachwelt ist Ihnen egal?
ATTERSEE: Beim Fertigen meiner Kunst versuche ich immer, so nahe wie möglich an das Jetzt zu kommen, um zuletzt in diesem Jetzt auch das ewige Leben zu erleben.

Erotik & Liebe ziehen sich ebenfalls durch Ihre Arbeiten. Ohne Erotik gäbe es wahrscheinlich keine Kunst, oder?
ATTERSEE: Ich denke, ohne Erotik gäbe es eigentlich kein lebenswertes Leben, Erotik ist bei mir die höchste Form der Kunst.

Wären Sie nicht Künstler geworden, wären Sie heute vielleicht …?
ATTERSEE: Ein Kapitän auf großen amerikanischen Segeljachten.