Nachruf: Gerhard Roth

Nachruf: Gerhard Roth (1942 – 2022)


Text: Helmut Schneider / Foto: Christian Jobst


Der gebürtige Grazer Gerhard Roth wohnte lange Zeit auch in Wien, in der Nähe von Ingeborg Bachmanns Wohnung in Erdberg. Und Roth war nicht nur gefeierter Romancier, der ein wahrlich riesiges literarisches Werk hinterließ, er war auch ein begnadeter Essayist und Fotograf. Als solcher hat er viel zur Erforschung der Wiener Schattenseiten beigetragen. 1991 erschien seine Essaysammlung „Eine Reise in das Innere von Wien“, die ihn etwa ins ehemalige Judenviertel in der Leopoldstadt, nach Gugging, in die Katakomben oder ins verschlafene Heeresgeschichtliche Museum brachte. Aber auch ins Blindeninstitut beim Prater, wo ich ihn einmal interviewen durfte. Ich kann mich noch gut erinnern mit ihm über die richtige Auswahl von Notizbüchern gesprochen zu haben, denn er ging zeitlebens niemals ohne die Möglichkeit, seine Gedanken zu notieren, außer Haus. Gerhard Roth war ebenso dabei als wir eine Ausgabe von Wienlive den Gugginger Künstlern widmeten, denn er kannte sie alle bereits seit Jahren. Fürs Heft erlaubte er den Abdruck eines Essays über seinen ersten Besuch in Gugging.

Mit Gerhard Roth verlieren wir einen ungeheuer neugierigen und bis ins Alter agilen Künstler und Alltagsethnografen. In der Literatur bleibt eine Lücke, die wohl nie mehr gefüllt werden kann.