12 neue Geschichten von Stephen King
Stephen King ist nicht nur einer der erfolgreichsten Autoren aller Zeiten, der 78-jährige ist auch der am besten konsumierbare Chronist der amerikanischen Alltagsgeschichte. Kaum ein popkulturelles Phänomen, das er nicht in Horror umgewandelt hätte – man denke etwa nur an bösartige Straßenkreuzer, mordende Haustiere oder gemobbte Teenager, die plötzlich Superkräfte haben. Der Vielschreiber wird ein Werk hinterlassen, das eine Bibliothek füllen könnte. Im neuen Erzählband sind die meisten Protagonisten bereits im Alter des Autors, wir bekommen also eine Menge typisch amerikanische Biografien geliefert. Der Titel „You want it darker“, also: „Ihr wollt es dunkler“ – ist eine Referenz an Leonard Cohens letztes Studioalbum, veröffentlicht zwei Wochen vor dem Tod des kanadischen Sängers und Songwriters.
In „Zwei begnadete Burschen“ scheint der Autor über Talent nachzudenken. Es geht darin um zwei durchschnittlich begabte Freunde in einer Kleinstadt, die nach einer unheimlichen Begegnung bei der Jagd plötzlich zum Starautor und zum Starmaler werden. Aber was haben sie im Wald gesehen?
Einzelne Geschichten erreichen fast Romanlänge. So bewohnt in „Klapperschlangen“ ein pensionierter Werber nach dem Krebstod seiner Frau die einsame Villa eines reichen Freundes im Sommer in Florida, wo er auf eine Nachbarin trifft, die immer einen quietschenden Kinderwagen dabei hat, in der sie ihre Zwillinge spazieren führt – die sind allerdings bereits seit 40 Jahren tot, umgekommen durch das Gift von Klapperschlangen. Meisterhaft baut Kind hier Spannung auf, nach und nach begreifen wir, dass der Mann Sympathien für die schrullige Nachbarin entwickelt, denn sein Sohn starb im selben Alter wie die Zwillinge.
„Die Träumenden“ spielt in den 70er-Jahren und entwickelt sich zu einer Horrorgeschichte im Stil von Lovecraft. Der Protagonist ist ein Mann, der soeben von seinem Einsatz in Vietnam zurückgekommen ist.
„Der Antwortmann“ ist quasi die Summe amerikanischer Biografien, gespiegelt durch eine Art Hellseher, der seine Dienste nur an ausgewählten Tagen und Orten anbietet. Ein Anwalt scheitert immer wieder an den richtigen Fragen. King hatte diese Geschichte vor Jahrzehnten begonnen, aber erst jetzt fertiggestellt, wie er im Nachwort erzählt, in dem auch seine bemerkenswerte Analyse über seine Leser steht: „Horrorgeschichten werden besonders von Leuten geschätzt, die mitfühlend und empathisch sind.“ Da fühlt man sich doch gleich besser!
Stephen King: Ihr wollt es dunkler
Übersetzt aus dem Englischen von: Wulf Bergner, Jürgen Bürger, Karl-Heinz Ebnet, Gisbert Haefs, Marcus Ingendaay, Bernhard Kleinschmidt, Kristof Kurz, Gunnar Kwisinski, Friedrich Sommersberg und Sven-Eric Wehmeyer
Heyne Verlag
736 Seiten
€ 29,50