Der perfekte Täuscher – Jean-Noël Orengos Albert-Speer-Roman „Der Architekt und sein Führer“
Albert Speer war der einzige aus dem innersten Kreis von Adolf Hitler, der in Nürnberg der Todesstrafe entging. Dem Liebling des Führers und Rüstungsminister wurde tatsächlich geglaubt, dass er von der maschinell betriebenen Judenvernichtung nichts gewusst hatte. Historikerinnen und Historiker haben das längst widerlegt, doch Speer rettete sich durch seine Beredsamkeit und seinem höflichen Auftreten nicht nur vor der Schlinge – er wurde nach seiner Entlassung aus Spandau 20 Jahre danach sogar zum Liebling der Medien und wohlhabender Millionenautor.
In Frankreich wurde nun der jüngste Roman von Jean-Noël Orengo über Albert Speer „Der Architekt und sein Führer“ nicht nur für den Prix Goncourt nominiert, sondern auch zu einem Bestseller. Orengo faszinierte vor allem, dass Speer zeitlebens die Deutungshoheit über seine selbst zurechtgezimmerte Geschichte behielt. Und natürlich, dass das Monstrum Hitler noch immer Menschen zu faszinieren vermag. Während früher gescheiterte Herrscher aus den Annalen sorgsam getilgt wurden, gilt für die Moderne der Star-Bonus. Die Millionen Opfer sind vergessen, die Täter werden oft mit einem wohligen Schauer betrachtet.
„Der Architekt und sein Führer“ erzählt, wie Speer zu Hitlers Favoriten wurde. Beim ersten großen Nürnberger Parteitag schuf er die perfekte Bühne für sein Idol. Als Architekt fühlte er sich mit dem gescheiterten Künstler Hitler verwandt und auch der Führer war von Speers Ruinenästhetik begeistert – die neuen Gebäude für die Hauptstadt Germania – das frühere Berlin – sollte so gebaut werden, dass sie schöne Ruinen abgeben. Auch historisch bewanderte Leser können dabei Neues erfahren. Etwa dass das Dritte Reich erst sehr spät auf Kriegsproduktion umstellte und Goebbels Totaler Krieg tatsächlich etwas bedeutete. Als Herr über die Rüstungsindustrie und einem Heer von Zwangsarbeitern stand Speer mittendrin. Im Nachkriegsdeutschland wurde Speer dann wieder zum Star und schaffte es sogar, seine erste Biografin, eine Wienerin mit jüdischer Herkunft, die es geschafft hatte, vor Hitler nach England zu fliehen, fast bis zuletzt zu täuschen. Ein Buch auch über Medienmacht, das nachdenklich macht.
Jean-Noël Orengo: „Der Architekt und sein Führer“ Aus dem Französischen von Nicola Denis. Rowohlt, 272 Seiten, € 25,95