21 Jahre alt war der Amerikaner John Irving, als er 1963 nach Wien kam, um am Institut für Europäische Studien ein Jahr lang zu studieren. Besonders geliebt soll er die Stadt nicht haben, waren damals doch alle „Ausländer“ in der Stadt wenig willkommen. Mit dem Erlernen von Deutsch tat sich der Legastheniker auch schwer. Und so ist es einigermaßen erstaunlich, dass Irving dann Wien in vielen seiner Millionenseller als Schauplatz skurriler Geschichten verewigte.
Mit 83 schreibt der Starautor sogar jetzt noch einmal einen Roman über einen jungen Amerikaner 1963 in Wien, der Schriftsteller werden will. Irving erfindet sich sozusagen eine alternative Biografie – in der Folge veröffentlicht sein Romanheld dann sogar noch Bücher mit ganz ähnlichen Plots wie der Autor selbst. Wobei die titelgebende „Königin Esther“ geheimnisvoll im Hintergrund bleibt – sie soll schließlich sogar für den Mossad arbeiten.
Die Story von „Königin Esther“ ist jedenfalls wieder herrlich grotesk: Eine Lehrerfamilie in einem kleinen Ort in New Hampshire holt sich für ihre Töchter stets Kindermädchen aus einem Waisenhaus. Für die letzte Tochter Honor ist das ein Kind einer Jüdin aus Wien, die in den USA Antisemiten zum Opfer gefallen ist. Esther – beim Tod der Mutter erst drei Jahre alt – betont ihr Jüdischsein als Ersatz für den Verlust der Mutter. Esther und Honor verstehen sich blendend und schließen einen Deal. Honor will ein Kind, aber keinen Mann. Esther soll sich für sie in Europa schwängern lassen. Das in New Hampshire aufwachsende Kind ist dann die Hauptfigur des Romans Jimmy.
Und Jimmy will dann unbedingt die Stadt kennenlernen, aus der seine Mutter stammt – eben Wien, wo er eine Reihe von höchst skurrilen Figuren trifft – wie ein lesbisches Paar, einen liebestollen Pariser, eine strenge Deutschlehrerin, Prostituierte in der Annagasse, diverse jüdische und russische Ringer, eine tätowierte Tellerwäscherin und einen Hund namens Hard Rain (nach dem Bob-Dylan-Song). Und das alles auf für Irving bescheidene 560 Seiten. Von Wien kommt man eben sein Leben lang nicht los…
John Irving: Königin Esther. Aus dem amerikanischen Englisch von Peter Torberg und Eva Regul. Diogenes, 556 Seiten, € 33,95
