Buchtipp – Colm Tóibín, Der Zauberer

Die Stimme Deutschlands


Der irische Schriftsteller Colm Tóibín und sein Thomas Mann-Roman „Der Zauberer“. Ein Buchtipp von Helmut Schneider.


Spätestens nachdem sein Auswandererroman „Brooklyn“ von John Crowley (mehrfach für den Oscar nominiert) 2015 verfilmt wurde, ist der irische Autor Colm Tóibín auch bei uns bekannt. Jetzt legt der 1955 in Enniscorthy geborene frühere Journalist eine romanhafte Biografie des wohl anerkanntesten deutschen Schriftstellers des 20. Jahrhunderts vor. Im deutschen Feuilleton wurde er dafür ziemlich zerrupft. Für Leserinnen und Leser, die nicht mit der sicher tonnenschweren Literatur über Thomas Mann belastet sind, liest sich das 500 Seiten-Buch allerdings wirklich spannend und regt an, wieder einmal die großen Romane Manns wie „Der Zauberberg“, „Buddenbrooks“ und „Doktor Faustus“ oder zumindest die Novellen „Der Tod in Venedig“ und „Wälsungenblut“ zu lesen.

Wir erleben hautnah mit, wie sich der Senatorensohn in Lübeck aus reicher Unternehmerfamilie im Schatten seines längst erfolgreichen älteren Bruders Heinrich („Professor Unrat“) gegen Widerstände in seiner Familie zu dem deutschen Schriftsteller entwickelt, der – nachdem er auch noch den Nobelpreis für Literatur bekommen hat – von der ganzen Welt hofiert wird. Sogar die Nazis schmissen anfangs seine Werke noch nicht ins Feuer. Und das obwohl Thomas Mann mit einer reichen Münchner Jüdin – allerdings aus komplett unreligiöser Familie – verheiratet war und sowohl sein Bruder Heinrich als auch seine Kinder Klaus und Erika längst gegen Hitler wetterten. Dazu erleben wir die Entstehung seiner großen Romane von Beginn an mit. Es gehört zu den großen Verdiensten Tóibíns, dass er es schaffte, den im Umgang eher spröden Literaten, der zu keinen seiner sechs Kinder wirklich eine Beziehung aufbauen konnte, als Mensch verstehbar zu machen. Zwar vollführt er vor seinen Kindern gerne Zaubertricks – deshalb auch der Titel des Romans „Der Zauberer“ –, aber als Erwachsene fühlen sich alle in seiner großen Familie von ihm in Stich gelassen – vielleicht gerade weil er meist ihre Rechnungen bezahlte.

Die Familie von Thomas Mann ist freilich trotzdem immer präsent. Wir erleben mehrere Selbstmorde, die Drogensucht von Klaus Mann, seltsame Ehen – man brauchte schlicht einen englischen Pass für die Flucht – sowie die ziemlich stabile Beziehung von Thomas Mann mit seiner Frau Katia. Und viel Raum nehmen auch seine so gut es ging geheim gehaltenen homosexuellen Begierden ein, denen er sich allerdings mehr als selten tatsächlich hingab. Ab der Machtergreifung Hitlers lebten die Manns im Ausland, ab dem Krieg in den USA. Dort trafen sie mit den Roosevelts zusammen – Thomas Mann wurde, neben Einstein, die wichtigste deutsche Stimme gegen die Nazis. Wunderbar geschildert ist auch wie sich die Stimmung nach Kriegsende komplett verändert. Jetzt gilt er in den USA für manche als Kommunist und in Deutschland als Verräter, der nicht da war, als die Bomben auf die deutschen Städte fielen. Auch zeitgeschichtlich gibt diese Biografie eben einiges her.


Colm Tóibín: „Der Zauberer“, Hanser Verlag
ISBN: 978-3-446-27089-3
556 Seiten
€ 28,80