Theater in der Plastikwelt – Zak Zarafshans Queer-Komödie „The Boys Are Kissing“ im Volkstheater

Willkommen in der Plastikwelt: Über die ganze Bühne zieht sich ein zum Rasen aufgeblasener Teppich und am Beginn schälen sich die vier Nachbarn aus ihren kleinen Luftpolsterhäuschen. Wir sind in einer britischen Kleinstadt, wo sich Admira und Cloe – anders als in London – ein Häuschen leisten können und mit Matt und Sarah nebenan das Kleinstadtidyll leben wollen. Hätten sich nicht ihrer beiden Söhne am Schulhof geküsst… Natürlich erinnert man sich da an Yasmina Rezas „Gott des Gemetzels“, wo eine Rauferei zwischen Buben dann bei den Eltern eskaliert.

Aber „The Boys Are Kissing“ des britisch-iranischen Autors Zak Zarafshan spielt geschickt mit Klischees und Regisseurin Martina Gredler sowie Sophie Lux (Bühne) und Moana Stemberger (Kostüme) haben dafür das perfekte optische und dramaturgische Setting gefunden. Die Figuren – auch zwei Engel und stumm auch die beiden Buben spielen mit – können problemlos hinfallen und wieder aufwippen, denn alles ist mit Luft gefüllt. Heiße Luft ist es schließlich auch, was die konservativen Wächter der Moral (Elternbeirat!) nach diesem Nicht-Ereignis am Schulhof von sich geben. Als dann plötzlich ein Geburtstagsfest, zu dem einer der beiden Freunde nicht willkommen ist in einem Desaster endet, droht sich das komplette Idyll in Luft aufzulösen. Die Szenen laufen dabei fast wie bunte TikTok-Videos ab. Für eine Komödie bekommen wir aber trotzdem ganz schön viel Konfliktpotential mit – das lesbische Paar kämpft ebenso mit sich kreuzenden Lebensentwürfen wie die Heteros mit ihren Vorurteilen. Als Helfer und Richter fungieren die beiden queeren Engel (Nick Romeo Reimann und Luca Bonamore), die zu Publikumslieblingen aufsteigen, zumal sie auch singen dürfen. Wirklich gut spielen aber sowieso alle. Das Premierenpublikum spendete zurecht den längsten Applaus seit langem im Volkstheater.

Foto: Marcella Ruiz Cruz

Infos & Karten: volkstheater.at

Bank Austria Park: Natur- und Kunstoase an der Alten Donau

Zwischen Wiesen, Bäumen und der Alten Donau lädt der Bank Austria Park auf 28.000 Quadratmeter dazu ein, neben Natur auch Kunst von 14 Künstler:innen zu entdecken. Faszinierende Skulpturen, klingende Windobjekte und kunstvoll gestaltete Sitzplätze machen den Spaziergang durch den Landschaftspark zu einem besonderen Erlebnis für alle Sinne. Verwirklicht wurde das Projekt durch die Zusammenarbeit der Stadt Wien und der Bank Austria, kuratiert von André Heller, dessen erfolgreiche Gartengestaltungen in Afrika, Asien und Europa Grundlagen seiner diesbezüglichen Erfahrungen sind. Und in Wien ist der Skulpturenpark für alle frei zugänglich!

Insgesamt wurden 150 neue Bäume gepflanzt, darunter Orientalische Platanen, Flatterulmen und Schwarzpappeln. Hinzu kommen Stauden und Sträuchern wie Hain-Salbei, Katzenminze, Kaukasus-Vergissmeinnicht gestaltet wurden.

Der Bank Austria Park an der Alten Donau in der Mühlschüttelzone soll als Ort der Schönheit, der Inspiration, des Friedens, der Heilung, der höchsten botanischen und künstlerischen Qualität den Menschen aller Altersgruppen, Ausbildungsgrade sowie jeglicher Herkunft gewidmet sein. Sie können dort auszittern, freie Zeit verbringen, Sport betreiben oder sich der Muse hingeben.

Wien, eine der grünsten Städte der Welt, fügt somit ihren Schattenplätzen und Oasen der Kühle weitere hinzu, die alle Besucherinnen und Besucher zum Staunen und Genießen einladen.

Lage & Anreise:

Der rund 28.000 Quadratmeter große Bank Austria Park befindet sich im 21. Bezirk, zwischen Mühlschüttelgasse und Drygalskiweg, am linken Ufer der Oberen Alten Donau. Am besten zu erreichen mit der Buslinie 33A bis zur Station Mühlschüttel,

zu Fuß oder mit dem Fahrrad über den Donauuferweg.

Am 4. Oktober wird Eröffnung gefeiert – mit Live-Musik, einer Seifenblasenshow, Stelzenartisten sowie kulinarischer Verpflegung! (12 bis 22 Uhr)

Zauberhaft & spannend – Stefan Slupetzkys Roman „Nichts wie weg“

Zauberhaft & spannend – Stefan Slupetzkys Roman „Nichts wie weg“

Sowas kann nur Stefan Slupetzky: Nämlich mühelos und elegant eine Wiener Zuckerbäckerin, die nach einer Tumorentfernung plötzlich ihren Geruchssinn und somit ihre Arbeitsbasis verliert, und einen begabten finnischen Drucker, der sein Talent zum Geldfälschen für seinen Chef einsetzt und ebenso groß wie schlecht riechend ist, zusammenzubringen. „Nichts wie weg“ ist eine Geschichte, die Leser an das Gute im Menschen und in der Welt glauben lässt. Im Nachwort wird das durch den Autor sogar begründet: „Je schlechter der Zustand der Welt, desto größer die Freude am Schreiben.“  Und diese Freude am Fabulieren merkt man Slupetzky auch in jeder Zeile dieses Romans, den man nicht mehr weglegen kann, ehe er zu Ende gelesen ist, auch an. Denn natürlich ist die Story nicht nur eine ungewöhnliche Liebesgeschichte, sondern irgendwie auch ein Krimi mit Knastszenen und albanischen Killern.

Vera Baum heißt die leidenschaftliche Kuchenbäckerin, die gleich zu Beginn sofort nach dem Verlust ihres Geschmackssinns auch ihren Mann in einer eindeutigen Situation mit ihrer besten Freundin erleben muss. Sie will nichts wie weg und verlangt bei der Scheidung bloß eine kleine Südseeinsel, die ihr Mann als Immobilienmakler der besonderen Art im Angebot hat. Blöd nur, dass die aufgrund der Klimaerwärmung bereits im Versinken ist. Doch just da begegnet sie Omni, der in Wien seine handwerklich schlecht gemachten Blüten wieder in Besitz nehmen will. Die Geschichte erlebt aber noch ganz viele Wendungen. Beste Unterhaltung, um Klassen besser als momentan im Streaming angeboten wird.

Stefan Slupetzky: Nichts wie weg. Picus, 254 Seiten, € 24,-

D-Day für Doderer im Theater in der Josefstadt mit Franz Schuh

Der D-Day für Doderer, der heuer vom echo medienhaus bereits zum fünften Mal jeweils am 21. September gefeiert wurde, fand diesmal in den Sträußelsälen des Theaters in der Josefstadt statt. Denn heuer galt es auch ein weiteres Jubiläum zu feiern, nämlich 100 Jahre „Die Strudelhofstiege“. Gleich im ersten Satz des Romans wird nämlich das Datum des berühmten Straßenbahnunfalls der Mary K. genannt – der 21. September 1925. Der Roman, der den Autor schlagartig berühmt machte, erschien 1951.

Im seit Wochen ausverkauften Haus sprach der Publizist und Essayist Franz Schuh mit dem Chefredakteur von Wienlive Helmut Schneider über Doderer und die Strudlhofstiege, während Josefstadtstar Martina Ebm Passagen aus dem Roman vortrug. So erfuhr man etwa, warum Schuh Doderer und Kafka besser für Gymnasiasten – er las die Strudlhofstiege schon vor der Matura – geeignet hält als Manns Zauberberg und welche sehr persönliche Beziehung der Essayist mit dem Theater in der Josefstadt als Jugendlicher verband. Besonders gelungen hält Schuh übrigens das Gedicht am Beginn des Romans, das später auch an der Strudlhofstiege angebracht wurde.

(Foto: Theater in der Josefstadt)

Die Geschichte holt uns immer ein: Marko Dinić und sein Balkan-Roman „Buch der Gesichter“

2010 veröffentlichte der US-Historiker Timothy Snyder sein vielbeachtetes Buch „Bloodlands“, in dem er das Gebiet des östliche Polens, Belarus, den Westteil Russlands, des Baltikum sowie Teile der Ukraine als die Teile Europas mit dem höchsten Blutzoll im 2. Weltkrieg festmachte. Durchaus Gebiete, in denen aktuell auch heute Kämpfe stattfinden. Aber wenn man es genau betrachtet, ist auch der Balkan ein solches Bloodland. Bekanntlich begann ja dort schon der 1. Weltkrieg und im 2. herrschte am Balkan ein brutaler Krieg, bei dem nicht nur die Nazis gegen die Bevölkerung, sondern auch die faschistischen Ustascha-Kroaten gegen die Serben und die Partisanen gegen die Besatzung kämpften. Und nach dem Tito-Jugoslawien folgte bekanntlich abermals ein blutiger Krieg, dessen Wunden bis heute nicht verheilt sind.

Marko Dinić, der in Belgrad aufgewachsen ist, aber schon lange in Wien lebt, wo er auch geboren wurde und der auch auf Deutsch schreibt, hat jetzt einen sehr umfangreichen und sehr poetischen Roman über eine Familie inmitten der Kriege geschrieben. Er erzählt mit unterschiedlichen Stimmen in acht Kapiteln die Geschichte einer jüdischen Waise, die schon im ersten Weltkrieg beginnt. Der kleine Junge Isak Ras verliert seine Mutter und wird von einem befreundeten kommunistischen Ehepaar aufgezogen. Die Story ist allerdings so komplex, dass sie unmöglich nachzuerzählen ist. Marko Dinić setzt auf starke Bilder und schildert sehr plastisch auch grausame Szenen. Mehr als einmal geht es um das nackte Überleben im Elend. Da wird etwa von Juden aus Wien berichtet, die über die Donau auf einem Schiff vor den Nazis fliehen wollen und dabei tragisch scheitern.

„Buch der Gesichter“ ist so vielschichtig, dass man das Buch mehrmals lesen kann und vielleicht auch soll. Man darf sich dabei nicht vom ersten Kapitel, in dem der Autor noch seinen Erzählton anzustimmen scheint, abschrecken lassen. Eine unbedingte Leseempfehlung für Menschen, die wissen wollen, wozu Literatur fähig ist.

Am 6. Oktober wird der Autor seinen Roman in der Alten Schmiede im Gespräch mit seinem Schriftstellerkollegen Doron Rabinovici vorstellen.

Marko Dinić: „Buch der Gesichter“, Hanser Verlag, 464 Seiten, € 28,80

Neue Ära am Volkstheater mit Jura Soyfer und Michael Haneke

Nur 26 Jahre alt war der in Russland geborene, aber in Wien sozialisierte Autor Jura Soyfer, als er 1939 im Nazi-KZ Buchenwald an Typhus starb. In den 70er- und 80er-Jahren wurde er als linker Nachfahre von Johann Nestroy viel gespielt, ein „Jura-Soyfer-Theater“ zog etwa durch die Wiener Gemeindebauten. Sein interessantes Romanprojekt „So starb eine Partei“ blieb leider nur Fragment. Aktuell ist es aber sehr still um ihn geworden. Der neue Volkstheater-Direktor Jan Philipp Gloger beginnt jetzt mit einer Fassung aus mehreren Soyfer-Stücken – „Weltuntergang“, „Astoria“, „Vineta“ – sowie einigen Einzelszenen seine erste Saison. Eine gute Wahl für ein Volkstheater, man kokettiert gleich am Anfang mit dem „armen Theater“, die Bühne beherrscht die Raumkapsel aus dem Weltuntergang, die aufklappbar zur Theaterpawlatsche werden kann. Das spielfreudige Ensemble – Andrej Agranovski, Alicia Aumüller, Tjark Bernau, Maximilian Pulst, Sissi Reich, Samouil Stoyanov, Kostia Rapoport – agiert beherzt zur Freude des Publikums. Soyfers berühmtes „Lied von der Erde“ („Voll Hunger und voll Brot ist diese Erde, Voll Leben und voll Tod ist diese Erde, In Armut und in Reichtum grenzenlos“) bildet die Klammer zu dieser kurzweiligen Inszenierung, die nur wenig Längen hat.

Am Samstag feierte das neue Volkstheater-Team einen Tag der offenen Tür und erlebte einen Besucheransturm und am Sonntag hatte dann die Bühnenadaption von Michael Hanekes Film „Caché“ in einer Inszenierung von Felicitas Brucker Premiere – ein wahres Kontrastprogramm, denn im Film verschwimmen ja die Realitätsebenen. Doch der Abend gelingt nicht zuletzt durch die geschickt eingesetzten Mittel –  auf mehreren Ebenen werden Videos gespielt, die Bühne ist gleichzeitig Projektionsleinwand. Es geht ja um eine Familie, die plötzlich anonym Videokassetten erhält, auf denen ihr Haus und sie selbst von außen zu sehen sind. Als der Vater dem Verdacht nachgeht, sie könnten von jemandem stammen, den er als Kind aus der Familie gemobbt hatte – der Sohn der plötzlich verstorbenen Bediensteten, kippt die Story in eine Art Kriminalfall. Der vom Vater zur Rede gestellte Mann streitet glaubhaft alles ab, begeht aber dann vor dessen Augen Selbstmord. Das Rätseln über die Motive aller Figuren wird immer bedrückender. Nur vier DarstellerInnen braucht der Abend (Bernardo Arias Porras, Sebastian Rudolph, Johanna Wokalek und Moritz Grossmann). Allesamt spielen großartig nüchtern – Burgtheater-Publikumsliebling Johanna Wokalek kehrt damit nach Jahren in Deutschland wieder nach Wien zurück. Auch hier setzte der begeisterte Applaus des Premierenpublikums ein.

Infos & Karten: volkstheater.at

Heinrich Bölls „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ wird zum Hit im Burgtheater

Was 1974 geschah, als Heinrich Bölls Erzählung „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ erschien, lässt sich heute kaum mehr nachvollziehen. Klar, der Text ist eine Abrechnung mit den Praktiken der deutschen Boulevardpresse, unter der der Autor auch selbst stark leiden musste – in der Erzählung ist von DER ZEITUNG die Rede, aber jeder wusste, dass BILD gemeint war. Die Springer-Presse rotierte, sogar der Bundespräsident verurteilte Böll und machte sich selbst zum Gespött, weil er Namen verwechselte und offenbar das Buch nicht gelesen hatte. 3 Millionen erreichte die Auflage des Buches…

Dabei erzählt Böll ziemlich nüchtern anhand von Gerichtsprotokollen die Geschichte der fiktiven Katharina Blum, die auf einer Party einen Mann kennenlernt, der sie am nächsten Morgen wieder verlässt. Was sie nicht weiß: der Liebhaber ist Terrorist und gesucht wegen Raubüberfalls und steht schon längst unter polizeilicher Beobachtung. Sie wird verhört und bereits am nächsten Tag in der Zeitung als Terroristenflittchen verunglimpft. Ein Rufmord, der tagelang weitergeht. Bis Blum den Redakteur zu einem Interview lockt und erschießt. Seine letzten Worte waren „Ich schlage vor, dass wir jetzt erst einmal bumsen?“

Das Burgtheater spielt jetzt die Theaterfassung von Bastian Kraft (eine Übernahme aus Köln, als Burgchef Bachmann dort Direktor war). Der dichte Theaterabend braucht dabei nur 3 – allerdings grandios agierende – Schauspielerinnen, nämlich Lola Klamroth, Rebecca Lindauer und Katharina Schmalenberg, die gleichzeitig in diversen Rollen 3 riesige Videowände bespielen. Der Text wird aber fast immer live gesprochen. Das entwickelt einen enormen Sog, die Protokolle werden dadurch auf wundersamer Weise lebendig. Nun kann man Böll natürlich den Vorwurf nicht ersparen, seine Personen allzu klischeehaft angelegt zu haben. Und was damals die BILD sind heute die – sicher nicht besseren – sozialen Medien. Aber es ist interessant, dass ein derart mit seiner Entstehungszeit verschränkter Text auch heute noch funktioniert. Das könnte ein Theaterhit werden wie der Premierenapplaus vermuten lässt.

Foto: Tommy Hetzel/Burgtheater

Infos & Karten: burgtheater.at

Charity-Dinner vor dem Schloss Schönbrunn

Am 6. September erlebten 360 Gäste im Ehrenhof von Schloss Schönbrunn einen unvergesslichen Abend, der alle Sinne verzauberte. „The Grand Table Dinner“ vereinte ein edles Menü und beeindruckende Unterhaltung vor einer magischen Kulisse.

Stelzengeherinnen in prachtvollen barocken Kostümen begrüßten die Gäste und unterhielten sie mit humorvollen Show-Einlagen. Das imposante Schloss Schönbrunn im Hintergrund bot einen glanzvollen Rahmen und versetzte die Gäste in eine andere Welt. Acht Musiker des Schönbrunn Orchesters steuerten für stimmungsvolle Klänge bei, der Pianist spielte dabei auf einem „Steinway & Sons“ Flügel. Schauspieler Marco di Sapia leitete den offiziellen Beginn mit einer herzlichen Begrüßung ein. Mit seiner charmanten Art sorgte er für eine lockere, angenehme Stimmung, während die Musiker musikalische Akzente setzten und damit die Traumkulisse Schönbrunn zum Leben erweckten.

Großzügige Spende an UNICEF.

Die Gastgeber Christian Pöttler und Josip Susnjara übergaben einen Scheck in Höhe von € 10.000,- an die Vertreter von UNICEF Austria, was den Abend mit einer sozialen Botschaft krönte. Pöttler: „Wir sind dankbar, dass wir es dank Ihnen allen geschafft haben so eine große Spende für UNICEF zu sammeln. Durch meine Tätigkeit im Vorstand bei UNICEF weiß ich, wie viele Kinder heute an Tischen sitzen, an denen es gar nichts zu essen gibt. Das macht uns vielleicht ein bisschen demütiger.“ Und Christoph Jünger, Executive Direktor von UNICEF Österreich, ergänzte: „Es ist wichtig, dass wir nicht vergessen, dass wir alle das Recht haben, das Leben zu feiern. Aber dabei nie vergessen, dass es Kinder gibt, die das in ihrem ganzen Leben nicht sehen dürfen. Und wir alle dürfen ihnen eine Chance geben. Das ist unsere Aufgabe als UNICEF Österreich: Für jedes Kind da zu sein.“

Von Carla Hoffmann

Foto v. Stefan Burghart: (v.l.n.r.) Christan Pöttler GF echo Medienhaus, Josip Susnjara GF SHI Group, Claudia Cordié von UNICEF Österreich, Schloss Schönbrunn GF Klaus Panholzer, Christoph Jünger Executive Direktor von UNICEF Österreich

Die Postmoderne ist an allem schuld – Raphaela Edelbauers Terroristenroman „Die echtere Wirklichkeit“

Alternative Wahrheiten & Fake News bestimmen schon lange den politischen Diskurs. Dass Politiker lügen, ist nichts Neues, aber dass sie frech einfach Fakten negieren und auf ihre „subjektiven Wahrheiten“ pochen, scheint erst mit den Wahlsiegen von Populisten Mainstream geworden zu sein.

In Raphael Edelbauers neuem Roman „Die echtere Wirklichkeit“ findet sich eine Gruppe von Philosophen zusammen, die die Ursache für die Aushöhlung der Wahrheit just bei den Denkern der Moderne ausmachen. Ihr Subjektivismus gewann den Kampf gegen die analytische Weltsicht, wie sie etwa Wittgenstein und Popper propagierten. Edelbauer lässt eine – allerdings höchst unzuverlässige, nach einem Autounfall auf einen Rollstuhl angewiesene Erzählerin, die sich Byproxy nennt, zufällig auf zwei Philosophen und zwei Philosophinnen treffen, die mithilfe von Terror die Gesellschaft zur Wahrheit zwingen wollen. Und zwar durch einen Bombenanschlag plus Geiselnahmen auf das österreichische Parlament und die Universität.

Das klingt ein wenig nach der dilettantischen judäischen Befreiungsfront in Monty Pythons „Das Leben des Brian“. Aber Edelbauer hat in ihrer Geschichte zusätzlich noch zwei Ebenen eingebaut, die das Erzählte desavouieren. Byproxy programmiert Computerspiele, die anders funktionieren als die gängigen. „Think backwards“ heißt es da – die Spieler müssen herausfinden, wie es zu der gezeigten Situation gekommen ist und nicht wie üblich Aliens und Monster abknallen. Weiters werden die Hintergründe des Autounfalls beleuchtet, denn Byproxy war zu dieser Zeit mit ihrer besten Freundin im letzten Schuljahr in Schweden und die Freundin ließ ihr kaum Luft zum Atmen. Sie organisierte schon eine heimliche Flucht. Gab es diesen Zwilling überhaupt, oder ist Dorothea nur eine Spiegelung der Erzählerin?  

Die vier Philosophie-Terroristen – sie nennen sich übrigens „Aletheia“ nach dem altgriechischen Wort für Wahrheit – werden zwar brav geschildert, mehr dürfte die Autorin allerdings tatsächlich die Ideengeschichte der Menschheit – von Sokrates bis zu Foucault – und dazu noch die Entwicklung des Lebens interessiert haben. Das ist dann manchmal auch spannender als die oft ermüdenden Streitereien und Heimlichtuereien in der Gruppe. Am Ende wartet Edelbauer aber doch noch ein bombiges Finale auf.

Raphaela Edelbauer: Die echtere Wirklichkeit. Klett-Cotta, 444 Seiten, € 29,95

Karl Kraus im Burgtheater und Daniel Kehlmann in den Kammerspielen

Dušan David Pařízeks Fassung von Karl Kraus „Die letzten Tage der Menschheit“ ist nach der Premiere bei den Salzburger Festspielen jetzt im Burgtheater zu sehen. 220 Szenen mit gut tausend Figuren – Karl Kraus (1874–1936) war klar, dass das nicht komplett gespielt werden kann. Der jetzt dreieinhalbstündige Abend ist trotzdem vielschichtig, bietet dem Publikum einige reißerische Szenen und Manches zum Nachdenken. Zum Mittelpunkt wird die Figur der berüchtigten Kriegsberichterstatterin Alice Schalek, die von Marie-Luise Stockinger verjüngt und mit burschikosem Haarschnitt und mit einer Kamera bewaffnet als Netzreporterin gespielt wird. Absolut sehenswert. Auch die anderen Darsteller – Michael Maertens, Dörte Lyssewski, Felix Rech, Elisa Plüss, Branko Samarovski und Peter Fasching können ihr Potenzial entfalten. Letzterer spielt auch live Musik mit vielen Instrumenten. Am Schluss verwirrt man das Publikum eine halbe Stunde lang mit mehreren Abschiedsszenen samt Vorhängen. Aber es ist halt so: Zum Krieg ist das Schlusswort leider noch immer nicht gesprochen.  

Ein Stück über Corona, jetzt, wo alle froh sind, sich nicht mehr daran erinnern zu müssen – Daniel Kehlmann hat noch während der ersten Monate der Pandemie Szenen geschrieben, aber Direktor Föttinger wollte sie erst viel später aufführen, wie aus einem im Stück auch vorgelesenen Brief hervorgeht. Nun, er hatte recht: Heute sieht man vieles als Kabarett, was damals normal war. Da werden nicht in Niederösterreich gemeldete Wiener aus ihrem eigenen Haus zurück in die Stadt getrieben, man blickt argwöhnisch auf die Nachbarin, weil die mehrmals am Tag das Haus verlässt, ein Polizist belangt einen Mann, der allein auf einer Bank ein Buch liest und Sicherheitskräfte genießen endlich ihre Minuten der absoluten Macht. Corona zeigte uns, dass auch in mutmaßlich lupenreinen Demokratien Machtgier schlummert und Bürgerrechte nicht selbstverständlich sind. Raphael von Bargen, Robert Joseph Bartl, Katharina Klar, Alexandra Krismer, Julian Valerio Rehrl und Ulrich Reinthaller zeigen Spiellust, Stephanie Mohr hat professionell inszeniert. Im zweiten – wesentlich später geschriebenen – Teil, sehen wir einen recht unsympathischen Schauspieler (Raphael von Bargen) in Hotelquarantäne, der offensichtlich durchdreht. Das Armageddon der modernen Zeit ist real geworden: es gibt kein Internet! Bis ein Obdachloser auftritt sind wir in seinem Kopf gefangen – aber Kehlmann zerstört damit diese Interpretation und lässt dann Tote auftreten. Das wirkt ein wenig unausgegoren.

Foto Kammerspiele: Moritz Schell