Szenefoto von „Die Zeit verkehrt herum tragen“ im Kosmostheater. – ©Bettina Frenzel

DIE ZEIT VERKEHRT HERUM TRAGEN – Ein Stück über die Demenz der Mutter im Kosmostheater

Szenefoto von „Die Zeit verkehrt herum tragen“ im Kosmostheater. – ©Bettina Frenzel

Fast alle sind in irgendeiner Weise von Demenz betroffen – viele als Angehörige, manche als Betroffene und fast alle fürchten sich davor, einmal betroffen zu sein, denn alt werden wollen alle – alt sein aber die wenigsten. Die noch in Ost-Berlin aufgewachsene Autorin Bärbel Strehlau hat sich dem Thema mittels eines „dokumentarisch-poetischen Theaterstücks“ angenähert. Bald wird klar: Hier wurde eine eigene Geschichte literarisch aufgearbeitet. Eine jüngere Frau muss ihre Mutter betreuen, nachdem der Vater im Krankenhaus liegt. Und Mutti ist eben dement. Strehlau findet dafür zahlreiche gelungene Bilder, auch der Titel des Stücks ist ein solches. Während sich die Tochter an ihre umsorgte Kindheit erinnert, erkennt sie, dass es jetzt eben umgekehrt ist und sie sich um die Mutti kümmern muss, die nach Hause gehen will, wenn sie auf der eigenen Couch sitzt und nur noch in ihrem Gehirn verwalten kann, was unmittelbar vor ihr ist. Und gut analysiert sie, dass nicht funktionierende Familien in solchen Krisen noch stärker dysfunktional werden, sprich zerbrechen. Die strenge Schwester möchte nämlich Mutti sofort in eine Pflegeeinrichtung abschieben.

Für eine zweite Ebene sorgen im Kosmostheater nicht nur ein Bühnenbild mit beweglichen Würfeln, das schnelle Szenenwechsel ermöglicht, sondern auch die Figur einer – mit Maske gespielten – Puppe, die gerne das Geschehen kommentiert oder konkretisiert. Ein guter Einfall! Mit Mareile Metzner, Else Hennig, Sabrina Strehl und Michael Gangl – letzterer darf einen aus dem Fernsehen heraustretenden Schlagerstar mit viel Sexappeal spielen und singen – ist ein sehr gutes Schauspielteam im Einsatz. Ein wichtiger Theaterabend!


Noch bis 14. Dezember, Infos: kosmostheater.at

Muttertier wird zum Mutterwolf – Rachel Yoders Roman einer Metamorphose „Nightbitch“.

Muttertier wird zum Mutterwolf – Rachel Yoders Roman einer Metamorphose „Nightbitch“.

Werwolf heißt etymologisch aufgeschlüsselt ja Mannwolf. Die Verwandlung eines Mannes in einen Wolf gehört nach wie vor zu den beliebtesten Genres, es gibt unzählige Filme, in denen vor allem Teenager zu Bestien mutieren. Die in Iowa lebende Schriftstellerin Rachel Yoder zeichnet freilich die Verwandlung einer Mutter in einen Hund nach. Die Erzählerin nennt sich nach einer ersten Nacht, in der sie in der Kleinstadt nackt herumstreift, auf den Rasen des unsympathischen Nachbarn scheißt und kleine Säugetiere reißt, selbst „Nightbitch“ oder Wermutter. Vorangegangen ist dieser Metamorphose die Erkenntnis, dass sie sich als Nur-Mutter eines 2-jährigen Knaben auf einem gesellschaftlichen Abstellgleis befindet und absolut keine Zeit mehr für sich selbst hat.

Ihre Karriere als Künstlerin und Galeristin hat sie aufgegeben, zumal ihr sie durchaus liebender Mann die meiste Zeit auf Dienstreise ist und sie mit ihren Elternpflichten allein lassen muss. Das zählt auch zu den Stärken dieses feministischen Romans – die Autorin kommt ohne plumpe Feindbilder aus, denn Nightbitch liebt ihren Mann und ihr Kind, weiß aber keinen Ausweg aus der Öde zwischen Kinderspielplatz und den endlosen Ritualen, bevor ihr Sohn endlich einschläft. Zwar kann sie die anderen Mütter, die sie in der Bücherei und am Spielplatz trifft, nicht ausstehen, aber sie ist klug genug, sie als Spiegelungen ihrer selbst zu erkennen.

Aber eines Tages wachsen ihr eben Haare am Körper und am Steiß bekommt sie etwas, das einem Schwanz ähnelt. In den Schilderungen von Frauengesellschaften, denen plötzlich Flügeln wachsen oder eben Wölfe werden von einer geheimnisvollen Autorin namens Wanda White erkennt sie sich wieder. Und außerdem hat ihr Sohn viel Freude daran, wenn sie mit ihm Hund spielen kann. Er trägt gerne ein Hundehalsband und schläft endlich problemlos im Hundekörbchen.

Der Roman endet mit einer spektakulären „künstlerischen“ Performance vor den Müttern der Kleinstadt, in der Frauen oft die bessere Ausbildung, aber die Jobs die Männer haben. Rachel Yoder ist ein verstörender Roman über die Rolle der Mutter in unserer Gesellschaft gelungen, der aufzeigt, dass hier dringend Änderungsbedarf besteht. Sicher nicht nur in amerikanischen Kleinstädten.


Rachel Yoder: Nightbitch
Aus dem Englischen von Eva Bonné
Klett-Cotta
300 Seiten
€ 25,50

Im Odeon hatte jetzt im Rahmen des Wien Modern Festivals die Gemeinschaftsproduktion des Serapionstheaters mit dem Sirene-Operntheaters „Alice“ Premiere. – ©Odeon/Stefan Smidt

„Alice“, eine Opernrevue von Kurt Schwertsik im Odeon

Bild: ©Stefan Smidt

Lewis Carrolls Bücher „Alice im Wunderland“ und „Alice. Hinter den Spiegeln“ zählen sicher zu den einflussreichsten Texten, die jemals geschrieben wurden – haben sie doch auch sonst eher coole Naturwissenschaftler fasziniert. Im Odeon hatte jetzt im Rahmen des Wien Modern Festivals die Gemeinschaftsproduktion des Serapionstheaters mit dem Sirene-Operntheaters „Alice“ Premiere, zu der Kurt Schwertsik die Musik und Kristine Tornquist das Libretto geschrieben haben. Regie führten Kristine Tornquist & Max Kaufmann, die wunderbaren Kostüme stammen von Mirjam Mercedes Salzer.

Und das beschert Besuchern anderthalb Stunden reine Verzückung: Sopranistin Ana Grigalashvili als Alice taumelt durch die Wunderwelt – und wir mit ihr.  Oft sind aber Sängerinnen und Sänger von den darstellenden Tänzerinnen und Tänzer getrennt und sozusagen doppelt besetzt. Die Grinsekatze wird gar von 8 Personen dargestellt. Der Hof der Königin scheint in Papierkostümen gekleidet, die Raupe lässt sich von Alice als Sessel gebrauchen. Das weiße Kaninchen scheint überall gleichzeitig zu sein.

Die spannungsvolle Musik des Wiener Komponisten-Doyens Kurt Schwertsik arbeitet mit Leitmotiven und schwingt sich zuweilen zu großer Melodik auf. Das Rote Orchester unter der Leitung von Dirigent François-Pierre Descamps intoniert gefühlvoll – alles passt perfekt zusammen.

Ein wirklich gelungener Abend! 

Vorführungen noch am 1., 2., 7., 8., 9., 29., 30. und 31. Dezember 2023 um jeweils 20. Das Stück ist in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln und dauert 95 Minuten.
Weitere Infos unter www.odeon-theater.at.

Letzte Jahre in Paris. Lea Singers Roman über Joseph Roths Geliebte Andrea Manga Bell ist Helmut Schneiders Buchtipp.

Letzte Jahre in Paris – Lea Singers Roman über Joseph Roths Geliebte Andrea Manga Bell 

Über Joseph Roths Ende im Mai 1939 als mittelloser Alkoholiker in Paris mit nur 44 Jahren gibt es viele Anekdoten und Legenden. Fast zehn Jahre war Roth, der zeitweise zu den bestbezahlten Autoren Europas gehörte, dem sein Geld allerdings aufgrund großzügiger Trinkgelder, exquisiter Hotels und natürlich wegen seines unfassbaren Schnapskonsums zwischen den Fingern zerrann, mit Andrea Manga Bell zusammen, die für ihn diverse Anstellungen als Journalistin und Grafikerin aufgab, seine Romane tippte und redigierte. Die Deutsche, deren Vater ein berühmter kubanischer Pianist und die mit dem Prinzen von Kamerun verheiratet war, der sie allerdings mit 2 Kindern sitzen ließ, soll neben Roths Ehefrau, die in diversen Nervenheilanstalten untergebracht war, Roths einzige Liebe gewesen sein.

Lea Singer hat dieser Frau jetzt mit ihrem Roman „Die Heilige des Trinkers“ ein literarisches Denkmal gesetzt. Das Buch beginnt und endet am Pariser Friedhof, auf dem Joseph Roth seine letzte Ruhestätte fand. Andrea Manga Bell erzählt aus ihrer Perspektive, sie kürzt sich bescheiden mit A. ab. Am Anfang steht das Begräbnis, wo sie von den meisten Freunden Roths geschnitten wird und am Ende A.s letzter Besuch am Friedhof im Frieden – denn 1941 ziehen die Deutschen unter Getöse in Paris ein. Dazwischen erleben wir – sehr dicht und sehr anschaulich geschildert – die Aufopferung einer Frau im Dienste eines von ihr verehrten Genies. A. ist permanent für Roth da, vernachlässigt ihre Kinder, erduldet rassistische Schmähungen und protestiert nicht, dass er überall herumerzählt, er kümmere sich um A.s Kinder – obwohl doch das meiste Geld von A.s Bruder kommt. Selbst Ausdrücke wie N*hure hält die dunkelhäutige Andrea Manga Bell, die man oft auch mit Josephine Baker verwechselt aus – wird doch gerade eine andere Gruppe von Menschen – Juden – ähnlich behandelt. Mit Entsetzen verfolgt das Paar die Ausschreitungen in Deutschland.

Roth war politisch hellsichtig, er flüchtete nach Hitlers Machtergreifung sofort nach Paris, auch in Österreich fühlte er sich als Jude schon vor dem Anschluss nicht mehr sicher, die Kapitulation Österreichs sah er voraus.

„Die Heilige des Trinkers“ – der Titel ist wohl eine Anspielung auf Roths Novelle „Die Legende vom heiligen Trinker“ – ist ein wunderbarer Roman, in dem man viel über die Widersprüche im Leben eines der größten deutschsprachigen Dichters erfährt und eine interessante Frau kennenlernt, die mutmaßlich keine Heilige aber sicher mehr als nur eine Helferin war.


Letzte Jahre in Paris. Lea Singers Roman über Joseph Roths Geliebte Andrea Manga Bell ist Helmut Schneiders Buchtipp.

Lea Singer: Die Heilige des Trinkers
Kampa Verlag
300 Seiten
€ 25,50

Bussi-Bussi bei Jauchenduft – Martin Kušej inszeniert Molieres „Menschenfeind“ im Burgtheater. – ©Matthias Horn

Bussi-Bussi bei Jauchenduft – Martin Kušej inszeniert Molières „Menschenfeind“ im Burgtheater

Bild: ©Matthias Horn

Gleich zu Beginn tragen vermummte Gestalten im finsteren Bühnenbild einen Sarg – sonst aber ist dieser „Menschenfeind“ in der Burg bei aller Düsternis ganz lustig. Denn Star des Abends ist die schon 1979 erschienene Molière-Übersetzung des 2022 verstorbenen Dichters Hans Magnus Enzensberger. Der hatte dabei die damals sich formierende und bis heute hartnäckig bestehende Bussi-Bussi-Gesellschaft der 80er-Jahre treffend abgebildet. Nun gilt ja Wien – zumal in der deutschsprachigen Bühnenszene – als Hauptstadt der Heuchelei und Intrige. Und wenn man da noch ein nicht mehr verlängerter Theaterdirektor ist, macht Molières „Menschenfind“ bei der Inszenierung natürlich doppelt Spaß.

Martin Kušej hat die herrlich flapsige Enzensberger-Übersetzung dann noch mit ein paar Wien-Bonmots aufgefettet. Da kommt der Jedermann-Skandal vor, man speist bei Do&Co und über „Martin K.“, der „nie da“ ist wird gelästert. Das Theaterpublikum sieht sich indessen gespiegelt selbst. Und bisweilen steigt oder stürzt ein Protagonist in eine Lacke, die dank eines eigens kreierten Raumdufts dezent nach Gülle riecht. Der weiße Anzug des Moralisten Alceste wird im Laufe des zweistündigen Abends auch nicht blütenrein bleiben.

Ein bestens gelauntes Ensemble kämpft da mehr oder weniger gutgemeint gegen den von Itay Tiran glaubhaft dargestellte Alceste, um sich ihr Konstrukt aus böswilliger Anständigkeit nicht zerstören zu lassen. Marvie Hörbiger ist im schwarzen Glitzeranzug seine Begehrte, die sich freilich ihren Spaß am gesellschaftlichen Parkett nicht nehmen lassen will. Köstlich ihr Wortduell mit der pharisäerhaften Arisnoé, gespielt von Alexandra Henkel. Christoph Luser gibt den Freund, der ihm zur Nachsicht rät, Markus Mayer den von ihm gekränkten Mann mit besten Beziehungen. Und wenn kurz die Schaukämpfe ruhen, feiern im Hintergrund Komparsen wilde Partys zu Walzer, Volksmusik, Disco oder Schlager.

Das Wiener Premierenpublikum verstand die Gesellschaftskritik und applaudierte ausgiebig.


Info und Karten: burgtheater.at  

Zwischen Wien und New York – Dirk Stermann erzählt in Gesprächen das erstaunliche Leben der Erika Freeman.

Zwischen Wien und New York – Dirk Stermann erzählt in Gesprächen das erstaunliche Leben der Erika Freeman

Bevor sie sich um 10.30 zum Frühstück mit Dirk Stermann im Imperial trifft, behandelt sie immer noch via Skype ihre Patienten in New York und dabei ist es ihr gleich, dass es dort mitten in der Nacht ist. Erika Freeman ist jetzt 96, aber steht mitten im Leben – ein Triumph über die Nazis, die ihr in Wien nach dem Leben trachteten und alle schon tot sind.

1927 als Tochter eines jüdischen Arztes und einer Lehrerin in Wien geborenen musste sie mit 12 Jahren in die USA fliehen, wo sie zu einer weltberühmten Psychoanalytikerin wurde – angeblich lagen Stars wie Marlon Brando, Paul Newman, Marilyn Monroe oder Woody Allen auf ihrer Couch. Wenn diese es selbst nicht öffentlich machten, schweigt Freeman bis heute darüber. Außerdem war sie Gast vieler TV-Shows – auch die Sendungsmacher hatten ihr unglaubliches Talent für pointierte, witzige Sprüche erkannt.

Der Buchtitel „Mir geht’s gut, wenn nicht heute, dann morgen“ ist natürlich ein Zitat von ihr, die die Gabe hat, auch Schreckliches wie den Tod ihrer Mutter 1945 bei der Bombardierung des Philipphofs mit der Weisheit einer Frau, die viel erlebt hat, zu erzählen. Aus den vielen Frühstückstreffen hat Stermann jetzt ihr mit vielen Anekdoten gewürztes Leben erzählt. Oft schickt sie ihm später auch noch Sinnsprüche via SMA nach: „Wenn eine Frau auf Sex verzichten will, dann muss sie ihn heiraten.“

Freeman, deren Mutter als Vorbild für Isaac Beshevis Singers mit Barbra Streisand verfilmte Kurzgeschichte „Yentl“ gilt, hat zweifelsohne viel zu erzählen, von Flucht und Verfolgung, von Karriere und Prominenten, von Analysen und Analytikern. Dass Freeman jetzt im Imperial wohnt, hängt mit der Pandemie zusammen. Sie ist quasi nach einer Herzoperation in Wien gestrandet und war zeitweise der einzige Gast im Hotel. Inzwischen hat sie auch wieder die österreichische Staatsbürgerschaft.

Bei einer Gala in New York hatte sie ihrer Freundin Hilary Clinton ihr Österreichisches Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst gezeigt und erklärt: „They tried to kill me, now they decorate me.“
„Mir geht’s gut, wenn nicht heute, dann morgen“ ist ein Buch, das man sehr gerne liest, weil es so leicht und anekdotisch daherkommt – als Wiener freilich immer mit einem ambivalenten Gefühl. Schließlich hatten unsere Vorfahren sie ja tatsächlich zur Vernichtung vorgesehen.


Alte Männer ohne Frauen – Uraufführung von Peter Turrinis „Bis nächsten Freitag“ in der Josefstadt. – ©Rita Newman

Alte Männer ohne Frauen – Uraufführung von Peter Turrinis „Bis nächsten Freitag“

Alte Männer ohne Frauen – Uraufführung von Peter Turrinis „Bis nächsten Freitag“ in der Josefstadt. – ©Rita Newman

Zwei ehemalige Schulfreunde beim Treffen im Beisl „Zur tschechischen Botschaft“. Der eine ist Buchhändler und Menschenfreund, der andere Romanistikdozent und Arroganzler. Schon als Kommilitonen waren sie recht unterschiedlich, erfahren wir recht bald. Richie, der Buchhändler, hatte stets Ohren für die Anliegen seine Mitschülerinnen, während Werner nur an ihren Körpern interessiert war. Ihre Strategien haben sich als falsch erwiesen, den nun sind sie anscheinend beide allein.

Symbolik

In Peter Turrinis Auftragswerk für das Theater in der Josefstadt „Bis nächsten Freitag“ werden zwei alte Männer geradezu vorgeführt. Das ist zeitweise ganz witzig, spielen doch die Publikumslieblinge Erwin Steinhauer und Herbert Föttinger mit viel Gespür das ungleiche Paar. Silvia Meisterle als resche Kellnerin und Marcello de Nardo als taubstummer Bruder, der sich gerne für Rollen schminkt, sorgen für Akzente. Regisseur Alexander Kubelka spürte aber wohl die inhaltlichen Lücken und versuchte, dem Drama etwas Symbolik zu verpassen. Gespielt wird in einem sich öffnenden riesigen Tank, das Bühnenbild ist karg und der Auftritt eines kleinwüchsigen Brautpaars wird ins Mystische verklärt. Der längst krebskranke Werner zieht eine Waffe und schießt auf einen Leuchter, der dann im letzten Bild als Pendel schwingt. Auf Verlangen der Kellnerin tanz er mit dem Taubstummen, der sich als Totenkopf geschminkt hat – noch mehr Zeichen geht nicht.

Frust

Das alles kann freilich nicht verbergen, dass die zwei alten Männer bestenfalls skizziert sind. Der Büchermensch Richie wirkt ausgeglichen, dass ihm seine Frauen nur wegen seiner Lesesucht davonrennen, scheint aber nur die Spitze des Eisbergs zu sein. Und der Romanist Werner verbreitet eine Verschwörungstheorie nach der anderen, freilich noch halbgarer als die Theorien selbst. Ausländer mag er natürlich auch nicht. So weit, so banal. Als Zuschauer hätte man aber schon gerne erfahren, woher dieser große Frust der beiden alten weißen Männer wirklich kommt. Das Publikum applaudierte freilich nicht nur den Darstellern, sondern auch Peter Turrini recht freundlich.

Infos und Karten: josefstadt.org

Peter Handkes „Kaspar“ im Akademietheater.

Peter Handkes „Kaspar“ im Akademietheater

Der US-amerikanische Regisseur Daniel Kramer hat für seine Umsetzung von „Kaspar“ drastische Bilder gefunden. – ©Susanne Hassler-Smith

Man könne sein Stück auch als „Sprachfolter“ bezeichnen, merkte Autor Peter Handke einmal zu seinem Stück „Kaspar“, das 1968 durch Claus Peymann in Frankfurt uraufgeführt wurde, an (Peymann saß übrigens in der Premiere im Akademietheater). Der US-amerikanische Regisseur Daniel Kramer hat nun bei seiner Umsetzung tatsächlich recht drastische Bilder für diese Tortur gefunden. Sein Kaspar Marcel Heuperman kommt durch einen engen durchsichtigen Plastikfolienschlauch auf die Welt und sagt seinen einzigen Satz „Ich möchte ein solcher werden, wie einmal ein anderer gewesen ist.“ (Handke hat dabei an den historischen Kaspar Hauser erinnert, der angeblich seinen Findern erklärte: „Ein solcher Reiter möchte ich werden, wie mein Vater gewesen ist.“)

Kaum auf der Welt wird Kaspar von vier Menschen in schwarzen Plastikpaneelen und Gasmasken bedrängt, die ihm schließlich sogar mit Motorsägen zu Leibe rücken, denn in seinem Krabbelkostüm sieht er ja wie eine behaarte Spinne aus (Kostüme: Shalva Nikvashvili).

Immer mehr wird der Arme mit Worten bombardiert, will heißen sozialisiert. Handles Text ist ja eine Kritik an der Vereinnahmung der Menschen durch Sprache und Gebote. Nur was gesagt wird, existiert. Für die Interpretation des Dramas wurde ja schon oft Wittgenstein bemüht. Aber „Kaspar“ ist sicher auch Ausdruck der damaligen Anti-Establishment-Stimmung.

Zum Höhepunkt des Abends wurde die völlig sprachlose Szene gegen Ende. Kaspar und die vier „Einsager“– hochmotiviert und präzise: Laura Balzer, Stefanie Dvorak, Jonas Hackmann und Markus Scheumann – ziehen nach und nach in eine Art Studentenbude ein und spielen Alltag – siw duschen, essen, fernsehen, schlafen und gehen aufs Klo. Allerdings nehmen sie sich gegenseitig gar nicht wahr. „Ich bin still / ich möcht jetzt / kein andrer mehr sein.“ ist im Abspann zu lesen – zum Song „Last Day of Our Acquaintance“ von Sinéad O’Connor.  

Nach einer grellen Clownpartie endet der Abend verstörend: Kaspar sitzt am Schminktisch, neben ihm eine riesige Atombombe. Ja, sprechen ist immer auch mißverstehen.

Infos & Karten: www.burgtheater.at 

Der Tod, das muss ein Wiener sein. Denn in György Ligetis einziger, 1978 in Stockholm uraufgeführten Oper „Le Grande Macabre“, findet der Weltuntergang nicht statt, weil dem Tod der Wein zu gut schmeckt und er betrunken die Apokalypse verschläft.

György Ligetis „Le Grande Macabre“ an der Wiener Staatsoper

Szenefoto von Le Grand Macabre. – ©Michael Poehn

Der Tod, das muss ein Wiener sein. Denn in György Ligetis einziger, 1978 in Stockholm uraufgeführten Oper „Le Grande Macabre“, findet der Weltuntergang nicht statt, weil dem Tod der Wein zu gut schmeckt und er betrunken die Apokalypse verschläft. Und so versteht man eigentlich gar nicht, dass es bis jetzt dauerte, bis diese Oper an der Staatsoper gezeigt wird – zumal der in Siebenbürgen geborene und 2006 in Wien verstorbene Komponist seit dem Ungarn-Aufstand 1965 in Wien lebte.

Man kann jetzt freilich sagen: das Warten hat sich gelohnt. Denn Jan Lauwers Inszenierung und Pablo Heras-Casados Dirigat machen die netto etwa 2 Stunden (abzüglich der Pause) zu einem sinnlichen und intellektuellen Vergnügen. „Le Grande Macabre“ ist eine bitterböse ironische Zeitanalyse eines Künstlers, der sowohl die Nazi- als auch die Stalin-Zeit gerade noch überlebte, um dann den Wahnsinn des Kalten Krieges mitzubekommen. Im  Breughelland (in einem Bild sieht man das Gemälde „Der Triumph des Todes) der Oper tut ein lächerlicher Fürst Go Go (adäquat interpretiert von Andrew Watts) so, als ob er herrschen und ein Volk so, als ob es auf ihn hören würde. In Wirklichkeit machten alle, was sie wollen. Die Chefin der Geheimpolizei (Sarah Aristidou) singt sich die Seele aus der Brust, um ihre Nutzlosigkeit zu kaschieren. Man sieht einen bunten Comic – als ob die Truppe von Monty Python einen Heurigen übernommen hätte.

Doch was so locker daherkommt, ist einer präzisen Dramaturgie geschuldet. Quasi als Taktgeber tanzen etwa 12 Profis in fast unsichtbaren beigen Trikots unermüdlich zum Geschehen. Die zwischen Aufruhr und ruhigen, elegischen Passagen chargierende Musik erfordert vom Orchester und den Sängerinnen und Sängern größtmögliche Konzentration. Als Untergangsverkünder Nekrotzar brilliert Georg Nigl, als sein irdischer Widerpart Piet vom Gerhard Siegel. Eine späte, aber umso wichtigere Wiedergutmachung an der Staatsoper, der man gerne mehr Aufführungen gönnen würde.

Aufführungen noch am 17., 19. und 23. November – www.staatsoper.at

Ein seltsames Leben – Monika Helfer erzählt in „Die Jungfrau“ von einer reichen, schönen Freundin.

Ein seltsames Leben – Monika Helfer erzählt in „Die Jungfrau“ von einer reichen, schönen Freundin

Ein Buch, das ich problemlos an einem Tag im Bad lesen konnte und das trotzdem einen großen Eindruck zurücklässt. Die Vorarlbergerin Monika Helfer, die mit ihren autobiografischen Romanen „Die Bagage“ (2020), „Vati“ (2021) und „Löwenherz“ (2022) spät, aber verdientermaßen, zum Literaturstar wurde, beschreibt in ihrem neuen Buch die Jugendfreundschaft mit der gleichaltrigen Gloria, die all das besitzt, was sie selbst – Moni – nicht hat: Ein Haus, Bedienstete, Geld und Schönheit. Doch zwischen den Fallstricken des Lebens scheint sich die glänzende Gloria geradewegs zu verlieren.

Die Aufnahmeprüfung im Reinhardt-Seminar schafft sie mit Bravour, doch als sie sich in einen verheirateten Lehrenden verliebt, wird es nichts mehr mit der Karriere. Hochdramatisch legt sie sich vor die Schwelle seiner Wohnung, die Ehefrau steigt nur darüber und nimmt es sogar hin, dass ihr Mann bei Gloria einzieht. Zu Sex soll es allerdings niemals kommen – Moni ist nicht ganz sicher, ob sie ihrer Freundin glauben soll. Zum 70. Geburtstag kommt ein Brief von Gloria – man hatte sich längst aus den Augen verloren – und Moni besucht die Freundin, die noch immer im Elternhaus wohnt, wo ihre halbverrückte Mutter mutmaßlich Unsummen an Geld versteckt hat, was die Tochter nicht interessiert.

Helfer ist eine ebenso genaue wie reflektierte Erzählerin. Nie gibt sie etwas als gewiss aus, stets hinterfragt sie sich, wie es gewesen sein könnte und was das für sie damals bedeutete. Sie selbst wohnte damals ja in einer beengten Wohnung, Geld war immer knapp und trotzdem nicht so wichtig. Moni heiratet früh – eine der einprägsamsten Stellen im Buch ist die Szene, in der sie von ihrem Schwager bei der Hochzeit entführt wird – ein alter Brauch – und dann vom Bräutigam nicht gefunden wird, obwohl sie genau dort sind, wo es am wahrscheinlichsten gewesen ist. Ein kluges Buch über die Möglichkeiten einer Biografie und die Zeit des Wirtschaftswunders in Österreich.


Ein seltsames Leben – Monika Helfer erzählt in „Die Jungfrau“ von einer reichen, schönen Freundin.

Monika Helfer: Die Jungfrau
Hanser Verlag
150 Seiten
23,50