Ein junger Iraner in den USA stellt sich diversen Traumata – Kaveh Akbar: Märtyrer!

Ein Roman, der viel will, einiges auch bringt, sich aber auch leicht verzettelt. Kaveh Akbars „Märtyrer!“ wurde von der New York Times und anderen Zeitungen viel gelobt und stand auch auf der Longlist des National Book Awards. Erzählt wird die Geschichte des jungen Iraners Cyrus, der als Baby mit seinem Vater in die USA gekommen war, nachdem seine Mutter in einem Flugzeug, das die US-Army irrtümlich abgeschossen hatte, ums Leben gekommen war. Cyrus ist ein begabter Student, will Dichter werden, verfällt aber dem Alkohol und der Drogensucht. Sein Vater, ein hart arbeitender Migrant, stirbt, als er aufs College kommt. Mithilfe der Anonymen Alkoholiker wird Cyrus trocken, was ihm aber weiterhin fehlt, ist ein Ziel im Leben. Als Verwandtschaft bleibt ihm ja nur noch sein Onkel im Iran, der als Veteran des brutalen iranisch-irakischen Krieges nur noch so dahinvegetiert. Immerhin schreibt Cyrus Gedichte und zunehmend interessiert ihn die Idee des Märtyrertums. Nicht die sinnlosen muslimischen Terroristen – Cyrus ist nicht sonderlich gläubig – sondern Menschen wie Jeanne d’Arc oder die Menschen, die sich in Peking und Prag den Panzern gestellt haben. Er will sterben, aber sein Tod soll einen Sinn haben. Sein Freund Zee – Cyrus ist irgendwie bisexuell – erzählt ihm von einer Künstlerin, die als schwer Krebsleidende im Brooklyn-Museum sich tagtäglich den Fragen des Publikums stellt. Cyrus muss sie sprechen…

„Märtyrer!“ ist kein linear erzählter Roman, Kaveh Akbar bringt immer wieder Träume und die Geschichten anderer ein – etwa Cyrus Onkel, Mutter und Vater. Das ist an sich interessant, denn seine Hauptfigur ist irgendwann auserzählt. So soll sein Onkel im Krieg als schwarzer Engel über die Schlachtfelder geritten sein, um den Sterbenden den Trost des Jenseits vorzugaukeln. Am Ende bringt Akbar dann noch einen Knüller um die Mutter von Cyrus – sie ist nämlich jene berühmte sterbende Künstlerin mit der Cyrus die langen Gespräche führen kann. Das scheint ein wenig zu dick aufgetragen, die Story einer bettelnden und stehlenden Migrantin, die zum Kunststar wird, wirkt wenig glaubhaft. Trotzdem: Kaveh Akbar schafft einen Einblick in das Gefühlsleben eines jungen Iraners in den USA und macht deutlich, wie verschieden Menschen sein können, die nebeneinander leben.


Kaveh Akbar: Märtyrer!
Aus dem Englischen von Stefanie Jacobs
Rowohlt, 400 Seiten, € 25,50

Freudloses Studentenleben mit Mord – Michael Köhlmeier: Die Verdorbenen

Eine Geschichte, die nachdenklich macht: Der Ich-Erzähler Johann berichtet von seiner Studentenzeit in Marburg in den 70er-Jahren, als er plötzlich von einer Kollegin – Christiane –, die er kaum kennt und die ihn auch nicht interessiert, offenbart bekommt, dass sie ihn liebt.

Das hätte schnell geklärt sein können, doch Johann ist ein Unentschlossener. Als er sie später wiedersieht, werden sie doch in irgendeiner Weise ein Paar, allerdings ein höchst ungewöhnliches. Denn Christiane ist seit Kindergartenzeit gleichzeitig mit Tommie zusammen, der Christianes Entscheidung gegen ihn aber zu akzeptiere scheint. Bloß zieht Tommie dann doch bei ihnen ein. Sowohl Christiane als auch Tommie scheinen emotional gestört und eines nachts flieht Johann ohne Ziel als er die beiden auffordert, miteinander zu schlafen und sie das auch tun. In Belgien schläft er in einem Strandkorb, wo er von einem Mann überfallen wird. Johann kann sich wehren und tötet den bereits Wehrlosen. Damit schließt sich ein Kreis, denn Johann hatte seinem Vater auf die Frage, was denn sein Wunsch an das Leben wäre, antworten wollen: Ich möchte einmal einen Menschen töten… Die Pointe will ich aber natürlich nicht verraten. 

Michael Köhlmeier ist meiner Meinung nach am besten bei kürzeren Erzählungen. „Die Verdorbenen“ könnte gut auch als Novelle bezeichnet werden. Eine Novelle ist, nach Goethe, „eine sich ereignete unerhörte Begebenheit“. Das passt hier ganz gut, aber Roman verkauft sich wohl besser. In dieser Geschichte scheint kein Satz zu viel und keiner zu wenig. Und natürlich geht es um die ganz großen Themen: Was ist das Böse, was ist ein Leben ohne Liebe wert und was braucht es, um böse zu werden? Das alles entwickelt eine Zwanghaftigkeit wie eine antike Tragödie.


Michael Köhlmeier: Die Verdorbenen
Hanser Literaturverlage, 160 Seiten, € 24,50

Joachim Meyerhoff wieder an der Burg – er spielt in „Der Fall McNeal“ von Ayad Akhtar einen narzisstischen Autor

Bild: ©Tommy Hetzel

Überraschung schon bevor es überhaupt losgeht: Das Publikum sieht sich selbst gespiegelt, aufgenommen von einer Kamera und auf die Riesenleinwand im Hintergrund der Bühne projiziert. Und der Held des Dramas, der erfolgreiche Schriftsteller Jacob McNeal, macht dann auch gleich Selfies – wie übrigens ein großer Teil des Publikums vor Beginn auch. Willkommen in der schönen neuen Multimediawelt.

Doch dann wird es ernst, teilt ihm doch seine Ärztin mit, dass seine Leber seinen Alkoholkonsum nicht mehr lange mitmachen wird. Noch auf der Untersuchungsliege erreicht ihn ein Anruf aus Stockholm – er erhält den Literaturnobelpreis.

Nun ist McNeal freilich ein sehr spezieller Autor. Er ist überheblich, saugt die Erlebnisse seiner Mitmenschen literarisch aus wie ein Vampir und er benützt sogar KI – und das, obwohl er in seiner Nobelpreisrede, die wir miterleben können, von den Schwächen der KI und der Überlegenheit der Dichter schwafelt. Anscheinend ist er auch noch faul. Als größter Akt der Aneignung wird die Verwendung eines Manuskripts seiner verstorbenen Frau – sie hat Selbstmord begangen – für sein aktuelles Buch. Nachdem sie ja alles miteinander besprochen hätten, wäre es schließlich auch sein Buch… Damit mussten Frauen wohl die letzten Jahrhunderte immer rechnen. Und dieser Autor kennt die Literaturgeschichte bestens – alle Großen haben schließlich abgeschrieben, Stücke umgeschrieben, sich Zitate ausgeborgt wird er nicht müde zu referieren.

Joachim Meyerhoff – inzwischen ja selbst Bestsellerautor – spielt diesen hemmungslosen, selbstverliebten Dichter wunderbar stringent. Es ist sein Abend, er ist zwei Stunden lang in allen Szenen im Einsatz. Und natürlich besitzt er auch die Portion Charme, ohne die ein solches Monstrum ja kaum denkbar wäre. Allzu peinliche Gefühlsausbrücke umschifft er aber gekonnt.

Nur 4 andere Darsteller braucht es, 2 spielen Doppelrollen. So ist der durch den Film „Im Westen nichts Neues“ berühmt gewordene Felix Kammerer nicht nur McNeals Sohn, sondern auch die etwas unbedarfte Assistentin von McNeals Agentin, die von Dorothee Hartinger gespielt wird. Zeynep Buyraç ist sowohl seine kühle Ärztin als auch die von ihm emotional ausgesaugte Geliebte in der Schlussszene. Schließlich die afroamerikanische Reporterin der „New York Times“ – Safira Robens –, der McNeal schon ziemlich betrunken erzählt, dass er Harvey Weinstein bewundert. 

Regisseur David Bösch setzt ziemlich flächendeckend Videotechnik ein, wohl aus dem oben genannten Grund (Bühnenbild Stephane Laimé, Komponist Arno Kraehahn). Das lenkt bisweilen mehr ab, als es erhellend wirken könnte, zumal „Der Fall McNeal“ ein klassisches Konversationsstück ist, was bestimmt auch zum großen internationalen Erfolg beigetragen hat. Die deutsche Übersetzung stammt von Daniel Kehlmann. Langer Applaus!

Infos & Karten: burgtheater.at

Laudatio für Peter Sengl zu seinem 80. Geburtstag

Von Michael Schottenberg, gesprochen in der Galerie Suppan zur Eröffnung der Ausstellung am 4. März. | Foto: Peter und Susi Sengl. ©Willi Denk

Ich kenne einen Jongleur, der wirft sich einen kleinen Löffel auf die Stirn, und er bleibt stehen. Was für eine Umkehrung der Natur. Das Löffelchen widerspricht jeder Schwerkraft. Ich weiß nicht, weshalb das Leben manchen schwer fällt und manchen leicht. Der heute zu belobende Künstler ist einer, der in Permanenz Löffelchen auf seine Stirn wirft, und alle bleiben sie stehen. Er kann etwas, was sonst kaum einer kann. Er schmiegt sich quer durch alle Stilrichtungen, trotzt seit Jahrzehnten höchst erfolgreich jenen, die alles wissen und alles können und doch nicht den Mumm haben, herauszutreten aus dem Schatten der engen Gassen, wo sie als Nager überleben, immer die nächste Wade im Visier, um darüber herzufallen, sich zu ihr zu verbeißen und ihr Opfer zu Fall zu bringen, um so ihr eigenes Überleben zu sichern.

Peter Sengl ist und bleibt nicht zu übersehen. Auf dem Weg in sein Atelier, bei Premieren, Vernissagen, auf Unauffälliges wird verzichtet: Perfekt geschnittene Anzüge, Hingucker, sind sein Markenzeichen. Mal in sattem purpurrot, als wäre der Leibhaftige im Hause Gaultier auf einen kleinen Stepp vorbeigekommen. Mal in wellensittich-gelb-schwarzem Karo, als wäre er extravaganter Schrittmacher einer Tanzformation im Sambadrom zu Rio. Peter Sengl ist wandelnde Haute Couture. Die Anzugfarben findet man übrigens auch in seinen Rückzugsorten wieder. Obwohl: Die Grundfarbe seiner Bilder ist zumeist Rot.

Kleiderbewusstsein besaß der Halbwüchsige schon in der Mittelschule in Graz. Oder sollte es heißen: Der Fetisch „besaß ihn“? Tatsächlich hat es etwas von Besessen-heit, die ihn von klein auf gefangen hält. Im Laufe der Jahre hat Sengl sich als eigene Kunstfigur erfunden. Nicht nur in vorzugsweise asiatischen Lokalen lümmelt er nachlässig hingegossen, mit übereinander geschlagenen Beinen herum.  Auch auf seinen Bildern tut er es. Er „besitzt“ sie, im wahrsten Sinne des Wortes. Zwischen nackten Frauen, dämonisierten Gestalten oder in nachgemalten Vorlagen berühmter Malerkollegen. Da hockt er dann und kennt kein Pardon. Wo Sengl rein will, kommt Sengl auch rein. Und ist er dann drin, werden die Sujets, garniert mit seiner ihm eigenen Skurrilität, nur noch surrealer – und die Aschenbecher voller. Er raucht die dünnsten Kippen der Welt. Sengls Begeisterung für filigrane Zigarettensorten ist legendär. So schmal sind sie, dass man sich erstens fragt, wo er sie um Himmels Willen herhat und zweitens, ob es sich überhaupt lohnt, sie anzustecken. Ohne Humor und hochkonsequent arbeitet er an ihrer Vernichtung. Voller Geringschätzigkeit schnippt er die Asche von sich, als gelte es sie zu demütigen. Wie einem Ritual folgend lässt er unmittelbar darauf sein schönes Ronson-Feuerzeug zwischen den Fingern erscheinen und zündet, nachdem die halb gerauchte Kippe in schönem Schwung im Aschenbecher landet, erneut eine der Superschlanken an, um das laszive Spiel genussvoll von Neuem zu beginnen.

Peter Sengl, du „Maß-Schneider in eigener Sache“, wie du einmal liebevoll genannt wurdest, du Dandy-Raucher, du spitzbübischer Überlebenskünstler, du Gesamtkunstwerk, du achtzigjähriges, lass dich feiern heute – umgeben von deinen Werken, deinen Freunden und all denen, die dich beneiden. Denn davon sind einem Jeden jede Menge zu gönnen.

Wir beide kennen einander aus der Klingklang-Zeit zu Ende der grauen 1970er, als Hans Gratzer Wien mit einem neuen Kultort nachhaltig veränderte: das Schauspielhaus. Dort stand nächtelang, jahrelang ein Paar an der Bar – sie, eine prachtvoll erotische Frauensperson, schön und malenswert, er, ein aufsehen-erregender Mensch in grellbunten Anzügen, beide Gallonen von Weißwein vernichtend – ein Paar, wie von einem anderen Stern. Ich war damals ein gertenschlankes, unerfahrenes, halbhübsches Wesen, das seine ersten Schritte auf eben dieser Bühne tat, die Sengls waren stadtbekannte glamouröse Künstler, die sich mir auf der Netzhaut einbrannten. Auch nur ein einziges Bild von ihnen zu besitzen war der unerreichbare Wunsch meiner frühen Jahre. Es sollten zwei werden. Sengl schenkte mir eines, und verkaufte mir ein anderes. Immer noch hüte ich sie wie einen Schatz, trotzdem noch weitere, in eben diesem Verhältnis dazugekommen sind. Peter Sengl ist gleichermaßen unerreicht großzügig, wie nachvollziehbar geschäftstüchtig.

Auch später, lange nach dieser Pionierzeit, haben sich unsere Wege immer wieder gekreuzt, ziemlich oft sogar. Umso mehr freue ich mich, dass ich hier im Rahmen dieser opulenten Ausstellung anlässlich deines unaussprechlichen Geburtstages zu dir und über dich sprechen darf. Eines haben wir beide gemeinsam: Ich bin auf der Bühne geboren. Und du nicht weit davon entfernt, im Zuschauerraum. Damals liebtest du das Theater mindestens so wie ich. Was uns trennte, war die Rampe. Aber auch nur imaginär.

Deine Bilder nämlich sind hochtheatralisch. Sie haben etwas von Weltwunder-maschinen. Menschen werden von scheinbar höherer Macht verschraubt, vernietet, verkettet, mittels Halseisen zu Posen gezwungen, von Pfeilen durchpflockt, von Fauna und Flora umwachsen. Dies alles aber macht sie offensichtlich nicht leiden, im Gegenteil. Durch den Schmerz in einen schwerelosen Schwebezustand befördert, bewohnen sie eine postmodern-farbenfrohe Fortschreibung einer Welt die von Kubin, Seurat, Redon inspiriert scheint, und die von Sengl in eine hochglänzende Schule neuer Sinnlichkeit überführt wird – eine Welt die der Künstler seinen Geschöpfen verordnet und zu deren Mittelpunkt er selbst wurde. In Kompanie übrigens mit seiner wunderbaren Frau, Susanne Lacomb, die immer schon weit mehr war als bloß Muse. Selbst eine hochsensible Künstlerin, ihre gemeinsame Tochter Deborah, die dritte im Künstlerbunde, hat sie nicht umsonst einmal als „Konzeptkünstlerin der ersten Stunde“ bezeichnet, hat sie sich und ihr Leben dem Herrn Sengl verschrieben. Oder sollte es besser heißen: Sie haben einander gesehen, sich aneinandergeschmiegt, ineinander verschlungen, bis sie sich in einem unentwirrbaren Kokon ihrer selbst wiedergefunden haben. Beseelt von praller Lebensfreude bauen sie unentwegt an einer Welt voller Wunder und bewohnen sie selbst auch. Man möchte mit eintauchen in dieses verrätselte, anziehend elegante Unbewusste. Man sehnt sich geradezu danach, Teil einer Welt zu sein, die so postkartengrell verführerisch ist wie die Geschöpfe, die sie bewohnen – voller Leben und Erotik.

Sengls Werk und sein Lebensumgebungsstil lässt an Herzmanovsky-Orlando denken. Ihr habt eines gemeinsam: Die überbordende Anmutung verknüpft mit der Lust am Absurden. Dazu kommt noch das herrlich verkauzte Spiel mit Bildtitel, die in Ecken gekrakelt werden: „Sackaufbläser im Blumenkranz“, „Ein kleiner Anpumperer kann sich im Erdbeer-Nacht-Amphibien-Aufzuchtraum selbst an den Ohren in die Höhe ziehen“, „Tiermenschalpenwaldrebekasten“, oder „Schuhspitzenverlängerungs-tänzer“, wie du eines meiner Bilder benanntest. Oft allerdings ist die Gegenständlichkeit der Titel auf der Leinwand gar nicht mehr sichtbar. Der Künstler hat die Lust daran verloren – und hat sie übermalt.

Und dann noch die Unmenge an Bildern in deinem Atelier! In Regalen, Schubläden, an den Wänden, in allen Ecken, an allen Enden hängen, stehen, lehnen und lagern sie. Wie zum Leben erweckte Zeugen innerer Umtriebigkeit und nicht enden wollender Energie. Und immer griff- und servierbereit: Die gut gekühlte, frostbeschlagene, in Flaschen abgefüllte Lebensfreude. Weißburgunder, Rotgipfler, Welschriesling. Dazwischen überall und unübersehbar – die Menge überfüllter Aschenbecher.

Für mich bist du ein aus der Barockzeit herüber geretteter Mensch mit großer, unzerstörbarer Lust am Leben, immer auch im Bewusstsein deiner Endlichkeit. Du bannst den Tod, indem du ihn malst, festschraubst, fixierst. Und diesem Bild gibst du den Titel: „Der Tod ist schwarz, gelb, blau und rot, dennoch ist der Tod nicht tot.“ Das hat etwas trotzig-anarchisches, zugleich auch konservativ-religiöses an sich. Nicht von ungefähr. Sengls Vater war Pfarrer und Beichtbeauftragter seiner ursprünglichen Familie. Ein liebenswertes, Tartuffe’sches Wesen. Er hatte Peters Mutter in einem Cabrio das Chauffieren beigebracht. Die Lektion endete in gegenseitiger Annäherung. Das ansehnliche Ergebnis war Peters älteste Schwester. Für den neuen Herrn Papa bedeutete dies aber auch gleichzeitig das Ende der Soutane. Hinter vorgehaltener Hand wird erzählt, dass der kleine Peter in Unterbergla, in der Weststeiermark, in einer Gemischtwarenhandlung zur Welt kam – auf einem Mehlsack (nach abermaliger Cabrio-Lektion). Es könnte sein, dass dies in späteren Jahren zu einer Phobie geführt hat. Mails zu beantworten ist nicht seins. Auch WhatsApp lehnt er ab. Da bleibt er stur. Er bevorzugt das Gespräch. Bei einem wohl temperierten Glas Wein.

Peters Sengls Geheimnis um die Leichtigkeit des Löffelchens kann ich mir immer noch nicht erklären. Aber wie ein guter Zauberer seinen besten Trick nicht verrät, nimmt Sengl sein Geheimnis in sein verwunschenes Atelier mit und heißt die Welt einen Narren.

Als Senglerianer alter Schule darf ich mich im Namen aller im Klub Befindlichen bei der Direktion des Hauses bedanken. Peter, ich wünsche dir noch eine Menge Löffel auf die Stirn und Ihnen, verehrte Damen und Herren danke ich für die Aufmerksamkeit – wissend, dass ich weder Kunstexperte bin, noch mich dazu berufen fühle, Sengls Werk zu kommentieren. Nichts anderes hatte ich im Sinn, als ein wenig aus dem Nähkästchen zu plaudern, wenn auch aus einem Jahrzehnte alten – aus Bewunderung meinen allerbegabtesten Freunden gegenüber. Ich verwende die Mehrzahl. Täte ich es nicht, ich würde denen, die denselben Namen tragen, nicht gerecht werden. Denn es ist eine dreifaltige, faltenfrei verschworene Einheit: Die Löffelchen werfenden Sengls. 


Die Ausstellung „Peter Sengl – Sein Universum zum 80iger“ ist in der Galerie Martin Suppan, Palais Coburg, Seilerstätte 3C, 1010 Wien bis 22 April nach Vereinbarung zu sehen: suppanfinearts.com

3 Menschen am Dach eines Hochhauses – Isabella Straubs Roman „Nullzone“

Die einen wohnen in einem schiefen Gemeindebau-Hochhaus, die anderen haben viel Geld angezahlt, um rundherum in einem futuristischen Wabenbau unterzukommen. Das Stadtentwicklungsgebiet, in dem beides angesiedelt ist, trägt den verstörenden Namen Nullzone. Beim Wohnen offenbaren sich auch heute noch die sozialen Klassen.

Die Wiener Autorin Isabella Straub bringt eine Hausmeisterin mit Medikamentenproblem, einen Paketzusteller, der Unternehmer – Drohnenzusteller – werden will, und einen Zukunftsforscher, der Dauergast in einer Startup-Castingshow ist, zusammen. Abwechselnd nehmen wir als Leser an ihren Sorgen teil. Dramatik bekommt die Geschichte, weil das Hochhaus umzufallen droht – eine Sanierung würde jedes Budget sprengen, aber die Bewohner desselben gehen natürlich trotzdem für ihre lieb gewordene Einöde auf die Straße.

Die drei Hauptpersonen haben natürlich alle ihre Macken. Zukunftsforscher Gabor will eigentlich gar nicht in seine Wabe umziehen. Er wurde bloß von seiner Frau in das Projekt genötigt. Außerdem hat er den Verdacht, an einer schweren Krankheit zu leiden. Paketzusteller Rachid leidet unter der Trennung von seiner Freundin, gefällt sich im Macho-Boss-Gehabe und hat leider wenig im Kopf, während die Hausbesorgerin Elfi noch immer hofft, ihr verschwundener Sohn würde zurückkommen. Rührend kümmert sie sich aber um eine halb-demente Nachbarin. Am Ende kommen alle aus verschiedenen Motiven auf dem Dach des Hochhauses zum Showdown zusammen, wo Rachid Gabor beweisen will, dass seine Drohne einsatzfähig ist.

Isabella Straub ist ein unterhaltsamer Roman über das Zusammenleben in einer Großstadt gelungen, ihr Personal ist interessant. Man ahnt, welche Schicksale in den bereits jetzt bestehenden Waben schlummern.

Straub wird ihren Roman auch bei Rund um die Burg (9./10. Mai) vorstellen.


Isabella Straub: Nullzone
Elster & Salis, 372 Seiten, € 26,50

In den Schlund der Society – Stefanie Sargnagels „Opernball“ im Theater Rabenhof

Bild: ©Ingo Pertramer

Die Wiener Schriftstellerin Stefanie Sargnagel erkundete im Vorjahr im Auftrag des Rabenhof Theaters und Johann Strauss 2025 tatsächlich den Opernball. Ihre Beobachtungen mündeten jetzt in dem Theaterabend „Opernball – Walzer, Wein und Wohlstandsbauch“. Und so erleben wir in der Regie von Christina Tscharyiski Laura Hermann, Martina Spitzer, Skye MacDonald und Jakob Gühring in Blütenroben – sie sehen echt aus wie ein Blumenarrangement – beim Besuch des berühmtesten Balls der Welt. Sie spielen neben der Autorin eine kleptomanische Kellnerin und einen Strauss-Experten mit Rededurchfall (irgendwie musste das ja rein…). Die wirklich fetzige Musik kommt von der Band Salò, die mit einer Art New Wave-Punk für beste Stimmung sorgt. Das Publikum nimmt die Satire auf die Bussi-Bussi-Society dankbar auf, wir erleben ein gar nicht so feines Gerangel um gute Sicht auf die Eröffnung, den gescheiterten Versuch der Crew in die viel lustigere Mitarbeiter-Kantine zu kommen und am Ende öffnet sich auf einer Loge ein Höllenschlund. Der Opernball ist natürlich eine Klassengesellschaft, die wahren Promis sitzen ja gut geschützt in ihren Logen. Das Premierenpublikum feierte die Crew sehr ausgiebig. In Wirklichkeit ist aber vielleicht die Fernsehübertragung des Balls (hab ich allerdings noch nie gesehen) die noch viel größere Satire…

Infos & Karten: rabenhof.at

Pflegekraft trifft Karrierefrau – Susanne Gregors „Halbe Leben“

Der neue Roman der in Wien lebenden aus der Slowakei stammenden Autorin Susanne Gregor beginnt gleich mit einem Absturz. Bei einem Spaziergang mit Paulína, der Betreuerin ihrer Mutter, fällt Klara in eine tiefe Böschung und kommt ums Leben. Die folgenden Seiten erzählen dann das Davor. Und das ist interessant, denn Gregor versteht es, Alltagsszenen so zu verdichten, dass die dahinter liegenden Probleme in den Familien verständlich werden. Denn natürlich hat auch die slowakische Pflegekraft Paulína daheim eine Familie, die sie jeweils für zwei Wochen verlassen muss. Denn so ist der Deal mit der Karrierefrau Klara, die schon mit ihrer halbwüchsigen Tochter überfordert war und sie deshalb von ihrer Mutter betreuen ließ. Doch Mutter Irene ist nach einem Schlaganfall selbst pflegebedürftig und Klaras Mann Jakob ein Träumer, der recht unenergisch als Fotograf arbeitet. Als Paulína kommt, scheint sich alles zum Besten zu entwickeln. Sie und Klara sind gleichaltrig, vielleicht kann sich gar so etwas wie eine Freundschaft entwickeln.

Susanne Gregor, deren Vorgängerromane „Das letzte rote Jahr“ und „Wir werden fliegen“ schon sehr positiv aufgefallen sind, weiß gekonnt das Verhältnis der beiden Frauen zueinander zu entwickeln. Zwischendurch machen wir als Leser auch einen Abstecher in die Gedanken der zunehmend dementer werdenden Mutter Irene. Niemand hat böse Absichten und doch entstehen Kränkungen, ihre Lebenswelten sind einfach sehr verschieden. Und beide haben immer wieder das Gefühl zu versagen – vor allem natürlich in ihrer Mutterrolle. Mit „Halbe Leben“ ist Gregor ein Roman gelungen, der dem komplexen Frauenleben heute gerecht wird.

Susanne Gregor wird ihren Roman auch bei RUND UM DIE BURG (Freitag, 9. Mai und Samstag 10. Mai) präsentieren.


Susanne Gregor: „Halbe Leben“
Zsolnay Verlag, 190 Seiten, € 24,50

Ein Fest der Schauspielkunst: „Egal“ und „Ellen Babić“ von Marius von Mayenburg im Akademietheater.

Bild: ©Monika Rittershaus

Zwei Einakter, die man in der Folge auch einzeln im Akademietheater buchen kann. In „Egal“ spielen Caroline Peters und Michael Wächter ein Paar mit zunächst ungewöhnlicher Arbeitsteilung. Sie ist die erfolgreiche Karrierefrau, die gerade von einer Geschäftsreise aus Italien zurückkommt, während er auf die Kinder aufpassen muss und gar nicht zu seiner Arbeit – er ist Übersetzer – finden konnte. Streit lauert da hinter jeder Banalität, sogar das mitgebrachte Geschenk (schlechtes Gewissen?) wird zum Anlass. Doch Marius von Mayenburg ist ein Theaterprofi und weiß, dass das keinen Abend trägt und so wechseln mittendrin die beiden ihre Rollen – er kommt heim und sie darbt zu Hause. Zusätzliche Konflikte kommen auf, als sie oder er plötzlich ein Angebot bekommt, ins Ausland zu übersiedeln und dort richtig viel Geld zu machen. Thomas Jonigk hat das sehr flüssig und abwechslungsreich und sogar mit Slapstickelementen inszeniert. Das Publikum feiert zurecht die beiden Schauspieler – Caroline Peters kehrt ja mit dieser Rolle an die Burg zurück.

Mehr spannend, denn lustig der zweite Einakter: Ellen Babić ist eine Schülerin, die sich bei einer Klassenfahrt betrinkt, am WC zusammenbricht und dann die Nacht bei der Lehrerin Astrid (Dörte Lyssewski) verbringt. Die ist allerdings seit Jahren in einer Beziehung mit einer ehemaligen Schülerin – Klara (Maresi Riegner). Eine Beziehung, die eben auch auf einer Klassenfahrt begonnen haben soll. Der schleimige Direktor (Jörg Ratjen) kommt bei dem Paar zu Besuch, um von einer Beschwerde des Vaters von Ellen Babić zu berichten. Die Sache könnte ein Kriminalfall werden. Gespielt wird im nämlichen modern-praktischen Bühnenbild, wirklich aufgeklärt wird die Sache aber nicht. Dafür sehen wir auch hier beste Schauspielkunst. 

Infos und Karten: burgtheater.at

Tito-Partisanen und Winnetou – Clemens Meyers Monumentalroman „Die Projektoren“

Die 1050 Seiten dieses Romans sind sowohl ein Lesevergnügen als auch ein Bergwerk für Germanistik-Seminararbeiten. Clemens Meyers „Die Projektoren“ schafft nämlich zweierlei – eine spannende Handlung zu erzählen und Sätze zu finden, die nachwirken. Dabei schert sich Meyer erfrischend wenig um drohende Kitschvorwürfe. Da hat endlich wieder einmal einer einen Roman geschrieben, der Position bezieht.

„Die Projektoren“ beleuchtet die dunkelsten Kapitel der Geschichte des Balkans. Schon der 1. Weltkrieg hatte hier seinen Ausgangspunkt, aber im Roman sind wir vor allem im blutigen Partisanenkrieg gegen die Nazis und die mit ihnen verbündeten kroatischen Ustascha-Faschisten, im Tito-Kommunismus und später im Bürgerkrieg nach dem Tod des Diktators. Als logischer Abschluss dient das Flüchtlings-Leid auf der sogenannten Balkanroute. Und als Kontrastprogramm sind wir bei den ungemein erfolgreichen deutschen Karl-May-Verfilmungen dabei, die um die Plitvicer Seen herum gedreht wurden. Da kämpfen zwar auch Indianer ums Überleben, aber das Publikum durfte eben auch „echte“ Helden anhimmeln. Ein Franzose – Pierre Brice – spielte den Winnetou, ein Amerikaner – Lex Barker – den Deutschen Old Shatterhand.

In „Die Projektoren“ werden viele Geschichten erzählt – so reist etwa Pierre Brice mit einem jugoslawischen Schauspieler, der im Film Winnetous Vater spielt und ein veritabler Schürzenjäger ist, durch die USA, um echten Indianern bei ihrem Kampf um mehr Rechte zu unterstützen. Als Hauptperson dient Meyer aber ein Mann, der immer nur als der Cowboy genannt wird, weil er ein kariertes Halstuch trägt. Der diente als Halbwüchsiger den Partisanen als Meldegänger, sitzt dann aber trotzdem Jahre auf der berüchtigten Gefängnisinsel und macht sich bei den May-Dreharbeiten als Komparse und Übersetzer unentbehrlich. Denn just vor seiner Haustüre auf einer Schäferhütte kämpfen Mays Helden ihre gerechten Kämpfe. Am Ende sucht er seine Nichte mitten auf den Schauplätzen des IS-Terrors im Iran, wo er zur Unterhaltung der Dorfbewohner Winnetou-Filme zeigt – Karl May hatte ja auch einige Orient-Abenteuer hinterlassen. Sehr wichtig sind aber auch die gar nicht harmlosen Spiele blutjunger Neonazis in der damaligen DDR. An der Seite der Kroaten ziehen diese später im Balkankrieg gegen die Serben. Die verschiedenen Handlungsstränge lassen sich freilich kaum nacherzählen – da fällt einem Wiener natürlich gleich Doderers Ausspruch ein: „Ein Werk der Erzählungskunst ist es umso mehr, je weniger man durch eine Inhaltsangabe davon eine Vorstellung geben kann“, verlautbarte der Autor 1966. In den „Projektoren“ löst eine groteske Szene die nächste ab.

Als Schlüsselszene könnte man den historischen Vortrag, den Karl May 1912 in Wien gehalten hat und bei dem angeblich Adolf Hitler unter den begeisterten Zuhörern gewesen sein soll. Der Titel: „Empor ins Reich des Edelmenschen“, denn der Schilderer unzähliger Kämpfe soll in Wirklichkeit ein großer Humanist gewesen sein. „Die Projektoren“ ist ein Roman, bei dem man nach der letzten Seite das Gefühl hat, ihn gleich noch einmal lesen zu müssen.


Clemens Meyer: Die Projektoren
S. Fischer, 1056 Seiten, € 36,00

Publikumsdialog statt innerer Monolog – „Fräulein Else“ frei nach Schnitzler im Volkstheater

Bild: ©Marcel Urlaub

Arthur Schnitzlers Novelle „Fräulein Else“ gilt neben „Leutnant Gustl“ als Prototyp des literarischen inneren Monologs. Eine junge Frau wird von ihrem bankrotten Vater genötigt, einen reichen Kunsthändler anzupumpen, um Gefängnis und Schande von der Familie abzuwenden. Der will allerdings einen „Deal“ – eine Viertelstunde soll Else nackt vor ihm stehen. Bei Schnitzler nimmt sie sich daraufhin mit Veronal das Leben. Aber funktioniert das heute noch, nach Weinstein & Metoo? Regisseurin Leonie Böhm und Schauspielerin Julia Riedler versuchen im Volkstheater eine Antwort.

Dabei startet ihre Else gleich zu Beginn einen Dialog mit dem Publikum. Banalitäten werden ausgetauscht, Else fragt nach Veronal, spricht die Souffleuse als Tante an, einen jungen Mann als ihren Cousin.  Aus dem inneren Monolog wird ein äußerer. Dazu ist eine enorme Bühnenpräsenz notwendig, die Julia Riedler auch aufbringt, als Requisite dient nur ein Kronleuchter. Nach und nach kommen aber die Umstände des Deals zutage, der Kunsthändler als schmieriger Typ, der seine Knie an ihre presst entlarvt. Aber Else darf ausschweifen: wie wäre es, wenn alle bei ihrer Entkleidung dabei wären – würde ihm das den Spaß versauern? Wenn sie dann nur mit Unterhose bekleidet vor ihm steht, käme er vielleicht sogar zur Selbsterkenntnis und er sieht ein: „Mein Verhalten war ja megatoxisch!“ Das ist dann wieder so absurd, dass es komisch rüberkommt. Am Ende öffnet sich der Eiserne Vorhang und Else darf in ein Nebelmeer tanzen.

Schnitzler hat in „Fräulein Else“ den Frauenkörper brutal als Ware dargestellt – einmal schauen kostet 30.000 Kronen. Diese Kapitalismuskritik geht an diesem Abend vielleicht doch etwas unter. Das Premierenpublikum jubelte Schauspielerin und Regisseurin dennoch frenetisch zu.

Infos & Karten: volkstheater.at