Ein Dorf-Sittenbild aus der Zeit vor der Naziherrschaft – Das Akademietheater spielt Maria Lazars „Die Eingeborenen von Maria Blut“.

Ein Dorf-Sittenbild aus der Zeit vor der Naziherrschaft – Das Akademietheater spielt Maria Lazars „Die Eingeborenen von Maria Blut“

Bild: ©Susanne Hassler-Smith

Alles geschieht im Angesicht der Gottesmutter, die mit Heiligenschein gekrönt, riesengroß aufgestellt auf die Dorfbewohner blickt. In der ersten Hälfte der Romandramatisierung von Lucia Bihler, die auch Regie führte und Alexander Kerlin umschließt sie mit ihrem von zwei Engeln getragenen blauen Gewand quasi den Dorfplatz, wo mit Riesenpuppenköpfen ausgestattete „Eingeborene“ dem böswillig konnotierten Tratsch frönen. Schuld am Unglück – wie die Schließung der Fabrik oder die Inflation – sind immer die Sozialisten und Kommunisten sowie die Juden. In gezwungener Oppositionsrolle steht der als Atheist und Mörder verdächtige Arzt Lohmann, der seiner sterbenden Frau die letzte Ölung, nicht aber das schmerzlindernde Morphium verweigert. Aber gerade er hat einen Sohn, der zu den Nazis rennt. Lazar interessierte vor allem die unselige Allianz von Katholizismus und Nationalsozialismus, die am Ende allerdings gebrochen scheint. Während die Marienstatue fällt, treten Volksredner auf und die neue – auf Spekulation begründete – Fabrik wird vom Mob zerstört.

Die jüdische Wiener Schriftstellerin Maria Lazar (1895-1948) erhielt während ihres Lebens nicht die ihr aufgrund der Qualität ihres Werkes zustehende Beachtung. Seit den 80er-Jahren des vorigen Jahrhunderts wird Lazar wiederentdeckt. Im Akademietheater spielte man 2019 ihren Einakter „Der Henker“. Der Roman „Die Eingeborenen von Maria Blut“ erschien 1937 in der bekannten, in Moskau erscheinenden Exilzeitschrift „Das Wort“, die von Brecht, Lion Feuchtwanger und Willi Bredel herausgegeben wurde. Er gilt als einer ihrer Hauptwerke.

Die Dramatisierung im Akademietheater bringt geschickt in kurzen Szenen, die durch einen Lichtflash geteilt werden, die Positionen im Dorf auf die Bühne. Da ist die Haushälterin des Arztes, die Angst hat, abgeschoben zu werden, da ihre Mutter Tschechin war. Da ist der Wirt, der sein ganzes Geld in die wertlos werdenden Fabriksaktien gesteckt hat sowie seine völlig von Maria besessene Tochter. Eine Herausforderung für das Ensemble, denn alle spielen mehrere Rollen oder zumindest die verkleideten Einheimischen – eine starke Leistung von Stefanie Dvorak, die auch die Erzählerin spricht, sowie von Philipp Hauß, Jonas Hackmann, Robert Reinagl, Dorothee Hartinger und Lili Winderlich. Zur sich steigernden Dramatik des Abends tragen auch das Sounddesign von Mats Süthoff sowie das Bühnenbild von Jessica Rockstroh bei.


Infos: burgtheater.at