In memoriam Erich Schleyer
Am Dienstag erlag Publikumsliebling Erich Schleyer mit 81 Jahren seiner schweren Erkrankung. Im Echo Medienhaus wurde die Nachricht mit großer Bestürzung aufgenommen. Es gibt niemanden, der an ihn nicht viele erfreuliche Erinnerungen hat. Erich Schleyer war immer zur Stelle, wenn es galt, auf spielerische Weise Kunst und Kultur an Kinder zu vermitteln. Wir durften aber auch Ausstellungen seiner fotografischen Arbeiten organisieren und mit ihm zahlreiche Buchprojekte verwirklichen.
Text: Helmut Schneider / Fotos: Bubu Dujmic
Lesen Sie hier das letzte große Interview, das wir mit ihm anlässlich seines 80. Geburtstages für wienlive gemacht haben:
Schauspieler ist als Berufsbezeichnung für Erich Schleyer definitiv zu kurz gegriffen. Obwohl er an fast allen großen Bühnen des deutschen Sprachraums Hauptrollen gespielt hat. Wenn der 1940 in Dresden Geborene in seiner nach München zweiten Wahlheimatstadt Wien unterwegs ist, hört er etwa andauernd: „Ich hab Sie als Kind so gerne im Fernsehen gesehen.“ Denn Erich Schleyer ist auch der Geschichtenerzähler, der ganze Generationen von Kindern in die Welt des Märchens und der Literatur eingeführt hat. Er ist Autor von zahlreichen Kinderbüchern und außerdem ein begabter Fotograf, der auch schon Ausstellungen in München, Berlin, New York und Wien hatte.
Hier in Wien, wo Erich Schleyer seit vielen Jahren eine Wohnung am Alsergrund hat, erinnern sich Theaterfreunde vor allem an seinen Auftritt als Frank’n’Furter in der Rocky Horror Show im Schauspielhaus in der Regie von Michael Schottenberg – 1984 war Richard O’Briens Musical noch wenig bekannt und der sexuell aufgeladene Inhalt des Stückes sehr gewagt. In der Ära des legendären Schauspielhaus-Direktors Hans Gratzer spielte er auch noch den homosexuellen Schwulenhasser Roy Cohn, Reagans Anwalt, in Tony Kushners „Angels in America“. Ein weiterer Höhepunkt in Schleyers Karriere als Schauspieler war die lange Zusammenarbeit mit George Tabori u. a. am Burgtheater.
wienlive: Einer Ihrer ersten Erinnerungen war die Bombardierung Dresdens, wie kann man einen solchen Schrecken als Kind verarbeiten?
ERICH SCHLEYER: Mein Bruder, meine Mutter und ich wohnten damals in der Altstadt – Vater war im Krieg – und wir mussten oft in der Nacht mehrmals den Ort wechseln, weil die Häuser über uns gebrannt haben. Am schlimmsten waren die Zeitzünder, die zwischen den Bombardierungen losgingen. Eine Frau hat uns gewarnt: Geht nicht in den Großen Garten – das ist die große Parkanlage in Dresden. Es gab da auch einen See und die Menschen sind dort sogar unter die Eisdecke gekrochen. Aber es sind alle umgekommen, denn der See ist durch die Phosphorbomben ausgebrannt. Am nächsten Tag sahen wir überall Phosphorleichen. Ich habe mich bis zum Sommer im Vorjahr nie wieder in diese Gegend getraut. Man kann also sagen, ich habe mehr als 70 Jahre gebraucht, um das zu verarbeiten.
Sie haben ja noch in der DDR als Schauspieler Karriere gemacht?
SCHLEYER: Ja, ich habe an der Theaterhochschule in Leipzig studiert, arbeitete zuerst im Fernsehen und dann war ich am Maxim Gorki Theater in Berlin. In dem kleinen Ort, wo ich aufgewachsen bin, gab es kein Theater, aber ein Kino. Da mussten noch alle paar Minuten die Rollen gewechselt werden und während dieser Zeit habe ich zum Gaudium der anderen die Filmszenen noch einmal gespielt. Nachdem ich die Gina Lollobrigida und den Gérard Philipe gespielt habe, wollte ich nur noch Schauspieler werden …
Aber Sie wollten dann in den Westen, oder?
SCHLEYER: Schon meine Mutter wollte nicht im Osten leben, sie hat aber den Moment vor der kompletten Abriegelung verpasst. Ich ging in ein Theater in Karl-Marx-Stadt, weil ich wusste, dass sie auch Gastspiele im Westen machten. Und beim zweiten Gastspiel bin ich dann abgehauen. Ich wollte ja reisen und die Welt kennenlernen. In der DDR gab es auch nur die staatlich zugelassene Kunst, alles andere war einfach nicht verfügbar. Sie können sich nicht vorstellen, was es für mich bedeutet hat, mit 28 oder fast 29 Jahren zum ersten Mal an einer südlichen Küste am Meer Rosmarin oder Wermut zu riechen.
War es schwer, im Westen Anschluss zu finden?
SCHLEYER: Ich bin zwei Tage, nachdem ich angekommen war, zu Karl-Heinz Stroux in Düsseldorf gefahren, denn bei dem spielten alle Berühmten. Die Sekretärin wollte mich zuerst abwimmeln, aber ich war voll jugendlicher Energie und bestand darauf, sofort vorzusprechen. Und dann sagte Stroux: Du bist ab morgen engagiert, Junge. Er hat mir eine Riesen-gage versprochen und mir ein Glas Whiskey eingeschenkt. Mit derselben Energie bin ich nach Köln zum WDR, weil ich in der DDR auch schon im Fernsehen war, aber war schnell wieder beim Portier. Dann sagte ich mir, das lasse ich mir doch nicht gefallen. Ich bin durchs Haus von unten wieder hoch gerast, und habe gesehen: Hauptabteilung Fernsehen. Und habe da geklopft und bin rein. Was wollen Sie? Ja, ich bin gerade abgehauen, ich bin bei Stroux sofort engagiert worden und ich will auch hier spielen. Da saß ein Dramaturg und der sagte: „Das könnte er sein!“ Und dann hat er mir eine Zweiteiler-Hauptrolle gegeben in einem Fernsehspiel.
Das klingt nach einem wunderbaren Neustart …
SCHLEYER: Das hielt aber nicht lange. Ein paar Produktionen gingen aus den unterschiedlichsten Gründen schief und ich stand quasi auf der Straße. Ich hatte ja keine Freunde im Westen, genauso gut hätte ich von der DDR aus nach New York oder London gehen können. Natürlich war ich auch einsam. Aber dann bin ich durch ein befreundetes Ehepaar nach Formentera gekommen – ich habe alles verkauft und lebte ein Dreivierteljahr in einer Art Ziegenstall. Ich hatte lange rote Haare und einen Schnauzer und habe mir mein Essen damit verdient, dass ich Steine angemalt und an die wenigen Touristen verkauft habe. Damals gab es kaum Autos auf der Insel. Aber irgendwann ging mir dann doch die Kultur ab …
Wie sind Sie nach Wien gekommen?
SCHLEYER: Der Intendant des Theaters an der Wien Rolf Kutschera holte mich 1977 für das Musical „Mayflower“ und danach spielte ich am Volkstheater den Indianer in „Einer flog über das Kuckucksnest“ – das wurde ein Riesenerfolg. Meine erste Rolle bei Gratzer im Schauspielhaus war dann der Orsini in „Was ihr wollt“. Aber „Rocky“ war dann noch einmal etwas anderes, ich wäre fast noch bei der Premiere abgehauen, weil das so extrem war – ich konnte ja weder Englisch, noch habe ich je Rockmusik gesungen …
Sie haben immer eigene Programme für Kinder gemacht. Wie kam es dazu?
SCHLEYER: Ich habe bereits als Kind für Kinder gespielt und habe das immer genossen. Meine erste Rolle war in den Bremer Stadtmusikanten und ich durfte den Hahn spielen, weil ich so gut krähen konnte. Ich wollte überall, wo ich engagiert war, Kindervorstellungen anbieten. Das hat etwa auch im Volkstheater funktioniert. George Tabori, einer meiner Lebensmenschen, hat immer gesagt: Erich, jetzt hast du wirklich schon genug für Kinder gemacht, jetzt lass es einmal gut sein. Aber das kam für mich nie infrage.