Interview mit Karola Kraus
20 Jahre mumok im MuseumsQuartier
Interview mit der Direktorin des mumok Karola Kraus anlässlich 20 Jahre mumok im MuseumsQuartier und 40 Jahre Österreichische Ludwig-Stiftung.
Text: Helmut Schneider / Foto: Stefan Joham
„Enjoy“ – das ist der programmatische Titel der Jubiläumsschau, mit der sich das mumok seiner Aufgabe und Geschichte stellt. Gezeigt werden Werke aus der Sammlung sowie Neuerwerbungen unter der Direktion von Karola Kraus. Der Ausstellungstitel „Enjoy“ zitiert dabei ein Motiv aus einer Plakatserie von Corita Kent (Sister Corita), die sich in ihren Arbeiten Text- und Bildmaterial aus der Konsum- und Populärkultur, aus Kunst, Politik und Religion aneignet.
Die studierte Kunsthistorikerin Karola Kraus wurde im Schwarzwald geboren und baute von 1999 bis 2006 den Kunstverein Braunschweig zu einer renommierten internationalen Institution aus. 2006 übernahm sie die Leitung der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden, seit Oktober 2010 ist sie Direktorin des mumok Wien, wo sie bereits mit ihrer Antrittsausstellung „Museum der Wünsche“ für viel Beachtung sorgte. Weitere Highlights waren eine Schau der deutschen Künstlerin Cosima von Bonin, die von Jakob Lena Knebl kuratierte Ausstellung der Sammlung und im Vorjahr die letzte Werkschau der österreichischen Künstlerin Ingeborg Strobl.
wienlive: Fangen wir mit dem längsten Jubiläum an: 40 Jahre Österreichische Ludwig-Stiftung. Ist die Stiftung immer noch bedeutsam?
KAROLA KRAUS: Ja, die Österreichische Ludwig-Stiftung ist für das mumok von immenser Bedeutung. Sie prägt die Sammlung bis heute entscheidend mit, indem sie Werke und Werkblöcke von Künstlerinnen und Künstlern für das mumok ankauft, die wir aus unserem Budget nicht finanzieren könnten. Dabei handelt es sich um die einzigen Dauerleihgaben im mumok. Mit Hilfe der Stiftung konnten wir in den letzten Jahren unsere Sammlungsschwerpunkte um kapitale Werke erweitern. Ein erklärtes Ziel von mir war von Beginn an, in die stark von Männern dominierten Sammlungen der 60er- und 70er-Jahre vermehrt Künstlerinnen zu integrieren – wie etwa Evelyne Axell, Sister Corita, Kiki Kogelnik, Lee Lozano oder Ree Morton, die alle in der aktuellen Ausstellung zu sehen sind.
Jetzt zu 10 Jahre Karola Kraus im mumok. Was hat Sie in den ersten beiden Perioden angetrieben?
KRAUS: Anlässlich meiner Antrittsausstellung, dem „Museum der Wünsche“, erarbeitete ich mit meinem Team Schwerpunkte für die zukünftige Sammlungserweiterung. Den ersten habe ich bereits genannt – die fehlenden Künstlerinnen.
Das zweite Ziel war, aufgrund der geopolitischen Lage Wiens im Zentrum Europas und der Brückenfunktion zwischen dem Westen und dem Osten vermehrt Werke osteuropäischer Künstlerinnen und Künstler an unsere Sammlung zu binden, so beispielsweise von Július Koller, dem wir im mumok eine Retrospektive ausrichteten. Unlängst wurden wir von einem Sammler mit einem umfangreichen Konvolut an Werken von Stano Filko beschenkt.
Und drittens haben wir den Fokus auf Malerei gelenkt, nachdem mein Vorgänger verstärkt auf neue Medien und Fotografie gesetzt hatte. Eine weitere Konzentration lag auf Werken von jungen Künstlerinnen und Künstlern. Nicht zuletzt konnten wir außereuropäische nichtwestliche Positionen in die Sammlung integrieren.
Gibt es persönliche Highlights in Ihrer Arbeit?
KRAUS: Die Vermittlung ist in einem Museum moderner Kunst von zentraler Bedeutung. Zeitgenössische Kunst kann durchaus sperrig und erklärungsbedürftig sein. Mein Team und ich haben sehr strukturiert unsere Zielgruppen definiert und für jede Zielgruppe entsprechende Angebote entwickelt. So haben wir einen Kinderclub gegründet, der mittlerweile Tausende von Mitgliedern hat. Das mumok richtet als einziges Museum jedes Jahr einen Kinderaktionstag aus. Letztes Jahr musste dieser aufgrund der Pandemie leider ausfallen, aber 2019 wurde das Haus von Kindern überrannt und im Eingang haben sich die Kinderwägen getürmt. Wir stellen den Kindern auch Saalfolder und Audioguides zur Verfügung. Für Erwachsene bieten wir multilinguale Führungen in Farsi, Slowakisch oder Türkisch, Führungen in Gebärdensprache und Kunstgespräche per Zoom an. Mit dem Format „Weltbilder“ und dem EU-Projekt „Cope“ etablierten wir zwei Integrationsprojekte, die Menschen mit Migrationshintergrund ansprechen.
Haben Sie dabei auch auf die Corona-Situation reagiert?
KRAUS: Während der Pandemie etablierten wir den mumok Blog, auf dem wir Beiträge von Künstlerinnen und Künstlern publizieren oder Einblicke in die mumok Sammlung und Tipps von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geben oder DIY-Projekte für Kinder zeigen. Worauf ich auch stolz bin: das mumok bietet als einziges Museum weltweit Scratchkurse an, bei denen Kinder spielerisch Programmierbasics lernen, eigene digitale Kunstwerke erschaffen und wichtige mediale Kompetenzen entwickeln. Scratch ist eine visuelle Open-Resource Computersprache, die am MIT (USA) von der Long Life Kindergarten Group entwickelt wurde. Mit Hilfe einer großzügigen Förderung der Art Mentor Stiftung Lucerne können wir die Scratch-Kurse auch Familien anbieten, die sich solche Weiterbildungen normalerweise nicht leisten können. Auch die Laptops können wir dank einer Förderung den Kindern zur Verfügung stellen.
Kunstvermittlung ist also ein zentraler Bereich Ihrer Arbeit …
KRAUS: Die Architektur des mumok und die Treppe können durchaus eine Hemmschwelle sein. Mir ist es wichtig, nicht in einem Elfenbeinturm zu sitzen, sondern möglichst viele Menschen abzuholen. Daher bieten wir ein breit gefächertes Ausstellungs-, Veranstaltungs- und Vermittlungsprogramm sowohl für ein dezidiertes Fachpublikum als auch für eine breite Öffentlichkeit an.
Das mumok kino hat sich zu einer Anlaufstelle für ein junges Publikum entwickelt. Auch die alljährliche Kooperation mit ImPulsTanz ist bei unserem Publikum äußerst beliebt. Das mumok ist ein lebendiges Museum für Besucherinnen und Besucher jeglicher Altersgruppen und sozialer Herkunft. Mein Ziel ist es, das Museum in den viereinhalb Jahren bis zu meiner Pension wieder dort hinzubringen, wo unsere Erfolgsgeschichte durch die Krise gestoppt wurde: auf das Niveau von 2019, dem Jahr mit den höchsten Besucherzahlen seit Bestehen des Museums. Das ist ein ambitioniertes Ziel, denn der Wien-Tourismus rechnet nicht damit, dass sich der Fremdenverkehr vor 2024 normalisieren wird.
Noch einmal wollen Sie Ihren Vertrag nicht verlängern?
KRAUS: Nein, ich bin dann 15 Jahre als Direktorin im Haus – aber ich habe jetzt schon die längste Amtszeit in der Geschichte des Museums. Und was man in 15 Jahren nicht erreicht hat, schafft man auch in 20 Jahren nicht.
Haben Sie noch weitere Ziele?
KRAUS: Ja, ich möchte bis zu meinem Ausscheiden zumindest den Grundstein für eine räumliche Erweiterung des Museums legen. Anhand unserer aktuellen Sammlungsausstellung wird einem wieder sehr deutlich vor Augen geführt, dass unsere Schätze permanent präsentiert werden müssen. Unsere unterschiedlichen Sammlungsschwerpunkte sind Touristenmagnete, die von der klassischen Moderne bin hin zur zeitgenössischen Kunst der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen müssen. In dem Erweiterungsgebäude würde ich Sonderausstellungen ausrichten sowie auf einer Ebene unsere Archive für Forschungszwecke öffentlich zugänglich machen.
Das Gebäude lässt sich ja nicht erweitern, was gäbe es da für Möglichkeiten?
KRAUS: Ich habe mehrere Konzepte in der Schublade, die ich mit den verantwortlichen Personen besprechen werde.
Die aktuelle Ausstellung „Enjoy“ soll das verdeutlichen …
KRAUS: „Enjoy“ ist einerseits Resümee der letzten 10 Jahre und gleichzeitig auch Ausblick. Sie zeigt auf beinahe allen Ebenen in einer losen Chronologie von der Klassischen Moderne bis hin zur zeitgenössischen Kunst die Schwerpunkte unserer Sammlung, wobei auf jeder Ebene generationsübergreifende Dialoge stattfinden.
„Enjoy“ im mumok, MuseumsQuartier Wien, Samstag, 19. Juni 2021 bis Montag, 18. April 2022
Bildrecht:
Corita Kent (Sister Corita)
the sea queen, 1973
50 x 58 cm
Siebdruck
mumok -Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien,
erworben mit Unterstützung des mumok Boards/acquired with support of mumok Board 2020
© Bildrecht, Wien 2021