Buchtipp – Wir sind das Licht, Gerda Blees
Verhungern in den Niederlanden
Gerda Blees‘ Roman über eine sektenähnliche Hausgemeinschaft „Wir sind das Licht“. Ein Buchtipp von Helmut Schneider.
Eines Nachts ist Elisabeth zu schwach zum Aufstehen und stirbt auf der Luftmatratze, auf der sie seit Monaten im Haus ihrer Schwester schläft. Weder ihre Schwester Melodie noch die beiden Mitbewohner Muriel und Petrus rufen einen Notarzt. Denn die vier nehmen seit Monaten kaum noch Nahrung zu sich, weil sie davon überzeugt sind, dass Licht, Musik und Liebe ausreichen, um einen Körper ausreichend zu versorgen.
Die Niederländerin Gerda Blees erzählt in ihrem Debütroman „Wir sind das Licht“ von einer seltsamen Wohngemeinschaft rund um die dominante Musikerin und Gruppenleiterin Melodie. Eines Tages haben sich die vier – angeleitet von obskuren Kursen und Videos im Internet – darauf geeinigt, dass Nahrung ihre Körper nur vom Wesentlichen ablenkt und behindert. Ihre Gemeinschaft nennen sie „Klang und Liebe“, ihre Zeit verbringen sie mit singen und meditieren. Der Tod der schweigsamen Elisabeth ruft dann freilich die Behörden auf den Plan. Der zuständige Arzt hält ihren Tod für nicht natürlich, der Pathologe stellt eine krasse Unterernährung fest. Die Polizistin Lisa, die selbst Probleme mit ihrer magersüchtigen Tochter hat, untersucht den Fall aufgrund des Verdachts auf unterlassener Hilfeleistung und nimmt Melodie, Petrus und Muriel in Untersuchungshaft. Die Beweisführung ist allerdings schwierig, da alle davon überzeugt sind, das Beste für Elisabeth getan zu haben. Nur langsam kommen bei Muriel Zweifel. Ob sie nach der Freilassung die Gruppe verlässt bleibt aber ungewiss.
Blees‘ Erzählweise ist dabei höchst kreativ. Sie lässt in jedem Kapitel andere Menschen, aber auch Dinge und Gedanken zu Wort kommen. So berichten etwa der „Tatort“, „Klang und Liebe“, ein Kugelschreiber oder die Eltern von Elisabeth aus ihrer Sicht. Zutage kommen toxische Beziehungen innerhalb der Gruppe – Muriel und Petrus sind in ihrer Psyche gefangen und können sich der manipulativen Kraft Melodies nicht entziehen. Petrus leidet an Wutanfällen, Muriel ist hochgradig entscheidungsschwach. Als Anregung diente der Autorin ein Zeitungsbericht über einen ähnlichen Fall. Allerdings hat Blees die Figuren neu erfunden. Sie schafft es aber, dass wir die Geschichte als erschreckend real und durchaus plausibel empfinden. Eine interessante, aber nicht leicht verkraftbare Lektüre.
Wir sind das Licht von Gerda Blees
Aus dem Niederländischen von Lisa Mensing
Erschienen im Zsolnay Verlag
ISBN: 978-3-552-07274-9
240 Seiten
€ 23,70