Eine Ärztin in der Gesundheitskrise – Elena Messners Roman „Schmerzambulanz“. Ein Buchtipp von Helmut Schneider.

Eine Ärztin in der Gesundheitskrise – Elena Messners Roman „Schmerzambulanz“

Der Titel des Romans verweist auf das Versprechen, mit dem die Klinikleitung die engagierte Internistin Judit Kasparek ins Team gelockt hatte. Sie könne im Krankenhaus nicht nur eine Station leiten, sondern gleichzeitig eine Schmerzambulanz aufbauen, in der Patientinnen und Patienten nach der Entlassung aus der Intensivstation behandelt werden sollen. Doch dazu kommt es nie, denn das gesamte Krankenhauspersonal ist komplett überlastet und damit beschäftigt, den Betrieb irgendwie aufrecht zu erhalten. Als dann eine Patientin im Sanitärraum zusammenbricht und nur überlebt, weil sie eine Putzfrau zufällig gleich findet, verlangt Judit die Einsetzung eines Ethikkonzils, um herauszufinden, wie es dazu kommen konnte. Denn eigentlich hatte Judit die Patientin als gesund diagnostiziert und zur Entlassung vorgeschlagen. Sind die vielen von anderen Ärzten verordneten Infusionen am Zusammenbruch schuld?

Elena Messners Roman „Schmerzambulanz“ verblüfft durch Detailkenntnis. Die in Klagenfurt, Salzburg und Ljubljana aufgewachsene Autorin muss umfangreich über Krankenhausabläufe recherchiert haben. Natürlich herrscht in den Spitälern, wie inzwischen allgemein bekannt, allerorts der Sparstift – erst wurden die Wäscherei und die Küchen aus den Spitälern entfernt und durch externe Betriebe ersetzt, dann waren die Pfleger und Hilfskräfte dran. Leiharbeiter sind einfach billiger. Dabei sind Messners Protagonisten durchaus engagiert. Etwa Judits Freundin, die Anästhesistin Asja oder ihr Geliebter Jovo, ein Pfleger. Selbst Primar Tom arbeitet bis an seine Grenzen. Auch das wenig befriedigende Liebesleben des Krankenhauspersonals wird geschildert. Alle haben Schuldgefühle, dass ihr privater und beruflicher Einsatz nie genug sein wird, einfach weil das in diesem System unmöglich ist.

Elena Messner setzt in diesem sehr dichten Roman auch noch einen radikalen Endpunkt: Die Station wird ohne Angabe von Gründen aufgelassen. Höchstwahrscheinlich weitere Sparmaßnahmen. Und die Patientin, die der Grund für das Ethikkonzil war, landet in einer anderen Station. Man muss Schlimmes befürchten.


Eine Ärztin in der Gesundheitskrise – Elena Messners Roman „Schmerzambulanz“. Ein Buchtipp von Helmut Schneider.

Elena Messner: Schmerzambulanz
Edition Atelier
228 Seiten
€ 25,-

Hätte Ferdinand Raimund nur „Die gefesselte Phantasie“ hinterlassen, sein Name wäre heute wohl nur noch in der Theaterwissenschaft bekannt.

Herbert Fritsch peppt Raimunds „Die gefesselte Phantasie“ am Burgtheater auf

Bild: ©Matthias Horn

Hätte Ferdinand Raimund nur „Die gefesselte Phantasie“ hinterlassen, sein Name wäre heute wohl nur noch in der Theaterwissenschaft bekannt. Ein matter Einfall  – die bösen Magierinnen sperren die Phantasie ein, um ihren Kandidaten für die Herrschaft über eine paradiesische Insel durchzubringen – und viele umständliche Wendungen machen dieses Zauberspiel zu einem wenig ansprechenden Bühnenwerk.

Im Burgtheater spielt man es nun nur, weil der ehemalige Volksbühnen-Schauspieler und für seine grellen Inszenierungen bekannte Herbert Fritsch sich dieses Werks annimmt. Und Fritsch liefert zuverlässig: Raimunds Personal steckt in bunten Hippie-Outlooks, Lederhosen-Parodien und lässigen Gammlerklamotten und hastet gekonnt und ungezwungen von einem Gag zum anderen. Hermione, Königin des Inselidylls und gespielt von der großartigen Maria Happel, verspricht sich ständig und presst aus ihren Fehlern neue Poesie. Ausgerechnet die Phantasie selbst ist als grauer Bürohengst gezeichnet, um umso eindrucksvoller zu beweisen, dass ohne sie nichts in der Dichtkunst geht. Tim Werths kann in dieser Rolle aber glänzen.

Erstaunlich auch, dass Fritsch mehr als zwei Stunden (ohne Pause) das optische und sprachliche Feuerwerk durchhalten kann. Das Publikum wird niemals müde, die Einfälle zu bewundern – selbst wenn diese aus Wiederholungen besonders schräger Erzählungen bestehen. Bleibt am Ende ja doch noch was zum Nachdenken: Wenn pure (Zauber-) Macht alles Kreative knechtet, kann dabei nichts Gutes herauskommen. Das sollten sich die Diktatoren dieser Welt hinter die Ohren schreiben.


Infos und Karten: burgtheater.at

Wer ist schwarz, wer ist weiß? – Toni Morrisons Erzählung „Rezitativ“ lässt uns rätseln.

Wer ist schwarz, wer ist weiß? – Toni Morrisons Erzählung „Rezitativ“ lässt uns rätseln

Die Nobelpreisträgerin Toni Morrison hat elf Romane, aber mit „Rezitativ“ nur eine Erzählung geschrieben, die 1983 in einer Anthologie erschien und jetzt erstmals auf Deutsch veröffentlicht wurde. Denn es gibt – wie ihre britische Kollegin Zadie Smith in ihrem fundierten Nachwort anmerkt – keinen „rasch hingeworfenen Morrison-Text“. Die 2019 verstorbene Autorin schrieb immer mit konkreten Zielen und Vorsätzen. Und so ist diese knapp 40 Seiten fassende Erzählung – das Nachwort ist sogar länger – sehr kalkuliert auf die Reaktion ihrer Leserinnen und Leser hingeschrieben.

Es geht um die zwei Frauen Twyla (die Erzählerin) und Roberta, die sich in einem Waisenhaus als komplette Außenseiterinnen anfreunden und später ein paar Mal zufällig über den Weg laufen. Morrison erklärt uns, dass eine von ihnen weiß, die andere schwarz ist – verrät aber bis zum Schluss nicht welche die Weiße und welche die Schwarze ist. Man kann gar nicht anders als darüber zu rätseln, denn Morrison hat eine Menge von Vorurteilen bestimmter rassistischer Codes verwendet.

Schon der Beginn ist genial: „Meine Mutter tanzte die ganze Nacht, und die von Roberta war krank. Darum wurden wir ins St. Bonny’s gebracht.“ Das Waisenhaus empfinden die beiden Mädchen aber gar nicht so schlimm, es gibt viel Platz und ansprechendes, warmes Essen. Nur vor den älteren, boshaften Mädchen müssen sie sich in Acht nehmen. Und ganz unten in der Hierarchie steht Maggie, eine Angestellte des Waisenhauses, die klein ist und o-beinig. Roberta und Twyla erleben, wie sie die älteren Mädchen schikanieren und ihr ein Bein stellen – und wieder können sie sich später nicht erinnern, ob Maggie weiß oder schwarz war.

Während Twyla als Kellnerin arbeiten muss, gelingt es Roberta nach ihren Hippie-Jahren, in denen sie mit Freunden Jimmy Hendrix nachreisen, einen reichen Mann zu heiraten und im besten Viertel der Kleinstadt Newburgh zu wohnen. So nebenbei beschreibt Morrison die Verwandlung von Newburgh von einer sterbenden Stadt im Hinterland von New York nach dem Krieg und der Absiedelung der Fabriken zum gentrifizierten Schmuckkästchen.

Bei Morrison ist kein Satz, keine Formulierung zu viel – es empfiehlt sich, die Geschichte gleich ein zweites Mal zu lesen. Was zeichnet Twyla als Erzählerin aus, warum ist Roberta plötzlich in eine andere Schicht aufgestiegen? Was sind die Mechanismen, nach denen in den USA Menschen Erfolg haben oder eben nicht? Eine faszinierende Lektüre mit einem Nachwort, das diesen Text noch vielschichtiger erscheinen lässt.


https://www.morawa.at/detail/ISBN-9783498003647/Morrison-Toni/Rezitativ

Toni Morrison: Rezitativ
Mit einem Nachwort von Zadie Smith
Aus dem Englischen von Tanja Handels
Rowohlt
96 Seiten
€ 20,60

Ödön von Horváths auf dem Oktoberfest in München spielendes Volksstück „Kasimir und Karoline“ gehört zu den meistgespielten Repertoirestücken des deutschen Theaters.

Horváths „Kasimir und Karoline“ in einer sehr speziellen Fassung im Burgtheater

Bild: ©Matthias Horn

Ödön von Horváths auf dem Oktoberfest in München spielendes Volksstück „Kasimir und Karoline“ gehört zu den meistgespielten Repertoirestücken des deutschen Theaters. Vielleicht weil es um ein Liebespaar geht, das freilich angesichts der trüben wirtschaftlichen Lage – Kasimir ist gerade arbeitslos geworden – vor dem Ende der Beziehung steht. Horváth scheint dabei den berühmten Spruch von Karl Marx – „Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt.“ – geradezu verifizieren zu wollen.

Die serbische Regisseurin Mateja Koležnik bricht das Stück nun im Burgtheater auf eine 80-minütige Tour de Force herunter. Gespielt wird dabei auf zwei Ebenen (Bühne: Raimund Orfeo Voigt): Oben – orange gehalten und mit halbtransparenten Paneelen zum Teil verdeckt – eine Tankstelle mit Garage, in der auch gefeiert und Musik gemacht wird, unten – grünlich schmutzig – der Waschraum einer Toilette, wo sich die Mädchen umziehen aber wo auch körperliche Gewalt stattfindet. Das Geschehen läuft dabei geradezu atemlos ab, alle Figuren sind fast immer in Bewegung, es wird gestritten und gelacht, intrigiert und geprügelt. Die Sanitäter sind dabei im Dauereinsatz. Dass man dabei nicht immer jedes Wort versteht, scheint gewollt und ist der schnellen Dramatik und den abschirmenden Stellwänden geschuldet.

Vom Schauspielteam wird viel abverlangt. Felix Rech und Marie-Luise Stockinger sind das titelgebende Paar, gespiegelt durch das zweite Paar, dem brutalen Merkl Franz (Christoph Luser) und seine naiv-ergebene Erna (Mavie Hörbiger). Jonas Hackmann spielt den Zuschneider Schürzinger, der angesichts des Streits von Kasimir mit Karoline seine Chancen berechnet. Markus Hering und Markus Meyer geben nur die Karikaturen geiler, reicher, alter Männer ab.

Diese Burgtheaterfassung ist zweifelsohne ein radikal neuer Ansatz diesen Klassiker zu realisieren – um Werktreue schert sich Mateja Koležnik wenig. Wer sich darauf einlässt, erlebt ein packendes, heutiges Theater, das seine Stärken im Kampf um Zuseher, die längst eine TV-Serien-Ästhetik gewohnt sind, geschickt ausspielt.


Infos & Karten: burgtheater.at

Ein Kind mit besonderen Bedürfnissen erzählt – Margit Mössmers „Das Geheimnis meines Erfolgs“.

Ein Kind mit besonderen Bedürfnissen erzählt – Margit Mössmers „Das Geheimnis meines Erfolgs“

Alex ist ein Mädchen und kein Kind wie die anderen Kinder um sie herum. Die ersten Lebensjahre schreit sie fast andauernd und bringt ihre Mutter Nina damit an den Rand der Verzweiflung. Die Ärzte wissen keinen Rat und im Kindergarten ist sie eine Außenseiterin. Aber Nina muss arbeiten – als Regalbetreuerin in einem Supermarkt –, denn die finanzielle Situation der Familie – der Vater ist längst abwesend – ist prekär. Bruder Patrick ist auch keine große Hilfe, denn ihm fehlt zunächst das Gespür für die Defizite von Alex. Erst nach und nach wird er Teil des Teams.

Interessanterweise erzählt die in Wien lebende Autorin und Kulturvermittlerin Margit Mössmer die Geschichte völlig aus der Perspektive des mutmaßlich vom Asperger-Syndrom betroffenen Kindes. Wir tauchen somit in eine völlig andere Welt ein. Alex macht sich Sorgen um Supervulkane, liebt Vögel und Fische, SpongeBob und die Disney-Filme Arielle und Käpt’n Nemo, die sie sich unzählige Mal anschauen kann. Besessen ist Alex auch von Briefen und allem, was mit der Post zusammenhängt. In der Schule hält sie ganz nüchtern ein Referat über Briefformate und Umschläge mit und ohne Fenster. Von den Mitschülern wird sie gehänselt – am liebsten sitzt sie allein im Musikzimmer. An Schuhe kann sie sich nicht gewöhnen und überhaupt will sie so wenig Veränderungen wie möglich. Dafür merkt sie sich kleinste Details jahrelang.

Gegen Ende des Romans begleitet Alex eine Nachtigall und verbessert ihre Situation indem sie sie an die Regeln des täglichen Lebens erinnert. Sie wird plötzlich eine aufmerksame Schülerin. Doch die Nachtigall, die gerne auf ihrem Kopf sitzt und von sonst niemand gesehen werden kann, wird von Tag zu Tag schwerer…

Margit Mössmer erzählt einfühlsam von einem Mädchen abseits der Norm. Es gelingt ihr dabei, Leser für die Ängste und Sehnsüchte einer Außenseiterin zu sensibilisieren. Am Samstag, 20. Mai, 10.30 Uhr, wird Mössmer ihren Roman beim Literaturfestival „Rund um die Burg“ vorstellen.


Wer sagt denn, Musiktheater sei antiquiert und bringe immer nur dieselben alten Stoffe? Die Volksoper will den Gegenbeweis antreten. Ihre Chefin Lotte de Beer gab dem Komponisten und Librettisten Moritz Eggert den Auftrag zu einer Operette – dem antiquertesten Genre überhaupt –  zum vieldiskutierten Thema „Verschwörungstheorien“.

Moritz Eggerts Operette „Die letzte Verschwörung“ an der Wiener Volksoper

Bild: ©Barbara Pálffy

Wer sagt denn, Musiktheater sei antiquiert und bringe immer nur dieselben alten Stoffe? Die Volksoper will den Gegenbeweis antreten. Ihre Chefin Lotte de Beer gab dem Komponisten und Librettisten Moritz Eggert den Auftrag zu einer Operette – dem antiquertesten Genre überhaupt –  zum vieldiskutierten Thema „Verschwörungstheorien“. Und der hat prompt und – wie die Premiere zeigte – auch zum Gefallen des Publikums geliefert. Ein zweieinhalbstündiger (mit Pause) musikalischer Spaß, der auch intellektuell nicht unterfordert.

Wir erleben den Fall des beliebten Fernsehmoderators Friedrich Quant (Timothy Fallon), der ausgerechnet nach dem Auftritt eines Spinners, der behauptet, die Erde wäre eine Scheibe, an seiner eigenen Weltanschauung zu zweifeln beginnt als dieser ihm nachkolorierte Urlaubsbilder von Quants Familie zeigt. Wie der „Schwurbler“ (Orhan Yildiz) das macht, wird nicht ganz klar, allerdings zerfleddert Quants Glaube an die Tatsachen von da an an allen Enden. Reptilienmenschen haben die Kontrolle übernommen, das FBI sowieso und bald schon schauen Außerirdische vorbei, während in der Küche der Pizzeria Kinder als Belag aufbereitet werden. In den Videoeinspielungen regnet sowieso schon die Matrix runter vom Schirm – Quant verliert Familie und findet unter den Mitkämpfern eine Geliebte (Lara: Rebecca Nelsen), die sich freilich am Ende als nicht menschlich herausstellt. Moritz Eggert hat nicht viel ausgelassen, was es so an Humbug im Netz gibt – als der Bundeskanzler mit der sagenhaft reichen Mobilfunk-Sponsorin kuschelt, wachsen beiden Stacheln und Scheren. Dazu gibt es flotte, in Ansätzen sogar schlagertaugliche Musik, bisweilen erinnert der Soundteppich auch an Film. Intergalaktisch tanzen Menschen in silberglänzenden Vollkörperkostümen dazu.

Bevor das alles völlig entgleitet, kommt Regisseurin Lotte de Beer am Ende höchstpersönlich auf die Bühne und fordert bei dieser „Probe“ eine realistischere Darbietung. Ein Hinweis darauf, dass sich das Genre selbst nicht ernst nimmt. Viel Applaus für den kurzweiligen Abend.


Infos & Karten: volksoper.at

Endlich die passende Wohnung mit den ausgesuchten Möbeln, die richtigen Freunde mit der Garantie auf kultivierte Gespräche – eine Einladung zum Essen soll als Beweis dafür dienen, dass man erwachsen geworden ist. Nicht zuletzt kann dabei der neue große dänische Esstisch mit der geölten Oberfläche eingeweiht werden.

Eine Einladung von Freunden zum Essen als Probe für die große Welt – Teresa Präauers „Kochen im falschen Jahrhundert“

Endlich die passende Wohnung mit den ausgesuchten Möbeln, die richtigen Freunde mit der Garantie auf kultivierte Gespräche – eine Einladung zum Essen soll als Beweis dafür dienen, dass man erwachsen geworden ist. Nicht zuletzt kann dabei der neue große dänische Esstisch mit der geölten Oberfläche eingeweiht werden.

Die Österreicherin Teresa Präauer erzählt in ihrem Roman „Kochen im falschen Jahrhundert“ die Entwicklung eines Abends unter Freunden in mehreren Fassungen und mit immer absurderen Abzweigungen. Im Mittelpunkt steht die Gastgeberin – niemand hat in diesem Buch einen Namen. Sie ist wie auch alle Eingeladenen fest im Job stehend, wenngleich in Stilfragen nicht immer sicher. In diesem Buch geht es nämlich viel um die Ausbildung von Geschmack – welches Getränk passt und ist gerade im Trend, was darf serviert werden und was nicht. Seitenweise werden Speisen angeführt und doch weiß man als Leser immer gleich, dass es weniger um das konkrete Gericht, sondern um seine Geschichte, seinen Status und die Beziehung zur Gastgeberin geht. Zwischendurch wird auch über eine korrekte heutige Sprache diskutiert.

Die Runde der Gäste ist klein, es kommen neben dem Partner der Gastgeberin nur ein Ehepaar, das ihr Neugeborenes bei den Großeltern parken konnte, und der Schweizer, dessen Freundin leider zu Hause noch arbeiten muss. Der Algorithmus eines Streamingdienstes liefert die passende Musik, die im Roman stets angeführt wird – hauptsächlich Jazzstandards in ausgesuchten Interpretation.

Mit jedem neuen Anlauf, die Geschichte des Abends zu erzählen, brechen freilich neue Irritationen auf. Ein Senffleck am schwarzen Outfit der Gastgeberin, die Gäste treffen mit zu großer Verspätung ein, weil sie vorher noch in einer Bar waren, wo sie einen Amerikaner und seine Begleitung kennengelernt haben. Die schauen nachher – als die Quiche verspeist ist – auch noch vorbei und verleihen dem Geschehen eine sexuelle Komponente. Alles nur in der Phantasie, oder? Und die Polizisten vom gegenüberliegenden Kommissariat warnen vor einem Wasserrohrbruch statt wie befürchtet einer Ruhestörung nachzugehen. Teresa Präauers „Kochen im falschen Jahrhundert“ ist eine Art soziologische Zustandsbestimmung heutiger Wohlstandsmenschen – mit Vergnügen lesbar und trotzdem – wie die Amerikaner bei üppigen Essen sagen – ziemlich „heavy“. Teresa Präauer wird ihren Roman am 19. Mai bei „Rund um die Burg“ präsentieren.


Teresa Präauer: Kochen im falschen Jahrhundert
Wallstein Verlag
200 Seiten
€ 22,70

Anita Augustin, eine geborene Klagenfurterin, arbeitet seit 25 Jahren als Dramaturgin in verschiedenen Theatern und lehrt als Dozentin an der Freien Universität Berlin. In ihrem bereits dritten Roman mit dem langen Titel „Wie ähnlich ist uns der Zackenbarsch, dieses äußerst hässliche Tier“ geht es um ein zurzeit sehr vieldiskutiertes Thema, nämlich den Missbrauch von Kindern.

Kindesmissbrauch als verstörender Roman – „Wie ähnlich ist uns der Zackenbarsch, dieses äußerst hässliche Tier“ von Anita Augustin

Anita Augustin, eine geborene Klagenfurterin, arbeitet seit 25 Jahren als Dramaturgin in verschiedenen Theatern und lehrt als Dozentin an der Freien Universität Berlin. In ihrem bereits dritten Roman mit dem langen Titel „Wie ähnlich ist uns der Zackenbarsch, dieses äußerst hässliche Tier“ geht es um ein zurzeit sehr vieldiskutiertes Thema, nämlich den Missbrauch von Kindern. Sie wandelt dabei auf einem schmalen Grat, denn ihr Buch ist durchaus unterhaltsam und man kann als Leser durchaus Sympathie für den mutmaßlichen Täter entwickeln.

Gleich zu Beginn verschwindet ein Mädchen, die Nachforschungen der Polizei sind ergebnislos, die Mutter ist natürlich verzweifelt und unternimmt alles, um ihre Tochter zu finden. Schnitt: Wir lernen Viktor kennen, der sich vom Psychiater Frank Hilfe bei seiner Neigung zu minderjährigen Mädchen erwartet. Viktor hat einen schrägen Beruf, er ist Edelkomparse und spielt bei Filmproduktionen stets eine Figur, die ermordet wird. Viktor hat eine anscheinend einfach gestrickte Frau und eine dominante Schwiegermutter, die beide zu Opernaufführungen schleppt. Und er hat eine geheimnisvolle Geliebte, die sich Karl nennt. Wie von Frank aufgetragen führt Viktor ein Tagebuch, in dem er sein wenig aufregendes Leben zwischen Film – langes Warten auf den kurzen Auftritt – und Selbsthilfegruppe von Menschen mit gleichen Neigungen aufzeichnet. Internet ist allen verboten, zu groß ist die Gefahr, dass sie auf einschlägigen Seiten landen. Am Ende wird klar, dass die Geliebte Karl die verzweifelte Mutter ist, die über den Psychiater an den Täter zu kommen versucht.

Augustin webt ein immer verstörenderes Gewebe aus Einsamkeit, frustrierenden Aussichten auf Heilung, skurrilen Mordszenen – alles vor dem Hintergrund eines wahrscheinlich tatsächlich passierten Verbrechens, das freilich nicht gänzlich aufgeklärt wird. Alles mündet schließlich in einem surrealen Fiebertraum.

„Wie ähnlich ist uns der Zackenbarsch, dieses äußerst hässliche Tier“ ist ein Roman, der Leser sehr nachdenklich zurücklässt. 


Wienlive-Autor Otto Brusatti betrachtet den aktuellen Film „Tár“ mit den Augen eines Musikkritikers.

Hochverehrt, diskutiert und beschimpft: Cate Blanchett in Tár

Bild: ©EMJAG Productions, Standard Film Company Inc.

Wienlive-Autor Otto Brusatti betrachtet den aktuellen Film „Tár“ mit den Augen eines Musikkritikers.

Der gegenwärtige, Oscar-verweigerte Hit-Film „Tár“. Gelegentlich schon allzu hoch verehrt, diskutiert, beschimpft (wegen abermals einem Frauen-Schlecht-Machen) etc. (und ungemein lang):

Aber es schmerzt halt, dass in solchen Produktionen, die eigentlich seitens von (hier) Musikspezialisten überwacht werden sollten, so viel Falsches auch vorkommt und die Sache nicht nur unglaubwürdig, sondern auch dilettantisch werden lässt.

Die Hauptdarstellerin kann nicht dirigieren (o.k., es wird halt von einem Monate langen Coachings für ein paar Sekunden Endschnitt geredet), die Frau der Hauptdarstellerin ist auch Konzertmeisterin in einem Spitzenorchester und kann nicht/kaum Geige spielen. Die Management-Vorgänge dort sind, nun sagen wir, ungewöhnlich. Das ganze Dirigentinnenleben spielt sich ab, ohne dass es zu heute selbstverständlichen Einsätzen in unterschiedlichen Produktionen kommt (die an sich scheiternde Frau probt gelegentlich in New York oder in Berlin, mehr nicht). Und sonstiges: Die Kommunikation in heutigen Spitzenmusikanstalten funktioniert mit dem Nachwuchs nie (mehr) so. Probespiele detto. Und so fort (auch die Bezugnahmen auf Mahler und Karajan und Bernstein …).

O.k., ist halt ein Film. 

Aber von den Ansprüchen her, gibt er anderes vor.

Ich weiß: Man sagt dann: Ist doch egal, wer sieht und hört das schon. (N.B. die Frau Tár singt einmal etwas aus der 5. Beethoven vor, um ihre Größe als Interpretin zu beweisen; leider im Musik- und Themenbau völlig falsch.) Aber warum dann überhaupt so ein Anspruch?

Man dreht, im Vergleich, auch keinen aufwändigen Formel-1-Film, wo die Hauptdarstellerinnen erkennbar kaum Autofahren können. Alles ähnelt dem wunderbaren und über-kitschigen Film „Zwischenspiel“ von 1968 mit Oskar Werner.

Aber egal. Der Film ist halt ein wenig romantische Brutalität, Romantik für Harte sozusagen, aber ein Bild über die desidertierte Rolle vom angeblich geradezu parasakramentärem Musizieren 2023.

Allein/und: so denkt man sich, geht es zu in der geheimnisvollen Konzertwelt bei uns.


Drei begabte Frauen in der Provinz – Silvia Pistotnigs Familienroman „Die Wirtinnen“. Ein Buchtipp von Helmut Schneider.

Drei begabte Frauen in der Provinz – Silvia Pistotnigs Familienroman „Die Wirtinnen“

Großmutter Johanna, Mutter Marianne und Tochter Gertrud, gesehen von 1936 bis heute – und alle drei Frauen haben ein großes Talent, das ihnen nicht gegönnt ist, zur Entfaltung zu bringen. Zumal auf dem Land in Kärnten, wo es in der Großfamilie früher sowieso nur ums Überleben gegangen ist. Johannas unglaubliches Geschick für das Orgelspiel verkümmert ebenso wie Mariannes traumwandlerisches Gespür für Zahlen und Mathematik. Und selbst für Gertruds Balltalent ist in den 80er-Jahren noch lange kein Platz. Mädchen gehören am Fußballplatz bestenfalls auf die Tribüne, Frauenfußball ist so interessant wie ein Hockey-Match in Aserbaidschan.

Silvia Pistotnig beweist in ihrem bereits vierten Roman „Die Wirtinnen“ Mut zur großen Geschichte quer durch die heimische Historie. Aufgewachsen in Kärnten lebt sie schon lange in Wien, ihr dritter Roman „Teresa hört auf“ erhielt sehr gute Kritiken – zwischenzeitlich arbeitete sie auch als Redakteurin für „Wien live“. „Die Wirtinnen“ wird in jeweils abwechselnden Kapiteln und bisweilen zwischen den Zeiten springend aus der Perspektive von Johanna, Gertrud und Marianne geschildert – die Jüngste spricht sogar als Ich zu uns. Wir erleben das harte Leben auf dem Land vor dem Krieg – besonders natürlich als fast rechteloses Mädchen. Eine Vergewaltigung – zumal vom eigenen Schwager – ist eine lässliche Sünde, schlimm ist nur, wenn frau keinen Mann abbekommt. Und so feiert Johanna erst spät Hochzeit und hat dann auch gleich ein Wirtshaus zu übernehmen, denn die Männer müssen ja in den Krieg. Als der Gemahl schließlich zurückkommt ist er gebrochen und wird zum Alkoholiker. Das Gasthaus ist für Johanna und später für Marianne niemals Berufung, sondern immer nur Pflicht. Teenager Gertrud findet es sowieso urpeinlich und unbequem. Geschickt hat Pistotnig auch Zeitgeschichte wie die Verbrechen der Nazis in den Roman eingebracht. Einer der Brüder Johannas ist geistig behindert und wird von allen kärntnerisch „Tschoppale“ genannt. Ein Schwager ist SS-Mann, aber auch er kann oder will das – eigentlich von allen geliebte – Kind nicht vor der Euthanasie retten. Jede Familie hat so ihre ganz dunklen Flecken.

Quasi im Zentrum des Romans erleben wir allerdings das Scheitern von Mariannes Ehe in den 90er-Jahren. Ihr Erwin fühlt sich vernachlässigt, weil sie auch nachdem die Kinder Gertrud und Thomas schon älter sind, nie Zeit für ihn hat, sondern andauernd im Gasthaus arbeitet. Das wirft freilich längst nicht mehr genug ab. Die Geschichte ihrer Trennung hat allerdings eine Pointe. Marianne entdeckt just als Erwin weg ist ihre sexuellen Bedürfnisse, schläft wieder mit ihrem bereits in die Stadt gezogenen Geschiedenen und bekommt mit 40 noch ein Kind, das allerdings wieder ein „Tschoppale“ wird. Im letzten Kapitel besucht dann Gertrud quasi in der Gegenwart das von neuen Eigentümern umgebaute Gasthaus.

„Die Wirtinnen“ ist ein Familienroman aus dem Süden Österreichs, das uns die Schicksale von Frauen im Strudel des Alltags näherbring – und darüber hinaus eine kurzweilige aber sicher nicht anspruchslose Lektüre. Am 19. Mai wird Silvia Pistotnig beim Literaturfestival „Rund um die Burg“ zu erleben sein.


Silvia Pistotnig: Die Wirtinnen
Elster & Salis
358 Seiten
€ 24,70