Vor hundert Jahren, am 3.Juni 1924, starb Franz Kafka in Kierling bei Klosterneuburg an Lungentuberkulose. Gedanken von Otto Brusatti.

Gedanken von Otto Brusatti

©Gemeinfrei

Vor hundert Jahren, am 3.Juni 1924, starb Franz Kafka in Kierling bei Klosterneuburg an Lungentuberkulose. Gedanken von Otto Brusatti.

Franz Kafka hat mehr Konjunktur als erwartet, als gedacht noch vor ein paar Jahren, als überhaupt vermutet etwa vor ein paar Jahrzehnten. Er ist zur Nr.1 im Andenken-Jahr 2024 geworden (also jedes für Bruckner oder Kraus, Kant oder Schönberg, Bittner oder Schmidt, Schütz oder Brando, Lenin oder Mayröcker und so fort). 

Warum? Ja, zugegeben, das Geheimnisvolle, Gefährliche, Undurchschaubare oder die schwarzen Seelen vor allem Erkundende, das man zurecht seiner Literatur nachsagt, es fasziniert allemal. Andererseits: Kafka zu lesen erfordert nicht nur Ausdauer, sondern auch Mut (die Romane selbstverständlich, die Erzählungen in ihrer Unterschiedlichkeit, die Tagebücher als Kafka- oder schlicht Psyche-Geheimtipp). Und nun doch noch eine Anmerkung: Ja, es wird ungemein viel über Kafka und seine Werke publiziert. Es herrscht die einhellige Übereinstimmung, dass er zu den prägendsten Literatur-Menschen des ganzen 20. Jahrhunderts zählt, er, der noch vor seinem 41. Geburtstag (ziemlich elend) verstarb. Viel wird aber auch geschrieben, ohne wirklich über die Voraussetzungen firm zu sein – das bürgerliche Leben um und während des 1. Weltkriegs etwa, die Position von Frauen als hehre Gattinnen, Verehrte und gebrauchte Huren, die altösterreichische Literatur-Situation an sich oder bloß rein Praktisches, was in den Texten viel mehr eine Rolle spielt als zunächst zu vermuten wäre.

Dennoch: Der Selbsterkennungswert bei Kafka-Lektüre ist auch um den 100. Todestag so gewaltig wie nur bei ganz wenigen Meistern des Faches. 

Aber noch eines, bloß erzählt: Diesen Franz Kafka konnte man – noch und geradezu brutal – verstehen, nachvollziehen und mehr, ging man etwa in den Hoch-Kommunismus-Jahren (also so zwischen 1970 und 1980) in Prag spazieren. Man begegnete in den Gassen, die damals noch immer aussahen, als hätte sie ein Expressionismus-Stummfilm-Regisseur errichtet, engen, schaurigen oder verstörenden Bildern, Szenen, Menschen, wie aus Angstträumen entsprungenen Situationen, als befände man sich eng zwischen Kafka-Buchseiten.