Wer sagt denn, Musiktheater sei antiquiert und bringe immer nur dieselben alten Stoffe? Die Volksoper will den Gegenbeweis antreten. Ihre Chefin Lotte de Beer gab dem Komponisten und Librettisten Moritz Eggert den Auftrag zu einer Operette – dem antiquertesten Genre überhaupt –  zum vieldiskutierten Thema „Verschwörungstheorien“.

Moritz Eggerts Operette „Die letzte Verschwörung“ an der Wiener Volksoper

Bild: ©Barbara Pálffy

Wer sagt denn, Musiktheater sei antiquiert und bringe immer nur dieselben alten Stoffe? Die Volksoper will den Gegenbeweis antreten. Ihre Chefin Lotte de Beer gab dem Komponisten und Librettisten Moritz Eggert den Auftrag zu einer Operette – dem antiquertesten Genre überhaupt –  zum vieldiskutierten Thema „Verschwörungstheorien“. Und der hat prompt und – wie die Premiere zeigte – auch zum Gefallen des Publikums geliefert. Ein zweieinhalbstündiger (mit Pause) musikalischer Spaß, der auch intellektuell nicht unterfordert.

Wir erleben den Fall des beliebten Fernsehmoderators Friedrich Quant (Timothy Fallon), der ausgerechnet nach dem Auftritt eines Spinners, der behauptet, die Erde wäre eine Scheibe, an seiner eigenen Weltanschauung zu zweifeln beginnt als dieser ihm nachkolorierte Urlaubsbilder von Quants Familie zeigt. Wie der „Schwurbler“ (Orhan Yildiz) das macht, wird nicht ganz klar, allerdings zerfleddert Quants Glaube an die Tatsachen von da an an allen Enden. Reptilienmenschen haben die Kontrolle übernommen, das FBI sowieso und bald schon schauen Außerirdische vorbei, während in der Küche der Pizzeria Kinder als Belag aufbereitet werden. In den Videoeinspielungen regnet sowieso schon die Matrix runter vom Schirm – Quant verliert Familie und findet unter den Mitkämpfern eine Geliebte (Lara: Rebecca Nelsen), die sich freilich am Ende als nicht menschlich herausstellt. Moritz Eggert hat nicht viel ausgelassen, was es so an Humbug im Netz gibt – als der Bundeskanzler mit der sagenhaft reichen Mobilfunk-Sponsorin kuschelt, wachsen beiden Stacheln und Scheren. Dazu gibt es flotte, in Ansätzen sogar schlagertaugliche Musik, bisweilen erinnert der Soundteppich auch an Film. Intergalaktisch tanzen Menschen in silberglänzenden Vollkörperkostümen dazu.

Bevor das alles völlig entgleitet, kommt Regisseurin Lotte de Beer am Ende höchstpersönlich auf die Bühne und fordert bei dieser „Probe“ eine realistischere Darbietung. Ein Hinweis darauf, dass sich das Genre selbst nicht ernst nimmt. Viel Applaus für den kurzweiligen Abend.


Infos & Karten: volksoper.at

Endlich die passende Wohnung mit den ausgesuchten Möbeln, die richtigen Freunde mit der Garantie auf kultivierte Gespräche – eine Einladung zum Essen soll als Beweis dafür dienen, dass man erwachsen geworden ist. Nicht zuletzt kann dabei der neue große dänische Esstisch mit der geölten Oberfläche eingeweiht werden.

Eine Einladung von Freunden zum Essen als Probe für die große Welt – Teresa Präauers „Kochen im falschen Jahrhundert“

Endlich die passende Wohnung mit den ausgesuchten Möbeln, die richtigen Freunde mit der Garantie auf kultivierte Gespräche – eine Einladung zum Essen soll als Beweis dafür dienen, dass man erwachsen geworden ist. Nicht zuletzt kann dabei der neue große dänische Esstisch mit der geölten Oberfläche eingeweiht werden.

Die Österreicherin Teresa Präauer erzählt in ihrem Roman „Kochen im falschen Jahrhundert“ die Entwicklung eines Abends unter Freunden in mehreren Fassungen und mit immer absurderen Abzweigungen. Im Mittelpunkt steht die Gastgeberin – niemand hat in diesem Buch einen Namen. Sie ist wie auch alle Eingeladenen fest im Job stehend, wenngleich in Stilfragen nicht immer sicher. In diesem Buch geht es nämlich viel um die Ausbildung von Geschmack – welches Getränk passt und ist gerade im Trend, was darf serviert werden und was nicht. Seitenweise werden Speisen angeführt und doch weiß man als Leser immer gleich, dass es weniger um das konkrete Gericht, sondern um seine Geschichte, seinen Status und die Beziehung zur Gastgeberin geht. Zwischendurch wird auch über eine korrekte heutige Sprache diskutiert.

Die Runde der Gäste ist klein, es kommen neben dem Partner der Gastgeberin nur ein Ehepaar, das ihr Neugeborenes bei den Großeltern parken konnte, und der Schweizer, dessen Freundin leider zu Hause noch arbeiten muss. Der Algorithmus eines Streamingdienstes liefert die passende Musik, die im Roman stets angeführt wird – hauptsächlich Jazzstandards in ausgesuchten Interpretation.

Mit jedem neuen Anlauf, die Geschichte des Abends zu erzählen, brechen freilich neue Irritationen auf. Ein Senffleck am schwarzen Outfit der Gastgeberin, die Gäste treffen mit zu großer Verspätung ein, weil sie vorher noch in einer Bar waren, wo sie einen Amerikaner und seine Begleitung kennengelernt haben. Die schauen nachher – als die Quiche verspeist ist – auch noch vorbei und verleihen dem Geschehen eine sexuelle Komponente. Alles nur in der Phantasie, oder? Und die Polizisten vom gegenüberliegenden Kommissariat warnen vor einem Wasserrohrbruch statt wie befürchtet einer Ruhestörung nachzugehen. Teresa Präauers „Kochen im falschen Jahrhundert“ ist eine Art soziologische Zustandsbestimmung heutiger Wohlstandsmenschen – mit Vergnügen lesbar und trotzdem – wie die Amerikaner bei üppigen Essen sagen – ziemlich „heavy“. Teresa Präauer wird ihren Roman am 19. Mai bei „Rund um die Burg“ präsentieren.


Teresa Präauer: Kochen im falschen Jahrhundert
Wallstein Verlag
200 Seiten
€ 22,70

Anita Augustin, eine geborene Klagenfurterin, arbeitet seit 25 Jahren als Dramaturgin in verschiedenen Theatern und lehrt als Dozentin an der Freien Universität Berlin. In ihrem bereits dritten Roman mit dem langen Titel „Wie ähnlich ist uns der Zackenbarsch, dieses äußerst hässliche Tier“ geht es um ein zurzeit sehr vieldiskutiertes Thema, nämlich den Missbrauch von Kindern.

Kindesmissbrauch als verstörender Roman – „Wie ähnlich ist uns der Zackenbarsch, dieses äußerst hässliche Tier“ von Anita Augustin

Anita Augustin, eine geborene Klagenfurterin, arbeitet seit 25 Jahren als Dramaturgin in verschiedenen Theatern und lehrt als Dozentin an der Freien Universität Berlin. In ihrem bereits dritten Roman mit dem langen Titel „Wie ähnlich ist uns der Zackenbarsch, dieses äußerst hässliche Tier“ geht es um ein zurzeit sehr vieldiskutiertes Thema, nämlich den Missbrauch von Kindern. Sie wandelt dabei auf einem schmalen Grat, denn ihr Buch ist durchaus unterhaltsam und man kann als Leser durchaus Sympathie für den mutmaßlichen Täter entwickeln.

Gleich zu Beginn verschwindet ein Mädchen, die Nachforschungen der Polizei sind ergebnislos, die Mutter ist natürlich verzweifelt und unternimmt alles, um ihre Tochter zu finden. Schnitt: Wir lernen Viktor kennen, der sich vom Psychiater Frank Hilfe bei seiner Neigung zu minderjährigen Mädchen erwartet. Viktor hat einen schrägen Beruf, er ist Edelkomparse und spielt bei Filmproduktionen stets eine Figur, die ermordet wird. Viktor hat eine anscheinend einfach gestrickte Frau und eine dominante Schwiegermutter, die beide zu Opernaufführungen schleppt. Und er hat eine geheimnisvolle Geliebte, die sich Karl nennt. Wie von Frank aufgetragen führt Viktor ein Tagebuch, in dem er sein wenig aufregendes Leben zwischen Film – langes Warten auf den kurzen Auftritt – und Selbsthilfegruppe von Menschen mit gleichen Neigungen aufzeichnet. Internet ist allen verboten, zu groß ist die Gefahr, dass sie auf einschlägigen Seiten landen. Am Ende wird klar, dass die Geliebte Karl die verzweifelte Mutter ist, die über den Psychiater an den Täter zu kommen versucht.

Augustin webt ein immer verstörenderes Gewebe aus Einsamkeit, frustrierenden Aussichten auf Heilung, skurrilen Mordszenen – alles vor dem Hintergrund eines wahrscheinlich tatsächlich passierten Verbrechens, das freilich nicht gänzlich aufgeklärt wird. Alles mündet schließlich in einem surrealen Fiebertraum.

„Wie ähnlich ist uns der Zackenbarsch, dieses äußerst hässliche Tier“ ist ein Roman, der Leser sehr nachdenklich zurücklässt. 


Wienlive-Autor Otto Brusatti betrachtet den aktuellen Film „Tár“ mit den Augen eines Musikkritikers.

Hochverehrt, diskutiert und beschimpft: Cate Blanchett in Tár

Bild: ©EMJAG Productions, Standard Film Company Inc.

Wienlive-Autor Otto Brusatti betrachtet den aktuellen Film „Tár“ mit den Augen eines Musikkritikers.

Der gegenwärtige, Oscar-verweigerte Hit-Film „Tár“. Gelegentlich schon allzu hoch verehrt, diskutiert, beschimpft (wegen abermals einem Frauen-Schlecht-Machen) etc. (und ungemein lang):

Aber es schmerzt halt, dass in solchen Produktionen, die eigentlich seitens von (hier) Musikspezialisten überwacht werden sollten, so viel Falsches auch vorkommt und die Sache nicht nur unglaubwürdig, sondern auch dilettantisch werden lässt.

Die Hauptdarstellerin kann nicht dirigieren (o.k., es wird halt von einem Monate langen Coachings für ein paar Sekunden Endschnitt geredet), die Frau der Hauptdarstellerin ist auch Konzertmeisterin in einem Spitzenorchester und kann nicht/kaum Geige spielen. Die Management-Vorgänge dort sind, nun sagen wir, ungewöhnlich. Das ganze Dirigentinnenleben spielt sich ab, ohne dass es zu heute selbstverständlichen Einsätzen in unterschiedlichen Produktionen kommt (die an sich scheiternde Frau probt gelegentlich in New York oder in Berlin, mehr nicht). Und sonstiges: Die Kommunikation in heutigen Spitzenmusikanstalten funktioniert mit dem Nachwuchs nie (mehr) so. Probespiele detto. Und so fort (auch die Bezugnahmen auf Mahler und Karajan und Bernstein …).

O.k., ist halt ein Film. 

Aber von den Ansprüchen her, gibt er anderes vor.

Ich weiß: Man sagt dann: Ist doch egal, wer sieht und hört das schon. (N.B. die Frau Tár singt einmal etwas aus der 5. Beethoven vor, um ihre Größe als Interpretin zu beweisen; leider im Musik- und Themenbau völlig falsch.) Aber warum dann überhaupt so ein Anspruch?

Man dreht, im Vergleich, auch keinen aufwändigen Formel-1-Film, wo die Hauptdarstellerinnen erkennbar kaum Autofahren können. Alles ähnelt dem wunderbaren und über-kitschigen Film „Zwischenspiel“ von 1968 mit Oskar Werner.

Aber egal. Der Film ist halt ein wenig romantische Brutalität, Romantik für Harte sozusagen, aber ein Bild über die desidertierte Rolle vom angeblich geradezu parasakramentärem Musizieren 2023.

Allein/und: so denkt man sich, geht es zu in der geheimnisvollen Konzertwelt bei uns.


Drei begabte Frauen in der Provinz – Silvia Pistotnigs Familienroman „Die Wirtinnen“. Ein Buchtipp von Helmut Schneider.

Drei begabte Frauen in der Provinz – Silvia Pistotnigs Familienroman „Die Wirtinnen“

Großmutter Johanna, Mutter Marianne und Tochter Gertrud, gesehen von 1936 bis heute – und alle drei Frauen haben ein großes Talent, das ihnen nicht gegönnt ist, zur Entfaltung zu bringen. Zumal auf dem Land in Kärnten, wo es in der Großfamilie früher sowieso nur ums Überleben gegangen ist. Johannas unglaubliches Geschick für das Orgelspiel verkümmert ebenso wie Mariannes traumwandlerisches Gespür für Zahlen und Mathematik. Und selbst für Gertruds Balltalent ist in den 80er-Jahren noch lange kein Platz. Mädchen gehören am Fußballplatz bestenfalls auf die Tribüne, Frauenfußball ist so interessant wie ein Hockey-Match in Aserbaidschan.

Silvia Pistotnig beweist in ihrem bereits vierten Roman „Die Wirtinnen“ Mut zur großen Geschichte quer durch die heimische Historie. Aufgewachsen in Kärnten lebt sie schon lange in Wien, ihr dritter Roman „Teresa hört auf“ erhielt sehr gute Kritiken – zwischenzeitlich arbeitete sie auch als Redakteurin für „Wien live“. „Die Wirtinnen“ wird in jeweils abwechselnden Kapiteln und bisweilen zwischen den Zeiten springend aus der Perspektive von Johanna, Gertrud und Marianne geschildert – die Jüngste spricht sogar als Ich zu uns. Wir erleben das harte Leben auf dem Land vor dem Krieg – besonders natürlich als fast rechteloses Mädchen. Eine Vergewaltigung – zumal vom eigenen Schwager – ist eine lässliche Sünde, schlimm ist nur, wenn frau keinen Mann abbekommt. Und so feiert Johanna erst spät Hochzeit und hat dann auch gleich ein Wirtshaus zu übernehmen, denn die Männer müssen ja in den Krieg. Als der Gemahl schließlich zurückkommt ist er gebrochen und wird zum Alkoholiker. Das Gasthaus ist für Johanna und später für Marianne niemals Berufung, sondern immer nur Pflicht. Teenager Gertrud findet es sowieso urpeinlich und unbequem. Geschickt hat Pistotnig auch Zeitgeschichte wie die Verbrechen der Nazis in den Roman eingebracht. Einer der Brüder Johannas ist geistig behindert und wird von allen kärntnerisch „Tschoppale“ genannt. Ein Schwager ist SS-Mann, aber auch er kann oder will das – eigentlich von allen geliebte – Kind nicht vor der Euthanasie retten. Jede Familie hat so ihre ganz dunklen Flecken.

Quasi im Zentrum des Romans erleben wir allerdings das Scheitern von Mariannes Ehe in den 90er-Jahren. Ihr Erwin fühlt sich vernachlässigt, weil sie auch nachdem die Kinder Gertrud und Thomas schon älter sind, nie Zeit für ihn hat, sondern andauernd im Gasthaus arbeitet. Das wirft freilich längst nicht mehr genug ab. Die Geschichte ihrer Trennung hat allerdings eine Pointe. Marianne entdeckt just als Erwin weg ist ihre sexuellen Bedürfnisse, schläft wieder mit ihrem bereits in die Stadt gezogenen Geschiedenen und bekommt mit 40 noch ein Kind, das allerdings wieder ein „Tschoppale“ wird. Im letzten Kapitel besucht dann Gertrud quasi in der Gegenwart das von neuen Eigentümern umgebaute Gasthaus.

„Die Wirtinnen“ ist ein Familienroman aus dem Süden Österreichs, das uns die Schicksale von Frauen im Strudel des Alltags näherbring – und darüber hinaus eine kurzweilige aber sicher nicht anspruchslose Lektüre. Am 19. Mai wird Silvia Pistotnig beim Literaturfestival „Rund um die Burg“ zu erleben sein.


Silvia Pistotnig: Die Wirtinnen
Elster & Salis
358 Seiten
€ 24,70

Wie geht es Männern, die wochenlang keine Frauen um sich haben und auch sonst völlig abgeschieden leben müssen? Das fragt sich die Journalistin, Autorin und Ich-Erzählerin in Tabitha Lasleys „Seegang“.

Die Männer auf den Bohrinseln – Tabitha Lasleys „Seegang“

Wie geht es Männern, die wochenlang keine Frauen um sich haben und auch sonst völlig abgeschieden leben müssen? Das fragt sich die Journalistin, Autorin und Ich-Erzählerin in Tabitha Lasleys „Seegang“. Sie verlässt – nachdem ein Romanmanuskript einem Einbruch zum Opfer gefallen ist – ihren Freund, um im schottischen Aberdeen Interviews mit Erdölplattformarbeitern zu führen. Gleich mit dem ersten Interviewpartner geht sie eine Beziehung ein, obwohl der natürlich wie fast alle Offshore-Arbeiter verheiratet ist. Wie sie das Ende der seltsamen Liebe verarbeitet und wie die Stimmung in einer nur durch die Erdölindustrie reich gewordenen Stadt funktioniert – davon handelt dieses Buch, das sich nicht so richtig als Roman titulieren lässt.

Die harte und gefährliche Arbeit auf den Plattformen war lange Zeit noch die einzige Möglichkeit für die Arbeiterklasse in Großbritannien, ein Zipfelchen vom Wohlstand zu erreichen. Mit dem Verfall des Ölpreises sowie der Konkurrenz billiger, rechteloser Arbeitskräfte aus Rumänien stellt sich die Situation heute wieder anders dar. Lasley führte mehr als hundert Interviews in denen sich ihr meist ein ähnliches Bild zeigte. Die Männer, die meist nach drei Wochen Heimurlaub bekommen, wirken völlig entwurzelt und können zu Hause kaum noch Tritt fassen. Der Alkohol – den es auf den Bohrinseln natürlich nicht gibt – beherrscht in Aberdeen den Alltag, man will nachholen, was man versäumt hat. Kaum einer kann sein Familienleben aufrechterhalten.

Die Erzählerin ist mittendrin in dieser seltsamen Gemeinschaft. Da sie ihre Interviewpartner meist in Bars findet, hält sie sich dort öfters auf als ihr guttut. Der unfreundliche Winter von Aberdeen und das schlechte Viertel in dem sie wohnt tun ein Übriges. Am Ende arbeitet sie in einem Schnellimbiss in einer trostlosen Nachbarschaft.

Tabitha Lasleys „Seegang“ ist ein Buch über die Situation der britischen Gesellschaft, man bekommt als Leser auch ein Gefühl dafür, warum der Brexit wohl kein Betriebsunfall der Politik des Landes war.


Tabitha Lasley: Seegang
Aus dem Englischen von Tanja Handels
Luchterhand Verlag
320 Seiten
€ 22,70

Yasmina Reza ist eine der wenigen Autorinnen, die Stücke schreiben, die für Theaterhits gut sind. „Kunst“, „Drei Mal Leben“ oder „Der Gott des Gemetzels“ sind längst Dauerbrenner auf den Bühnen.

Yasmin Rezas „Serge“ Akademietheater

Bild: ©Matthias Horn

Yasmina Reza ist eine der wenigen Autorinnen, die Stücke schreiben, die für Theaterhits gut sind. „Kunst“, „Drei Mal Leben“ oder „Der Gott des Gemetzels“ – letzteres wurde sogar von Roman Polanski erfolgreich verfilmt – sind längst Dauerbrenner auf den Bühnen. Im Akademietheater spielt man jetzt allerdings ihren im Vorjahr erschienenen Roman „Serge“ in einer von Lily Sykes und Andreas Karlaganis hergestellten Bühnenfassung. Und so darf man sich auch nicht wundern, wenn der von Michael Maertens gespielte Jude Jean gleich zu Beginn spricht, obwohl er allein auf der Bühne ist.

Er ist der Erzähler der Geschichte über sich und seinem Bruder Serge (Roland Koch) und seiner Schwester Nana (Alexandra Henkel). Serges Tochter Joséphine (Lilith Häßle) will nach dem Tod ihrer Großmutter nach Auschwitz fahren, denn alle sind ja Nachkommen von Überlebenden der Shoah. Der nicht unproblematische Trip gerät natürlich zur Familienaufstellung. Im Fokus steht – wie im Titel ja schon angedeutet – Serge, dem gerade seine Frau – längst müde von seinen Seitensprüngen – abhandengekommen ist. Er ist der dominantere der beiden Brüder, Jean ist die Duldernatur – er ist emotional nur an den halbwüchsigen Sohn seiner Freundin gebunden. Auch er hat natürlich eine gescheiterte Ehe hinter sich.

In den knapp zweistündigen Abend gibt es viel Emotion zu erleben, eingebettet in jüdischem Humor reiben sich die Figuren aneinander oder schwelgen in Kindheitserinnerungen. Das ergibt in der Regie von Lily Sykes und vor allem durch die Kunst der eingesetzten Schauspielerinnen und Schauspieler – Martin Schwab gibt einen sterbenden Onkel – einen interessanten, kurzweiligen Theaterabend. Wirklich viel haften bleibt aber nicht. Yasmina Reza hat für diesen Stoff sicher nicht zufällig die Romanform gewählt, denn in einem Buch lassen sich einfach besser Stimmungen und Befindlichkeiten unterbringen.

Info: burgtheater.at

Die Berge stellen sozusagen den Battleground der österreichischen Identität dar. Nicht zufällig beginnt ja auch unsere Bundeshymne mit „Land der Berge…“. Und mit Sesselliftbetreibern und Schiverband-Chefs legt man sich besser nicht an, will man hierzulande politisch überleben, –  wie die Pandemie wieder eindrucksvoll gezeigt hat.

Was tun mit den Bergen? – Elfriede Jelineks „In den Alpen“ & Fiston Mwanza Mujilas „Après les Alpes“ im Volkstheater

Bild: ©Marcel Urlaub

Die Berge stellen sozusagen den Battleground der österreichischen Identität dar. Nicht zufällig beginnt ja auch unsere Bundeshymne mit „Land der Berge…“. Und mit Sesselliftbetreibern und Schiverband-Chefs legt man sich besser nicht an, will man hierzulande politisch überleben, –  wie die Pandemie wieder eindrucksvoll gezeigt hat. Als im Jahr 2000 155 Menschen in einer Gletscherbahn in Kaprun hilflos verbrannten, war nachher niemand schuld – es gab nur Freisprüche. Elfriede Jelinek verarbeitete die Katastrophe in ihrem 2002 uraufgeführten Stück „In den Alpen“. Das Volkstheater spielt dieses jetzt mit Fiston Mwanza Mujilas „Après les Alpes“ – einem Auftragswerk des Theaters – an einem Abend. Claudia Bossard hat die beiden schwer zu fassenden Stücke inszeniert.

Jelinek lässt dabei die Toten auftreten und Klage führen. Das Grauen wird mittels eines Kindes und eines Schilehrers ausgebreitet. Hinter einer Glaswand schwebt ein um sich selbst kreisenden riesiger Meteor – eine täuschend echte Projektion. Natürlich steht der Massentourismus am Pranger und die „gute“ österreichische Tradition der Leugnung von Verantwortung. Schuld hatte nur ein kleiner Heizstrahler, der laut Bedienungsanleitung gar nicht hätte eingebaut werden dürfen.

Fast nahtlos geht Jelineks Stück dann in die Uraufführung von Fiston Mwanza Mujilas „Après les Alpes“ über – es gibt keine Pause, lediglich die Bühnenarbeiter tragen immer mehr Teile der Kulisse weg. Fiston Mwanza Mujila ist gebürtiger Kongolese, lebt und arbeitet aber schon seit 2009 in Graz. Im Zentrum seines Textes steht die Umwandlung der Alpen in ein Bergbaugebiet – denn der Tourismus ist aufgrund des Schneemangels schon längst perdu. Warum sollen nur im „globalen Süden“ Kinder im Bergwerk schuften? Julia Franz Richter spielt in barocker Robe die exaltierte Frau Gartner mit ihren kruden Nachnutzungsphantasien. Daneben agieren Anna Rieser, Uwe Rohbeck, Christoph Schüchner und Stefan Suske engagiert spielend auf der Bühne. Nick Romeo Reimann setzt eine eindrucksvolle Schlusspointe, indem er aus großer Höhe immer wieder von einer Flugzeugtreppe auf dicke Matten springt.

Ob dieser nicht leicht konsumierbare Abend Publikum anlocken kann, wird sich zeigen.


Infos & Karten: volkstheater.at

Seit dem Booker-Preis 2019 für „Girl, Woman, Other“ ist die britische Schriftstellerin Bernardine Evaristo ein Literaturstar. Jetzt bringt der Tropen-Verlag ihren bereits 2013 erschienenen Roman über einen aus der Karibik stammenden Mann, der seine Homosexualität fast sein ganzes Leben in einer Ehe versteckt hat, heraus.

Liebende Männer & Väter – Bernardine Evaristos Roman „Mr. Loverman“

Seit dem Booker-Preis 2019 für „Girl, Woman, Other“ ist die britische Schriftstellerin Bernardine Evaristo ein Literaturstar. Jetzt bringt der Tropen-Verlag ihren bereits 2013 erschienenen Roman über einen aus der Karibik stammenden Mann, der seine Homosexualität fast sein ganzes Leben in einer Ehe versteckt hat, heraus. Denn in seiner Community ist gay noch immer ein schlimmes Schimpfwort und geoutete Männer persona non grata – auch wenn längst alle Bekannten in London leben. Der gutaussehende Barrington Jedidiah Walker ist zu Beginn der Geschichte schon im Pensionsalter. Durch kluge Immo-Geschäfte reich geworden, könnte er mit seiner Frau Carmel den Ruhestand genießen, denn die beiden Töchter sind längst außer Haus. Doch Carmel ist furchtbar eifersüchtig und unterstellt ihm – natürlich völlig grundlos – Frauenbekanntschaften, während er längst ein Doppelleben mit seinem Lebensfreund Mike, den er bereits seit Kindertagen in der Karibik kennt, führt. Mike wurde von seiner Frau in flagranti erwischt und ist daher längst solo. Auch er hatte aus Gründen der Tarnung geheiratet. Die Spannung erhält der Roman dadurch, dass Barrington jetzt Mike verspricht, sich von Carmel zu trennen und mit ihm zusammenzuleben. Doch gerade jetzt stirbt Carmels Vater, ein ehemals furchtbar brutaler Despot und Frauenschläger und sie fliegt zur Beerdigung. Und da muss Barrington auch noch auf seinen halbwüchsigen Neffen aufpassen, weil auch seine Tochter zur Beerdigung anreisen will. Zwischendurch sind aber immer Kapitel in der 2. Person singular zu lesen, die Carmels Position verständlich machen. Sie ist keineswegs nur die ständig keppelnde Hausfrau. Sogar ein Liebhaber taucht auf und man denkt sich als Leser, warum sie sich nicht endlich ausgesprochen haben.

„Mr. Loverman“ ist ein wunderbar lesbarer Roman über den noch immer bestehenden Mangel an Akzeptanz für andere Lebensformen abseits der Mehrheitsgesellschaft. Dabei ist Barrington keineswegs political correct, wie sich in den vielen witzigen Dialogen mit seinem Freund Mike herausstellt. Evaristo schreckt dabei auch nicht vor Schwulenklischees zurück – Barrington und Mike tragen Maßanzüge mit Schnitten aus den 50er-Jahren und machen damit in der Londoner Gesellschaft mächtig Eindruck. Auch sonst genießen sie das Leben in vollen Whiskey-Schlucken. Am Ende kommt es dann mit Carmel dann aber anders als gedacht.


Seit dem Booker-Preis 2019 für „Girl, Woman, Other“ ist die britische Schriftstellerin Bernardine Evaristo ein Literaturstar. Jetzt bringt der Tropen-Verlag ihren bereits 2013 erschienenen Roman über einen aus der Karibik stammenden Mann, der seine Homosexualität fast sein ganzes Leben in einer Ehe versteckt hat, heraus.

Bernardine Evaristo: Mr. Loverman
Aus dem Englischen von Tanja Handels
Tropen Verlag
334 Seiten
€ 24,80

Die 1976 in Sevilla geborene Autorin Sara Mesa ist in Spanien eine vielbepreiste Autorin und ihr Roman „Eine Liebe“ wurde zu einem Bestseller.

Flucht in die spanische Provinz – Sara Mesas verstörender Roman „Eine Liebe“

Die 1976 in Sevilla geborene Autorin Sara Mesa ist in Spanien eine vielbepreiste Autorin und ihr Roman „Eine Liebe“ wurde zu einem Bestseller. Er beginnt ganz harmlos mit einem Topos – Frau aus der Stadt zieht, wenn nicht flieht sogar aufs Land, um zu sich zu kommen. In einem herabgekommenen, gemieteten Haus will Nat an einer Übersetzung arbeiten, denn über größere Geldmittel verfügt sie nicht. Doch bald schon stellt sich die Provinz als Gegenteil einer Idylle dar: Ihr Vermieter ist ein ungebildetes Schlitzohr, die Dorfbewohner beäugen sie neugierig, ein nicht unsympathischer Nachbar bietet ihr seine Hilfe an, es ist heiß und als es regnet, stellt sich das Dach als undicht heraus.

Und da wird die Geschichte ungewöhnlich. Ein Außenseiter in der Dorfgemeinschaft, der nur „Der Deutsche“ genannt wird, obwohl er eigentlich aus dem Nahen Osten stammt und nur in Deutschland gearbeitet hat, bietet ihr an, das Dach zu reparieren und das Material zu beschaffen. Allerdings erwartet er dafür eine einmalige sexuelle Gegenleistung – er will „in ihr drinnen“ sein. Nat ist erst empört, kommt dann aber zu ihm und als der Deal vorbei ist, besucht sie ihn ganz freiwillig immer wieder. Mehr noch, sie wird anscheinend emotional und sexuell von ihm abhängig. Und das obwohl der nicht wirklich attraktive Mann nicht gerne spricht und sie als Frau mit Luxusproblemen abtut. Sie war nämlich aus Scham aufs Land geflohen, weil sie aus einer Laune heraus im Büro etwas gestohlen hatte. Als der Diebstahl entdeckt wurde, kam sie zwar mit einer Ermahnung davon, fand aber nicht mehr so recht in ihre Spur.

Als der Deutsche, der in Wirklichkeit ein studierter Ingenieur ist und nur zur Überbrückung als Gemüseerzeuger arbeitete, schließlich mit ihr Schluss macht, ist sie verzweifelt und beginnt sogar ihn zu stalken. Dazu beißt ihr Hund, den sie nur schwer zähmen konnte und den sie doch lieben zu lieben gelernt hatte, dem Kind der Nachbarin ins Gesicht. Er wird von den aufgebrachten Dorfbewohnern erschossen. Doch Mesa lässt die Geschichte ohne weitere Katastrophe ausklingen – Nat zieht einfach ein Dorf weiter weg.

„Eine Liebe“ ist ein verstörender Roman, denn in der aktuellen Prosa sind wir zwar gewohnt, Männern mit all ihren Schwächen und Defiziten zu erleben, während wir für Frauen eher Gründe beschrieben finden, warum sie – wenn sie sich nicht doch noch die Initiative ergreifen – scheitern müssen. Mesa erzählt dabei sehr nüchtern, was diese seltsame Liebe nur noch rätselhafter erscheinen lässt. Wahrscheinlich lohnt sich gerade deswegen die Lektüre.


Die 1976 in Sevilla geborene Autorin Sara Mesa ist in Spanien eine vielbepreiste Autorin und ihr Roman „Eine Liebe“ wurde zu einem Bestseller.

Sara Mesa: Eine Liebe
Aus dem Spanischen von Peter Kultzen
Wagenbach
188 Seiten
€ 23,70