Theaterkritik – „Karoline und Kasimir“ im Volkstheater
Horváths letzte Stunden in Paris
Helmut Schneiders Theaterbesuch: „Karoline und Kasimir – Noli me tangere“ im Volkstheater.
Foto: Marcel Urlaub
Das US-Duo Nature Theater of Oklahoma (Kelly Copper und Pavol Liška) hat sich mit seinen anarchistischen Theaterinterpretationen einen gewissen Ruf erspielt. Dass man die Zuschauer mit einem bekannten Horváth-Stück ins Theater locken wollte, bekennen die beiden Performance-Künstler gleich zu Beginn im lockeren, auf Englisch geführten Dialog. Was soll Theater heute überhaupt noch, wird gestenreich gefragt und dabei gleich eingeräumt: „It could be a big failure – and probably will be. But big!“ Bei soviel Charme verzeiht man den Herren gerne, zumal sie ein sehr einfaches, leicht verständliches Englisch sprechen. Immerhin: Eine Szene aus Horváths Stück bekommen wir ja doch noch zu sehen, wenngleich die Darsteller (hervorragend: Frank Genser, Lavinia Nowak, Julia Franz Richter, Samouil Stoyanov und Jürgen M. Weisert) stumm bleiben und das Drama samt Regieanweisungen nur vorgelesen wird. Das ist zunächst witzig und erfrischend.
Der Hauptteil des mit Pause dreistündigen Abends gilt dann freilich dem Dichter Ödön von Horváth selbst. In verschiedenen Szenen und mit verschiedenen theatralischen Mitteln werden die letzten Stunden des Autors vor seinem Tod in Paris nachgespielt. Horváth wird von Todesahnungen gequält, eine Wahrsagerin hat ihm in Paris etwas Gewaltiges prophezeit, er hofft auf einen Geistesblitz für seinen geplanten Roman „Adieu, Europa“, geht spazieren und muss dringend aufs Klo. Um sich zu erleichtern, sucht er schließlich ein Kino auf, wo gerade Walt Disneys „Schneewittchen und die sieben Zwerge“ gespielt wird. Das gibt dem Ensemble die Gelegenheit, das Märchen voll ironisierend auf blinkenden Rollschuhen fahrend sehr frei zu realisieren.
Später sind wir in einem Straßencafé, wo der Autor den Regisseur Robert Siodmak trifft, um mit ihm über die Verfilmung seines Romans „Jugend ohne Gott“ zu sprechen. In Wirklichkeit quatsch aber fast ununterbrochen seine Assistentin, eine geborene Österreicherin, die eine Rede auf die Verkommenheit der Wiener und deren Besessenheit von ihrer Verdauung hält.
Bis Horváth dann am 1. Juni 1938 bei einem Gewitter auf den Champs-élysées von einem Ast erschlagen wird, ergeben sich noch zahlreiche Möglichkeiten für Tanzeinlagen und Gags. Dem Publikum scheint dieser literatur- und theaterkritische Abend – trotz einiger Leerläufe und Längen – durchaus gefallen zu haben, denn der Premierenapplaus war stürmisch.
KAROLINE UND KASIMIR – NOLI ME TANGERE, Uraufführung nach Ödön von Horváth
Ein Stück von Nature Theater of Oklahoma
Deutsch von Ulrich Blumenbach