WIENschräg Nr. 3

Draniki für Minsk


WIENschräg, der Satireblog von Walter Posch.
Foto: Pixabay


Die österreichische Aussenpolitik ist, so sagt man, abgesehen von ihrer sonstigen Konturlosigkeit seit den Zeiten des Aussenministers Mock vor allem ideologiegetrieben und weniger abgeklärt vernünftig, wie man es von einem immer noch neutralen Staat erwarten könnte.

Zwischen hehren demokratischen Zielen und geschäftspolitischen Interessen oszilliert sie insbesonders in den Satellitenstaaten der ehemaligen Sowjetunion je nach Opportunität und internationaler Gemengelage.

So begab es sich, dass kürzlich eine internationale Belaruskonferenz in Wien stattfand, an der sich alle EU-Aussenminister online beteiligten mit Ausnahme Portugals, Spaniens, Frankreichs, Italiens, Maltas, Irlands, Belgiens, der Niederlande, Luxemburgs, Dänemarks, Schwedens, Finnlands, Lettlands, Litauens, Rumäniens, Bulgariens, Griechenlands, Zyperns, Kroatiens, Tschechiens und Ungarns beteiligten, also eigentlich ohnehin fast alle.

Nun ist der seinerzeit mit 80% gewählte weissrussische Präsident Lukaschenko gewiss nicht zimperlich im Umgang mit Opposition und vermutlich etwas übertrieben erfahren in Fragen von Wahlmanipulation, weil sonst hätten ihm 50% der Stimmen auch gereicht, zumal die mit 9% unterlegene Demokratin Tichanowskaja auch unter fairen Bedingungen wohl kaum Präsidentin geworden wäre.

Insofern verdient es Beachtung, dass die mittlerweile im litauischen Exil lebende Demokratin sich gerade Österreich ausgesucht hat, wo Wahlmanipulationen eigentlich fast überhaupt nicht, und wenn dann nur sehr diskret, vorkommen, um für einen „echten“ Dialog zwischen dem Westen und den Menschen in Belarus zu werben.

Der ehemalige Aussenminister Schallenberg und der derzeitige Linhart nicken zustimmend, zumal sie, persönlich integer und über jeden Verdacht erhaben, schon erkannt haben, dass die gegenwärtige Migrationskrise an der belarussischen Grenze zur EU einer Revision der österreichischen Aussenpolitik bedarf, zumal die Erfahrungen mit der Ukraine gelehrt haben, dass Demokratie nur beschränkt gut ist, wenn die OMV etwa gemeinsam mit einem internationalen Konsortium unter der Führung der am noblen Wiener Schwarzenbergplatz residierenden russischen Gazprom gerade eine Pipeline durch die Ostsee baut, sehr zum Ärger des US-amerikanischen Konkurrenten und der solcherart um die Früchte des russischen Erdöls gebrachte Ukraine.

Auch das nicht unbedeutende Deutschland und das von der EU-Kommission heftig gescholtene Polen ignorieren inzwischen die von den Demokratie-Expert*innen der EU-Technokratie lancierten Sanktionen gegen Belarus völlig und treiben schwunghaften Handel, immer auch ein Auge auf die stacheldrahtbewehrte Grenze im Osten gerichtet.

Sogar die bedächtige Angela Merkel soll von den Störfeuern der EU-Kommission schon ziemlich genervt gewesen sein, bevor sie sich, mit einem Gläschen Krimsekt bei ihrem Kumpel Wladimir auf die Fertigstellung von Northstream 2 anstossend, in den wohlverdienten Ruhestand begab.

Solcherart nachdenklich geworden, stimmen die beiden Spitzendiplomaten Schallenberg und Linhart einer Änderung der österreichischen aussenpolitischen Linie zu und organisieren löblicherweise in der Diplomatischen Akademie in Wien für 15 junge Menschen aus der belarussischen Diaspora das Trainingsprogramm „Draniki für Minsk“ zu den Themen Diplomatie, Recht und Rechtsstaatlichkeit, an dem angeblich auch der ehemalige österreichische Bundeskanzler Kurz als Gasthörer teilnehmen soll.

Und kaum war die neue Strategie umgesetzt, waren die beiden im allgemeinen Kommen und Gehen ihre Posten wieder los, lacht der grimmige Autokrat in Minsk.


Buchtipp – Bernhard Schlink, Die Enkelin

Bei den Völkischen


Helmut Schneiders Buchtipp: Bernhard Schlinks „Die Enkelin“.


Bernhard Schlink gelang etwas, das deutsch geschriebener Literatur nur selten gelingt, nämlich 1995 mit „Der Vorleser“ ein absoluter Weltbestseller. Trotzdem blieb der 1944 geborene Deutsche seinem eigentlichen Beruf – Verfassungsrichter – treu. Literarisch behandelt Schlink vor allem deutsche, zeithistorische Themen. So auch in seinem neuesten Roman „Die Enkelin“.

Im Zentrum steht der Berliner Buchhändler Kaspar, dessen Frau Birgit sich gerade das Leben genommen hat. Erst jetzt – mit Mitte 70 – erfährt er aus ihren zurückgelassenen Aufzeichnungen, was vielleicht ihre gesamte Ehe belastet hatte. Birgit war nämlich immer unzufriedener geworden und hatte sich mehr und mehr mit Sekt und Wein getröstet, wenn nicht betäubt. Die beiden hatten sich 1964 in Ostberlin kennengelernt und da Birgit nicht wollte, dass er in den Osten übersiedelt, organisierte er ihre Flucht mit gefälschten Papieren über Prag und Wien nach Berlin. Was Kaspar aber erst jetzt erfährt: Birgit war schon von einem Mann, den sie mehr und mehr verabscheute, schwanger gewesen und ließ ihre neugeborene Tochter zurück. Und jetzt bringt Kaspar schließlich jenen Mut auf, der Birgit gefehlt hatte und macht sich in der heutigen Gegenwart auf die Suche nach dieser Tochter.

Er findet die vormals Drogensüchtige in einem Dorf nahe Güstrow, also im ehemaligen Osten, und in einer Gemeinschaft von völkischen, deutschnationalen Siedlern. Das Misstrauen ist natürlich gegenseitig, aber als Kaspar seine 14-jährige Stiefenkeltochter Sigrun kennenlernt, beschließt er zu versuchen, sie irgendwie aus diesem Milieu zu „retten“. Durch finanzielle Zuwendungen an die Familie erkauft sich Kaspar einige Aufenthalte seiner Enkelin in seiner großen Wohnung in Berlin. Sie gehen gemeinsam ins Konzert, ins Museum, in seine Buchhandlung und in Restaurants – alles Premieren für die völkisch erzogene Sigrun. Aber wie wird das Mädchen auf dieses Übermaß an internationaler – „undeutscher“ –Kultur reagieren?

Schlinks neuer Roman liest sich spannend, das Thema der deutschnationalen Siedler, die im Osten Bauernhöfe aufkaufen, Julfeiern und deutsche Feste abhalten, mutig. Wieweit diese Szene authentisch beschrieben wird, lässt sich schwer sagen – insgesamt kommt sie mir aber etwas zu harmlos vor. Vor allem der Ausländerhass scheint zu wenig präsent, auch wenn natürlich der Kebab-Stand am Ortsrand abgefackelt wird. Schlinks Abrechnung mit den Deutschnationalen ist aber auf jeden Fall äußerst kurzweilig und legt den Finger in eine große Wunde in unserem Nachbarland.


Bernhard Schlink: Die Enkelin
Diogenes
ISBN: 978-3-257-07181-8
380 Seiten
€ 25,70

Buchtipp – Marente de Moor, Phon

In den verlassenen Wäldern Russlands


Helmut Schneiders Buchtipp diese Woche: Marente de Moors Roman „Phon“.


So geht zoologische Forschung wohl eher nicht. Als die Sowjetunion zerfällt und die Gegend um die Station nicht weit von Lettland entfernt sich nach dem Niedergang einer Batteriefabrik entvölkert, nimmt das Forscherpaar Nadja und Lew Praktikantinnen und Praktikanten auf, die ihnen für viele Dollars die Drecksarbeit machen sollen. Russische Waldromantik inbegriffen. Am besten geht das Geschäft, wenn sie verwaiste Bärenjunge aufziehen, die ihnen ein örtlicher Krimineller zuverlässig liefert. Dass dafür die Bärenmutter abgeknallt werden muss, wollen sie nicht so genau wissen.

Im Roman „Phon“ erzählt das alles Nadja völlig illusionslos, aber keineswegs unpoetisch im Rückblick. Wir schreiben inzwischen 2016 und Lew wird mehr und mehr dement. Er hört ohrenbetäubend laute Geräusche am Himmel – oder gibt es die wirklich?

Doch das Unglück hat natürlich schon viel früher begonnen. Etwa als Nadja erkennen muss, dass Lew auch von anderen Frauen attraktiv gefunden wird und deren Wünschen nicht abgeneigt ist. Sie tröstet sich mit reichlich Wodka. Und dann gerät auch noch die von ihr vergötterte Tochter in St. Petersburg ins Drogenmilieu, während der phantasielose Sohn nach dem Militärdienst Geschäfte mit der Mafia organisiert. Am Ende passiert auch noch ein schlimmer Unfall mit einem Bärenjungen – ausgerechnet als eine Niederländerin, die Lem schöne Augen macht, da ist.

Die 1972 geborene niederländische Schriftstellerin Marente de Moor – Tochter der Erfolgsautorin Margriet de Moor – lebte nach dem Studium als Korrespondentin für niederländische und russische Medien in St. Petersburg. Längst hat sie sich aber als Autorin etabliert, ihr voriger Roman „Aus dem Licht“ wurde viel gelobt.

„Phon“ liest sich nun streckenweise wie eine realistische Dystopie, doch Erzählerin Nadja kann durchaus einen oft bitteren Humor anbieten, der das Düstere dann wieder interessant macht. Außerdem weiß man nie, ob sie sich Geschichten einfach zurechterzählt, wie das das gute Recht jeder Erzählerin ist. Da kommt etwa ab und zu ein Pope zu ihr, um Essen und Wodka abzustauben, die Stromrechnung ist astronomisch obwohl man außer für die Wasserpumpe kaum etwas braucht und sogar die zwei Polizisten, die bei ihr nachschauen als sie den kurzfristig einmal verschwundenen Lem sucht, haben etwas Unwirkliches. Ein Roman aus der Wildnis.


Marente de Moor – „Phon“ liest sich streckenweise als Dystopie, doch Erzählerin Nadja macht das Düstere durch bitteren Humor interessant.

Marente de Moor: Phon
Aus dem Niederländischen von Bettina Bach
Hanser Verlag
336 Seiten
ISBN: 978-3-446-27081-7
€ 24,70

Buchtipp: Stephan Thome, Spielball der Mächte

Spielball der Mächte


Stephan Thomes Familienroman „Pflaumenregen“ im Buchtipp von Helmut Schneider.


Über Taiwan wissen die meisten nur, dass es gerade wieder massiv von China beansprucht wird und jene Insel ist, auf die sich der Diktator Chiang Kai-Shek nach seiner Niederlage gegen Mao zurückgezogen hat. Erst 1987 wurde der Ausnahmezustand beendet, erste freie Wahlen gibt es seit 1996. Taiwan ist nicht einmal halb so groß wie Österreich, hat aber fast 24 Millionen Einwohner.

Der immer wieder auch in Taipeh lebende deutsche Schriftsteller Stephan Thome legt nun einen Familienroman vor, der uns die wechselvolle Geschichte Taiwans nahebringt. In „Pflaumenregen“ ist die Insel zunächst noch fest in japanischer Hand, denn erst die Niederlage Japans im 2. Weltkrieg beendete die 50jährige Herrschaft des Tennō. Hauptfigur ist die kleine Umeko, die alles Japanische und ihren Bruder, den Baseball-Star der Schule, verehrt. Die Idylle – ihr Vater arbeitet gut bezahlt als Personalchef der Goldmine – bekommt Risse, als im Krieg die ersten englischen und amerikanischen Gefangenen eintreffen, die als Zwangsarbeiter schuften müssen. Man glaubt aber noch an einen schnellen Sieg Japans und die Feinde werden als Teufel dargestellt, vor denen man sich fürchten muss. Wenige Jahre später werden die Amerikaner als Befreier begrüßt, aber letztendlich kommen die Festlandchinesen und richten 1947 ein Massaker unter der einheimischen Bevölkerung an. Die neuen Feinde werden schließlich die Kommunisten, die meist nur als Banditen bezeichnet werden. In diesen politischen Verwerfungen ist es fast unmöglich, sich aus der Politik rauszuhalten wie es Umekos Vater versucht. Umeko muss jetzt einen chinesischen Namen tragen und wiederum die Sprache der Besatzer lernen und ihr Bruder, der nur harmlos mit ein paar Mitstudenten über Bücher reden wollte, wird verhaftet und zu jahrelanger Zwangsarbeit verurteilt. Sehr viele andere verschwinden einfach von einem Tag auf den anderen.

Thome hat geschickt die Story in eine zweite Handlung integriert, die heute spielt. Umeko ist jetzt eine Greisin und ihr in den USA lebender Sohn Harry plus Enkel Paul besuchen sie zu ihrem Geburtstag. Harry ist Historiker und überlegt, eine Familiengeschichte zu schreiben. Positiv fällt auf, dass in diesem Buch fast alle Figuren ihre Licht- und Schattenseiten haben. Selbst Umeko hat als übereifriges propagandagläubiges Mädchen einen Obdachlosen angeschwärzt. Auch Fremdherrschaft wird nicht undifferenziert verteufelt – die Japaner brachten sehr viel Kultur und Stabilität auf die Insel, die sie wirtschaftlich natürlich ausbeuteten. „Pflaumenregen“ ist ein wunderbar nuancierter Familienroman, der nicht nur spannend zu lesen ist, sondern uns viel über die Machtverhältnisse in Asien erzählt.


Stephan Thome: Pflaumenregen
Suhrkamp Verlag
524 Seiten
ISBN: 978-3-518-43011-8
€ 25,95

Buchtipp: Johanna Adorján, Ciao

Alter, weißer Mann in Nöten


Helmut Schneiders Buchtipp: Johanna Adorjáns Journalismussatire „Ciao“ über einen alten, weißen Mann in Nöten.


Früher nannte man Journalisten wie ihn „Edelfeder“, heute kämpft Hans Benedek – im Feuilleton einer großen deutschen Zeitung angestellt – mit von der Geschäftsstelle abgelehnten Mittagessenabrechnungen, plötzlichen Fallstricken wie kulturelle Aneignung und dem Gendern. Da bringt ihn seine Frau, die vor Jahren einen Lyrikband mit dem Titel „Frau mit Hut“ geschrieben hat, auf die Idee, einmal etwas über eine junge Influencerin und Feminist*in zu schreiben. Kann ja nicht schaden, einmal in der Redaktionskonferenz ein neues, cooles Thema vorzuschlagen statt dauernd über Andy-Warhol-Ausstellungen zu schreiben. Aber dort wird er – schließlich ist das ein Frauenthema – schon dazu angehalten, seine Praktikantin Niki mitzunehmen mit der er freilich sowieso ein Verhältnis hat. Dass das schief gehen muss, weiß man natürlich da schon, die Spannung dieser Satire besteht darin, herauszufinden wie.

ABSCHIED

Johanna Adorján, 1971 in Stockholm geboren und in München aufgewachsen, weiß wovon sie schreibt, denn sie arbeitet seit Jahrzehnten im deutschen Journalismus. Die Schilderungen von Sitzungen und den Sparmaßnahmen in der Branche wirken auch durchaus real und machen einen Gutteil des Vergnügens aus, dieses Buch zu lesen. Sie schafft es auch, Verständnis für ihre Figuren aufzubringen – Hans und die Influencerin Xandi Lochner kommen übrigens aus Österreich, ein dezenter Hinweis auf eine von manchen deutschen Kollegen als störend empfundene kulturelle Aneignung. Zwar desavouiert die auch nicht so wirklich sympathisch gezeichnete Xandi dann mit Killerinstinkt noch vor dem Treffen mit Hans einen alternden deutschen Talkmeister vor laufender Kamera, der Fauxpas den Hans begeht, ist allerdings nicht so groß. Statt ein sachlich professionelles Gespräch mit ihr zu führen, landen beide nach einem Barbesuch in seinem Hotelzimmer, viel mehr als ein – durchaus von beiden gewollter – Kuss passiert dort aber nicht. Trotzdem findet sich Hans danach auf Instagram wieder und versteht die Welt nicht mehr. Der Titel des Buches „Ciao“ verweist auf das Abschiednehmen von einer Welt, in der alles noch einfacher war.


Johanna Adorján: Ciao
Kiepenheuer & Witsch
270 Seiten
€ 20,60
ISBN: 978-3-462-00171-6

Theaterkritik – Blade.Unwichtig im Off-Theater

Fotzi, Hasi, Schweindi und die Androiden


Blade.Unwichtig im Off-Theater. Eine Theaterkritik von Helmut Schneider.
Fotos: Günter Macho


Seit zehn Jahren kreuzt Regisseur Ernst Kurt Weigel und sein bernhard.ensemble Dramenklassiker von Nestroy bis Soyfer mit kultigen Hollywoodfilmen. Er nennt das Mash-up. Die neue Produktion „Blade.Unwichtig“ bringt jetzt eine Vermischung von Ridley Scotts 1982 herausgekommenem Welterfolg „Blade Runner“ mit Werner Schwabs knapp eine Dekade später uraufgeführtem „ÜBERGEWICHT, unwichtig: UNFORM“.

Das beste aus zwei Welten

Im Off-Theater in der Kirchengasse, mitten im 7. Bezirk, gibt es sozusagen das Beste aus zwei Welten auf zwei Stunden (mit Pause). Und das ist durchaus unterhaltsam und teilweise auch anregend. Mit nur sechs Performern (Kristina Bangert, Yvonne Brandstetter, Sophie Resch, Kajetan Dick, Gerald Walsberger und Ernst Kurt Weigel) findet da in einer steirischen Wirtshauswelt eine Zukunftshölle statt. Der Androidenjäger ist gleichzeitig ein original Tschecherant und Frauenschläger, seine Geliebte gleichzeitig Thekenschlampe und künstlicher Mensch. Aber auch sonst bevölkert das Schwabsche Universum illustres Personal – ein dicker Fresser, genannt Schweindi, seine Anvertraute Hasi und die Prostituerte Fotzi. Der Kellner ist in der Welt der Zukunft dann der Mechaniker, der die Augen der Androiden konstruiert hat. Was alle verbindet: Irgendwann müssen sie aufs Klo und wir fragen uns ob wir je einen Science-Fiction-Film gesehen haben, in dem dieses nicht nur menschliches Bedürfnis thematisiert oder gezeigt worden ist.

„Blade.Unwichtig“ ist mehr Wirtshaus als Raumschiff und das ist vielleicht auch gut so, denn manche der Sprachtiraden von Werner Schwab können uns auch heute noch ganz schön nahegehen.


Blade.Unwichtig im Off-Theater
Regie und Konzept: Ernst Kurt Weigel
Spielzeit:
Bis 7. Dezember 2021 – Zu den Terminen

Theaterkritik – „Stadt der Affen“ im Kasino des Burgtheaters

Nachdenken über Sprache


Die „Stadt der Affen“ im Kasino des Burgtheaters. Eine Theaterkritik von Helmut Schneider.
Fotos: Karolina Miernik


Als Wissenschaftler bewiesen, dass man Affen Gebärdensprache beibringen kann, war das ein großer Durchbruch bei der Anerkennung von „Menschenrechten“ für Affen. Gleichzeitig wird aber leider immer noch oft Gebärdensprache als „Affensprache“ verunglimpft. Viel Unwissenheit herrscht da in der Bevölkerung – und das, obwohl Gebärdensprache in Österreich von etwa 10.000 Menschen eingesetzt wird. Die belgische Regisseurin Lies Pauwels diskutiert nun im Burgtheater-Kasino am Schwarzenbergplatz gemeinsam mit gehörlosen Laien- und professionellen Schauspielern (Stefanie Dvorak, Max Gindorff, Ruben Grandits, Wesal Jahangiri, Hans Dieter Knebel, Julia Oberroithmair und Habib Teamori) über die verschiedenen Ebenen von Sprache und die Situation von Gehörlosen.

Gleich zu Beginn klärt ein Gehörloser mittels Spruchband darüber auf, dass es ihm leid tue, gehörlos zu sein. Der Abend ist freilich der Beweis, dass es ihm gar nicht leid tun muss. Die Darsteller kommunizieren nämlich mittels verschiedener Mittel – Tanz, Bewegungen, Schrift – durchaus gut miteinander. Pauwels hat für ihren 100-minütigen Abend da einiges auf Lager – von Reden ans Publikum bis zu abwechslungsreichen Spielen um Vertrauen zu schaffen. Für das zum Teil auch gehörlose Publikum wird alles Gesprochene auf Übertiteln in Deutsch und Englisch angeboten. Auch viel Musik wird angespielt – das mag seltsam klingen für Gehörlose, aber gewisse Schwingungen lassen sich wohl auch mit dem Körper erfahren. Angesprochen werden aber auch Übergriffe, denen gehörlose Frauen ausgesetzt sind, weil angenommen wird, sie könnten sich schwerer dagegen wehren. Und genüsslich werden auch alle unsere Affen-Klischees zerlegt – von Cheetah über King Kong bis zu Planet der Affen. Ein stimmiger Theaterabend.

Termine:
www.burgtheater.at


Stadt der Affen (City of Apes) im Kasino des Burgtheaters
Konzept, Text und Regie Lies Pauwels Bühne und Kostüm Johanna Trudzinski Licht Norbert Gottwald Dramaturgie Felicitas Arnold , Tobias Herzberg mit Stefanie Dvorak , Max Gindorff , Ruben Grandits , Wesal Jahangiri , Hans Dieter Knebel , Julia Oberroithmair , Habib Teamori

Buchtipp – Phil Klay, Den Sturm ernten

Das Gesicht des modernen Krieges


Phil Klay und sein Kolumbien-Roman „Den Sturm ernten“. Ein Buchtipp von Helmut Schneider.


Der klägliche Rückzug der Amerikaner aus Afghanistan wurde jetzt täglich berichtet und kommentiert. Wie sich dieser Krieg tatsächlich angefühlt hat, davon bekommt man nach der Lektüre von Phil Klays Roman „Den Sturm ernten“ zumindest ein Gefühl, denn das Thema des US-Amerikaners ist die moderne, hochtechnologische Kriegsführung mit Kriegsmaterial aus aller Welt – eingesetzt in Staaten, die kaum ihre Bürger ernähren geschweige denn ausbilden können. Klay war selbst US-Marine und wurde 2014 mit seinem Kurzgeschichtenband „Wir erschossen auch Hunde“ berühmt. Der Mann weiß also, wovon er erzählt, aber eben nicht nur das: „Den Sturm ernten“ ist ein packender Roman, emotional aufgeladen, aber ziemlich unkitschig erzählt. Zynismus klingt nur manchmal an, etwa wenn er berichtet, wie viel hochtechnisches Know-How, Präzision und internationale Militärtechnologie nötig ist, um ein paar Menschen zu töten, die nicht einmal eine Glühbirne zusammenbauen könnten.

Im ersten Teil lässt Klay seine vier Hauptpersonen – einen kolumbianischen Militär, eine amerikanische Kriegsreporterin, einen US-Elite-Soldaten und einen zum Paramilitär gezwungenen Jungen auf verschiedenen Zeitebenen in der Ich-Form erzählen. Im zweiten Teil wird dann auktorial von einem Zwischenfall kurz vor der Abstimmung über den Friedenvertrag mit den Farc-Rebellen 2016 berichtet. War die Lage im Irak und in Afghanistan schon kompliziert, ist sie in Kolumbien bereits seit den 60er-Jahren völlig unübersichtlich. Die arme Landbevölkerung wird sowohl von den Rebellen, als auch von den Paramilitärs geschunden und ausgebeutet. Das Militär ist selbst korrupt und überhaupt nicht in der Lage, einzelne Gebiete zu befrieden. Dazu kommen natürlich auch noch die spätestens durch die Netflix-Serie berühmt gewordenen Narcos, die vielfach die einzige Einnahmequelle für die Bauern – den Coca-Anbau – garantieren. Die USA unterstützen großzügig die Militärs, vor allem mit Hochtechnologie, bilden Kampftruppen aus aber legen großen Wert darauf, selbst keine Menschen zu töten. Klay schildert das Schlamassel eindrucksvoll aus der Sicht eines Jungen, der seine Familie verliert und dann völlig mittellos vor der Entscheidung steht, für die Mörder seiner Eltern zu arbeiten oder umgebracht zu werden.

Der Hauptplot dreht sich dann allerdings um die quasi ungeplante Entführung der Reporterin, die eine Kettenreaktion auslöst. Ein widerlicher Konflikt, bei dem es keine Sieger geben kann und bei dem aber auf jeden Fall immer die Armen verlieren. Fürsie ist es egal, wer sie unterdrückt, Ungerechtigkeiten sind sie seit Jahrzehnten gewohnt, Hauptsache es herrscht eine minimale Ordnung, denn in der Anarchie sterben noch mehr Menschen. Thomas Hobbes „Leviathan“ lässt grüßen. Klay schafft es in diesem wirklich lesenswerten Roman, sogar noch für den größten Verbrecher ein bisschen Empathie aufzubringen. Sein Feind sind wohl jene Staaten – und das sind fast alle –, die die tödlichsten Waffen an Länder ausliefern, die keinen Gedanken an Menschenrechte verschwenden.


Phil Klay: „Den Sturm ernten“. Aus dem Englischen von Hannes Meyer, Suhrkamp
496 Seiten, € 25,70
ISBN: 978-3-518-43003-3

Theaterkritik – Einsame Menschen, Gerhart Hauptmann Volkstheater

Umbruchszeiten – Gerhard Hauptmann im Volkstheater. Eine Theaterkritik von Helmut Schneider.
Foto: Nikolaus Ostermann/Volkstheater


Im Wiener Volkstheater inszenieren Jan Friedrich und Kay Voges Gerhard Hauptmanns 1891 uraufgeführtes Drama „Einsame Menschen“.  Das Bühnenbild besteht aus einer fast leeren Bühne mit Stühlen und zwei gezeichneten Händen, dafür aber mit umso mehr bodennahem Theaternebel, durch den die Darsteller waten. Wir erleben dabei den inneren Kampf des Gelehrten Johannes (Nick Romeo Reimann) um Anerkennung und Liebesglück. Seine Frau Käthe (Anna Rieser) ist ihm da freilich mehr im Wege, sucht er doch eine neue Form von Zusammenleben mit der Studentin Anna (Gitte Reppin). Das kann nicht gut gehen, zumal er einen kleinen Sohn hat, wissenschaftlicher Erfolg ausbleibt und er finanziell noch immer von seinen Eltern –  Mutter (Anke Zillich), Vater (Stefan Suske) – anhängig ist. Als Korrektiv eignet sich Johannes Malerfreund Braun (Claudio Gatzke) auch nur bedingt. Eine Welt im Umbruch zeigt sich vor allem auch im Privaten.

Gespielt wird so, dass die Sprengkraft, die Hauptmanns Text bei seiner Uraufführung zweifelsohne hatte, auch heute spürbar wird. Die durchwegs starken Schauspielerinnen und Schauspieler übertreiben gekonnt, zu Beginn („Elenor Rigby“ von den Beatles) und am Ende (Nina Simones „Sinnerman“) werden die Gefühle mit Populärmusik verstärkt. Die Dramaturgie kann über volle zwei Stunden Spannung halten. Die bisher gelungenste Aufführung im Volkstheater unter Kay Voges. Dass die Plätze bei der Premiere nur etwa zur Hälfte gefüllt sind, ist schade, zumal wohl nicht zur Gänze der Pandemie geschuldet.


Einsame Menschen im Volkstheater

7.11.2021 – 19.30 Uhr

18.11.2021 – 19.30 Uhr

21.11.2021 – 18.00 Uhr

Buchtipp – Antje Rá, Blaue Frau

Der Roman, der den Deutschen Buchpreis gewann


Der Roman, der den Deutschen Buchpreis gewann – Antje Rávik Strubel: „Blaue Frau“. Ein Buchtipp von Helmut Schneider.


Harrachov im tschechischen Riesengebirge, Berlin, ein deutsches Nest an der Grenze zu Polen und Helsinki – das sind die Schauplätze an denen die 1974 in Potsdam geborene Autorin Antje Rávik Strubel ihre Protagonistin mit mehreren Namen – Adina, Sala und im Netz nennt sie sich „Letzter Mohikaner“ – schickt. So richtig wohl fühlt sie sich am ehesten noch im Berlin, wo sie freilich eine Fotografin kennenlernt, die sie in die feministische Bohéme einführt, sie ziemlich sicher aber auch verführen will. Schon in ihrem tschechischen Heimatort wurde Adina im Job beim Aprés Ski von deutschen Schifahrern belästigt, weil sie Minderjährigen keinen Alkohol ausschenken wollte. Ihr Martyrium, um das das ganze Buch kreist, erlebt sie dann auf einem deutschen Schloss mitten im Wald, wo sie vom Besitzer an einen Investor als Sexgefährtin zugespielt, vergewaltigt und dann auch noch eingesperrt wird. Sie flieht nach Helsinki und geht eine eher lockere Beziehung zu einem estnischen EU-Abgeordneten ein, der sich für Menschenrechte einsetzt. Aber erst bei einem zufälligen Treffen mit einer finnischen Aktivistin, als sie ausgerechnet ihren Peiniger bei einer Feier im Rathaus wiedersieht, gewinnt sie den Mut, den es braucht, um das an ihr begangene Verbrechen anzuzeigen. Aber hat sie auch nur die leiseste Chance, vor Gericht zu gewinnen? Ohne Zeugen und ein Jahr später könnte sie bald selbst als Täterin angeklagt werden. Und dann soll ihr Vergewaltiger auch noch einen Preis für Menschenrechte bekommen…

Ein fast klassischer #MeToo-Fall, könnte man meinen. Aber Strubel berichtet den Missbrauch und die Folgen eher indirekt indem sie zeigt, was Gewalt an Menschen anrichtet. Adina fällt es nach der Vergewaltigung natürlich schwer, ein normales Leben zu führen. Sie verkriecht sich in einem Plattenbau in Helsinki, wo sie kaum mehr vor die Tür geht. Und jedes Kapitel wird von einem Dialog mit der „Blauen Frau“ beschlossen, die am Strand auftaucht und keine Fragen beantwortet. Die innere Stimme der Autorin oder ihrer Protagonistin?

Antje Rávik Strubels „Blaue Frau“ ist kein Buch, das man so nebenbei lesen könnte. Es empfiehlt sich dringend dran zu bleiben, da man sonst leicht den Faden verliert. Die Stärken dieses Romans liegen an der versuchten Spiegelung des inneren Zustandes eines Missbrauchsopfers. Manchmal würde man sich freilich wünschen, die Autorin hätte uns einen direkteren Kontakt zu ihren Figuren gegönnt.


Antje Rávik Strubel: „Blaue Frau“, S. Fischer Verlag
ISBN: 978-3-10-397101-9
428 Seiten, € 24,70