Die Hölle ist eine Eliteschule in Wien – Tonio Schachingers Schulroman „Echtzeitalter“

Bei 600 Euro Schulgeld pro Semester bleibt man unter sich. Im Halbinternat Marianum bereiten sich die Kinder des gehobenen Wiener Bürgertums darauf vor, in die Elite einzutreten. Manche sind ja so reich, dass sie eigentlich ihr Leben lang keinem Brotberuf nötig haben. Tonio Schachinger lässt in seinem Roman den Schüler Till im Marianum, das allein aufgrund der topografischen Verortung als Theresianum leicht zu entschlüsseln ist, allerdings die Hölle autoritärer Erziehung erleben. Denn wer dort das Pech hat, den Dolinar als Klassenvorstand zu bekommen, lebt sozusagen in einer Enklave innerhalb der Schule. Beim Dolinar werden auch leichte Vergehen mit großer Härte bestraft und selbst außerhalb der Schule kann man als Schüler nie sicher sein, von ihm nicht beobachtet zu werden. Ist man bei ihm person non grata, wird man etwa gnadenlos ignoriert – nicht einmal die Mitschüler dürfen mit diesen Ausgestoßenen sprechen. Eine Isolationshaft ohne Ketten und Mauern.

Till hat freilich als Ausgleich ein großes Talent für ein bestimmtes Computerspiel und schafft es sogar international in die Top-Liga. Das ist sozusagen seine zweite Welt, in die er zeitweilig flüchtet. Er erreicht sogar eine Einladung zu einer Gameshow nach Shanghai. Aber natürlich muss er sich dieselben Fragen wie alle Pubertierenden stellen: Bin ich auch cool genug? Habe ich die richtigen Freunde? Wie komme ich bei Mädchen an? Liebt sie mich, oder doch nicht? Zwischendurch bekommen wir einen interessanten Einblick in die Welt der Wiener Reichen und Schönen. Die Schüler wissen ja nur zu gut, dass sie einmal ein Vielfaches von Dolinars Gehalt zur Verfügung haben werden. Auch Till erbt von seinem Vater reichlich.

Schachinger ist dabei ohne Zweifel ein Erzähltalent. Es gelingen ihm durchaus witzige Passagen. Die Beschreibungen von Computerspielszenen kann man ja auch überblättern, sie haben für die Dramatik des Romans keine Bedeutung. Und das ist auch die Schwäche dieses in den Feuilletons vielgelobten Romans. Man spürt als Leser nicht, worauf der Autor hinauswill. Die oft unterhaltsamen Beschreibungen ergeben kein Gesamtbild. Eine gut erzählte Lebensepisode ergibt noch keinen Roman. Warum erzählt er etwa seitenlang von einem peinlichen Schülerstreich oder dem Besuch des KZ Mauthausen? Das Lehrerekel Dolinar, der selbst immer zu spät kommt und dem die Kollegenschaft und die Schule viel zu lasch sind, wäre durchaus eine interessante Romanfigur – seine Lebensumstände werden freilich nur angedeutet. So bleibt am Ende des Menüs nur ein guter Geschmack, aber kein wohliges Sättigungsgefühl zurück.


Tonio Schachinger: Echtzeitalter
Rowohlt
368 Seiten
€ 24,70