Ein Lächeln und eine Träne in der Musik – „Die Fledermaus“ von Johann Strauss im MusikTheater an der Wien
Nur wenige musikalische Wahrzeichen werden weltweit so eindeutig identifiziert wie der Walzer mit Wien; Johann Strauss und sein Bruder Josef sind mit ihren Walzern zum Inbegriff der wienerischen Kultur geworden. Der am 25. Oktober 1825 in Wien geborene Johann Baptist Strauss, genannt Schani, dessen 200. Geburtstag heuer und ganz speziell morgen in ganz Wien gefeiert wird, hat den Wiener Walzer zu den Gipfelpunkten der Eleganz geführt und wird „Walzerkönig“ genannt. Wie der romantische Liederfürst Franz Schubert komponierte er im Wiener Dialekt, er hat ein Lächeln und eine Träne in seiner Musik.
Schani Strauss hat die beste Operette – „Die Fledermaus“ – und den besten Walzer – den „Donauwalzer“ – geschrieben und wurde von musikalischen Größen wie Verdi – „Ich verehre ihn als einen meiner genialsten Kollegen“ – anerkannt. Der Musik-Revoluzzer Richard Wagner nannte ihn „den musikalischsten Schädel, der mir je untergekommen ist“, der melancholische Hochromantiker Johannes Brahms honorierte den „Donauwalzer“ mit den Worten: „Leider nicht von mir!“
Im Theater an der Wien, wo „Die Fledermaus“ am 5. April 1874 uraufgeführt worden war, hat der norwegische Regieberserker Stefan Herheim, seit 2022 auch Prinzipal des von Emanuel Schikaneder 1801 erbauten Klassizismus-Juwels, zum 200. Geburtstag des Walzerkönigs die Königin der Operette in Szene gesetzt: gegen jede Konvention, brillant, virtuos, bildmächtig, witzig, ironisch, gesellschaftskritisch und politisch, vollgepackt mit geistreichen Anspielungen auf die Geschichte des Theaters, des Komponisten und Österreichs.
Die maximale Operette. „Die Fledermaus“ ist die maximale Operette, turmhoch über allen anderen; das wahnsinnige Sujet der Operette wird in diesem luftigen Meisterwerk in höchst geistreicher Weise auf die Spitze getrieben. Es gibt keine wirkliche Handlung, aber es gibt reale Menschen, die auch heute leben könnten. Der brave Bürger Eisenstein, der wegen Beleidigung einer Amtsperson in den Arrest muss, geht nicht ins Gefängnis, sondern zum Fest des Prinzen Orlofsky; Alfred, der Fast-Liebhaber seiner Frau Rosalinde, steht schon vor der Tür und muss die Arreststrafe antreten; das Stubenmädel Adele stiehlt von der Gnädigen ein Ballkleid, weil sie auch zum Fest will. Beim Fest und im Gefängnis treffen sich dann alle. Und das Ganze wird getragen von einer fantastischen Musik mit Wunderstellen von Heiterkeit, Venusberg-artiger Erotik, einem seltsamen Waldweben der Trauer, rauschenden, sentimentalen Wiener Walzern und einem ungarischen Über-Csárdás.
Zum Auftakt von Herheims Wurf erklingt zunächst nicht die berühmte Ouvertüre der „Fledermaus“, sondern der Anfang von Florestans Auftrittsmonolog „Gott! Welch Dunkel hier!“ aus Beethovens „Fidelio“, mit dem der Schmerzensmann in den Kerker führt. Mit dem unbequemen hohen g im Pianissimo tadellos gesungen von David Fischer in der Rolle des Operntenors Alfred, der in Eisensteins Schlafrock beim abendlichen, unerhört komischen Tête-à-Tête mit Rosalinde (furios: Hulkar Sabirova) – auch sie ist eine Operndiva – Arien und Duette aus Opern und Operetten anstimmt, die im Theater an der Wien uraufgeführt wurden – darunter Beethovens „Fidelio“, Lehárs „Lustige Witwe“ oder Millöckers „Bettelstudent“ – oder von Komponisten stammen, die Johann Strauss verehrten, wie Wagners „Tristan und Isolde“ oder Verdis „Traviata“. Der Beginn von Herheims Inszenierung ist überraschend, aber wohl durchdacht: Nicht nur wurde Beethovens einzige Oper 1805 im Theater an der Wien uraufgeführt, auch die zweite Hälfte von „Fidelio“ spielt im Kerker, genauso wie das Aufeinandertreffen aller „Fledermaus“-Figuren im dritten Akt im Gefängnis stattfindet.
Nazi-Schergen. Ein weiterer Aspekt dieser klugen Inszenierung ist die Geschichte Österreichs. Der vom Sliwowitz berauschte Gefängniswärter Frosch (Alexander Strobele) tritt auf als Kaiser Franz Josef, der als Froschkönig seiner geliebten Sisi nachtrauert; der Protagonist mit dem jüdischen Namen Eisenstein wird von Nazi-Schergen abgeführt, der Wandkalender im Gefängnis zeigt den 11. März 1938, den Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland. Die Nationalsozialisten, welche die beglückende Musik von Johann Strauss zu Propagandazwecken missbrauchten, wollten die jüdische Abstammung des Komponisten vertuschen. So wurde der Urgroßvater des Walzerkönigs kurzerhand „arisiert“: Johann Michael Strauß ließ sich vor seiner Heirat mit Rosalia Buschin am 11. Februar 1762 taufen. Die Trauung fand im Stephansdom statt, im Trauungsbuch steht geschrieben: „Der ehrbare Johann Michael Strauß, ein getaufter Jud.“ Die Nazis fälschten das Buch, das in der Domkanzlei aufliegt, allerdings überlebte das Original im Haus-, Hof- und Staatsarchiv.
Beeindruckend ist auch die Sängerbesetzung: Der belgische Tenor Thomas Blondelle gefällt als verfolgter Jude Eisenstein, der junge kroatische Bariton Leon Košavić amüsiert als Hitler-Persiflage Dr. Falke. Alina Wunderlin ist eine grantige, antisemitische Kammerzofe Adele mit virtuosen Koloraturen, als gelangweilter Playboy Prinz Orlofsky brilliert die slowakische Mezzodiva Jana Kurucová. Höhepunkte des Abends sind sechs rasante, virtuose Tänzer mit Geige in Schani-Montur, die sich beim eskalierenden Fest des Prinzen Orlofsky in Lack-und-Leder-Nazis verwandeln (Choreografie: Beate Vollack). Petr Popelka, die Wiener Symphoniker und der Arnold Schoenberg Chor bringen die geniale Partitur von Johann Strauss mit Feuer, Leidenschaft und Bravour zum Klingen.
Von Elisabeth Hirschmann-Altzinger – Foto: Karl Forster/MusikTheater an der Wien
Vorstellung am Freitag, 24. 10, 19 Uhr, MusikTheater an der Wien
Übertragung in ORF 2am Freitag, 24. 10., 21.15 Uhr









