Die letzten Tage des Weltenkaisers – der ungewöhnliche Historienroman „Reise nach Laredo“ von Arno Geiger
Obwohl keine 300 Seiten lang, ist Arno Geigers Roman über das Sterben Kaiser Karls V. im 16. Jahrhundert – das ist jener Habsburger, in dessen Reich niemals die Sonne unterging, wie es so schön heißt – ein Text, auf den man sich einlassen muss. Geiger wirft uns auf den ersten Seiten keine literarischen Häppchen hin, die uns den Sinn dieser Unternehmung gleich verraten würden. Der gichtkranke, fettleibige und hässliche – seine Kinnlade steht immer offen – alte Mann – damals war man mit 58 eben schon wirklich alt – lässt sich von seinen Bediensteten mittels einer eigens dafür konstruierten Apparatur in einen Waschzuber heben, weil er sich selbst nicht mehr waschen kann. Am liebsten dämmert er, betäubt von Laudanum vor sich hin. Er hat abgedankt, die Macht ist nicht mehr bei ihm in diesem spanischen Kloster Yuste, wo er sich mit seinem Beichtvater und einem kleinen Hofstaat zurückgezogen hat. Was will er noch vom Leben ist die Frage, die ihn bewegt, als ihn ein elfjähriger Knabe – ein illegitimer Sohn, der seine Herkunft aber nicht kennt – besucht und er wie zum Scherz mit ihm ausmacht, aus dem Kloster zu fliehen. Man könnte doch den Wallfahrtsort Laredo an der Küste aufsuchen – und das seltsame Abenteuer beginnt.
Geronimo und Karl treffen bald schon auf zwei Ausgestoßene – Cagots – die Geschwister Honzo und Angelita, die gerade furchtbar misshandelt werden, denn jede Gesellschaft hat ihre Minderheiten als Prügelknaben. Mit einer Pistole kann Karl die Angreifer vertreiben und so sind sie bald schon zu viert auf den Weg.
Und es wird zunehmend märchenhafter: Zwischen Yuste und Laredo liegt ein Gebirge und ganz oben die tote Stadt, wo die Reisegesellschaft in einem Wirtshaus einkehrt. Dort wird ein riesiger Greif gehalten – das Fabeltier haust ganz jämmerlich im Keller, während Karl nichts Besseres zu tun hat als zu saufen und sein Geld zu verspielen. Wer denkt da nicht an Goethes Auerbachs Keller? Schließlich müssen sie gar fliehen, wobei Honzo ums Leben kommt – er wollte seine Schwester überreden, im Tausch für den Greif beim widerlichen Wirt zu bleiben, stürzt freilich bei der Greifbefreiung vom Turm. Karl muss da an seine vielen Verwandten denken, die er gegen ihren Willen verheiratet hat. Das Ende wird nach den Abenteuern dann fast idyllisch. Karl schein beim Baden im Meer einen friedlichen Abschied vom Leben zu finden. Jeder Mensch ist ein zurückgetretener König, denkt Karl und wir denken an Geigers wunderbares Buch über seinen alzheimerkranken Vater „Der alte König in seinem Exil“.
„Reise nach Laredo“ ist nicht wirklich ein Historienroman, Geiger nimmt sich aus der Geschichte, was er braucht, um das Elend einst mächtiger Männer nach ihrem Ausscheiden aus den Ämtern zu beschreiben (Frauen tun sich da meist leichter). Das kann man täglich beobachten – nicht nur in der Politik und Wirtschaft. Was bleibt, wenn der Schein verblasst? Geiger spielt geschickt mit literarischen Vorbildern und findet eine Sprache, die dem Stoff angemessen ist. Ja, es zahlt sich aus, wenn man sich auf diesen Roman einlässt.
Arno Geiger: Reise nach Laredo
Hanser
272 Seiten
€ 27,50