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Für den Zauber der Bühne

„Theater muss die Wahrheit des Augenblicks feiern. Denn auch wenn morgen dasselbe Stück gespielt wird, ist es immer wieder neu und anders.” – Markus Kupferblum. | ©Stefan Diesner

Text: Helmut Schneider

Wien verdankt dem Regisseur und Autor Markus Kupferblum viele ungewöhnliche Opern- und Theaterproduktionen. Nun lebt er mit seiner Familie in Boston und gerade ist sein Bühnenkünstler-Credo als Buch erschienen.

Hier in Wien macht der Regisseur, der schon an sehr vielen Orten der Welt inszeniert, gefilmt, gespielt und unterrichtet hat, nur noch eine Gesprächsreihe im Porgy & Bess mit bekannten Kulturschaffenden wie zuletzt mit Robert Schindel. Nicht nur weil seine Frau in Harvard ihren PhD macht, seine Kinder dort zur Schule gehen und er selbst in Harvard unterrichtet. In Wien wurde es für ihn, der schon 1992 beim hoch angesehenen Festival von Avignon ausgezeichnet wurde und der 2007 einen Nestroypreis erhielt, immer schwieriger, seine Inszenierungen zu finanzieren. Der in Wien Geborene ist ausgebildeter Clown, hat auch als Schauspieler viel gespielt und unterrichtete etwa in Wien, Tel Aviv, Teheran, Frankfurt, Michigan, Louisiana, Boston, New York und Bolivien.

wienlive: Wie verlief Ihr künstlerischer Werdegang?

Markus Kupferblum: Ich habe meine künstlerische Sozialisation in Paris erfahren und war bei Peter Brooks englischer Version der „Mahabharata“ dabei – der war schon damals mein Idol und ich war erst 20. Seine Konzentration auf die Menschen – die Schauspieler – hat mich sehr geprägt – denn sie sind es schließlich, die uns die Geschichten erzählen. Das hatte ich nicht gekannt, denn ich bin ja in Wien mit der Theatertradition des Burgtheaters aufgewachsen. Brook wurde später von Peymann gefragt, ob er fürs Burgtheater arbeiten möchte, und hat glatt abgelehnt. Ich hab ihn nach dem Grund gefragt und er hat geantwortet: Ich brauche Zeit! Das hat mich sehr fasziniert. 

Mit 22 habe ich bereits meine erste freie Operngruppe gegründet, weil ich den Betrieb an der Staatsoper ungeheuer aufgeblasen gefunden habe. 

Worum geht es im neuen Buch? 

Meine Helena in „Die Schönheit der Helena“ ist jene aus dem Sommernachtstraum. Ihr Monolog ist für mich schon lange die beste Gelegenheit, jungen Schauspielerinnen und Schauspielern zu zeigen, wie man an eine Rolle herangeht. Mein Buch ist sozusagen ein Manifest für ein sinnliches Theater. Ich finde das noch immer vorherrschende postdramatische, zerstörerische Theater inzwischen sehr altbacken. Es hatte etwa in Berlin nach dem Fall der Mauer eine wichtige Funktion, aber es ist für mich nicht mehr befriedigend, so an Literatur heranzugehen. Als „Brookianer“ fehlt mir die einmalige Chance, Theater als Labor zu erleben, in dem die großen Konflikte der Menschheit abgehandelt werden. Deswegen hat Brook ja so viel Zeit für seine Inszenierungen gebraucht – er probte eineinhalb Jahre! Das hat mich als Junger fast wahnsinnig gemacht: Ich habe bei ihm Proben erlebt, die perfekt waren – und dann hat er gemeint: so, jetzt können wir das streichen. Er war der Meinung, dass man sich nie an etwas klammern dürfe und dass man durch die Streichung Gelegenheit für etwas Neues bekomme. 

Markus Kupferblum wurde 1964 in Wien geboren und studierte u. a. in Paris bei Philippe Gaulier und Monika Pagneux und an der New York University. – ©Stefan Diesner
Markus Kupferblum wurde 1964 in Wien geboren und studierte u. a. in Paris bei Philippe Gaulier und Monika Pagneux und an der New York University. – ©Stefan Diesner

Das Theater heute will ja inzwischen überkorrekt sein, wie sehen Sie das?

Political Correctness hat sicher seine Berechtigung, aber wenn man das ganz genau nimmt, heißt es doch, dass man kein Stück von Shakespeare mehr spielen dürfte. Bei „Romeo und Julia“ gibt es Sex mit Minderjährigen, beim „Kaufmann von Venedig“ den Antisemitismus, bei „Othello“ begeht ein Afrikaner einen Mord. Wenn Menschen etwa in einer Komödie über Menschen lachen, ist es ja das Ziel, dass sie erkennen, dass sie über sich selbst lachen. Diese Großzügigkeit, über sich selbst lachen zu können, ist doch eine der wunderbarsten menschlichen Qualitäten! Das wissen wir seit Aristoteles. Mit Political Correctness wird es sehr, sehr ernst auf unserer Welt.

Ist das vielleicht auch ein Grund, warum immer weniger Menschen ins Theater gehen?

Ich kann mir vorstellen, dass es da einen Zusammenhang gibt. Wenn sich das Theater nicht mehr darauf konzentriert, was es kann und was es besser kann als ein Netflix-Abo mit Millionen Filmen, dann wir niemand mehr ins Theater gehen. Denn es kostet viel Geld, man kann nicht in Hausschuhen Popcorn essen, nicht auf Stopp oder Fast Forward drücken, kann sich nicht zwischendurch ein Bier holen. Es geht um das Erlebnis, dass ein echter Mensch im selben Raum vor dir steht und du diesen Raum mit vielen anderen Menschen teilst, die dieselbe Empathie zu entwickeln imstande sind. Theater muss die Wahrheit des Augenblicks feiern. Denn auch wenn morgen dasselbe Stück gespielt wird, ist es immer wieder neu und anders.

Am schwierigsten ist es, die Jugend zum Theater zu verführen, oder sehen Sie das anders?

Ich bin da nicht so sicher. Wir Theatermacher müssen auf jeden Fall lernen zuzuhören und herauszufinden, was für Bedürfnisse die Jugendlichen haben. Eigentlich habe ich nur gute Erfahrungen mit ihnen gemacht – und dies auch immer gerne. In Litauen kurz nach der Wende habe ich mit arbeitslosen russischen Jugendlichen, die sich zu Recht völlig ausgeschlossen gefühlt haben – es durfte ja nicht einmal mehr Russisch gesprochen werden –, Straßentheater geprobt. Wir haben dann am Hauptplatz von Vilnius eine Show aufgeführt. Und diese Kinder waren so glücklich, weil ihnen zum ersten Mal von Menschen applaudiert wurde. 


DIE ZEIT VERKEHRT HERUM TRAGEN – Ein Stück über die Demenz der Mutter im Kosmostheater

Szenefoto von „Die Zeit verkehrt herum tragen“ im Kosmostheater. – ©Bettina Frenzel

Fast alle sind in irgendeiner Weise von Demenz betroffen – viele als Angehörige, manche als Betroffene und fast alle fürchten sich davor, einmal betroffen zu sein, denn alt werden wollen alle – alt sein aber die wenigsten. Die noch in Ost-Berlin aufgewachsene Autorin Bärbel Strehlau hat sich dem Thema mittels eines „dokumentarisch-poetischen Theaterstücks“ angenähert. Bald wird klar: Hier wurde eine eigene Geschichte literarisch aufgearbeitet. Eine jüngere Frau muss ihre Mutter betreuen, nachdem der Vater im Krankenhaus liegt. Und Mutti ist eben dement. Strehlau findet dafür zahlreiche gelungene Bilder, auch der Titel des Stücks ist ein solches. Während sich die Tochter an ihre umsorgte Kindheit erinnert, erkennt sie, dass es jetzt eben umgekehrt ist und sie sich um die Mutti kümmern muss, die nach Hause gehen will, wenn sie auf der eigenen Couch sitzt und nur noch in ihrem Gehirn verwalten kann, was unmittelbar vor ihr ist. Und gut analysiert sie, dass nicht funktionierende Familien in solchen Krisen noch stärker dysfunktional werden, sprich zerbrechen. Die strenge Schwester möchte nämlich Mutti sofort in eine Pflegeeinrichtung abschieben.

Für eine zweite Ebene sorgen im Kosmostheater nicht nur ein Bühnenbild mit beweglichen Würfeln, das schnelle Szenenwechsel ermöglicht, sondern auch die Figur einer – mit Maske gespielten – Puppe, die gerne das Geschehen kommentiert oder konkretisiert. Ein guter Einfall! Mit Mareile Metzner, Else Hennig, Sabrina Strehl und Michael Gangl – letzterer darf einen aus dem Fernsehen heraustretenden Schlagerstar mit viel Sexappeal spielen und singen – ist ein sehr gutes Schauspielteam im Einsatz. Ein wichtiger Theaterabend!


Noch bis 14. Dezember, Infos: kosmostheater.at

„Alice“, eine Opernrevue von Kurt Schwertsik im Odeon

Bild: ©Stefan Smidt

Lewis Carrolls Bücher „Alice im Wunderland“ und „Alice. Hinter den Spiegeln“ zählen sicher zu den einflussreichsten Texten, die jemals geschrieben wurden – haben sie doch auch sonst eher coole Naturwissenschaftler fasziniert. Im Odeon hatte jetzt im Rahmen des Wien Modern Festivals die Gemeinschaftsproduktion des Serapionstheaters mit dem Sirene-Operntheaters „Alice“ Premiere, zu der Kurt Schwertsik die Musik und Kristine Tornquist das Libretto geschrieben haben. Regie führten Kristine Tornquist & Max Kaufmann, die wunderbaren Kostüme stammen von Mirjam Mercedes Salzer.

Und das beschert Besuchern anderthalb Stunden reine Verzückung: Sopranistin Ana Grigalashvili als Alice taumelt durch die Wunderwelt – und wir mit ihr.  Oft sind aber Sängerinnen und Sänger von den darstellenden Tänzerinnen und Tänzer getrennt und sozusagen doppelt besetzt. Die Grinsekatze wird gar von 8 Personen dargestellt. Der Hof der Königin scheint in Papierkostümen gekleidet, die Raupe lässt sich von Alice als Sessel gebrauchen. Das weiße Kaninchen scheint überall gleichzeitig zu sein.

Die spannungsvolle Musik des Wiener Komponisten-Doyens Kurt Schwertsik arbeitet mit Leitmotiven und schwingt sich zuweilen zu großer Melodik auf. Das Rote Orchester unter der Leitung von Dirigent François-Pierre Descamps intoniert gefühlvoll – alles passt perfekt zusammen.

Ein wirklich gelungener Abend! 

Vorführungen noch am 1., 2., 7., 8., 9., 29., 30. und 31. Dezember 2023 um jeweils 20. Das Stück ist in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln und dauert 95 Minuten.
Weitere Infos unter www.odeon-theater.at.

Bussi-Bussi bei Jauchenduft – Martin Kušej inszeniert Molières „Menschenfeind“ im Burgtheater

Bild: ©Matthias Horn

Gleich zu Beginn tragen vermummte Gestalten im finsteren Bühnenbild einen Sarg – sonst aber ist dieser „Menschenfeind“ in der Burg bei aller Düsternis ganz lustig. Denn Star des Abends ist die schon 1979 erschienene Molière-Übersetzung des 2022 verstorbenen Dichters Hans Magnus Enzensberger. Der hatte dabei die damals sich formierende und bis heute hartnäckig bestehende Bussi-Bussi-Gesellschaft der 80er-Jahre treffend abgebildet. Nun gilt ja Wien – zumal in der deutschsprachigen Bühnenszene – als Hauptstadt der Heuchelei und Intrige. Und wenn man da noch ein nicht mehr verlängerter Theaterdirektor ist, macht Molières „Menschenfind“ bei der Inszenierung natürlich doppelt Spaß.

Martin Kušej hat die herrlich flapsige Enzensberger-Übersetzung dann noch mit ein paar Wien-Bonmots aufgefettet. Da kommt der Jedermann-Skandal vor, man speist bei Do&Co und über „Martin K.“, der „nie da“ ist wird gelästert. Das Theaterpublikum sieht sich indessen gespiegelt selbst. Und bisweilen steigt oder stürzt ein Protagonist in eine Lacke, die dank eines eigens kreierten Raumdufts dezent nach Gülle riecht. Der weiße Anzug des Moralisten Alceste wird im Laufe des zweistündigen Abends auch nicht blütenrein bleiben.

Ein bestens gelauntes Ensemble kämpft da mehr oder weniger gutgemeint gegen den von Itay Tiran glaubhaft dargestellte Alceste, um sich ihr Konstrukt aus böswilliger Anständigkeit nicht zerstören zu lassen. Marvie Hörbiger ist im schwarzen Glitzeranzug seine Begehrte, die sich freilich ihren Spaß am gesellschaftlichen Parkett nicht nehmen lassen will. Köstlich ihr Wortduell mit der pharisäerhaften Arisnoé, gespielt von Alexandra Henkel. Christoph Luser gibt den Freund, der ihm zur Nachsicht rät, Markus Mayer den von ihm gekränkten Mann mit besten Beziehungen. Und wenn kurz die Schaukämpfe ruhen, feiern im Hintergrund Komparsen wilde Partys zu Walzer, Volksmusik, Disco oder Schlager.

Das Wiener Premierenpublikum verstand die Gesellschaftskritik und applaudierte ausgiebig.


Info und Karten: burgtheater.at  

Alte Männer ohne Frauen – Uraufführung von Peter Turrinis „Bis nächsten Freitag“

Alte Männer ohne Frauen – Uraufführung von Peter Turrinis „Bis nächsten Freitag“ in der Josefstadt. – ©Rita Newman

Zwei ehemalige Schulfreunde beim Treffen im Beisl „Zur tschechischen Botschaft“. Der eine ist Buchhändler und Menschenfreund, der andere Romanistikdozent und Arroganzler. Schon als Kommilitonen waren sie recht unterschiedlich, erfahren wir recht bald. Richie, der Buchhändler, hatte stets Ohren für die Anliegen seine Mitschülerinnen, während Werner nur an ihren Körpern interessiert war. Ihre Strategien haben sich als falsch erwiesen, den nun sind sie anscheinend beide allein.

Symbolik

In Peter Turrinis Auftragswerk für das Theater in der Josefstadt „Bis nächsten Freitag“ werden zwei alte Männer geradezu vorgeführt. Das ist zeitweise ganz witzig, spielen doch die Publikumslieblinge Erwin Steinhauer und Herbert Föttinger mit viel Gespür das ungleiche Paar. Silvia Meisterle als resche Kellnerin und Marcello de Nardo als taubstummer Bruder, der sich gerne für Rollen schminkt, sorgen für Akzente. Regisseur Alexander Kubelka spürte aber wohl die inhaltlichen Lücken und versuchte, dem Drama etwas Symbolik zu verpassen. Gespielt wird in einem sich öffnenden riesigen Tank, das Bühnenbild ist karg und der Auftritt eines kleinwüchsigen Brautpaars wird ins Mystische verklärt. Der längst krebskranke Werner zieht eine Waffe und schießt auf einen Leuchter, der dann im letzten Bild als Pendel schwingt. Auf Verlangen der Kellnerin tanz er mit dem Taubstummen, der sich als Totenkopf geschminkt hat – noch mehr Zeichen geht nicht.

Frust

Das alles kann freilich nicht verbergen, dass die zwei alten Männer bestenfalls skizziert sind. Der Büchermensch Richie wirkt ausgeglichen, dass ihm seine Frauen nur wegen seiner Lesesucht davonrennen, scheint aber nur die Spitze des Eisbergs zu sein. Und der Romanist Werner verbreitet eine Verschwörungstheorie nach der anderen, freilich noch halbgarer als die Theorien selbst. Ausländer mag er natürlich auch nicht. So weit, so banal. Als Zuschauer hätte man aber schon gerne erfahren, woher dieser große Frust der beiden alten weißen Männer wirklich kommt. Das Publikum applaudierte freilich nicht nur den Darstellern, sondern auch Peter Turrini recht freundlich.

Infos und Karten: josefstadt.org

Peter Handkes „Kaspar“ im Akademietheater

Der US-amerikanische Regisseur Daniel Kramer hat für seine Umsetzung von „Kaspar“ drastische Bilder gefunden. – ©Susanne Hassler-Smith

Man könne sein Stück auch als „Sprachfolter“ bezeichnen, merkte Autor Peter Handke einmal zu seinem Stück „Kaspar“, das 1968 durch Claus Peymann in Frankfurt uraufgeführt wurde, an (Peymann saß übrigens in der Premiere im Akademietheater). Der US-amerikanische Regisseur Daniel Kramer hat nun bei seiner Umsetzung tatsächlich recht drastische Bilder für diese Tortur gefunden. Sein Kaspar Marcel Heuperman kommt durch einen engen durchsichtigen Plastikfolienschlauch auf die Welt und sagt seinen einzigen Satz „Ich möchte ein solcher werden, wie einmal ein anderer gewesen ist.“ (Handke hat dabei an den historischen Kaspar Hauser erinnert, der angeblich seinen Findern erklärte: „Ein solcher Reiter möchte ich werden, wie mein Vater gewesen ist.“)

Kaum auf der Welt wird Kaspar von vier Menschen in schwarzen Plastikpaneelen und Gasmasken bedrängt, die ihm schließlich sogar mit Motorsägen zu Leibe rücken, denn in seinem Krabbelkostüm sieht er ja wie eine behaarte Spinne aus (Kostüme: Shalva Nikvashvili).

Immer mehr wird der Arme mit Worten bombardiert, will heißen sozialisiert. Handles Text ist ja eine Kritik an der Vereinnahmung der Menschen durch Sprache und Gebote. Nur was gesagt wird, existiert. Für die Interpretation des Dramas wurde ja schon oft Wittgenstein bemüht. Aber „Kaspar“ ist sicher auch Ausdruck der damaligen Anti-Establishment-Stimmung.

Zum Höhepunkt des Abends wurde die völlig sprachlose Szene gegen Ende. Kaspar und die vier „Einsager“– hochmotiviert und präzise: Laura Balzer, Stefanie Dvorak, Jonas Hackmann und Markus Scheumann – ziehen nach und nach in eine Art Studentenbude ein und spielen Alltag – siw duschen, essen, fernsehen, schlafen und gehen aufs Klo. Allerdings nehmen sie sich gegenseitig gar nicht wahr. „Ich bin still / ich möcht jetzt / kein andrer mehr sein.“ ist im Abspann zu lesen – zum Song „Last Day of Our Acquaintance“ von Sinéad O’Connor.  

Nach einer grellen Clownpartie endet der Abend verstörend: Kaspar sitzt am Schminktisch, neben ihm eine riesige Atombombe. Ja, sprechen ist immer auch mißverstehen.

Infos & Karten: www.burgtheater.at 

György Ligetis „Le Grande Macabre“ an der Wiener Staatsoper

Szenefoto von Le Grand Macabre. – ©Michael Poehn

Der Tod, das muss ein Wiener sein. Denn in György Ligetis einziger, 1978 in Stockholm uraufgeführten Oper „Le Grande Macabre“, findet der Weltuntergang nicht statt, weil dem Tod der Wein zu gut schmeckt und er betrunken die Apokalypse verschläft. Und so versteht man eigentlich gar nicht, dass es bis jetzt dauerte, bis diese Oper an der Staatsoper gezeigt wird – zumal der in Siebenbürgen geborene und 2006 in Wien verstorbene Komponist seit dem Ungarn-Aufstand 1965 in Wien lebte.

Man kann jetzt freilich sagen: das Warten hat sich gelohnt. Denn Jan Lauwers Inszenierung und Pablo Heras-Casados Dirigat machen die netto etwa 2 Stunden (abzüglich der Pause) zu einem sinnlichen und intellektuellen Vergnügen. „Le Grande Macabre“ ist eine bitterböse ironische Zeitanalyse eines Künstlers, der sowohl die Nazi- als auch die Stalin-Zeit gerade noch überlebte, um dann den Wahnsinn des Kalten Krieges mitzubekommen. Im  Breughelland (in einem Bild sieht man das Gemälde „Der Triumph des Todes) der Oper tut ein lächerlicher Fürst Go Go (adäquat interpretiert von Andrew Watts) so, als ob er herrschen und ein Volk so, als ob es auf ihn hören würde. In Wirklichkeit machten alle, was sie wollen. Die Chefin der Geheimpolizei (Sarah Aristidou) singt sich die Seele aus der Brust, um ihre Nutzlosigkeit zu kaschieren. Man sieht einen bunten Comic – als ob die Truppe von Monty Python einen Heurigen übernommen hätte.

Doch was so locker daherkommt, ist einer präzisen Dramaturgie geschuldet. Quasi als Taktgeber tanzen etwa 12 Profis in fast unsichtbaren beigen Trikots unermüdlich zum Geschehen. Die zwischen Aufruhr und ruhigen, elegischen Passagen chargierende Musik erfordert vom Orchester und den Sängerinnen und Sängern größtmögliche Konzentration. Als Untergangsverkünder Nekrotzar brilliert Georg Nigl, als sein irdischer Widerpart Piet vom Gerhard Siegel. Eine späte, aber umso wichtigere Wiedergutmachung an der Staatsoper, der man gerne mehr Aufführungen gönnen würde.

Aufführungen noch am 17., 19. und 23. November – www.staatsoper.at

Inszenieren gegen den Autor – Frank Wedekinds „Lulu“ in den Kammerspielen

Bild: ©Christian Wind

Nicht zuletzt auch wegen der gelungenen Vertonung durch Alban Berg ist Frank Wedekinds Drama um eine kindliche Femme Fatale, die schließlich selbst zum Opfer ausgerechnet eines Lustmörders wird, noch immer viel auf den Bühnen zu sehen. Man mag die Darstellung der ebenso verhängnisvollen wie naiven Kindsfrau zurecht unzeitgemäß finden. Aber vieles in der Literatur ist eben nur interessant, weil wir es nicht bis ins Letzte verstehen. Und klarerweise muss keine Bühne dieses nicht einfache Stück heute spielen. Aber wenn es gespielt wird, wünscht man sich eine ernsthafte Auseinandersetzung und keine dem Zeitgeist folgende Belehrung durch einen Regisseur.

In den Kammerspielen macht Elmar Goerden aber genau letzteres. Er beginnt schon damit, dass seine Lulu nicht als Lustobjekt vor dem Maler Eduard, ihrem späteren ersten Ehemann, sitzen will und kurz verschwindet, ehe sie sich trotzig doch wieder hinsetzt. Bei jeder Gelegenheit wird über den Text gelästert und am Schluss kommen endlich alle darauf, dass sie das gar nicht hätten spielen sollen. Johanna Mahaffy als Lulu kann da nur verlieren. Sie muss verführerisch, kaltblütig, naiv und gleichzeitig emanzipiert sein – das ist unmöglich zu schaffen. Das Stück funktioniert aber nur dann, wenn man über sie rätseln kann und nicht wenn man erklärt bekommt, was alles daran falsch ist. Rechts auf der mit einem abstrakten Muster überzogenen Bühne ist in einem beleuchteten Schrein sogar der Theatertext präsent. Als Dr. Schön legt sich Joseph Lorenz mächtig ins Zeug, er gibt den abgebrühten Schauspieler, der spielt, was man von ihm verlangt. Als Lulu verfallene lesbische Gräfin wird Susa Meyer ausgenützt und gedemütigt – was natürlich auch nicht ohne Kommentar passieren darf.

Nun soll Goerden der Josefstadt-Direktion selbst Wedekinds „Lulu“ vorgeschlagen haben, man versteht leider wirklich nicht, was er damit bezwecken wollte. Will jemand klüger sein als die Urheber klassischer Stücke, geht das doch fast immer schief. Und wenn es schon – was längst aus der Mode gekommen ist – dekonstruiert werden muss, dann bitte bis zur letzten Konsequenz und nicht so halbherzig wie in den Kammerspielen.

Infos & Karten: josefstadt.org

In Antiochia steht ein Café Central – Händels Oratorium „Theodora“ im MuseumsQuartier

Bild: ©Monika und Karl Forster

Na so was: Intendant und Regisseur Stefan Herheim lässt Händels Oratorium „Theodora“, die Neuproduktion des Theater an der Wien im MQ, doch tatsächlich im Wiener Café Central – dem Lieblingscafé der Stadttouristen – spielen. Dabei ist die Handlung dieses Stücks so gar nicht kaffeehauslike, sondern ziemlich grausam, geht es darin doch um den Märtyrertod von Christen zur Zeit Kaiser Diokletians in Antiochia. Aber ja, das Kaffeehaus war früher schließlich der Laufsteg der Wiener Gesellschaft, wo vieles auch verhandelt wurde. Das passt vor allem vor der Pause, denn da wird einmal lange das römische Gesetz, wonach dem obersten Gott Jupiter geopfert werden muss, verhandelt. Wer sich dem widersetzt, droht der Tod. Im Mikrokosmos Kaffeehaus ist der Statthalter der Cafetier und seine Kellnerinen und sein Kellner die ersten Christen. Die Kaffeehausgäste sind das wankelmütige Volk, das sich leicht mit Kuchen aus der Vitrine bestechen lässt. Angeblich war „Theodora“ des Komponisten liebstes Stück, trotz des Misserfolgs bei der Uraufführung 1750 in London.

Bejun Mehta, der in Wien bestens bekannte und vielfach gefeierte Countertenor, debütiert im akustisch nicht optimalen MuseumsQuartier als Operndirigent. Am eindrucksvollsten gelingen die Chorpassagen, der Arnold Schönberg Chor leistet aber auch darstellerisch wirklich Großartiges. Sängerisch überzeugen das Publikum vor allem Mezzosopranistin Julie Boulianne als Theodoras Kollegin und Unterstützerin Irene und der Countertenor Christopher Lowrey als Theodoras Befreier Didymus, im Drama ein römischer Offizier und Kriegsheld, im Café aber natürlich ebenfalls ein Kellner. Er kann nicht sehen wie Theodora – Sopran Jaqueline Wagner – nicht nur eingesperrt, sondern sogar zur Prostitution gezwungen werden soll. David Portillo, wie auch alle anderen Sängerinnen und Sänger aus den USA, gibt als Statthalter den Bösewicht. 

Zauberhaft ist Händels Musik vor allem bei den Übergängen, aber nach der Pause können auch einige Arien das Herz rühren. Da wird das Kaffeehaus dann zum Kerker, was nicht mehr so gut passt – aber Umbauten sind im MQ wohl schwierig, zumal das Central wirklich detailgerecht nachgebaut wurde. Das Publikum schien mit der Aufführung musikalisch zufrieden, Herheims Inszenierung wurde weniger beklatscht. Sehenswert ist „Theodora“ aber allemal.

Termine noch am 21., 23., 25., 27. und 29. Oktober – www.theater-wien.at

Shakespeare in langsamer Düsternis – „Ein Sommernachtstraum“ im Burgtheater

Bild: ©Matthias Horn

Man gibt wieder einmal den Sommernachtstraum, das vielleicht vielfältigste Stück des großen William Shakespeare. Im Burgtheater präsentierte man als Koproduktion mit der Ruhr Triennale (Duisburg), wo im Sommer bereits die Uraufführung lief, vor allem mit Hauskräften und unter der Regie von Barbara Frey dies alles (?) in etwas mehr als durchgehenden zwei Stunden. Es war schon eine zwingende Aufführung als ein dahinziehendes Gesamtbild mit Drehbühne und vor allem (seit Wochen in den Medien derart beworben) mit dem „Gag“ (?), dass die Männer und die Frauen mehrfach die Rollen wechseln. (Achtung: Aktuelle Diskussion!) Ein wenig Musik gibt es zum Auflockern. Die Sache ist stets in ein Grau getaucht. Es wird nie laut, nie ausgelassen, manchmal zieht es sich, die Sprache ist nett gefasst, aus dem Ensemble stechen Sylvie Rohrer und vor allem der Zettel des Oliver Naegele hervor. Weitgehende Begeisterung wogte im Premieren-Publikum, das sich – das Stück wurde allerdings bewusst als ernsthafte Auseinandersetzung mit Ängsten, Fluchtgedanken oder Partnerproblemen inszeniert – manchmal wie im Sommer-Bauerntheater laut kichernd gerierte. Na gut.

Eine Neudeutung ist das nicht gewesen, viel Stehtheater gab es, manchmal wurden die Texte mehr oder weniger nur aufgesagt. Na, auch gut.

Es sei aber zu diesem Anlass (Saisoneröffnungspremiere und internationale Produktion) erlaubt, doch drei Dinge anzumerken:

. Das arge Bühnenbild (mit Fensterscheibenreihen zwischendurch, mit ein paar leicht kaputten Bäumen und mit vier, im Sand halbversunkenen Auto-Wracks) ist in Zeiten von Klimakatastrophen zumindest etwas grenzwertig.

. Es strengt an, eine Inszenierung verfolgen zu müssen, wo sich nichts entwickelt, noch dazu im „Sommernachtstraum“!). Meistens kommen und gehen die Protagonisten, liefern was ab und verschwinden wieder im satten Herbstnebel.

. Aber dann! Ja, ganz bewusst jetzt behauptet: Es geht zu, wie in vielen Inszenierungen jüngst in diesem Theater (es sei beispielhaft auf die Stücke Geschichten aus dem Wienerwald, Die gefesselte Fantasie oder die letzten Inszenierungen von Jelinek-Texten verwiesen, ja sogar zudem auf die handwerklich ausladende, intensive Zauberberg-Bearbeitung), also, nochmals und weiter bewusst salopp: Es geht zu, ohne dass man wirklich mitkriegt, worum es geht. Oder noch schärfer gesagt: Würde man, ohne zuvor irgendwas über den Inhalt des Stückes zu wissen, da ins Burgtheater hineingesetzt, man hätte am Schluss keine Ahnung, worum es auch im weitesten Sinn eigentlich gegangen ist.

[N.B. das ist zwar bei einem Großteil der gängigen Opern auch so, doch dort entschädigt zumeist die Musik.]

Von Otto Brusatti


Infos & Karten: burgtheater.at