Buchtipp – Michael Schottenberg, Schotti to go: Wien für Entdecker

Reif für die Insel


Am Samstag wird Michael Schottenberg bei „Rund um die Burg“ sein neues Buch mit Wiener Entdeckungen vorstellen. Wir bringen einen gekürzten Ausschnitt daraus als Vorgeschmack.


Heute noch bekommen Millionen Zuhörer auf der ganzen Welt Gänsehaut, wenn am Neujahrstag die Primgeige des weltbesten Orchesters den Evergreen ‚Drauß’t in Hietzing gibt’s a Remasuri, dulli dulli dulli …‘ intoniert. Die Donau gilt als die mit Abstand smoothigste Botschafterin Wiens, keine andere Stadt hat sich das (trübe) Gewässer derart eingemeindet wie sie. Ob ‚Donaumonarchie‘, ‚Donauwelle‘, die heutige ‚Donau-City‘ oder der flächenmäßig größte Wiener Gemeindebezirk
‚Donaustadt‘: In Wien, scheint’s, ist die Donau zu Hause – und die Donauinsel mit ihr.

Der ‚Wasserrechtliche Bescheid‘ erfolgte am 7. Juli 1970, zehn Monate nachdem der Gemeinderat die Pläne für den Bau der Insel endgültig absegnete. Zu diesem Zeitpunkt hatten sie in den Rathausschubladen bereits eine dicke Staubschicht angesetzt, denn schon im Jahre 1957 präsentierte der Ziviltechniker August Zottl seine Idee eines dauerhaften Hochwasserschutzes, um den regelmäßig wiederkehrenden Fluten Einhalt zu gebieten. Zottls Vision hatte es in sich, und die Rathausmänner schüttelten so lange ihre Köpfe, bis sie ergrauten. Ein ganzes Jahrzehnt lang wieherte der Amtsschimmel, bis gegen Ende der Neunzehnsechziger eine neue Generation von Rathausbeamten den Lurch von Zottels Plänen pusteten. Grund: Immer öfter gerieten Teile der Brigittenau, der Leopoldstadt, der Donaustadt und Floridsdorfs ‚Land unter‘.

Im Jahre 1972 griffen PolitikerInnen beherzt zum Spaten, sie zerschnitten rot-weiße Bänder, Sektflaschen knallten gegen mannshohe Baggerräder und vom Rathauskeller wurden verwelkte Eibrötchen angekarrt. Man feierte den Beginn des größten Bauvorhabens in der Geschichte Wiens: Die Zottel-Insel sollte die Stadt nicht nur vor unberechenbaren Donauwellen schützen, auch das allzu lang brachliegende ‚Inundationsgebiet‘ mag durch das neugewonnene Land Sinn bekommen. Wofür die Insel sonst noch herhalten sollte war zu Baubeginn noch keineswegs geklärt, also erfand man den Begriff ‚Naherholungsgebiet‘. Er wurde zum Zauberwort der Stunde. Man grub, schaufelte, ebnete und man pflanzte an – immer unter dem kritischen Blick kleinformatiger Auguren. Im Jahre 1988 war die Bauphase beendet. Der Visionär August Zottl sollte sein Lebenswerk nicht mehr erleben, er starb vier Jahre vor der Eröffnung ‚seiner‘ Insel.

Wien wäre nicht Wien, wenn nicht auch die Donauinsel mit ihrem Traummaß von mehr als zwanzig Kilometer Länge und einer Wespentaille
von knapp dreihundert Meter, immerwährender Kritik ausgesetzt gewesen wäre. Von ‚Fadennudel‘, ‚Spagetti-Insel‘ bis zu ‚Pissrinne‘ war die Rede. Die fesche, junge Dame aber überstand alle Schmähungen. Heute gilt die Insel als eine der Topattraktionen der Stadt, mehr noch, man berühmt sich großzügig angelegter Erholungsflächen und mannigfaltigster ökologischer Lebensräume für selten gewordene Tier- und Pflanzenarten. Baumbestände blieben durch intelligente Dammführung bestehen, Donau-Altarme wurden in neu geschaffene Landschaftsgestaltung integriert. Knapp zwei Millionen Bäume und Sträucher ergaben einhundertsiebzig Hektar Wald und, dem nicht genug, wurden sage und schreibe zweiundvierzig Kilometer Stadtstrand geschaffen. Vergleichbares bietet wohl keine andere Großstadt der Welt.

Auch ich nehme kommunales Angebot dankbar an und radle an Hundstagen, oder aus Recherchegründen, ins Grüne, verlasse die Untergrundlinie Nr. 1 an der Station ‚Donauinsel‘ und halte die Nase in Richtung Instinkt und Idylle. Von weitem schon grüßen die Hubkräne des Container Terminals in der Hafenstraße. Hier liegen meine bevorzugten Wege. Ich stapfe in Richtung Hüttenteich, lausche andächtig dem mannigfaltigen Geunke, Getschilpe, Getrapple und treibe mich am Donauufer entlang. Die vielfältigsten Vogelstimmen sind hier zu hören. Die Insel beherbergt nicht nur eine außergewöhnliche Kleintierwelt, auch Rehe und Hirsche lugen zwischen den Büschen hervor – Wasserfrosch und Ringelnatter ebenso wie Bergunken und Erdkröten. Man braucht bloß seine Sinne zu schärfen, andernfalls man blind und taub durch eine Welt voller Wunder spazierte. Nichts aber erfüllt so sehr mit Glück wie die Ruhe, die das Naturparadies dem Erholungssuchenden schenkt.

Auf einem Holzsteg mache ich es mir bequem. Es ist früh am Morgen und ich schließe die Augen. Die Tiere sind gerade dabei, ihr Tagewerk zu beginnen. Kleine, geschäftige Lebewesen folgen ihrer Bestimmung, alles profitiert vom Tun des Nächsten und setzt sich zu einem unentwirrbaren, Sinn machenden Ganzen zusammen. Dieser über jeden Interpretationsversuch erhabene Mikrokosmos ist sich selbst genug und belässt es beim Wunder alltäglichen Seins. Ich bekomme nicht genug davon, die Vielfalt an Leben ringsum zu betrachten und empfinde mich als Mittelpunkt einer Welt, die lebt und da ist und nie, nie vergehen wird.

Michael Schottenberg liest am 21. Mai bei Rund um die Burg, Infos unter rundumdieburg.at  

Michael Schottenberg: Schotti to go – Wien für Entdecker
ISBN: 978-3-99050-221-1
224 Seiten
Amalthea Verlag
€ 25,–