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Kurt Palm eröffnet mit seinem Buch „Trockenes Feld“ RUND UM DIE BURG am 9. Mai

Kurt Palm kennt man als umtriebigen Regisseur – er machte mit Phettberg etwa die „Nette Leit Show“, Sachbuchautor und erfolgreichen Krimiautor – „Bad Fucking“ wurde auch verfilmt und für seinen ungewöhnlichen Krimi „Der Hai im System“ erhielt er den Leo-Perutz-Preis. Schon lange in Wien Neubau lebend, stammt er aus dem oberösterreichischen Neukirchen an der Vöckla. Seine Eltern waren da aber als Vertriebene lange Zeit staatenlos, sie gehörten einer Minderheit im heutigen Kroatien an und lebten im heute verfallenen Ort Kapan, was damals Slawonien genannt wurde, der größere Ort daneben Suhopolje heißt übersetzt „Trockenes Feld“ – das ist der Titel von Palms Familienbuch. Als die Deutschen Ende des Weltkrieges vor den Partisanen zurückwichen, mussten Pals Verwandte „Heim ins Reich“, kamen aber nur bis Oberösterreich, wo sich Palms Vater als Hilfsarbeiter durchschlagen musste. Der Roman ist jetzt eine Art Spurensuche, denn die meisten Angehörigen und Zeitzeugen sind bereits gestorben. Und nach dem Krieg waren bekanntlich alle daran interessiert, die Jahre der Katastrophen zu vergessen – das Thema war für Nachkommen tabu.

„Trockenes Feld“ ist bestimmt keine Autobiografie, Kurt Palms Werdegang kommt zwar vor, steht aber nicht im Mittelpunkt. Vielmehr fragt sich der Autor, wie seine Eltern die schweren Schicksalsschläge meistern und dabei ihren Kindern eine beste Ausbildung ermöglichen konnten. Vieles aus der Kriegszeit muss dabei im Dunklen bleiben. Palms Vater wurde für die SS-Polizei zwangsrekrutiert, hatte aber das Glück, nicht an der Ostfront kämpfen zu müssen. Eine relativ leichte Verwundung rettete ihm wahrscheinlich das Leben. In Kapan wäre er hingegen von den Partisanen ermordet worden. In Österreich tut die Familie alles, um möglichst schnell als Einheimische zu gelten. Bis zum Speiseplan orientiert man sich an den Nachbarn. Das Buch ist auch die Geschichte einer Assimilation von Staatenlosen in Österreich und erzählt viel über die politische Stimmung nach dem verlorenen Krieg.

Eine zentrale Rolle spielt auch die Tragödie von Kurt Palms Bruder Reinhard. Der erfolgreiche Dramaturg und Übersetzer nahm sich 2014 im Alter von 56 Jahren im Wald von Neuwaldegg das Leben – der Selbstmord schien sorgfältig vorbereitet.

„Trockenes Feld“ ist der Versuch, Herkunft aufzuarbeiten. Besonders spannend ist etwa der Besuch des Autors mit seiner Schwester in Kapan, das heute kaum mehr existiert. Sie treffen da auf einen Einheimischen, der ihnen Gräueltaten der Wehrmacht erzählt. Ein wichtiges und interessantes Buch für alle, die an der verdrängten Geschichte Österreichs und Jugoslawiens interessiert sind.

Am Freitag, 9. Mai, wird Kurt Palm um 16 Uhr im Café Landtmann RUND UM DIE BURG eröffnen. Der Eintritt ist wie immer frei!


Kurt Palm: Trockenes Feld
Leykam, 304 Seiten
€ 26,50

Ein junger Iraner in den USA stellt sich diversen Traumata – Kaveh Akbar: Märtyrer!

Ein Roman, der viel will, einiges auch bringt, sich aber auch leicht verzettelt. Kaveh Akbars „Märtyrer!“ wurde von der New York Times und anderen Zeitungen viel gelobt und stand auch auf der Longlist des National Book Awards. Erzählt wird die Geschichte des jungen Iraners Cyrus, der als Baby mit seinem Vater in die USA gekommen war, nachdem seine Mutter in einem Flugzeug, das die US-Army irrtümlich abgeschossen hatte, ums Leben gekommen war. Cyrus ist ein begabter Student, will Dichter werden, verfällt aber dem Alkohol und der Drogensucht. Sein Vater, ein hart arbeitender Migrant, stirbt, als er aufs College kommt. Mithilfe der Anonymen Alkoholiker wird Cyrus trocken, was ihm aber weiterhin fehlt, ist ein Ziel im Leben. Als Verwandtschaft bleibt ihm ja nur noch sein Onkel im Iran, der als Veteran des brutalen iranisch-irakischen Krieges nur noch so dahinvegetiert. Immerhin schreibt Cyrus Gedichte und zunehmend interessiert ihn die Idee des Märtyrertums. Nicht die sinnlosen muslimischen Terroristen – Cyrus ist nicht sonderlich gläubig – sondern Menschen wie Jeanne d’Arc oder die Menschen, die sich in Peking und Prag den Panzern gestellt haben. Er will sterben, aber sein Tod soll einen Sinn haben. Sein Freund Zee – Cyrus ist irgendwie bisexuell – erzählt ihm von einer Künstlerin, die als schwer Krebsleidende im Brooklyn-Museum sich tagtäglich den Fragen des Publikums stellt. Cyrus muss sie sprechen…

„Märtyrer!“ ist kein linear erzählter Roman, Kaveh Akbar bringt immer wieder Träume und die Geschichten anderer ein – etwa Cyrus Onkel, Mutter und Vater. Das ist an sich interessant, denn seine Hauptfigur ist irgendwann auserzählt. So soll sein Onkel im Krieg als schwarzer Engel über die Schlachtfelder geritten sein, um den Sterbenden den Trost des Jenseits vorzugaukeln. Am Ende bringt Akbar dann noch einen Knüller um die Mutter von Cyrus – sie ist nämlich jene berühmte sterbende Künstlerin mit der Cyrus die langen Gespräche führen kann. Das scheint ein wenig zu dick aufgetragen, die Story einer bettelnden und stehlenden Migrantin, die zum Kunststar wird, wirkt wenig glaubhaft. Trotzdem: Kaveh Akbar schafft einen Einblick in das Gefühlsleben eines jungen Iraners in den USA und macht deutlich, wie verschieden Menschen sein können, die nebeneinander leben.


Kaveh Akbar: Märtyrer!
Aus dem Englischen von Stefanie Jacobs
Rowohlt, 400 Seiten, € 25,50

Freudloses Studentenleben mit Mord – Michael Köhlmeier: Die Verdorbenen

Eine Geschichte, die nachdenklich macht: Der Ich-Erzähler Johann berichtet von seiner Studentenzeit in Marburg in den 70er-Jahren, als er plötzlich von einer Kollegin – Christiane –, die er kaum kennt und die ihn auch nicht interessiert, offenbart bekommt, dass sie ihn liebt.

Das hätte schnell geklärt sein können, doch Johann ist ein Unentschlossener. Als er sie später wiedersieht, werden sie doch in irgendeiner Weise ein Paar, allerdings ein höchst ungewöhnliches. Denn Christiane ist seit Kindergartenzeit gleichzeitig mit Tommie zusammen, der Christianes Entscheidung gegen ihn aber zu akzeptiere scheint. Bloß zieht Tommie dann doch bei ihnen ein. Sowohl Christiane als auch Tommie scheinen emotional gestört und eines nachts flieht Johann ohne Ziel als er die beiden auffordert, miteinander zu schlafen und sie das auch tun. In Belgien schläft er in einem Strandkorb, wo er von einem Mann überfallen wird. Johann kann sich wehren und tötet den bereits Wehrlosen. Damit schließt sich ein Kreis, denn Johann hatte seinem Vater auf die Frage, was denn sein Wunsch an das Leben wäre, antworten wollen: Ich möchte einmal einen Menschen töten… Die Pointe will ich aber natürlich nicht verraten. 

Michael Köhlmeier ist meiner Meinung nach am besten bei kürzeren Erzählungen. „Die Verdorbenen“ könnte gut auch als Novelle bezeichnet werden. Eine Novelle ist, nach Goethe, „eine sich ereignete unerhörte Begebenheit“. Das passt hier ganz gut, aber Roman verkauft sich wohl besser. In dieser Geschichte scheint kein Satz zu viel und keiner zu wenig. Und natürlich geht es um die ganz großen Themen: Was ist das Böse, was ist ein Leben ohne Liebe wert und was braucht es, um böse zu werden? Das alles entwickelt eine Zwanghaftigkeit wie eine antike Tragödie.


Michael Köhlmeier: Die Verdorbenen
Hanser Literaturverlage, 160 Seiten, € 24,50

3 Menschen am Dach eines Hochhauses – Isabella Straubs Roman „Nullzone“

Die einen wohnen in einem schiefen Gemeindebau-Hochhaus, die anderen haben viel Geld angezahlt, um rundherum in einem futuristischen Wabenbau unterzukommen. Das Stadtentwicklungsgebiet, in dem beides angesiedelt ist, trägt den verstörenden Namen Nullzone. Beim Wohnen offenbaren sich auch heute noch die sozialen Klassen.

Die Wiener Autorin Isabella Straub bringt eine Hausmeisterin mit Medikamentenproblem, einen Paketzusteller, der Unternehmer – Drohnenzusteller – werden will, und einen Zukunftsforscher, der Dauergast in einer Startup-Castingshow ist, zusammen. Abwechselnd nehmen wir als Leser an ihren Sorgen teil. Dramatik bekommt die Geschichte, weil das Hochhaus umzufallen droht – eine Sanierung würde jedes Budget sprengen, aber die Bewohner desselben gehen natürlich trotzdem für ihre lieb gewordene Einöde auf die Straße.

Die drei Hauptpersonen haben natürlich alle ihre Macken. Zukunftsforscher Gabor will eigentlich gar nicht in seine Wabe umziehen. Er wurde bloß von seiner Frau in das Projekt genötigt. Außerdem hat er den Verdacht, an einer schweren Krankheit zu leiden. Paketzusteller Rachid leidet unter der Trennung von seiner Freundin, gefällt sich im Macho-Boss-Gehabe und hat leider wenig im Kopf, während die Hausbesorgerin Elfi noch immer hofft, ihr verschwundener Sohn würde zurückkommen. Rührend kümmert sie sich aber um eine halb-demente Nachbarin. Am Ende kommen alle aus verschiedenen Motiven auf dem Dach des Hochhauses zum Showdown zusammen, wo Rachid Gabor beweisen will, dass seine Drohne einsatzfähig ist.

Isabella Straub ist ein unterhaltsamer Roman über das Zusammenleben in einer Großstadt gelungen, ihr Personal ist interessant. Man ahnt, welche Schicksale in den bereits jetzt bestehenden Waben schlummern.

Straub wird ihren Roman auch bei Rund um die Burg (9./10. Mai) vorstellen.


Isabella Straub: Nullzone
Elster & Salis, 372 Seiten, € 26,50

Pflegekraft trifft Karrierefrau – Susanne Gregors „Halbe Leben“

Der neue Roman der in Wien lebenden aus der Slowakei stammenden Autorin Susanne Gregor beginnt gleich mit einem Absturz. Bei einem Spaziergang mit Paulína, der Betreuerin ihrer Mutter, fällt Klara in eine tiefe Böschung und kommt ums Leben. Die folgenden Seiten erzählen dann das Davor. Und das ist interessant, denn Gregor versteht es, Alltagsszenen so zu verdichten, dass die dahinter liegenden Probleme in den Familien verständlich werden. Denn natürlich hat auch die slowakische Pflegekraft Paulína daheim eine Familie, die sie jeweils für zwei Wochen verlassen muss. Denn so ist der Deal mit der Karrierefrau Klara, die schon mit ihrer halbwüchsigen Tochter überfordert war und sie deshalb von ihrer Mutter betreuen ließ. Doch Mutter Irene ist nach einem Schlaganfall selbst pflegebedürftig und Klaras Mann Jakob ein Träumer, der recht unenergisch als Fotograf arbeitet. Als Paulína kommt, scheint sich alles zum Besten zu entwickeln. Sie und Klara sind gleichaltrig, vielleicht kann sich gar so etwas wie eine Freundschaft entwickeln.

Susanne Gregor, deren Vorgängerromane „Das letzte rote Jahr“ und „Wir werden fliegen“ schon sehr positiv aufgefallen sind, weiß gekonnt das Verhältnis der beiden Frauen zueinander zu entwickeln. Zwischendurch machen wir als Leser auch einen Abstecher in die Gedanken der zunehmend dementer werdenden Mutter Irene. Niemand hat böse Absichten und doch entstehen Kränkungen, ihre Lebenswelten sind einfach sehr verschieden. Und beide haben immer wieder das Gefühl zu versagen – vor allem natürlich in ihrer Mutterrolle. Mit „Halbe Leben“ ist Gregor ein Roman gelungen, der dem komplexen Frauenleben heute gerecht wird.

Susanne Gregor wird ihren Roman auch bei RUND UM DIE BURG (Freitag, 9. Mai und Samstag 10. Mai) präsentieren.


Susanne Gregor: „Halbe Leben“
Zsolnay Verlag, 190 Seiten, € 24,50

Tito-Partisanen und Winnetou – Clemens Meyers Monumentalroman „Die Projektoren“

Die 1050 Seiten dieses Romans sind sowohl ein Lesevergnügen als auch ein Bergwerk für Germanistik-Seminararbeiten. Clemens Meyers „Die Projektoren“ schafft nämlich zweierlei – eine spannende Handlung zu erzählen und Sätze zu finden, die nachwirken. Dabei schert sich Meyer erfrischend wenig um drohende Kitschvorwürfe. Da hat endlich wieder einmal einer einen Roman geschrieben, der Position bezieht.

„Die Projektoren“ beleuchtet die dunkelsten Kapitel der Geschichte des Balkans. Schon der 1. Weltkrieg hatte hier seinen Ausgangspunkt, aber im Roman sind wir vor allem im blutigen Partisanenkrieg gegen die Nazis und die mit ihnen verbündeten kroatischen Ustascha-Faschisten, im Tito-Kommunismus und später im Bürgerkrieg nach dem Tod des Diktators. Als logischer Abschluss dient das Flüchtlings-Leid auf der sogenannten Balkanroute. Und als Kontrastprogramm sind wir bei den ungemein erfolgreichen deutschen Karl-May-Verfilmungen dabei, die um die Plitvicer Seen herum gedreht wurden. Da kämpfen zwar auch Indianer ums Überleben, aber das Publikum durfte eben auch „echte“ Helden anhimmeln. Ein Franzose – Pierre Brice – spielte den Winnetou, ein Amerikaner – Lex Barker – den Deutschen Old Shatterhand.

In „Die Projektoren“ werden viele Geschichten erzählt – so reist etwa Pierre Brice mit einem jugoslawischen Schauspieler, der im Film Winnetous Vater spielt und ein veritabler Schürzenjäger ist, durch die USA, um echten Indianern bei ihrem Kampf um mehr Rechte zu unterstützen. Als Hauptperson dient Meyer aber ein Mann, der immer nur als der Cowboy genannt wird, weil er ein kariertes Halstuch trägt. Der diente als Halbwüchsiger den Partisanen als Meldegänger, sitzt dann aber trotzdem Jahre auf der berüchtigten Gefängnisinsel und macht sich bei den May-Dreharbeiten als Komparse und Übersetzer unentbehrlich. Denn just vor seiner Haustüre auf einer Schäferhütte kämpfen Mays Helden ihre gerechten Kämpfe. Am Ende sucht er seine Nichte mitten auf den Schauplätzen des IS-Terrors im Iran, wo er zur Unterhaltung der Dorfbewohner Winnetou-Filme zeigt – Karl May hatte ja auch einige Orient-Abenteuer hinterlassen. Sehr wichtig sind aber auch die gar nicht harmlosen Spiele blutjunger Neonazis in der damaligen DDR. An der Seite der Kroaten ziehen diese später im Balkankrieg gegen die Serben. Die verschiedenen Handlungsstränge lassen sich freilich kaum nacherzählen – da fällt einem Wiener natürlich gleich Doderers Ausspruch ein: „Ein Werk der Erzählungskunst ist es umso mehr, je weniger man durch eine Inhaltsangabe davon eine Vorstellung geben kann“, verlautbarte der Autor 1966. In den „Projektoren“ löst eine groteske Szene die nächste ab.

Als Schlüsselszene könnte man den historischen Vortrag, den Karl May 1912 in Wien gehalten hat und bei dem angeblich Adolf Hitler unter den begeisterten Zuhörern gewesen sein soll. Der Titel: „Empor ins Reich des Edelmenschen“, denn der Schilderer unzähliger Kämpfe soll in Wirklichkeit ein großer Humanist gewesen sein. „Die Projektoren“ ist ein Roman, bei dem man nach der letzten Seite das Gefühl hat, ihn gleich noch einmal lesen zu müssen.


Clemens Meyer: Die Projektoren
S. Fischer, 1056 Seiten, € 36,00

Dialog zwischen Wien und München – Daniel Glattauers Roman „In einem Zug“

Ein Buchtipp von Otto Brusatti

Er reizt wieder seinen Plot aus (Stichwort „Nordwind“). Ein erzählender Mann, diesmal schon ein Kleinwenig jenseits seiner Lebensmitte und von Schreibhemmungen geplagt (seit vielen Jahren nun schon, noch dazu eine für Liebesromane; sowie dauernd ihm gegenüber eine leicht aggressive, straffe, jüngere Frau (tätig zwischen Psycho und Marathon). Sie sitzen voreinander im Zug, zufällig, so scheint es. In den anstehenden viereinhalb Stunden über die Westbahnstrecke von Wien nach München kommt man ins Reden und mehr. Es entstehen langsam Offenheiten. Man tauscht sich immer mehr aus über Zwischenmenschliches, über die seit Dezennien glücklich laufende Ehe des einen sowie über die wechselnden Beziehungen der anderen.

Glattauer schreibt in der Einheit des Ortes und (fast) der Zeit, er – zugegeben – versteht es virtuos, Dialoge vom Vertrautwerden bis zu einer ersten Erotik zu formulieren; zudem wechselt er oft aus dem Gespräch in das Parallel-Denken des Mannes, witzig und ironisch und beklommen. Kaum Aktuelles kommt vor, aber die beiden Menschen (nur gelegentlich unterbrochen) breiten etwas aus voreinander – und sie breiten dabei sich vor allem selbst und viel vom eigenen Scheitern aus. Der Mann ist am Weg, im Verlag zur Verantwortung gezogen zu werden; er ahnt, es müsste alles dort in München schiefgehen. Die Frau wird immer begieriger zu erfahren, wie denn eine gute Beziehung tatsächlich laufen könne, so lange und so treu, wie ihr (zu) oft versichert wird. Zudem kommen einige Alkoholprobleme heraus, zudem wird es immer schwerer, sich weiterhin ohne geradezu kindliche Scheu mit dem Faktor Sex auseinanderzusetzen.

Der Schluss des Buches soll überraschen und verblüffen. Er ist dennoch irgendwie erwartbar gewesen. Der Dialog läuft sich ab Salzburg langsam fest, nachdem er etwa in Amstetten oder noch in Attnang-Puchheim blühte.  

Ein Lesebuch, ein feines, eines zum Dranbleiben während 200 Seiten. Man nimmt den beiden Protagonisten zwar bald nicht mehr alles ab. Der Mann ist ja doch ein bisschen ein Lulli und kein cooler Bestseller-Autor, die Frau reagiert wie die Erfolgs-Tussies in bemühten Magazinen. Manchmal möchte man aber, ganz am Schluss, sogar doch noch wissen, wie es weitergehen würde/könnte/sollte. Und das ist ja für solche Geschichten-Bücher ein großes Kompliment.


Dialog zwischen Wien und München – Daniel Glattauers Roman „In einem Zug“. Ein Buchtipp von Otto Brusatti.

Daniel Glattauer: In einem Zug
Roman, Dumont, 204 Seiten, € 24,50

Eine Familie auf der Flucht – Micha Lewinskys „Sobald wir angekommen sind“

Ein Zwischenfall auf NATO-Gebiet in Europa lässt Schlimmes befürchten – wird gar mit Atomwaffen geantwortet? In Zürich läuten für den wenig erfolgreichen Drehbuchautor Ben Oppenheim die Alarmglocken. Auch seine von ihm kürzlich getrennte Frau Marina macht sich Sorgen und so bucht sie für Ben und die zwei Kinder Moritz und Rosa einen Flug nach Brasilien. Obwohl Ben längst eine andere Freundin – die erfolgreiche Künstlerin Julia – hat. Der Hintergrund: Jüdische Familien sind aufgrund der Lehren aus der Geschichte stets fluchtbereit. Werden Ben und Marina in Recife wieder ein Paar?

Micha Lewinsky ist eigentlich Filmregisseur, „Sobald wir angekommen sind“ ist sein erster Roman. Und er packt nicht wenig in die Story: Jüdische Selbstzweifel, Ehekrise, Kindererziehung, neue Liebe. Aus der Sicht von Ben erzählend bleibt er dabei aber immer auf der humorvollen Seite und scheut sich nicht, seinen Protagonisten blöde aussehen zu lassen. Ben weiß ja selbst, dass er einiges vergeigt hat. Sein Drehbuch über Stefan Zweig in Brasilien wird von seiner Produzentin abgelehnt, Neues fällt ihm nicht ein. Zwischen Frau und Geliebter kann er sich nicht entscheiden, wahrscheinlich bleibt er sowieso allein zurück. Wir folgen ihm auf seiner Flucht ebenso wie bei seinen Selbsttäuschungen. Stilistisch ist der Roman sicher nicht der Hammer, aber mit seinen vielen Reflexionen über das Judentum, Männer in der Krise oder grundsätzlich die Situation unserer Welt ist das Buch mit Vergnügen zu lesen.


Micha Lewinsky: Sobald wir angekommen sind
Diogenes, 280 Seiten, € 26,50

Vom Schreiben schreiben – Bestsellerautor Benedict Wells erzählt in „Die Geschichten in uns“ seinen mühevollen Weg zum Schriftsteller

Nach dem Lesen von Wells letztem Roman „Hard Land“ fragte ich mich, warum gerade ein deutscher Autor eine – zugegeben sogar perfekte – Geschichte vom Aufwachsen in einer amerikanischen Kleinstadt geschrieben hat. Deshalb war ich neugierig, etwas aus der Werkstatt dieses – seit „Vom Ende der Einsamkeit“ 2016 – Bestsellerautors zu erfahren. Kurz gesagt: jetzt weiß ich, warum Wells diesen Roman schreiben musste…

Benedict Wells erzählt aber zuerst vom eigenen Aufwachsen. Im Vorwort berichtet der Autor, dass dieses Buch sein gescheiterter Versuch sein, einmal für eine Zeit kein Buch zu schreiben. Nun, wir profitieren ja unentwegt davon, dass Schriftsteller schreiben müssen. Wells hatte freilich eine problematische Kindheit. Da seine Mutter manisch-depressiv war und sein Vater in die Insolvenz abrutschte, kam Wells in ein Heim in Bayern. Schon bald wurden Bücher sein Trost. Im Sommer 2003 zieht er 19-jährig nach Berlin, um dort Autor zu werden. Es folgen Jahre, in denen er viele schlechte Texte schreibt, Brotjobs macht, ehe er mit „Becks letzter Sommer“ seinen ersten Roman herausbringen kann. Seinen Namen Wells hat er sich aus John Irvings „Gottes Werk und Teufels Beitrag“ geliehen, denn er ist – wie er nicht öffentlich machen wollte, aber eine Zeitschrift aufdeckte – ein Enkel Baldur von Schirachs und Cousin des Schriftstellers und Juristen Ferdinand von Schirach.   

„Hard Land“ ist ein Coming-of-Age-Roman, der in den 80er-Jahren in einer fiktiven amerikanischen Kleinstadt spielt. Wells erkannte, dass Sehnsucht der prägende Begriff der Eighties war, denn schließlich gab es die Angst vor dem Atomkrieg ebenso wie Tschernobyl, Aids und den sauren Regen. Diese Sehnsucht verspürte der Autor auch in seiner Erinnerung in Bayern. Und die USA waren auch in Deutschland mittels Filme und Songs allgegenwärtig. Also siedelte Wells seinen Roman gleich dort an.

„Die Geschichten in uns. Vom Schreiben und vom Lesen“ enthält aber auch sehr viele Reflexionen über das Schreiben von Literatur. Das ist interessant, erfahren wir doch auch von bekannten Romanen und der Arbeitsweise von Schriftstellern. Die praktischen Tipps sind sicher für angehende Autoren hilfreich, so mancher große Roman wäre allerdings nicht zustande gekommen, wäre der Verfasser ihnen gefolgt. Das Nachdenken über Literatur ist freilich immer ein Gewinn.


Vom Schreiben schreiben – Bestsellerautor Benedict Wells erzählt in „Die Geschichten in uns“ seinen mühevollen Weg zum Schriftsteller.

Benedict Wells: Die Geschichten in uns
Vom Schreiben und vom Lesen
Diogenes, 400 Seiten, € 26,80

Thomas Manns Zauberberg – 2 Bücher zum Literatur-Jubiläum

1924 erschien Thomas Manns wohl bekanntester Roman „Der Zauberberg“. Die Geschichte des lungenkranken Hans Castorp gilt zurecht als einer der profiliertesten Romane in deutscher Sprache – ein Jahrhundertbuch und ein Abgesang auf eine Epoche, die mit dem Ausbruch des 1. Weltkriegs endete.

Der deutsche Autor Norman Ohler hat jetzt ein Buch über Davos geschrieben, das er selbstbewusst „Der Zauberberg, die ganze Geschichte“ nennt und etwas kokett in einer Art Rahmenhandlung als Steuerabschreibprogramm definiert. Er fährt mit Tochter und deren Freundinnen zum Schiurlaub nach Davos, wo er dann tatsächlich über die Geschichte des Ortes recherchiert. Und das ist nicht uninteressant. Ausgerechnet ein deutscher politischer Flüchtling und Arzt begründete den Ruf dieses Ortes, der Mitte des 19. Jahrhunderts noch völlig unbekannt war. Dem Arzt fiel auf, dass hier hoch in den Bergen niemand an der Geisel der Zeit – der Tuberkulose – erkrankt war. Er schaffte es, das erste Sanatorium einzurichten und bald schon kamen vor allem Gutbetuchte, um sich hier zu kurieren. Ein wissenschaftlicher Nachweis fehlte allerdings bis zuletzt. Schließlich wurde bekannt, dass Tbc von einem Bakterium ausgelöst wird. Antibiotika waren allerdings noch nicht erfunden. Ohler zeichnet die Entwicklungsstufen von Davos sehr plastisch nach, denn natürlich reagierten die Ärzte auch auf die neuen medizinischen Erkenntnisse. Nach und nach traten strenge Hygienemaßnahmen in Kraft – man war auf den Weg in eine Gesundheitsdiktatur. Das profitable Geschäft mit den Kranken blieb freilich und so manch Gesunder wurde gleich mitbehandelt. Thomas Manns Begegnung mit einem Davoser Arzt ist bekannt – der Dichter, der ja nur seine Frau besuchte, floh vor der falschen Diagnose und schrieb eben den Zauberberg. Heute ist Davos aber auch durch das Treffen der Superreichen beim World Economic Forum bekannt und unter Verschwörungstheoretikern berüchtigt. Spannend ist auch die Nazi-Geschichte des Ortes. Wilhelm Gustloff baute hier mitten in der Schweiz eine starke NS-Ortsgruppe auf, ehe er von einem jungen Juden erschossen wurde. Hitler hatte seinen ersten Märtyrer…

Während Ohler doch eher ein Sachbuch geschrieben hat, stürzt sich Heinz Strunk in die Literatur. Sein „Zauberberg 2“ spielt allerdings nicht in den Bergen, sondern in eine psychiatrische Klinik im sumpfigen Niemandsland Mecklenburg-Vorpommerns. Dort kommt sein 36 Jahre alter Unternehmer Jonas Heidbrink, um seine Angstzustände zu überwinden. Dabei ist Heidbrink in einer sozial privilegierten Situation – als reich gewordener Start-up-Unternehmer hat er mehr Geld, als er ausgeben kann. In der Klinik trifft er ein Panoptikum heutiger psychisch angeschlagener Bürger, die in diversen Therapien – von Musik, Theater, Physio – behandelt werden, die alle aber in ihrem eigenen existenziellen Saft schwimmen. Das ist eine Zeit lang ganz unterhaltsam, wirklich interessieren können die an der Nähe zur Karikatur angesiedelten Leiden und Figuren aber nicht. Die philosophischen Dispute in Manns Zauberberg verkommen zur Brabbelei. Ausgerechnet ein 80-jähriger, der sich zu seinem Geburtstag mit Hochprozentigem ins Koma säuft, kann da am ehesten noch mithalten.


Heinz Strunk: Zauberberg 2
Rowohlt, 228 Seiten, € 25