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„Das dritte Königreich“ ist auch der dritte Band von Knausgårds Sternenepos

Der norwegische Schriftsteller Karl Ove Knausgård wurde mit einem sechsbändigen autofiktionalen Roman zum Starautor. In der Pandemie begann er ein fiktionales Romanprojekt, in dem ein plötzlich erscheinender Stern am Himmel als Zeichen oder Katalysator für eine Reihe von Protagonisten fungiert. Die beiden ersten Bände – „Der Morgenstern“ und „Die Wölfe aus dem Wald der Ewigkeit“ haben beide an die 1000 Seiten, der dritte Roman der Reihe – „Das dritte Königreich“ – ist mit 650 Seiten vergleichbar dünn. Aber das ist egal, denn Knausgård ist ein begnadeter Erzähler, der uns auch Figuren, die nicht interessant erscheinen, mit Spannung folgen lässt. Und dann will man natürlich wissen, wie es weiter geht – in Erwartung von mehreren folgenden tausend Seiten. Vor allem freut man sich fast schon darauf, den einmal abgeschlossenen Romankomplex zur Gänze noch einmal in einem Zug lesen zu können.

In „Das dritte Königreich“ begegnen wir vielen Figuren aus den ersten beiden Bänden. Da ist die manisch-depressive Malerin Tove, die eine Stimme hört, wenn sie ihre Medikamente absetzt, weil sie wieder voll für ihre Familie da sein will. Ihr Mann schreibt an einem Roman, aber vielleicht weiß er längst, dass er nicht das Zeug zu einem Schriftsteller hat. Da gibt es die 19-jährige Line, die in den Dark-Metal-Musiker Valdemar verknallt ist, der nur für eine kleine Gemeinschaft auftritt und jegliche Aufnahmen seiner Musik verbietet. Valdemar ist überzeugt, dass auf das Reich Gottes das Reich Jesu folgt und dann das des Heiligen Geistes – das dritte Königreich. Beim Sex ritzt er sie, weil er sich völlig sicher sein will, dass seine Gefühle echt sind. Line flieht begreiflicherweise entsetzt, kann sich aber seinem Einfluss nicht entziehen, zumal sie bald weiß, dass sie schwanger ist.

Knausgård erzählt alles in der 1. Person, wir schlüpfen also in die diversen Gedankenwelten seiner Figuren. Sogar in die eines Menschen, der laut Medizin klinisch tot ist. Die Diskussionen zwischen zwei Freunden – der eine ist der behandelnde Arzt und der andere ein Hirnforscher – gehören zu den spannendsten des Buches. Denn der Forscher verweist auf Alan Turing, der feststellte, dass etwas Komplexes nur von etwas noch Komplexerem erklärt und erfasst werden könne, sprich: ein Gehirn kann kein Gehirn entschlüsseln. Und dann gibt es etwa noch einen Polizisten, der im Fall einer satanistisch hingerichteten Metal-Band ermitteln soll. Er glaubt auf dem Foto einer Überwachungskamera den Teufel selbst hervorluken zu sehen.

Wir erleben eine Gesellschaft im relativen Wohlstand – ein durch Fleiß reich gewordener Bestattungsunternehmer wundert sich etwa, dass sieben Tage hintereinander niemand stirbt – auf der Suche nach Sinn. Knausgård setzt dabei Mystik sehr wohldosiert ein. Ein bisschen Horror darf aber schon sein. Die ideale Sommerlektüre für Menschen, die nicht nur am Strand lesen. Am Ende verschwindet der Stern so plötzlich wie er gekommen ist, aber das muss ja nicht für immer sein.


Karl Ove Knausgård „Das dritte Königreich“
Aus dem Norwegischen von Paul Berf
Luchterhand
656 Seiten
€ 29,50

Düstere neue Welt – Andrea Grills Roman „Perfekte Menschen“

In „Perfekte Menschen“ sind wir – wie in so vielen aktuellen Romanen – irgendwann und irgendwo in einer nahen Zukunft, die keine gute ist. Zwar geht es den Eltern von Michael nicht schlecht – der Vater ist Programmierer, die Mutter eine erfolgreiche Schwimmerin, sie wohnen in einem schönen Haus – aber die Welt hat sich vollkommen digitalisiert und dadurch inhaltsleer gemacht. Gespielt wird auf technisch ausgefeilten Konsolen, Bildung und alles weitere erhalten alle über „Fieelys“, deren Besitz sogar verpflichtend ist. Die Schrift ist längst abgeschafft, man kommuniziert ausschließlich über Videos und die Natur scheint ebenfalls nicht mehr gebraucht, weil zu gefährlich.

Da wird Michael als 8jähriger von bewaffneten Soldaten – der Regierungsgewalt? – in ein weit entferntes Camp gebracht, wo Buben zu Kämpfern ausgebildet werden und er seinen neuen Namen – Balaban – erhält. Dort ist es noch trostloser als zu Hause, denn natürlich fehlt dem Buben seine Mutter. Sonst hat er ja sowieso kaum soziale Bindungen.

Andrea Grill lebt in Wien und Amsterdam, ist promovierte Evolutionsbiologin und übersetzt aus dem Albanischen. Aus Albanien stammt auch der Mythos von Balaban Badera, der – von Soldaten verschleppt – gegen die eigenen Landsleute kämpfen muss. Aber in „Perfekte Menschen“ wird nicht gar erzählt, wozu der Staat seine Kämpfer ausbildet. Es ist eine Welt, in der sich zu leben sowieso kaum lohnt. Zubetonierte Flüsse, kein Grün und keine Insekten. Es stellt sich also bald die Frage, wohin der kleine Michael fliehen soll mit seiner kleinen Hoffnung, dass es überall besser als im Lager ist. Zumal wir inzwischen wissen, dass seine Mutter ermordet wurde.

Andrea Grill hat einen Roman geschrieben, der im Tonfall und in der erzählerischen Logik an J. M. Coetzees Jesu-Romantrilogie erinnert. Das ist verstörend – auch wenn sie am Ende keine wirkliche Auflösung bietet.


Andrea Grill: Perfekte Menschen
Leykam Verlag
168 Seiten
€ 24,50

13 neue Kurzgeschichten vom Meister – T.C. Boyle „I walk between the Raindrops“

Kurzgeschichten haben es bei uns noch immer schwer. Die meisten, die sich überhaupt für Literatur interessieren, lesen lieber Romane. Möglicherweise weil Stories schwieriger zu konsumieren sind, denn man muss sich in jeder Geschichte erst zurechtfinden – wer ist der „Held“?, wo spielt das Ganze und in welcher Zeit? Das mag in den USA nicht anders sein, aber dort hatte man immerhin lange Zeit Magazine, die regelmäßig Kurzgeschichten servierten. Der Markt ist kleiner geworden, aber die höhere Achtung für Short Stories ist geblieben. Und so überrascht es nicht, dass die aktuellen Meister dieses Genres aus den USA kommen. T.C. Boyle gehört zweifelsohne dazu, wobei das deutsche Publikum nur einen Bruchteil seines tatsächlichen Outputs kennen.

13 Stories bringt Hanser jetzt heraus, die die Vielseitigkeit seine Oeuvres wieder einmal beweisen. Da machen wohlhabende Kalifornier in einem kleinen Ort in Arizona Bekanntschaft mit dem seltsamen Personal einer Bar. Zwei Welten treffen aufeinander. Eine Geschichte spielt in der Zukunft, wo selbstfahrende Autos auch gegen den Willen ihrer Besitzer entscheiden, wer einsteigen darf und in einer anderen sind wir beim Ausbruch einer Pandemie auf einem Kreuzfahrtschiff. Diese Story hat Boyle geschrieben, als wir von Corona noch so gut wie gar nichts wussten. Das Thema ist aber sowieso, wie sich Menschen verhalten, die auf engstem Raum tagelang quasi eingesperrt werden.

Boyle kann das nämlich perfekt, mit wenigen Sätzen eine Stimmung erzeugen und Personen so knapp beschreiben, dass ihre Handlungen glaubhaft werden. Und er schert sich wenig um die sogenannte political correctness. Am College haben fast gleichaltrige Lehrerinnen und Schüler sexuelle Beziehungen – ein Minenfeld fürwahr, aber dem Autor geht es nicht um Moral, sondern nur um die persönlichen Erfahrungen seiner Protagonisten. Wir sind ja in der Literatur und nicht in einem Gesetzesentwurf. Boyle liebt es auch, Unerwartetes zu bringen – in einer Geschichte sind wir etwa in Frankreich nach dem Weltkrieg, als eine Mutterkorn-Vergiftung einem ganzen Dorf Horror-Halluzinationen verschafft. Lustiger ist die Geschichte, in der selbsternannte Führerinnen Menschen 50 Dollar abknöpfen, damit sie für 2 Stunden im Wald vor der Haustüre allein sein können. Eine echte, schmerzhafte Begegnung mit der Natur erfährt ein Teilnehmer aber erst, als eine Klapperschlange in seinem Vorgarten auftaucht.


T. C. Boyle: I walk between the Raindrops. Stories.
Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren und Anette Grube
Hanser
274 Seiten
€ 26,50

Eine Arbeiterfamilie im Sauerland – Martin Beckers Standortbestimmung seiner Herkunft in „Die Arbeiter“

Sagt heute noch jemand barabern oder hackeln? In Deutschland heißt das malochern und bedeutet hartes, körperliches Arbeiten. In den 70er-Jahren waren noch etwa 40 Prozent der Menschen in Österreich und Deutschland Arbeiter, heute sind es gerade einmal noch unter 20 Prozent. Viele Jobs sind verschwunden, aber sehr viele wurden einfach aus dem Arbeitsrecht rausgerechnet, man nennt das Scheinselbständigkeit. Der Neoliberalismus hat übernommen. Nicht geändert hat sich, dass Menschen dieser Klasse durchschnittlich etwa 5 Jahre früher sterben.

Martin Becker wurde 1982 in einer Kleinstadt im Sauerland geboren. Sein Vater war Bergmann und wechselte nach einem Unfall in eine Fabrik, wo er ebenfalls mit schwerem Gerät hantieren musste. Die Mutter versuchte sich als Schneiderin für ein Versandhaus. Geld war immer knapp. Wenn es sich ausging, fuhr man an die Nordsee, übernachtete aber nicht am Strand, sondern billiger im Landesinneren und ernährte sich von Dosensuppen. Den Traum vom Eigenheim erfüllte man sich mit immensen Schulden, das Reihenhaus wurde niemals abbezahlt. Als der Kinderwunsch sich nicht erfüllen wollte, nahm das Paar ein Waisenkind auf – allerdings verschwiegen die Behörden, dass Lisbeth schwer behindert zur Welt gekommen war. Als den Eltern ihr Verhalten seltsam vorkam, bot man ihnen an, das Kind wieder zurückzunehmen – was die Arbeiterfamilie empört ablehnte.

Martin Becker – der Autor lässt uns nie im Unklaren, dass es seine Geschichte ist, die er hier erzählt – kommt als Nachzügler zur Welt, sein Bruder Kristof ist da schon der Vernünftige in der Familie. Becker wird Autor, aber anders als seine französischen Kolleginnen/Kollegen Annie Ernaux oder Didier Eribon, die die Autofiktion zur Kunstform erhoben haben, bleibt er ziemlich unsentimental nahe am Geschehen. Er schreibt sich frei von seiner Wut auf die Eltern, versucht zu verstehen und weiß immer ganz genau, dass deren Geschichten und Sehnsüchte auch seine sind.

Bald schon zerfranst die Familie an ihren Widersprüchen. Mutter ist aufbrausend bei ihrer Jagd nach Schnäppchen, Vater meistens still, am Wochenende trinkt er Korn – für Andersdenkende hat man wenig Verständnis, aber immerhin wählt man immer SPD und keine Rechtsradikalen. Alle sind viel zu dick. Erst am Schluss, als die Brüder sich ihrer Verantwortung für die siechen drei Verwandten stellen müssen, werden Gespräche versucht. Gefühle haben keinen Platz in dieser Wirklichkeit.

„Die Arbeiter“ ist ein nachdenklich machendes Buch über einen schweigenden Teil unserer Bevölkerung, ihre Träume und Wünsche. Am Strand der eiskalten Nordsee stehend, versichert man sich dennoch immer, was für ein schönes Leben man doch hat.


Martin Becker: Die Arbeiter
Luchterhand
302 Seiten
€ 22,70

Das Naturparadies Oberösterreich zu Fuß erkunden

„Auf Wandertour mit Bahn und Bus“ präsentiert abwechslungsreiche Routen, die nachhaltig und stressfrei durch das Bundesland führen.

40 abwechslungsreiche Touren quer durch Oberösterreich, die bequem mit Bus, Bahn oder Schiff erreichbar sind. Detaillierte Wegbeschreibungen, übersichtliche Landkarten, praktische Hinweise sowie interessante Informationen zu vielen Sehenswürdigkeiten: Im neuen Buch „Auf Wandertour mit Bahn und Bus“, erschienen im Linzer Trauner Verlag, haben die Autoren Sabine Neuweg und Alois Peham auf rund 160 Seiten eine abwechslungsreiche Auswahl an Routen zusammengestellt, die von einfachen Spaziergängen bis hin zu mittelschweren Bergtouren reichen.

Das Buch zielt darauf ab, Wanderbegeisterten die Schönheit der oberösterreichischen Landschaften näherzubringen, ohne dass ein eigenes Fahrzeug benötigt wird. Mit detaillierten Wegbeschreibungen, übersichtlichen Landkarten und praktischen Hinweisen soll den Lesern die Planung ihrer Ausflüge erleichtert werden. Zusätzlich bieten Informationen zu lokalen Sehenswürdigkeiten und Einkehrmöglichkeiten einen Mehrwert für Wanderer. Um die Orientierung auf den Wanderungen zu vereinfachen, werden neben Distanzen, Gehzeiten und Angaben zu Höhendifferenzen auch GPS-Daten zum Download angeführt. 

Der neue, praktische Wanderführer ist in enger Kooperation zwischen dem Trauner Verlag und den Oberösterreichischen Nachrichten erschienen. Die beiden Autoren Sabine Neuweg und Alois Peham schreiben seit fast 30 Jahren gemeinsam als „Tourenerkunder“ für die OÖNachrichten. 

Der neue Wanderführer ist ab sofort im Handel sowie online auf www.trauner.at erhältlich.

Zwischen USA und Irland – Colm Tóibíns Roman „Long Island“, die Fortsetzung seines Erfolgs „Brooklyn“

Der Ire Colm Tóibín ist einer der besten europäischen Erzähler. Mit „Brooklyn“ – 2010 auf Deutsch erschienen – gelang ihm ein Aussiedlerroman, der zeigte, dass selbst für Menschen, die dieselbe Sprache sprechen und aus demselben Kulturkreis kommen, Migration alles andere als leicht ist. „Brooklyn“ wurde 2016 auch erfolgreich verfilmt. Jetzt erschien – gut 15 Jahre später – eine Fortsetzung mit dem gleichen Personal. Thema ist wieder die kulturelle Differenz verschiedener Kulturkreise und die Unfähigkeiten der Menschen zur Kommunikation. Über weite Strecken bestimmt das Ungesagte die Handlung.

Der Roman beginnt mit einem Paukenschlag. Eines Tages taucht bei der in Long Island mit ihrem Mann Tony und den zwei halbwüchsigen Kindern lebenden Eilis ein Mann auf, der ihr erklärt, er werde das Kind, das Tony mit seiner Frau gezeugt hatte, nach der Geburt vor ihre Haustüre legen. Eilis ist entsetzt – den Seitensprung hätte sie ihm wahrscheinlich verziehen, aber ein anderes Kind will sie unter keinen Umständen aufziehen. Tonys italienische Familie sieht das anders, seine Mutter erklärt sich bereit, das Kind zu sich zu nehmen. Doch man wohnt in der Siedlung Haus an Haus, Eilis würde das Ergebnis von Tonys Seitensprung täglich sehen müssen. Sie flüchtet geradezu zu ihrer Mutter, die in Kürze ihren 80. Geburtstag feiern wird – in Enniscorthy, im Westen Irlands. Eilis hatte ihre Heimat vor 20 Jahren das letzte Mal besucht, als sie schon heimlich mit Tony verheiratet war und eine Liebschaft mit dem Pubbesitzer Jim eingegangen war. Ihr Schwanken zwischen Jim und Tony machte die Spannung von „Brooklyn“ aus. Und natürlich trifft Eilis jetzt wieder auf Jim, der sich gerade mit Eilis‘ Freundin Nancy verloben will. Wieder bleibt bis zum Ende offen, wie die Liebesgeschichten ausgehen, wenn man so will, lässt Tóibín sogar noch Raum für einen dritten Roman.

In der Nacherzählung klingt das natürlich wie der Inhalt eines Groschenhefts. Doch Colm Tóibín ist eben ein großartiger Erzähler, der das Unvermögen seiner Protagonisten, sich verständlich zu erklären, genau beobachtet. Er braucht dazu auch keine großen sprachlichen Kunststücke – die Einfachheit seines Stils entspricht perfekt dem Gehalt seiner Geschichte. Der Roman wird abwechselnd von Eilis, Nancy und Jim erzählt, wir sind ganz nahe bei ihnen und verstehen komplett ihre Dilemmata. Mit Zeitangaben ist der Autor sparsam, wir sind in der 2. Hälfte des 20. Jahrhundert, Eilis Kritik daran, dass amerikanische Jungs in Vietnam sterben müssen, hat einen Verweis aus Tonys Großfamilie zur Folge und verweist uns in die 70er-Jahre. Ein Roman für Menschen, die sonst keine Liebesromane lesen.


Colm Tóibín: Long Island
Aus dem Englischen von Giovanni und Ditte Bandini
Hanser Verlag
316 Seiten
€ 27,50

Zwischen Berlin und Nicaragua – Jörg Magenaus 80er-Jahre-Roman „Liebe und Revolution“

An der Uni in Berlin wird noch fleißig Karl Marx diskutiert und in einem Lesekreis treffen einander Studenten, um gemeinsam Peter Weiss‘ „Ästhetik des Widerstands“ zu lesen und zu deuten. Wir sind im linken Milieu von Westberlin.

Jörg Magenau, den man auch als Redakteur des deutschen Feuilletons kennt, führt in seinem ersten Roman „Liebe und Revolution“ zwei Erzählstränge zusammen. In dem einen fällt gerade die Berliner Mauer und Tausende „Ossis“ feiern ihre erste Nacht im Westen. Im anderen ist der Protagonist Paul – im Rückblick – gerade in Nicaragua, um den Sandinisten im Kampf gegen die von den USA unterstützen Contras zu helfen. Er trifft sogar den regierenden Revolutionär Daniel Ortega. Paul ist aber nicht bei der kämpfenden Truppe –  seine Aufgabe ist es, mit einfachsten Mitteln ein Fabriksgebäude für die Näherinnen eines Dorfes zu bauen. Paul ist kein richtig Überzeugter, er wirkt eher wie ein Getriebener des Zeitgeistes, was sich auch in seinem Liebesleben widerspiegelt. In Berlin war er mit Beate zusammen, die er beim historischen Mauerfall zufällig wieder trifft. In Nicaragua schwärmte er für die unnahbare Sigrid, die er freilich bei einem gefährlichen Überfall in Stich lässt – sie wird verschleppt. Zurück in Berlin arbeitet er bei einer Nachrichtenagentur, während Beate schon einen Job im Feuilleton hat.

Magenau gelingt es überzeugend, die jeweiligen Stimmungen und Milieus in den zwei Ländern einzufangen, der nachdenkliche Paul wird zwar von ihm nicht in Schutz genommen, er bringt aber doch Verständnis für seine Schwächen auf. Der Roman ist sehr gut lesbar – die Engführung der zwei Erzählstränge funktioniert perfekt.


Jörg Magenau, den man auch als Redakteur des deutschen Feuilletons kennt, führt in seinem ersten Roman „Liebe und Revolution“ zwei Erzählstränge zusammen.

Jörg Magenau: Liebe und Revolution
Klett-Cotta, 304 Seiten, € 24,80

Drei Schwestern in Linz – Caro Reichls Debütroman „Was glänzt, verschwindet mit uns“

Die in Wien lebende Linzerin Caro Reichl beschreibt in ihrem Erstlingsroman „Was glänzt, verschwindet mit uns“ drei Schwestern und ihre komplizierte Verbindung zueinander.

Die erzählende Protagonistin Nola ist die jüngste, die selbstbewusste Katrin die älteste Schwester. Der Roman setzt ein, als die Mittlere, Ida, im Sterben liegt, womit Nola – obwohl als Psychotherapeutin arbeitend – überhaupt nicht umgehen kann. Just in der Sterbenacht hat sie einen One-Night-Stand, nachdem sie sich zuvor liebevoll um ihre Schwester gekümmert und sogar Idas Kater bei sich aufgenommen hat. Da kommt auch noch ausgerechnet ihre heimliche Jugendliebe zu ihr in Therapie, doch Herr Pechmann kann sich offensichtlich überhaupt nicht mehr an seine ehemalige Schulgefährtin erinnern. Ihre enge Verbindung zu Ida hatte sich in einem Phönix manifestiert, die sie sich ebenso wie ihre Schwester tätowieren ließ. In wirren Tagträumen bewegt sie sich wie der mystische Vogel durch die Lüfte. Vom Phönix wird ja berichtet, dass er sich aus der eigenen Asche wieder erheben kann. Wir dürfen also für Ida hoffen.

Dabei verliert Nola nach und nach den Boden unter ihren Füßen. Sie gefährdet ihre ziemlich lieblose Beziehung zu ihren in Salzburg arbeitenden Freund, indem sie in dessen Wohnung Idas Hinterlassenschaft lagert. Sie schwärmt weiterhin für Herrn Pechmann und mischt sich sogar gegen ihr Berufsethos in dessen Leben ein. Schließlich verschlampt sie Termine. Nicht einmal mit dem Kater kann sie eine Beziehung aufbauen. Als dieser auch noch stirbt, hat sie einen völligen Zusammenbruch.

Caro Reichl schafft es, uns trotz dieser trüben Geschichte als Leser bei der Stange zu halten. Ihre Hauptperson gewinnt mit den Seiten immer mehr Kontur und stellt sich dann ziemlich überraschend als höchst manipulativ heraus. Ein vielversprechender Erstling.


30 Jahre Neue Oper Wien – Intendant Walter Kobéra ist auch Gast bei „Rund um die Burg“

„Begegnungen – Eine Lustfahrt durch neue Opernwelten“ heißt das prächtige Buch, das zum Jubiläum erschienen ist – ein Band mit zahlreichen Fotos aus 30 Jahren.

Die Neue Oper Wien war von Beginn an auf modernes Musiktheater spezialisiert und hat damit dem Mangel an zeitgenössischer Oper abgeholfen, der zu Beginn der 1990er Jahre in Wien und Österreich (und noch immer) herrschte. Ausschließlich Werke des 20. und 21. Jahrhunderts stehen seit 1994 auf dem Spielplan. Hauptsächlich Uraufführungen und österreichische Erstaufführungen. Ohne eigene Spielstätte und fixes Ensemble ist ihr Credo nicht nur die Erschließung neuer Klangwelten, sondern auch neuer Räume und Spielstätten. Mit dem Konzept, sich die Häuser nach den Opern auszusuchen, werden die Räume zu Mitspielern, die Bühnenbilder werden eng an die jeweiligen Räume angepasst, die Akustik wird im neuen Raum erprobt und entwickelt. Werk, Ausführende, Raum und Zuschauer verschmelzen in diesem Spannungsfeld zu einer Einheit. Das Theater findet zu einer neuen Sprache und die Musik gewinnt an emotionaler Dichte. Im Wechselspiel mit Regie, Ausstattung und Musikalischer Leitung werden Räume immer wieder neu definiert und anders bespielt. Spielstätten wie das Odeon, das Semper-Depot, die Bank Austria Halle im Gasometer, die Remise, das Jugendstiltheater oder die Alte Werft in Korneuburg wurden von der Neuen Oper Wien für das Musiktheater erschlossen. Das Buch will auch beweisen, dass „moderne Oper“ und innovative Inszenierungen kein „Schreckgespenst“ für Musikliebhaber bedeuten, sondern zur intensiven Diskussion anregen. Musiktheater als Ort der inhaltlichen und gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung!

11. 5. 25
10.00 Uhr
Restaurant Vestibül im Burgtheater
Begegnung mit Walter Kobéra und Diskussion über 30 Jahre Neue Oper Wien

Angebot sucht Nachfrage – Ein Wegweiser durch die Welt der Wirtschaft bei Rund um die Burg

„Wirtschaft war nie so wichtig wie jetzt, trifft uns alle – und wird doch als schwierig empfunden.“ schreibt Reinhard Göweil in seinem neuen Buch „Angebot sucht Nachfrage 2.0. Und tatsächlich wird ihm in Zeiten von Inflation, einem Krieg vor der Haustür und einem nach der Pandemie noch immer stotternden Wirtschaftsmotor niemand widersprechen können. Göweil war jahrelang Wirtschaftsredakteur in diversen Medien und zuletzt Chefredakteur der „Wiener Zeitung“, aktuell gibt er die finanznachrichten.at heraus.

Grundsätzlich ist es ja mit der Wirtschaft genauso wie mit der Politik – auch Menschen, die verkünden, sie interessieren sich nicht für Politik, sind von den Auswirkungen politischen Handelns direkt betroffen. Zumal es heute ordentlich „knirscht im Gebäck“, wie Göweil schon im Prolog schreibt. Bis zur Covid-Krise herrschte etwa ein sogenannter „Käufermarkt“, da heißt das Angebot überstieg die Nachfrage und Waren wurden tendenziell immer billiger. Eines der (wenigen) positiven Effekte des Neoliberalismus. Allerding mit dem Effekt, dass Firmen ihre Produktion in immer billigere Länder transferieren mussten, damit wir das T-Shirt um 2 Euro kaufen können.

Durch Covid und die Folgen der Trump-Jahre (Hohe US-Zolle) lagen Produktionen allerdings still, die Käufer musste also Waren suchen und teurer bezahlen. Dazu die Kriege und höhere Energiekosten. Der Autor zeigt dazu in klaren Bildern wie Wirtschaft funktioniert und nebenbei was uns der EU-Beitritt gebracht hat – kurz wir wären ein sehr viel ärmeres Land. Schon die Koppelung des Schilling-Kurses an die D-Mark durch Hannes Androsch hatte einen Qualitätsschub für die heimische Industrie ausgelöst, ganz einfach dadurch, dass die Betriebe statt auf Preis auf hochwertige Ware setzen mussten.

In der Pandemie hat Österreich, nach Meinung des Autors jedenfalls gravierende Fehler gemacht, indem Geld einfach für entgangene Geschäfte ausbezahlt wurde, statt dieses an Investitionen zu binden. Wer glaubt, es werde immer so weitergehen wie 2019 noch gedacht irrt gewaltig. Die ungezügelte Globalisierung ist zu Ende, die großen Märkte schotten sich zunehmend ab und die Klimakrise tut ein Übriges. Wir leben gewiss in herausfordernden Zeiten.

Reinhard Göweil wird bei Rund um die Burg über sein Buch diskutieren:
10. 5. in der Stelldichein Meierei Volksgarten, 21 Uhr