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Herbert Fritsch peppt Raimunds „Die gefesselte Phantasie“ am Burgtheater auf

Bild: ©Matthias Horn

Hätte Ferdinand Raimund nur „Die gefesselte Phantasie“ hinterlassen, sein Name wäre heute wohl nur noch in der Theaterwissenschaft bekannt. Ein matter Einfall  – die bösen Magierinnen sperren die Phantasie ein, um ihren Kandidaten für die Herrschaft über eine paradiesische Insel durchzubringen – und viele umständliche Wendungen machen dieses Zauberspiel zu einem wenig ansprechenden Bühnenwerk.

Im Burgtheater spielt man es nun nur, weil der ehemalige Volksbühnen-Schauspieler und für seine grellen Inszenierungen bekannte Herbert Fritsch sich dieses Werks annimmt. Und Fritsch liefert zuverlässig: Raimunds Personal steckt in bunten Hippie-Outlooks, Lederhosen-Parodien und lässigen Gammlerklamotten und hastet gekonnt und ungezwungen von einem Gag zum anderen. Hermione, Königin des Inselidylls und gespielt von der großartigen Maria Happel, verspricht sich ständig und presst aus ihren Fehlern neue Poesie. Ausgerechnet die Phantasie selbst ist als grauer Bürohengst gezeichnet, um umso eindrucksvoller zu beweisen, dass ohne sie nichts in der Dichtkunst geht. Tim Werths kann in dieser Rolle aber glänzen.

Erstaunlich auch, dass Fritsch mehr als zwei Stunden (ohne Pause) das optische und sprachliche Feuerwerk durchhalten kann. Das Publikum wird niemals müde, die Einfälle zu bewundern – selbst wenn diese aus Wiederholungen besonders schräger Erzählungen bestehen. Bleibt am Ende ja doch noch was zum Nachdenken: Wenn pure (Zauber-) Macht alles Kreative knechtet, kann dabei nichts Gutes herauskommen. Das sollten sich die Diktatoren dieser Welt hinter die Ohren schreiben.


Infos und Karten: burgtheater.at

Horváths „Kasimir und Karoline“ in einer sehr speziellen Fassung im Burgtheater

Bild: ©Matthias Horn

Ödön von Horváths auf dem Oktoberfest in München spielendes Volksstück „Kasimir und Karoline“ gehört zu den meistgespielten Repertoirestücken des deutschen Theaters. Vielleicht weil es um ein Liebespaar geht, das freilich angesichts der trüben wirtschaftlichen Lage – Kasimir ist gerade arbeitslos geworden – vor dem Ende der Beziehung steht. Horváth scheint dabei den berühmten Spruch von Karl Marx – „Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt.“ – geradezu verifizieren zu wollen.

Die serbische Regisseurin Mateja Koležnik bricht das Stück nun im Burgtheater auf eine 80-minütige Tour de Force herunter. Gespielt wird dabei auf zwei Ebenen (Bühne: Raimund Orfeo Voigt): Oben – orange gehalten und mit halbtransparenten Paneelen zum Teil verdeckt – eine Tankstelle mit Garage, in der auch gefeiert und Musik gemacht wird, unten – grünlich schmutzig – der Waschraum einer Toilette, wo sich die Mädchen umziehen aber wo auch körperliche Gewalt stattfindet. Das Geschehen läuft dabei geradezu atemlos ab, alle Figuren sind fast immer in Bewegung, es wird gestritten und gelacht, intrigiert und geprügelt. Die Sanitäter sind dabei im Dauereinsatz. Dass man dabei nicht immer jedes Wort versteht, scheint gewollt und ist der schnellen Dramatik und den abschirmenden Stellwänden geschuldet.

Vom Schauspielteam wird viel abverlangt. Felix Rech und Marie-Luise Stockinger sind das titelgebende Paar, gespiegelt durch das zweite Paar, dem brutalen Merkl Franz (Christoph Luser) und seine naiv-ergebene Erna (Mavie Hörbiger). Jonas Hackmann spielt den Zuschneider Schürzinger, der angesichts des Streits von Kasimir mit Karoline seine Chancen berechnet. Markus Hering und Markus Meyer geben nur die Karikaturen geiler, reicher, alter Männer ab.

Diese Burgtheaterfassung ist zweifelsohne ein radikal neuer Ansatz diesen Klassiker zu realisieren – um Werktreue schert sich Mateja Koležnik wenig. Wer sich darauf einlässt, erlebt ein packendes, heutiges Theater, das seine Stärken im Kampf um Zuseher, die längst eine TV-Serien-Ästhetik gewohnt sind, geschickt ausspielt.


Infos & Karten: burgtheater.at

Moritz Eggerts Operette „Die letzte Verschwörung“ an der Wiener Volksoper

Bild: ©Barbara Pálffy

Wer sagt denn, Musiktheater sei antiquiert und bringe immer nur dieselben alten Stoffe? Die Volksoper will den Gegenbeweis antreten. Ihre Chefin Lotte de Beer gab dem Komponisten und Librettisten Moritz Eggert den Auftrag zu einer Operette – dem antiquertesten Genre überhaupt –  zum vieldiskutierten Thema „Verschwörungstheorien“. Und der hat prompt und – wie die Premiere zeigte – auch zum Gefallen des Publikums geliefert. Ein zweieinhalbstündiger (mit Pause) musikalischer Spaß, der auch intellektuell nicht unterfordert.

Wir erleben den Fall des beliebten Fernsehmoderators Friedrich Quant (Timothy Fallon), der ausgerechnet nach dem Auftritt eines Spinners, der behauptet, die Erde wäre eine Scheibe, an seiner eigenen Weltanschauung zu zweifeln beginnt als dieser ihm nachkolorierte Urlaubsbilder von Quants Familie zeigt. Wie der „Schwurbler“ (Orhan Yildiz) das macht, wird nicht ganz klar, allerdings zerfleddert Quants Glaube an die Tatsachen von da an an allen Enden. Reptilienmenschen haben die Kontrolle übernommen, das FBI sowieso und bald schon schauen Außerirdische vorbei, während in der Küche der Pizzeria Kinder als Belag aufbereitet werden. In den Videoeinspielungen regnet sowieso schon die Matrix runter vom Schirm – Quant verliert Familie und findet unter den Mitkämpfern eine Geliebte (Lara: Rebecca Nelsen), die sich freilich am Ende als nicht menschlich herausstellt. Moritz Eggert hat nicht viel ausgelassen, was es so an Humbug im Netz gibt – als der Bundeskanzler mit der sagenhaft reichen Mobilfunk-Sponsorin kuschelt, wachsen beiden Stacheln und Scheren. Dazu gibt es flotte, in Ansätzen sogar schlagertaugliche Musik, bisweilen erinnert der Soundteppich auch an Film. Intergalaktisch tanzen Menschen in silberglänzenden Vollkörperkostümen dazu.

Bevor das alles völlig entgleitet, kommt Regisseurin Lotte de Beer am Ende höchstpersönlich auf die Bühne und fordert bei dieser „Probe“ eine realistischere Darbietung. Ein Hinweis darauf, dass sich das Genre selbst nicht ernst nimmt. Viel Applaus für den kurzweiligen Abend.


Infos & Karten: volksoper.at

Yasmin Rezas „Serge“ Akademietheater

Bild: ©Matthias Horn

Yasmina Reza ist eine der wenigen Autorinnen, die Stücke schreiben, die für Theaterhits gut sind. „Kunst“, „Drei Mal Leben“ oder „Der Gott des Gemetzels“ – letzteres wurde sogar von Roman Polanski erfolgreich verfilmt – sind längst Dauerbrenner auf den Bühnen. Im Akademietheater spielt man jetzt allerdings ihren im Vorjahr erschienenen Roman „Serge“ in einer von Lily Sykes und Andreas Karlaganis hergestellten Bühnenfassung. Und so darf man sich auch nicht wundern, wenn der von Michael Maertens gespielte Jude Jean gleich zu Beginn spricht, obwohl er allein auf der Bühne ist.

Er ist der Erzähler der Geschichte über sich und seinem Bruder Serge (Roland Koch) und seiner Schwester Nana (Alexandra Henkel). Serges Tochter Joséphine (Lilith Häßle) will nach dem Tod ihrer Großmutter nach Auschwitz fahren, denn alle sind ja Nachkommen von Überlebenden der Shoah. Der nicht unproblematische Trip gerät natürlich zur Familienaufstellung. Im Fokus steht – wie im Titel ja schon angedeutet – Serge, dem gerade seine Frau – längst müde von seinen Seitensprüngen – abhandengekommen ist. Er ist der dominantere der beiden Brüder, Jean ist die Duldernatur – er ist emotional nur an den halbwüchsigen Sohn seiner Freundin gebunden. Auch er hat natürlich eine gescheiterte Ehe hinter sich.

In den knapp zweistündigen Abend gibt es viel Emotion zu erleben, eingebettet in jüdischem Humor reiben sich die Figuren aneinander oder schwelgen in Kindheitserinnerungen. Das ergibt in der Regie von Lily Sykes und vor allem durch die Kunst der eingesetzten Schauspielerinnen und Schauspieler – Martin Schwab gibt einen sterbenden Onkel – einen interessanten, kurzweiligen Theaterabend. Wirklich viel haften bleibt aber nicht. Yasmina Reza hat für diesen Stoff sicher nicht zufällig die Romanform gewählt, denn in einem Buch lassen sich einfach besser Stimmungen und Befindlichkeiten unterbringen.

Info: burgtheater.at

Angst vor dem Windows-Man – Bernd Liepold-Mossers sehr freie Interpretation von Johann Nestroys „Höllenangst“ im dastag

Bild: ©Anna Stocher

Was ist denn heute noch real, wenn sich das wirkliche Leben anscheinend im Netz und in den Foren abspielt? Bernd Liepold-Mosser hat für das Theater dastag in der Gumpendorfer Straße Nestroys nach dem Scheitern der Revolution geschriebene Posse „Höllenangst“ ins heute transferiert – wobei vom Ursprungstext nicht viel übriggeblieben ist. Denn die Kämpfe ums Erbe und ums Überleben finden – samt sprachlicher Übertragung ins Netz-Neusprech –jetzt eben in den virtuellen Welten statt. Auf der Bühne befinden sich drei riesige Kugeln, die die Protagonisten bisweilen wie Spielfiguren vor sich herschieben. Es geht dabei um die Intrige eines Böslings, der sich ein Erbe unter den Nagel reißen will und dabei seine Konkurrenten aus dem Weg schaffen muss. Und natürlich ist auch Liebe im Spiel und – ziemlich konstruiert – moderner Aberglaube. Der Teufel wird zum furchterregenden Windows-Man mit Löschbevollmächtigung. Wobei Klassenkampf nicht fehlen darf, schließlich droht der Absturz in die Armut.

Jens Claßen, Georg Schubert, Emanuel Fellmer, Andreas Gaida, Lisa Schrammel und Petra Strasser spielen selbstbewusst ihre Rollen – und schwingen sich, begleitet von Oliver Welter an der E-Gitarre, zu Kärntner Heimatliedern im modernen Textgewand auf. Das ist lustig und unterhaltsam – die Funktion des Kärntner Dialekts erschließt sich in diesem Zusammenhang allerdings nicht. Es bleiben anderthalb Stunden in Ansätzen bissiges Theater mit gesellschaftskritischem Anspruch.


Infos & Karten: dastag.at

„Das flüssige Land“ von Raphaela Edelbauer im Kasino des Burgtheaters

Bild: ©Ruiz-Cruz

Mit ihrem Roman „Das flüssige Land“ über ein fiktives Dorf in Österreich, das in ein Loch zu stürzen droht, wurde die Wienerin Raphaela Edelbauer 2019 in der Literaturszene bekannt. Er stand auf der Shortliste des Deutschen und des Österreichischen Buchpreises. Hintergrund sind die Verbrechen an Kriegsgefangenen und KZ-Häftlingen, die die Nazis – etwa in Rechnitz – verübten und deren Spuren bis heute zum Teil noch unentdeckt in der Erde ruhen.

Die Wiener Theatermacherin Sara Ostertag hat „Das flüssige Land“ jetzt in einer Theaterfassung (mit Jeroen Versteele) auf die Bühne des Burgtheater-Kasinos gebracht. Beherrscht wird der Raum von zwei riesigen Trampoline, in einer Ecke singt und spielt live der Musiker Paul Plut anfangs und zwischendurch Songs – von Volksliedern im Dialekt bis zu David Bowie. Die Protagonistin, eine Physikerin, die ins Dorf kommt, um ihre Eltern zu begraben, sowie diverse Dorfbewohner spielen abwechselnd Suse Lichtenberger, Katharina Pichler und Michele Rohrbach – manchmal rezitieren sie auch, während sie auf dem Trampolin hüpfen. Die Rolle der seltsamen Gräfin im schwarzen Reifrock hat Rainer Galke übernommen.

Nach und nach lernen die Zuschauer die seltsame Welt des Dorfes kennen, in dem die Häuser langsam versinken und man für alles eine Bewilligung braucht. Dass die Besucherin ihre Habilitation über die Blockuniversumstheorie – nach der Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft eins sind – schreibt, macht die Geschichte natürlich noch mystischer. Und am Ende ist sowieso nicht klar, ob das Ganze nicht ein durch Psychopharmaka ausgelöster Drogentraum war. Es geht wieder zurück nach Wien.

So erleben wir bei „Das flüssige Land“ einen flüssigen Theaterabend – mit einigen Spannungselementen und Höhepunkten. Dass die Grundstruktur des Textes romanhaft ist, bleibt aber immer präsent. Es wird einfach– trotz des Könnens der Darstellerinnen –­ mehr erzählt als gespielt. Warum zurzeit auf fast allen Theatern Wien so viele Romandramatisierungen zu sehen sind, ist eine Frage, der sich Theatermacher stellen müssten. Das Plus im Kasino: immerhin vermittelt man hier Gegenwartsliteratur.


Infos: burgtheater.at

Morsches Gehölz – Bertolt Brechts „Die Kleinbürgerhochzeit“ in den Kammerspielen

Bild: ©Moritz Schell

Am Ende bricht fast alles an Mobiliar zusammen, was der Bräutigam selbst gezimmert hat, sogar der Holzboden ist brüchig. Er hätte wohl nicht beim Leim sparen sollen. Bertolt Brechts Einakter „Die Kleibürgerhochzeit“ ist eines seiner frühesten Dramen, es fehlt noch alles, was sein späteres Schaffen ausmacht. Sich über arme Menschen lustig machen, die krampfhaft den Schein von Bürgerlichkeit wahren wollen, hätte Brecht ohne Verweis auf die „Verhältnisse“ später nicht mehr geduldet. Philip Tiedemann inszenierte das Jugendwerk bereits vor Jahren erfolgreich am Berliner Ensemble, wo es unglaubliche 17 Jahre am Spielplan stand.

In den Kammerspielen der Josefstadt setzt er mit dem bewährten Team des Hauses (André Pohl, Therese Lohner, Katharina Klar, Susanna Wiegand, Alexander Absenger, Markus Kofler, Michaela Klamminger, Roman Schmelzer und Jakob Elsenwenger) auf Slapstick und Situationskomik. Bald schon versinkt ein Hochzeitsgast im berstenden Boden. Durch das erhöhte Bühnenbild sieht man den Fuß sogar im Untergrund stecken. Dazu gibt es langatmige, Appetit vertreibende Familiengeschichten, zotige Lieder und respektslose Tänze. Die Hauptperson ist quasi der schlechte Leim – wo immer die Figuren hinlangen, haben sie ein Stück Mobiliar in der Hand oder brechen Wände und Decken.

Das Premierenpublikum dankte begeistert für die gut 80 Minuten Komik. Vielleicht braucht es ja in Zeiten von mit Aussagen überfrachteter Theaterabende wieder mehr Spaß auf den Bühnen.


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josefstadt.org

Katastrophe ohne Anlauf – Thomas Manns Roman „Der Zauberberg“ im Burgtheater

Bild: ©Marcella Ruiz Cruz

Immer wieder hört man das Ticken einer Uhr und auch das Programmheft besteht nur aus Stellen über die Zeit aus Manns Jahrhundertroman „Der Zauberberg“. Das scheint ein logischer Ansatz angesichts der Handlung, denn aus Hans Castorps geplantem dreiwöchigen Besuch seines Vetters in der Lungenheilanstalt in Davos werden bekanntlich sieben Jahre. Das verordnete siebenminütige Fiebermessen dauert in der Bühnenfassung von Bastian Kraft zwar nicht wirklich sieben Minuten, aber eine Szene, in der nicht gesprochen und agiert wird, kommt einem im Theater schon sehr lange vor.

Das eigentliche Regiekonzept von Kraft besteht aber darin, alle vier Darsteller – Felix Kammerer, Dagna Litzenberger Vinet, Markus Meyer und Sylvie Rohrer – in ähnlicher, cremefarbiger Kleidung Hans Castorp spielen zu lassen und die anderen 14 Nebenfiguren – ebenfalls durch sie – mit Videoclips einzuspielen. Dabei leistete die Maskenbildnerin (Lena Damm) Erstaunliches – man muss oft sehr genau hinschauen, um die Schauspieler zu erkennen, die oft konträr zu ihrem tatsächlichen Geschlecht eingesetzt werden. Felix Kammerer spielt etwa die verführerische Russin und ebenso ihren reichen, holländischen Gatten. Gesprochen wird alles live – und so können wir etwa fasziniert die Gespräche der zwei intellektuellen Kontrahenten Settembrini und Naphta verfolgen, die sich später auch noch duellieren und die beide von Sylvie Rohrer dargestellt werden. Solche Szenen erfordern ein perfektes Timing, das alle an diesem Abend bravourös meistern.     

Peter Baur hat einen schematischen Berg auf die Vorderbühne des Burgtheaters gestellt, auf dem die Videos auch eingespielt werden womit er uns öde Leinwände erspart. Das alles vermittelt eine abgeschlossene Welt der Krankheit und der Dekadenz, die benommen auf die drohende Katastrophe – den 1. Weltkrieg – zusteuert. Ein faszinierendes Setting, das vom Premierenpublikum ausführlich bejubelt wurde.


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burgtheater.at

Ein Dorf-Sittenbild aus der Zeit vor der Naziherrschaft – Das Akademietheater spielt Maria Lazars „Die Eingeborenen von Maria Blut“

Bild: ©Susanne Hassler-Smith

Alles geschieht im Angesicht der Gottesmutter, die mit Heiligenschein gekrönt, riesengroß aufgestellt auf die Dorfbewohner blickt. In der ersten Hälfte der Romandramatisierung von Lucia Bihler, die auch Regie führte und Alexander Kerlin umschließt sie mit ihrem von zwei Engeln getragenen blauen Gewand quasi den Dorfplatz, wo mit Riesenpuppenköpfen ausgestattete „Eingeborene“ dem böswillig konnotierten Tratsch frönen. Schuld am Unglück – wie die Schließung der Fabrik oder die Inflation – sind immer die Sozialisten und Kommunisten sowie die Juden. In gezwungener Oppositionsrolle steht der als Atheist und Mörder verdächtige Arzt Lohmann, der seiner sterbenden Frau die letzte Ölung, nicht aber das schmerzlindernde Morphium verweigert. Aber gerade er hat einen Sohn, der zu den Nazis rennt. Lazar interessierte vor allem die unselige Allianz von Katholizismus und Nationalsozialismus, die am Ende allerdings gebrochen scheint. Während die Marienstatue fällt, treten Volksredner auf und die neue – auf Spekulation begründete – Fabrik wird vom Mob zerstört.

Die jüdische Wiener Schriftstellerin Maria Lazar (1895-1948) erhielt während ihres Lebens nicht die ihr aufgrund der Qualität ihres Werkes zustehende Beachtung. Seit den 80er-Jahren des vorigen Jahrhunderts wird Lazar wiederentdeckt. Im Akademietheater spielte man 2019 ihren Einakter „Der Henker“. Der Roman „Die Eingeborenen von Maria Blut“ erschien 1937 in der bekannten, in Moskau erscheinenden Exilzeitschrift „Das Wort“, die von Brecht, Lion Feuchtwanger und Willi Bredel herausgegeben wurde. Er gilt als einer ihrer Hauptwerke.

Die Dramatisierung im Akademietheater bringt geschickt in kurzen Szenen, die durch einen Lichtflash geteilt werden, die Positionen im Dorf auf die Bühne. Da ist die Haushälterin des Arztes, die Angst hat, abgeschoben zu werden, da ihre Mutter Tschechin war. Da ist der Wirt, der sein ganzes Geld in die wertlos werdenden Fabriksaktien gesteckt hat sowie seine völlig von Maria besessene Tochter. Eine Herausforderung für das Ensemble, denn alle spielen mehrere Rollen oder zumindest die verkleideten Einheimischen – eine starke Leistung von Stefanie Dvorak, die auch die Erzählerin spricht, sowie von Philipp Hauß, Jonas Hackmann, Robert Reinagl, Dorothee Hartinger und Lili Winderlich. Zur sich steigernden Dramatik des Abends tragen auch das Sounddesign von Mats Süthoff sowie das Bühnenbild von Jessica Rockstroh bei.


Infos: burgtheater.at

 Der Komponist will ein Denkmal – Jacques Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“ in der Volksoper

Bild: ©Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Statt der Götterwelt tritt in der Volksoper zuerst der Komponist – Jacques Offenbach himself – auf und fordert endlich sein Denkmal in Wien, denn schließlich habe er das Musiktheater gerettet. Dabei glaubt er, in der Staatsoper zu sein, wo sein Meisterwerk schließlich hingehört. Das britische Regieteam Toby Park & Aitor Basauri – bekannt als  Spymonkey – haben Jacques Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“ eine Rahmenhandlung verpasst und machen mit ihrem Auftritt auch gleich klar, dass man keinen denkmalgepflegten Abend erleben wird. Denn saftige, oft sogar schenkelklopferisch anmutende Komik ist der rote Faden, der sich durch die Aufführung in der Volksoper zieht.

In zweidimensionalen Kulissen (Bühnenbild: Julian Crouch) erlebt man gefühlt alle drei Minuten einen Gag. Da kommt etwa die „Öffentliche Meinung“ (Ruth Brauer-Kvam) auf 8 Füßen daher – sie muss ihre Kommentare aus luftiger Höhe singen. Da tanzen Schafe und englische Polizisten ein lustiges Ballett (Choreografie: Gail Skrela) – und da legt der Höllenhund Zerberus einen riesigen Haufen. Fad wird bei dieser Aufführung sogar Kindern nicht. Die etwas abstruse Handlung der Operette, die bei anderen Inszenierungen wie ein Klotz am Bein sein kann, wirkt in diesem Umfeld stimmig absurd.

Und Alexander Joel am Pult heizt mit dem Volksopernorchester mächtig ein. Auch sängerisch gibt es nichts zu bekritteln: Daniel Kluge als behäbiger Orpheus, Timothy Fallon als verschlagener Pluto und Marco Di Sapia als pantoffelheldenhafter Jupiter begeistern das Publikum.  Auch Hedwig Ritter kann als Eurydike überzeugen.

Ein Abend für alle, denen Operetten sonst zu langweilig und verstaubt sind.


Info: volksoper.at