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Theaterkritik – Der Weg ins Freie, Theater in der Josefstadt

„Der Weg ins Freie“ im Theater in der Josefstadt


Derzeit gibt es im Theater in der Josefstadt Arthur Schnitzlers „Der Weg ins Freie“ zu sehen. Eine Theaterkritik.
Text: Helmut Schneider / Foto: Roland Ferrigato


Der Hauptplot des 1908 erschienenen Romans „Der Weg ins Freie“ geht darum, dass Baron Georg von Wergenthin, ein Aristokrat und Künstler, die junge Musikerin Anna Rosner auch dann nicht heiraten will, als sie sein Kind erwartet. Schließlich ist er Künstler und muss frei sein. Die Kindesmutter betrügt er noch vor deren Entbindung. Als das Kind dann stirbt, will er Anna wieder als Geliebte, so als ob nichts gewesen wäre. Schnitzler verarbeitete darin den Umgang von Seinesgleichen mit Frauen und wahrscheinlich aus deswegen zeigten sich seine Freunde von diesem Prosawerk wenig angetan. Inzwischen gilt „Der Weg ins Freie“ allerdings als eines der Hauptwerke der österreichischen Literatur im 20. Jahrhundert. Zumal ein zweites Thema – nämlich der Antisemitismus in Wien schon vor Lueger – darin schonungslos dargestellt wird.

Susanne Wolf hat nun für das Theater in der Josefstadt eine überaus wirksame und spannende Theaterfassung hergestellt. Schnitzlers Witz auskostend wird man sich bei den fast drei Stunden des Abends (mit Pause) niemals langweilen. In der pointiert eingesetzten Regie von  Janusz Kica spielt Alexander Absenger den Frauenheld Georg, Alma Hasun die Anna, Raphael von Bargen den jüdischen Freund und Schriftsteller Bermann und Michaela Klamminger die in Georg verliebte Tochter des reichen Ehrenberg Else. Und natürlich gibt es auch beispielhafte Antisemiten, die allerdings nicht das von Juden gespendete Geld verachten. Vergessen ist etwa in Wien, dass die Volksoper 1898 dezidiert als arisches Haus für christliche Komponisten und Schriftsteller gegründet wurde. Da war Hitler gerade einmal 10 Jahre alt. Schnitzler zeigt alle Formen des Antisemitismus sowie alle Reaktionen darauf – schließlich wurde ja auch der Zionismus durch Herzl in Wien erfunden. Es wäre zu wünschen, dass sich alle Maturaklassen Wiens „Der Weg ins Freie“ ansehen.


Theaterkritik – Pelléas und Mélisande

Symbolistisch direkt


„Pelléas und Mélisande“ im Akademietheater. Eine Theaterbesprechung von Helmut Schneider.
Fotos: Susanne Hassler-Smith


Maurice Maeterlincks Drama „Pelléas und Mélisande“ kennt man eigentlich nur in der Opernfassung von Claude Debussy. Das symbolistische Stück über einen Mann, der auf seiner Insel eine junge Frau findet, heiratet und dann zusehen muss, wie sie sich in seinen Bruder verliebt, scheint auch nur in Vermutungen und Andeutungen zu leben. Der US-amerikanische Regisseur Daniel Kramer brachte es jetzt in einer neuen Fassung und in einer Übersetzung von Alexander Kerlin im Wiener Akademietheater zur Premiere. Er arbeitete dabei vor allem mit drastischen Bildern. Die zarte, blonde, verängstigte Mélisande (Sophie von Kessel) steht dabei dem grobschlächtigen Golaud (Rainer Galke) gegenüber, der sie mit seinen riesigen Händen zu fassen versucht. Später sieht man auch noch seinen keulenartigen großen Penis, mit dem er die Puppe seiner Frau schändet. Sind wir da schon in einem Traum ohne Verdrängung? Schwager Pelléas (Felix Rech) passt da schon größenmäßig besser zu Mélisande. Die Schwiegereltern (Barbara Petritsch und Branko Samarovski) sehen dem Spiel ebenso traurig wie fassungslos zu. Und Stiefsohn Yniold, der sich als Mädchen fühlt (erfrischend: Maresi Riegner) und gezwungen ist, sein Leid als zum Jungen verdammter Thronfolger in einer Nebenhandlung darzustellen.

Eingerahmt wird das Ganze von einer Art Gameshow samt Showgirl. Hat es wirklich noch mehr Hinweise auf unsere sexistische Gegenwart bedurft? Dabei sind die Darsteller redlich bemüht, den Text glaubhaft wirken zu lassen. Allein, können sie damit in der aufgeladenen Stimmung auch durchkommen? Dem Premierenpublikum schien die zweistündige deftige Traumdeutung jedenfalls gefallen zu haben.


Theaterkritik – Alles, was der Fall ist

Wittgenstein auf der Bühne


Wittgenstein auf der Bühne: „Alles, was der Fall ist“ im Akademietheater.
Text: Helmut Schneider / Fotos: Marcella Ruiz Cruz


Heuer jährte sich im April der Todestag des einzigen österreichischen Philosophen von Weltrang. Wobei Ludwig Wittgensteins Einfluss wahrscheinlich noch immer überall sonst mehr anerkannt wird als bei uns. Besonders im englischsprachigen Raum bedeutete der „Tractatus logico-philosophicus“ eine Zäsur im philosophischen Denken.

Im Akademietheater nahm sich erfreulicherweise das Regie-Duo „Dead Centre“ (Ben Kidd & Bush Moukarzel) Wittgensteins an. Allerdings erschienen den beiden die zentralen Thesen des Philosophen aus der Erkenntnisphilosophie nicht so interessant. Sie machten aus dem Denken darüber, was überhaupt gedacht und beschrieben werden kann, ein Problem der Ethik.

ALLES, WAS DER FALL IST Dead Centre nach Ludwig Wittgenstein Akademietheater Uraufführung am 08.06.2021 Regie: Ben Kidd & Bush Moukarzel Bühne & Kostüme: Nina Wetzel Videodesign: Sophie Lux Sounddesign & Musik: Kevin Gleeson Licht: Marcus Loran Dramaturgie: Andreas Karlaganis Mit: Philipp Hauß, Alexandra Henkel, Andrea Wenzl, Tim Werths, Johannes Zirner Live-Kamera: Mariano Margarit

Konkret zeichneten sie mithilfe einer Green Box sowie Videotechnik den realen Fall der Amokfahrt eines Jugendlichen in Graz 2015 nach – immer betonend, dass man aus den Tatsachen nicht die Ursachen der Wahnsinnstat ablesen könne. Von der Steiermark geht es da etwa in den Grenzwald von Bosnien, wo sich die Familie des Attentäters 1993 zur Flucht aufmachte. Dazwischen werden Szenen aus Macbeth eingestreut, in denen es ebenfalls um gut oder böse geht. Aber natürlich kann auch Shakespeare sich im Sinne der Logik nicht exakter ausdrücken als die Flüchtlingsfamilie.

Philipp Hauß gibt dabei den Erzähler und Arrangeur, der im Puppentheater die Szenen aufbaut. Andrea Henke, Andrea Wenzl, Tim Werths und Johannes Zirner spielen wechselnde Rollen, zwischendurch auch Shakespeares Hexen. Das ist streckenweise sehr unterhaltsam, die einfachen optischen Effekte entfalten durchaus Wirkung. So wirklich schlau wird man aus den Ideen aber nicht. Am Ende heißt es dann aber sowieso erwartungsgemäß „Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt.“


Jubiläumsjahr

Thomas Bernhard im Jubiläumsjahr


Theaterkritik von Helmut Schneider: „Die Jagdgesellschaft“ im Akademietheater und „Der Theatermacher“ im Volkstheater.
Text: Helmut Schneider / Fotos: Nikolaus Ostermann,Volkstheater ; Susanne Hassler-Smith


Eine Etüde in rot liefern uns Regisseurin Lucia Bihler und Bühnenbildnerin Pia Maria Mackert in ihrer Interpretation von Thomas Bernhards gesellschaftlichen Endzeitdrama „Die Jagdgesellschaft“ im Akademietheater. Die Figuren stecken in Latexkostümen (Kostümbildnerin Laura Kirst), die an Renaissancemoden erinnern und bewegen sich auch mehr oder weniger gekünstelt. Holzknecht Asamer (Jan Bülow) schlurft mit gewaltigen Handschuhen und meterlangem Haar über die Bühne wie Riff Raff aus der Rocky Horror Picture Show. Und alles wird in rotes Licht getunkt.

Wie Riff Raff aus der Rocky Horror Picture Show – Jan Bülow in „Die Jagdgesellschaft“ im Akademietheater.

Der Alarmismus scheint auch angebracht, denn das riesige Gut steht vor dem Ende. Der Wald wird von Borkenkäfern gefressen und der Gutsbesitzer (Martin Schwab) ist nicht nur herzkrank, sondern auch vom Grauen Star befallen. Zumindest kann er sein Unglück nicht mehr sehen, hofft seine Frau, gespielt von Maria Happel, die ihre Leiden dem Schriftsteller (Markus Scheumann) klagt.

Das alles ist recht hübsch anzuschauen, mit der Zeit – der Abend dauert 2 Stunden – ermüdet das Untergangsschauspiel aber zusehends, zumal die Handlung wie meist bei Bernhard nur in den Dialogen vorangetrieben wird. Immerhin ein Statement, wie man sich eine Bernhard-Interpretation heute vorstellt. 

Im Volkstheater beginnt Kay Voges seine erste Saison nach dem Umbau mit Bernhards „Der Theatermacher“, konkret mit einer Neufassung seiner erfolgreichen Inszenierung 2018 in Dortmund. Das bietet zunächst einmal die Chance, seine neuen Schauspieler kennenzulernen. Nun, die Neuen – Nick Romeo Reimann, Anna Rieser, Uwe Rohbeck, Andreas Beck, Anke Zillich – schlagen sich ganz wacker. Es beginnt ganz traditionell mit den Klagen des Theatermachers über die Provinz und den Niedergang des Theaters und endet in einer Art Slapstick-Endlosschleife, denn Vogel lässt das Stück immer wieder neu anfangen – die Darsteller wechseln die Rollen, die Stimmungen wechseln fast minütlich – zum „Blutwursttag“ sind wir dann mitten in einem Horrorstreifen. Das ist anfangs noch witzig, wird aber durch die rasanten Wiederholungen der Dramenfetzen zusehend nervig, zumal sich keine echten neuen Perspektiven ergeben. Fast so als traute man dem Text von Bernhard die alte Sprengkraft nicht mehr zu. Und das obwohl gerade jetzt seine Österreich-Analysen treffender denn je erscheinen. Dem Publikum hat das Ganze bei der Premiere Spaß gemacht – man war ja wohl schon lange vom Theater entwöhnt.

Eine Art Slapstick in Endlosschleife. – „Die Theatermacher“ im Volkstheater.

Theaterkritik – Into the Woods

Aufregung im Märchenwald


Aufregung im Märchenwald: Die Volksoper spielt Sondheims Musical „Into the Woods“. Ein bunter Abend.
Text: Helmut Schneider / Fotos: Barbara Pálffy,Volksoper Wien


In dem 1987 uraufgeführten Musical „Into the Woods“ verbindet der Veteran der New Yorker Szene Stephen Sondheim, der 2020 seinen 90. Geburtstag feierte, Märchen der Gebrüder Grimm zu einer zusammenhängenden Handlung, die nach dem Schluss dieser Märchen im Buch noch weiter geht. Im Volkstheater spielt man dieses Musical trotz des beibehaltenen englischen Titels auf Deutsch, vielleicht weil man eine familiengerechte Fassung im Sinn hatte. Nun, die von Michael Kunze übertragenen Texte, sind auch nicht weiter so literarisch als dass man dies bemängeln müsste.

Souverän
Oliver Tambosi und Simon Eichenerger ist in dem charmant nostalgischen Bühnenbild (Frank Philipp Schlößmann) jedenfalls ein flotter und bunter Abend gelungen. Das gutgelaunte Ensemble bringt die melodisch ansprechende, doch ohne eigentlichen Hit auskommende Show souverän auf die Bühne. Nachdem im ersten Teil die diversen Märchen auserzählt werden und alles in Wohlgefallen endet, treten im zweiten Teil neue Konflikte auf. Die ärgste Bedrohung im Märchenreich stellt eine Riesin dar, die nur mit vereinten Kräften besiegt werden kann. Als Erzähler und „geheimnisvoller Mann“ kann auch Hausherr Robert Meyer im Märchenwald glänzen. Viel Applaus gab es für alle, besonders aber für die Hexe Bettina Mönch, die eine Verwandlung von einer hässlichen Alten zur Sexy Hexi hinlegen darf. 


„Into the Woods“ von Stephen Sondheim
Volksoper Wien

Theaterkritik – Bunbury

Zwei Gentlemen


Oscar Wilde Fast Forward & gedehnt: „Bunbury“ im Akademietheater in der Inszenierung von Antonio Latella.
Text: Helmut Schneider / Fotos: Susanne Hassler Smith


In „The Importance of Being Earnest“ führen zwei Gentlemen  zwecks Vertuschung ihrer Ausschweifungen  ein Doppelleben – so etwas geht in Komödien in der Regen zum Gaudium des Publikums schief. Im Akademietheater spielt man Oscar Wildes Bühnenhit freilich so, als ob man sich für die Handlung nicht sehr interessierte. Szenen werden endlos wiederholt, Regieanweisungen vom Butler gelesen und viel Energie steckte man in die „Aufklärung“, dass der Autor nicht nur schwul war, sondern dafür auch noch zu schwerem Kerker verurteilt worden ist. Als ob das Menschen, die ins Akademietheater kommen, nicht längst schon wüssten. In ausgewiesenen „gay moments“ küssen Männer Männer und Frauen Frauen.



Dabei steht Antonio Latella ein engagiertes Ensemble zur Verfügung, das den Wortwitz der Komödie auch angemessen präsentieren könnte. Regina Fritsch, Andrea Wenzl, Florian Teichtmeister, Mavie Hörbiger, Mehmet Ateşçi, Tim Werths und Marcel Heuperman haben eben auch Theatermomente, die ihre Präsenz aufflackern lassen. Nach Gesangseinlagen, harmlosen Späßen und akrobatischen Körperübungen soll das Publikum selbst die Schlussworte im Chor vorlesen. Da natürlich alle brav Maske tragen, ist auch die letzte Idee des Abends keine gute.

INFO: https://www.burgtheater.at/produktionen/bunbury


Parsifal

Gefangen im eigenen Ich


Das Streben nach Freiheit. Die multimediale Neuproduktion von Parsifal an der Wiener Staatsoper mit Jonas Kaufmann und Elīna Garanča hat in herausfordernden Zeiten wie diesen besondere Symbolkraft.
Text: Ursula Scheidl / Fotos: Wiener Staatsoper – Michael Pöhn


Nach diesem Parsifal habe ich Mühe einzuschlafen, zu viele Bilder schwirren mir im Kopf herum. Da ist vor allem dieser Albino, der frappant an Blade Runner erinnert, und dem der junge Parsifal mit einer Rasierklinge im Duschraum die Gurgel durchschneidet. Der Schwan ist also tot, aber später in der Oper tauchen diese Szenen wieder auf, genau so wie schwarz-weiß Videos parallel zum Bühnengeschehen mit offenbar russischen Gefangenen mit wilden Tätowierungen, die mit der mystischen Parsifal-Symbolik zu tun haben: mit dem Kelch, dem Speer, dem Kreuz, alles in Großaufnahme auf der riesigen Videowall. Der Schauspieler Nikolay Sidorenko wandert als junger Parsifal stumm bei Eiseskälte durch Wälder und eine Beton-Ruine. Jonas Kaufmann verleiht ihm als gereifte Version auf der Bühne die Stimme. Beide stehen Aug’ in Auge dem andern, fremd gewordenen oder plötzlich wieder ganz nah rückenden Ich gegenüber. Das Filmmaterial entstand im letzten Dezember rund um Moskau: Das Sonnenlicht fiel „durch die Löcher in den zerstörten Wänden herein. Ein in seiner Schönheit magischer und irrealer Moment,“ so Starregisseur Kirill Serebrennikov, der erstmals an der Wiener Staatsoper inszeniert.

Als Parsifal ist Jonas Kaufmann zu erleben, an seiner Seite die stimmgewaltige Elīna Garanča, die als Kundry ihr lange erwartetes internationales Rollendebüt gibt, sensibel und voller Leidenschaft.

Projekt mit Hindernissen
Dieser Parsifal war ein Projekt, das über mehrere Jahre unter schwersten Bedingungen verwirklicht werden musste. Kirill Serebrennikov verantwortet nicht nur die Inszenierung, sondern gestaltete auch das Bühnenbild und die Kostüme. Da er nach seiner Verurteilung das Land noch immer nicht verlassen darf, leitete er die Proben live per Videoschaltung von seiner Moskauer Wohnung aus. Dazu musste das Ensemble täglich Corona-Tests absolvieren und Masken tragen. Dennoch waren alle Beteiligten froh, dass die Produktion verwirklicht werden konnte, wenn auch ohne Publikum, nur für die Kameras. So kommen wir in den Genuss, eines der größten Werke der Opernliteratur mit einer Hundertschaft an Sängern und dem größten Orchesterapparat genießen zu dürfen.

Elīna Garanča als Kundry.

Erinnerungsraum mit Widersprüchen
Die neue Eigenproduktion des in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstandenen Bühnenweihfestspiel ist in vielerlei Hinsicht irritierend, spektakulär und einfach zugleich, wenn man sich darauf einlässt. Sie bringt uns zum Nachdenken über unser eigenes Leben, gerade in Corona-Zeiten. Gleich zu Beginn während des Vorspiels blickt uns ein übergroßes Foto von Jonas Kaufmann als Parsifal an, Stück für Stück wird näher hineingezoomt, bis nur noch die Augen zu sehen sind. Wenn sich der Vorhang hebt sehen wir in ein trostloses Gefängnis, die Haftanstalt Monsalvat, in der Mitte ein Platz, wo die Gralsritter raufen, Hantel heben und sich ihr Essen holen. Sie haben sich in ihrer Welt der Rituale selbst eingesperrt. Die Geschichte wird als Rückschau erzählt, in den ersten beiden Akten wird Jonas Kaufmann als geläuterter Parsifal mit seinem früheren Ich, verkörpert durch einen stummen Schauspieler, konfrontiert. Er entdeckt Verdrängtes und versucht seine Erinnerung zu steuern, und  bestimmte Erfahrungen zu beschönigen. Kundry, großartig und sinnlich interpretiert von Elīna Garanča, kommt als Journalistin im beigen Trenchcoat ins Gefängnis, um eine Reportage zu machen. Im 2.Akt tummeln sich im Redaktionsbüro, das von Klingsor als schmieriger Medienmogul geleitet wird (sehr überzeugend dargestellt von Wolfgang Koch), Selfie-verliebte Blumenmädchen. Elīna Garanča verführt als gefühlskalte Business-Frau, die an Anna Wintour erinnert, den unschuldigen Toren. Sie meistert ihr Rollendebut nicht nur stimmlich, sondern auch schauspielerisch herausragend. Die zerfahrene Bettlerin, jeglicher Illusionen beraubt, im letzten Akt rührt zu Tränen. „Kundry ist voller Widersprüche, magisch und nicht einfach zu verstehen. Sie fühlt, dass sie schlechte Dinge getan hat und versucht, alles wiedergutzumachen“, so Elīna Garanča über ihre Rolle.

Jonas Kaufmann in der Titelrolle hat stimmlich keine Mühe, mitunter wirkt er etwas verloren auf der ihm zugedachten Position abseits der Hauptbühne, die ersten zwei Aktesingt singt er meist an der Rampe. Georg Zeppenfeld als Gurnemanz ist der Anführer der Häftlingsbruderschaft, der ihnen mit seinem wortdeutlichen, klangschönen Bass, mit viel Gefühl von Amfortas’ Schicksal berichtet.

Der französische Bariton Ludovic Tézier überzeugt zu 100 Prozent in seinem Rollendebut als Amfortas, auf das er sich unendlich gefreut hat:“Es ist wie ein schöner Traum und war eine unglaubliche Erfahrung.“ Berührend und stimmig die Szene, in der er versucht, sich die Pulsadern aufzuschneiden, um seinem Leiden ein Ende zu setzen.

Chefdirigent Philippe Jordan geleitet den Chor zu vokalen Höchstleistungen und erzeugt mit dem Staatsopernorchester sowohl die gewünschte Dramatik als auch die feinen Zwischentöne.

Fazit: Die Bilderflut entfacht wuchtige Emotionen, aber nach einiger Zeit lenken die vielen Bilder auch ab, von der sängerischen, und auch von der schauspielerischen Leistung der exzellenten Besetzung. Trotzdem die Bilderwelten und der feinfühlige und gleichzeitig dramatische Klang des Orchesters lassen mich nicht mehr los.

Die Oper kommt ins Wohnzimmer
Streaming kann niemals den Live-Charakter mit dem Publikum, mit den Menschen ersetzen. Aber virtuelle Angebote dienen dazu, dass der Kontakt mit Kultur nicht ganz verloren geht. Danke Direktor Dr. Bogdan Roščić! Bravo an das gesamte Ensemble.

Die Gesamtaufzeichnung der Premierenproduktion ist europaweit auf ARTE Concert kostenlos verfügbar und dort bis mindestens Mitte Mai abrufbar.
Zur Aufzeichnung geht es >hier<.


Landesausstellung

Die STEIERMARK SCHAU


Eine umfassende Selbstreflexion der Steiermark kann vom 10. April bis 31. Oktober an vier Standorten besucht werden. Zu sehen in Graz und in einem mobilen Pavillon.
Fotos: steiermarkschau.at, steiermark.at/Streibl, KADADESIGN


Zu einer Auseinandersetzung mit dem „Steirischen“ lädt die STEIERMARK SCHAU heuer ins Museum für Geschichte, in das Volkskundemuseum und das Kunsthaus in Graz ein. Inhaltlich wird ein Bogen gespannt, der weit in die Vergangenheit des Landes zurück und bis in die Zukunft reicht. In der Ausstellung im Museum der Geschichte erkunden die Besucherinnen und Besucher verschiedene Regionen anhand von Beispielen wie den mittelalterlichen Höhenburgen, mittelalterlichen Klöstern oder der Residenzstadt Graz um 1600. Und unter dem Titel „wie es ist“ unternimmt das Volkskundemuseum eine Vermessung der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation und der Zukunft des Landes.

MULTIMEDIA
Die STEIERMARK SCHAU im Kunsthaus Graz dehnt sich von den Räumen des Kunsthauses ins Internet aus und verschränkt dabei den physischen mit dem virtuellen Raum. Der 800 m2 große mobile Pavillon ist noch bis zum 18. April auf dem Heldenplatz in Wien aufgestellt – der prominente Standort korrespondiert mit der steirischen Präsidentschaft im Bundesrat im ersten Halbjahr 2021. Ein physischer Besuch des ab 17 Uhr in Grün (Farbe der Steiermark) beleuchteten Pavillons ist aufgrund der aktuellen COVID-Richtlinien leider nicht möglich. Auf www.mobilerpavillon.at kann man jedoch Eindrücke der großen Konstruktion des Ausstellungspavillons der STEIERMARK SCHAU sowie der Inhalte der Ausstellung „wer wir sind“ gewinnen. Anschließend tourt der Pavillon durch die Steiermark und wird in Hartberg, Spielberg, Schladming und Bad Radkersburg bei freiem Eintritt zu besuchen sein. Eine Video-Rauminstallation wird eine Gegenwartsanalyse zur Steiermark ausschließlich in bewegten Bildern zeigen. Dabei versteht sich der Pavillon als Plädoyer für die Kunst.

Nähere Informationen zum mobilen Pavillon, zur Ausstellung sowie den weiteren Standorten finden Sie unter: www.steiermarkschau.at/ausstellungen/mobiler-pavillon

STEIERMARK SCHAU
Museum für Geschichte: was war. Historische Räume und Landschaften

Volkskundemuseum: wie es ist. Welten – Wandel – Perspektiven

Kunsthaus Graz: was sein wird. Von der Zukunft zu den Zukünften

Mobiler Pavillon: wer wir sind. Kunst – Vielfalt – Landschaft

steiermarkschau.at


Felix Salten

Der talentierte Mr. Salten


Eine Doppelausstellung im MUSA und in der Wienbibliothek zeigt Bambi-Erfinder Felix Salten als Netzwerker und aufgeweckten Europäer, der auch die USA bereiste. Ab 8. Dezember hat das Wien Museum wieder für Besucher geöffnet.
Text: Helmut Schneider / Foto: Sabine Hauswirth, Wien Museum


Felix Salten hatte das Glück, das pulsierende Wien vor dem Ersten Weltkrieg erleben und sogar mitgestalten zu dürfen, und das Pech, noch im Alter vor den Nazis fliehen zu müssen. Zu seinem 75. Todestag gibt es jetzt zwei zusammenhängende Ausstellungen im Wien Museum/MUSA und in der Wienbibliothek, die sein vielschichtiges Werk als Autor, Journalist und Drehbuchschreiber sowie sein bewegtes Leben darstellen. Salten hat sich mit viel Fleiß und Geschick aus bescheidenen familären Verhältnissen zu einem gut verdienenden, einflussreichen Wiener Intellektuellen hochgearbeitet. Er war ein offener Charakter, der etwa auch mit Begeisterung für die aufkommende Filmindustrie produzierte. An den Filmrechten für seinen größten Erfolg – „Bambi“ – hat er freilich nicht viel verdient, da er sie schon vor der Disney-Anfrage verkauft hatte. Aber als Buch war „Bambi“ natürlich ein Riesenerfolg, der ihn dazu bewegte, noch mehrere Tiergeschichten „nachzuschießen“. Wir befragten dazu Ursula Storch, Kuratorin der Schau im MUSA.

Felix Salten, Filmstill aus „Die kleine Veronika“, 1929 (Ausschnitt) – ein Beispiel für Saltens umfangreiches Filmschaffen in Wien

wienlive: Wie kam es zur Idee einer Salten-Ausstellung?
URSULA STORCH: Die Idee stammt von Sylvia Mattl-Wurm, der damaligen Direktorin der Wienbibliothek, die sich auch darum bemüht hatte, dass 2015 der Salten-Nachlass aus Zürich nach Wien kam. Ihr schwebte immer auch eine Ausstellung im Umfeld der Kunst vor und diese Kooperation zwischen Wien Museum und Wienbibliothek war quasi das Letzte, was sie auf Schiene bringen konnte, bevor sie in die wohlverdiente Pension gegangen ist.

Was macht Felix Salten heute noch interessant?
STORCH: Für mich ist faszinierend, dass Salten zu fast allen berühmten Menschen seiner Zeit Kontakt hatte. Ich stelle mir das so vor wie ein Spinnennetz, in dem alle bedeutenden Promis eingefangen sind, und merkwürdigerweise kennt man den, der in der Mitte als Spinne sitzt, am wenigsten. Salten war ein genialer Netzwerker, lange bevor es diesem Begriff überhaupt gegeben hat.

Er war auch ein Aufsteiger, der zeitlebens gut verdient hat …
STORCH: Ja, er war sogar ein Schulabbrecher, weil er einfach für seine Familie Geld verdienen musste. Trotzdem hat er dann auch gerne Geld ausgegeben und war ein bisschen ein Dandy, der immer Wert auf sein elegantes Erscheinungsbild gelegt hat. Salten war auch einer der ersten Wiener, die sich ein eigenes Auto leisten konnten.

Was waren seine Einnahmequellen?
STORCH: Primär seine journalistische Arbeit, die immer seine ökonomische Basis darstellte. Aber er war auch als Schriftsteller sehr erfolgreich und sehr anpassungsfähig. Er hatte das Talent, wirklich klug und geschickt mit Sprache umgehen zu können. Er war so etwas wie ein Sprachchamäleon, das wirklich jedes Genre bedienen konnte – durchaus auch in der Absicht, für den Markt zu schreiben, um damit möglichst viel Geld zu verdienen. Von ihm gibt es wirklich alles: Operettenlibretti, Theaterstücke, 
Reiseberichte, Übersetzungen, natürlich Feuille-
tons, Kinderbücher, Drehbücher und Romane.

Trotzdem kennt man ihn heute nur noch als Bambi-Erfinder und Vielleicht-Mutzenbacher-Autor – warum?
STORCH: Ich denke dadurch, dass er so extrem für den Markt geschrieben hat, gelang ihm nichts wirklich Bleibendes. Er schrieb einfach das, was seine Zeitgenossen verlangt haben.

Interessant ist auch, dass er international interessiert war, wie seine USA-Reise zeigt …
STORCH: Er muss auch sehr gut Englisch gesprochen haben, denn er hat ja auch Übersetzungen gemacht. Es gibt Fotos, wo er neben Buster Keaton und Marlene Dietrich steht.

Weil er so ein Alleskönner war, hat ihm Karl Kraus auch die „Josefine Mutzenbacher“ angedichtet…
STORCH: Im Katalog führt Murray G. Hall aus, warum die „Mutzenbacher“ mit großer Wahrscheinlichkeit nicht von Felix Salten verfasst wurde. Obwohl in seinem Nachlass jetzt eine pornographische Erzählung aufgetaucht ist – allerdings viel später, nämlich in den 30er-Jahren, geschrieben und stilistisch völlig anders als „die Mutzenbacher“.

Was ist Ihr Lieblingstext von Felix Salten?
STORCH: Mir gefallen seine essayistischen Stücke am besten. Ein Tipp wäre etwa seine Darstellung des Wiener Praters – „Wurstelprater“ (1911) –, den er so beschreibt, wie es ihn wahrscheinlich damals schon nicht mehr gab. Da offenbart sich eine große Sehnsucht nach dem Urwienerischen.


Im Schatten von Bambi – Felix Salten entdeckt die Wiener Moderne
Wien Museum im MUSA, 1010 Wien, Felderstraße 6–8
Dienstag bis Sonntag & feiertags: 10 bis 18 Uhr
Wienbibliothek im Rathaus, Ausstellungskabinett
1082 Wien, Rathaus, Eingang Felderstraße, Stiege 6
Montag bis Freitag: 9 bis 17 Uhr
Eintritt frei!

Schach-Magazin 2020

Christian Hursky, Präsident des Österreichischen Schachverbunds, mit dem neuen Schach-Magazin. – ©Christian Hursky

Schach, aber nicht matt


Diese Spiel ist ein echter Dauerbrenner: Auf dem Schachbrett treten Spieler schon seit mehr als tausend Jahren gegeneinander an. Im Lockdown erfreut sich der Klassiker großer Beliebtheit, auch die kürzlich auf Netflix erschienene Serie „The Queen’s Gambit“ kommt bei Zusehern gut an. Der Österreichische Schachbund (ÖSB) hat nun anlässlich seines 100-jährigen Jubiläums ein Magazin veröffentlicht.
Text: Helmut Schneider / Fotos: Christian Hursky, Phil Bray/Netflix 2020


1886 war Österreich nicht nur geopolitisch eine Großmacht, sondern auch auf dem Gebiet des Schach. Denn der Wiener Wilhelm Steinitz wurde Schach-Weltmeister. Typisch seine Karriere: Da er sich kein Studium leisten konnte, spielte er in den Wiener Kaffeehäusern Schach – um Geld zu gewinnen. Daran erinnert der Österreichische Schachbund (ÖSB) in einem – im echo medienhaus erschienenen – schönen Magazin anlässlich seines 100-jährigen Jubiläums. In diesem Magazin erfährt man etwa, dass Arnold Schwarzenegger im Lockdown Schach spielt – gegen seine Eselin Lulu („Sie wird immer besser…“) und Kabarettist Dieter Chmelar erzählt von seinen Schacherlebnissen sowie tischt uns ein paar Schach-Anekdoten auf (Weltmeister Alexander Aljechin auf die Frage einer Reporterin: „Wo ist Ihnen eine Dame lieber? Auf dem Brett oder im Bett?“ – „Das kommt auf die Stellung an.“). Dazu eine Geschichte des Schachspiels im letzten Jahrhundert mit seinen legendären Duellen.

Anya Taylor-Joy als Beth Harmon in The Queen’s Gambit. – ©Phil Bray/Netflix 2020

Übrigens spielen und spielten auch Frauen eine große Rolle beim Schach. Dazu passt, dass im momentanen Netflix-Hit „The Queen’s Gambit“ eine außergewöhnliche Schachspielerin – ein Waisenkind, das vom Hausmeister des Waisenheims das Spiel lernt – die Hauptrolle spielt. Unbedingte Empfehlung – allein die Ausstattung im Ambiente der Nachkriegsjahre und die Hauptdarstellerin Anya Taylor-Joy (Bild) sind sensationell. Und Schach ist irgendwie auch das Spiel des Lockdowns, das man problemlos auch mit weit entfernten Partnerinnen und Partnern spielen kann.